Hilfstransport für Sarajevo

Das war ein Wettlauf gegen die Zeit – im späten November kann der Winter hart und erbarmungslos zuschlagen, besonders im hochgelegenen Sarajevo. Deshalb standen wir ziemlich unter Druck, zumindest einen Teil unserer in den letzten Wochen gesammelten Ware in ein ansässiges Hundeheim zu bringen.

Freitag Nachts, gegen 4 Uhr, startet ein Hilfstransport von Salzburg aus, gegen 6 Uhr folgen zwei weitere Wagen aus dem benachbarten Bayern. Die TierschützerInnen wollen sich später an der bosnischen Grenze treffen, um gemeinsam das Ziel anzusteuern.

Das Wetter meint es gnädig mit uns und die Fahrt geht zügig voran. Beim ersten Stopp kurz nach der kroatischen Grenze gibt’s aber auch die erste Hiobsbotschaft – der VW-Bus ist bis über das Dach mit austretendem Öl verschmiert! Dem nicht genug, verliert er auch noch konstant Wasser, und das, obwohl der Gute zuvor ein spezifisches ‚Aufbauprogramm’ durchlaufen hatte. Hilft alles nichts, wir müssen weiter…

Mit viel Zittern erreichen wir Stunden später die kroatisch-bosnische Grenze, leider zu überraschend, um wenigstens die schlimmsten Spuren des technischen Fast-KO’s noch zu beseitigen; auch können wir keine Rücksicht mehr auf den Treffpunkt mit unseren Weggefährten nehmen, zu sehr sitzt die Angst vor einem totalen Zusammenbruch im Nacken. Wir müssen so schnell als möglich unser Ziel erreichen, ungeachtet des besorgniserregenden Zustandes des ‚Patienten VW-Transporter’.

Die kroatischen Zöllner machen auch prompt Probleme, aber nicht wegen der Umweltsünde Ölverlust – sie wollen uns stoppen, weil der von uns ausgesuchte Grenzübergang bei Slavenski Brod nicht für Hilfstransporte zugelassen sein soll, dort gibt es keine Zollbehörde. Wir dürfen nach zähem Ringen trotzdem weiter, die bosnischen Beamten sind dann weniger kooperativ; wir müssen das Auto teilweise ausräumen, besonders das Hundefutter, auch wenn zum größten Teil vegan, ist den Staatsdienern ein Dorn im Auge. So dürfen wir im einem Augenblick in das Land rein, nur um im nächsten zu erfahren, wir dürfen nun doch wieder nicht; das Spiel zieht sich, unsere (selbstgefertigten;)  ) Zollpapiere tun letztendlich ihre Wichtigkeit und gegen eine entsprechende steuerfreie ‚Rentenabsicherung’ können wir unsere Fahrt fortsetzen. Inzwischen hat sich eine Öllacke unter dem Bus gebildet, das scheint aber niemanden zu stören. Endlich in Bosnien!

Nun geht die Fahrt durch von Kriegswirren gepeinigtes, menschenleeres Gebiet. Kilometer um Kilometer zieht sich die Strecke an völlig zerstörten Häusern vorbei; aberhunderte Ruinen, gespenstische Zeugen furchtbarer Geschehnisse an der Grenze, begleiten unseren Weg; die Eindrücke legen sich wie bleierne Fesseln über unsere Gedanken, rauben uns beinahe den Atem. Wir halten kurz an, wollen die unwirkliche Szenerie für die Ewigkeit auf digitale Datenträger bannen, als ein Streunerhund aus einem der Mahnmale auf uns zukommt und um Futter und Aufmerksamkeit bettelt – hier, meilenweit entfernt von jeglicher (menschlicher) Zivilisation!

Hie und da begegnen wir einem Ochsengespann, Pferdekutschen bahnen sich ihren Weg über schlechte Straßen. Die Zeit, einst Verbündeter des Fortschritts, scheint hier angehalten; unglaublich fern jede Aussicht auf das uns so liebgewonnene moderne Leben. Tatsächlich, die Hoffnung stirbt zuletzt – aber man kann sich des Eindruckes nicht erwehren, dass ‚Zuletzt’ gerade hier sein  muss…

Die Polizei stoppt uns, stammelt fadenscheinige Anschuldigungen, hält die Hand auf; nur durch die wie schon bei der letzten Reise unverzichtbare Anwesenheit unseres bosnischen Mitstreiters kommen wir halbwegs ‚günstig’ davon, aber eine Schuldzahlung für ‚nicht mitgeführte Schneeketten’ und ‚Wagenüberfüllung’ bleibt uns nicht erspart. 

Gegen 6 Uhr Abends erreichen wir Sarajevo. Die beiden mutigen Frauen aus Bayern sind ebenfalls nicht mehr fern, rund 150 Kilometer stehen noch zwischen unserer Vereinigung.

Der VW scheint angesteckt von unserer plötzlichen Überschwänglichkeit; gibt dem Sprichwort ‚Todgesagte leben länger’ neue Bedeutung; morgen werden wir ihm seinen Dienst mit unseren Mechanikkentnissen danken!

 Um keine Zeit zu verlieren, fahren wir im stockdunkeln zum Tierheim. Dort werden wir freudig erwartet. Zusammen entladen wir die Güter, einige hundert Kilogramm Hundefutter, Decken, Planen, Polster, Geschirr, Spielzeug, ja selbst auf Kleidung für die Menschen haben wir nicht vergessen. Frau Goga, die Leiterin des Asyls, und ihre beiden Helferinnen, zusammen mit dem Nachtwächter (dessen Aufgabe es ist, die Hunde nächtens vor wütenden Anwohnern zu beschützen), umsorgen uns rührend.

 

Die Hunde begrüßen uns noch stürmischer, ein Gebelle aus hundert Kehlen setzt ein. Zugegeben, ich habe diesen Platz nicht vermisst; unweigerlich presst mich die Wirklichkeit beim Betrachten dieser so schmählich im Stich Gelassenen zu Boden. Wie mit einer unsichtbare Hand ergreift die Realität Besitz von meinem Herzen; tatsächlich fühlt man sich bei der Induktion dieses Ortes schuldig, wütend und machtlos in Einem. Ein Asyl, wo gerettete Seelen der Rettung harren, wo die Stimme versagt, wo Tränen geboren werden. All diese Hunde sind hier, weil sie ansonst unweigerlich in den Tötungsstationen der Umgebung landen würden, vergessen von der Welt. Ungebraucht, ungeliebt, unbeachtet. Hier werden sie zwar mit dem Nötigsten versorgt, aber selbst das ist nicht immer möglich, zu schwer lastet die Verantwortung und das drohende finanzielle Debakel auf die himmelschreiend wenigen TierschützerInnen der Stadt. Bis auf Euch zu Hause, die Ihr all diese Unterstützung gespendet habt, die Ihr diese Hilfe überhaupt erst möglich gemacht habt, gibt es scheinbar Niemanden, den dieses Schicksal bekümmert. Sarajevo schließt die Augen vor der eigenen Unzulänglichkeit, den Schwächsten der Schwachen selbst nur einen Hauch einer Chance zu geben; auch diese Hunde sind Opfer des Krieges, sie sind ebenfalls Opfer ‚humanen’ Wahnsinns. Uns, dem Säugetier Mensch, soll die höchste Stufe der Evolution reserviert sein? Wir, die Krone der Schöpfung? Genesis hat wohl versagt, ist jämmerlich gescheitert, sollte dieser Anspruch begründet sein…

 

Gegen 9 Uhr Abends treffen unsere GefährtInnen ein; nun schon seit 15 Stunden unterwegs, ebenfalls von Gefühlen überwältigt, von den Strapazen der langen und beschwerlichen Reise gezeichnet, aber mit jeder Menge Enthusiasmus ausgestattet, trotzen sie jedem Anflug von Müdigkeit. In diesem Augenblick wird mir bewusst – wir alle, die wir entgegen noch so herber Rückschläge und Verluste, nicht davon abzuhalten sind den Tieren zu helfen, wir werden letztendlich die Menschheit nicht mit Worten, aber mit Taten überzeugen; eigentlich sind wir die Privilegierten, wir, die wir diese Dinge, wider aller Schrecklichkeiten, welche bloß Teil der Geschichte sind, erleben, diese Gefühle zulassen können; ich danke Gott für jede Sekunde, für jeden einzelnen Eindruck, egal ob niederschmetternd oder herzergreifend oder himmelhoch juchzend oder zu Tode betrübend, unbezahlbar selbst mit allem Geld dieser Welt, Adrenalin der Sinne, Leben pur. Solange Menschen wie diese beiden Frauen aus Deutschland alle Anstrengungen auf sich nehmen, Kosten und Mühen achselzuckend übersehend, um armen Geschöpfen Decken für den Winter zu bringen, Autos voll gestopft mit Hilfsgütern, so lange Menschen wie diese beiden bitterkalte Tage bloß durch Anwesenheit erwärmen, genau so lange ist das ‚Projekt’ Mensch nicht gescheitert!

 Hilfstransport für Sarajevo

Endlich vereint in Sarajevo! Wir verbringen den Abend, liebevoll umhegt von den ortsansässigen TierschützerInnen mit langen Gesprächen und dem Schreiben von Passpapieren für jene Hunde, welche wir nach Österreich und Deutschland bringen werden. Ursprünglich waren wir davon ausgegangen, mit fünf Hunden den Heimweg anzutreten. Diese Pläne werden Angesichts des Elends schnell über den Haufen geworfen!

Wir können bei unseren Tierschutz-Freundinnen in der Stadt übernachten, allerdings gehen sich nur wenige Stunden Schlaf aus. Früh am Morgen brechen wir erneut zum Tierasyl auf. Dort angekommen, entladen wir erst einmal die Autos aus Deutschland. Auch diese sind bis zum Rand voll gestopft mit Hilfsgütern aller Art. Die beiden Frauen hatten bei der Grenze weniger Schwierigkeiten und durften ungehindert ins Land (allerdings löste das Nichtvorhandensein einer grünen Versicherungskarte zeitweilige Hektik aus!). Jetzt sehen sie zum ersten Mal das ‚Asyl’ und wie es uns vor einigen Wochen ergangen war sind sie für Momente fassungslos. All diese schrecklichen Schicksale, gebündelt auf einem kleinen Grundstück am Stadtrand, betäuben die Sinne und nur schwer lassen sich erste Tränen unterdrücken.

Wir sehen eine Hündin mit 6 Welpen, im letzten Moment der Tötungsstation entkommen; ein beinahe haarloser Welpe, welchen Kinder mit Steinen beworfen und mit blauer Lackfarbe übergossen hatten; eine todtraurige Hündin, deren Welpen vor ihren Augen erschlagen worden waren; eine Hündin, die jahrelang als Minenfinderin missbraucht worden war und nun verkrochen in ihrer Hütte lebt; ein Rüde, der seit einem Jahr im Heim lebt und noch nie (!!!!) von allein seine (körpergroße) Behausung verlassen hat – er ist an seinem Schicksal zerbrochen, sein Geist ist in eine eigene Welt entflohen; …

Silvia aus Laufen, die Gründerin der ‚Veganwerkstatt’, hält an jedem einzelnen Zwinger, spendet Trost und Liebe und einen Kauknochen; trotz ihrer immensen Betroffenheit, trotz ihrer Zerbrechlichkeit, wirkt sie auf mich wie ein Fels in der Brandung, von ihr geht eine beinahe überwältigende Ruhe und Sicherheit aus. Inge aus Freilassing kämpft um zusätzliche Plätze zur Vermittlung – und ist erfolgreich! Tatsächlich findet sie eine weitere Pflegestelle, rettet sie ein weiteres Leben. Vaso bereitet die Transportboxen vor; ich möchte nicht missen gesagt zu haben, dass mich die Anwesenheit dieser Freunde nicht nur stolz, sonder im positivsten Sinne ergriffen macht.

Ein Tierarzt kommt und verabreicht den Hunden, welche mit uns die Heimreise antreten werden, ein Beruhigungsmittel. Wir beginnen mit dem Einladen; davor gehen wir mit den Hunden ein Stück; ganz vorsichtig, als wenn das Gras unter ihren Füßen brennen würde, versuchen die Ausgewählten erste Schritte, ihre Beine etwas lahm vom oft jahrelangem Leben auf engstem Raum. Wir tragen noch mehr Hunde zu den Autos; unsere Herzen rasen mit denen der Tiere im Gleichtakt; der Weg vom Zwinger zur Transportbox, im Arm ein Geschöpft, das bisher Glück und Geborgenheit noch gar so niemals gekannt hatte, wird für uns zur hormonellen Hochseilbahn; völlig überlastet mit der Verantwortung, der Schicksalshaftigkeit des Momentes. Wir bestimmen, wer sein Leben nun unter günstigsten Voraussetzungen fortsetzen kann…

Es lässt sich nicht mit Worten beschreiben, welche Gefühle in diesen Augenblicken frei werden; obwohl wir im Laufe der Jahre (durch Gottes- und Eure Hilfe!) schon so machen Tieren helfen konnten, werden sich diese Sekunden, fernab jeder Routine, wohl für alle Zeiten in unseren Gedanken festsetzen. Mit einem Atemzug sind die Strapazen der Reise nichtig; würde unser Leben jetzt enden, wir wären als die glücklichsten Menschen gegangen!

Jetzt muss alles schnell gehen; wir erledigen den Papierkram, verabschieden uns voller Emotionen und los geht’s Richtung Heimat!

Bei der Stadtausfahrt halten wir kurz, geben den Hunden nochmals Wasser und Streicheleinheiten. Hier trennen sich unsere Wege; Inge und Silvia setzen ihren Weg in Richtung Slavonski Brod fort, Vaso und ich wollen über die Berge nach Brcko, weil wir dort nach einem angeblich neu gebauten Heim Ausschau halten wollen. Glücklicherweise konnten wir zuvor Werkzeug besorgen und den Bus notdürftig zusammenflicken. Nun bleibt nur die Hoffnung.

Es ist schon gegen 15 Uhr, der Weg ist beschwerlich, teilweise liegt hier schon Schnee. Gegen 19 Uhr erreichen wir unser (vorläufiges) Ziel. Wir tragen unser tierlichen Mitgefährten auf den Dachboden von Vaso’s Haus; dort gibt es genug Platz zum Laufen und Spielen. Wir versorgen die Hunde und lassen sie für ein paar Stunden zur Ruhe kommen. Sie sind dankbar für diesen Halt!

Allerdings finden wir dann nichts Neues wegen des Tierheimes heraus. Wir versuchen kurz zu schlafen, mehr als eine Stunde haben wir aber dazu nicht Zeit. Gegen 22 Uhr beginnen wir die Hunde wieder zurück in die Boxen zu verladen und brechen auf Richtung Österreich, geraten dabei geradewegs in eine Polizeikontrolle. Die Polizisten glauben in uns Jäger zu erkennen, wer sonst befördert hier Hunde mit Autos?! An der Grenze gibt’s erneut Probleme; die Bosnier lassen uns durch, aber die Kroaten sind mit den Pässen der Hunde nicht einverstanden; minutenlang diskutieren sie heftig, wollen uns zurückschicken. Erst das Eingreifen einer offensichtlich ranghöheren Zollbeamtin löst den Konflikt, allerdings mit dem Vermerk, dass uns die Slowenen niemals ins Land rein lassen werden…

Alles läuft nun gut, auch der VW schnurrt gerade zu; er verliert zwar weiterhin Öl, aber nun nicht mehr besorgniserregend schlimm. An einer Raststätte versorgen wir die Hunde, sie sind müde und unglaublich ruhig. Nur ab und zu wollen sie der Enge ihrer Boxen entfliehen, schlafen aber immer wieder kurz darauf ein. Slowenien. Die Beamten wollen die Hunde sehen, lassen uns aber weiterfahren!!!! Gut 2 Stunden später, es ist jetzt ungefähr 6 Morgens sind wir an der österreichischen Grenze und passieren diese ohne Schwierigkeiten!

Regen setzt ein, nachdem uns der Nebel seit Bosnien begleitet hatte. Gegen 9 Uhr sind wir in Salzburg, Vaso muss zur Arbeit! Keine 10 Stunden Schlaf in drei Nächten!

Isa fährt mit zum Gnadenhof nach Lochen. Dankenwerterweise dürfen die Hunde dort ein neues Quartier beziehen, mit viel Auslauf und täglichen Spaziergängen. Ein harte Stück Arbeit ist geschafft!!!!

Silvia und Inge sind übrigens ebenfalls die ganze Nacht durchgefahren. Der Umstand, dass sie die Hündin mit 6 Welpen mit sich führten, verlangte einige Pausen, wo sämtliche Hunde versorgt und spazieren geführt wurden. Gegen fünf Uhr ereichten die beiden Deutschland, Inge verbrachte den Rest der Nacht dann noch mit ihren Gefährten im Auto, weil sie zu solch früher Stunde niemanden Jener, welche den Hunden fortan ein neues zu Hause geben werden, aufwecken wollte! Alle sind wir gesund zurück! Mit uns kamen 15 (fünfzehn!!!) Hunde, unter diesen die Minensuch-Hündin, die Mutter mit ihren Kleinen, der Welpe, welcher mit Farbe übergossen worden war, die zehnjährige Hündin, deren Kinder vor ihren Augen getötet worden waren, …

Erst gegen späten Nachmittag sind dann sämtliche Vermittlungen abgeschlossen. Wir sind wahrscheinlich um zwei Kilo leichter, müde und auch traurig, weil wir nicht ALLE Hunde mitnehmen konnten, aber auf der anderen Seite wieder – auch überglücklich. 15 Hunde, die eine neue Chance haben, der Hölle auf Erden gerade noch entkommen konnten. Es wird nicht viel Zeit vergehen, bis man uns alle in Sarajevo wieder sehen wird!!!!!  

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