Kaelbermarkt in Niederoesterreich

Es ist ein verregneter Tag im westlichen Niederösterreich Donnerstag Vormittag.

Die Sonne hat sich hinter dunklen Wolken versteckt, und heftige Regengüsse verwandeln das Land ringsum in eine morastige Sumpflandschaft. Die gesamte Umgebung scheint in Trübsinnigkeit gefangen, hat sich wie ein Chamäleon an den traurigen Anlass angepasst, zu welchem uns unsere Wege hierher führten.

 

Hinter der ‚Tierzuchthalle’ parken Dutzende Tiertransporter und unzählige Landwirte sind mit ihren PKW’s mit Anhängern oder stinkenden Dieseltraktoren mit teils irrwitzigen und sehr wahrscheinlich nicht einmal gesetzeskonformen Aufbauten gekommen, um an der so eben begonnenen Kälberversteigerung teilzunehmen. Wie in einer Zeitschleife gefangen, unfähig, aus dieser je wieder auszubrechen, zählt das Ereignis zum immer wiederkehrenden Akt einer Ausbeutungsindustrie, die gierig wie ein alles verzehrendes Monster tagtäglich abertausende Opfer fordert. An diesem Ort und an diesem Tag sind die Opfer Kinder, Tierbabys, geboren in eine Welt, die sie ungeliebt ausspuckt, noch bevor sie richtig zu leben begonnen haben. Warum? Weil Menschen nach dem Lebenssaft ihrer Mütter gieren, ohne Unterlass; die weiße Flüssigkeit, unschuldig anmutend, als gesund gepriesen, doch blutbefleckt bis zum letzten Tropfen. Es scheint auch keinen Unterschied zu machen, dass wir bereits in Milchseen ertrinken, die Produkteinheit ‚Milchkuh’ muss produzieren. Die Molkereiwirtschaft gaukelt uns dann auch noch in farbenprächtigen Bildern idyllische Wiesen vor, auf welchen glückliche Kühe mit ihren Babys grasen – nur, das so präsentierte grüne Etwas zu unseren Füßen ist nichts als ein Wunschgedanken in den Köpfen der Tiere, die allermeisten von ihnen werden nie Pflanzenwuchs zu den Füßen spüren können. Zeitlebens, und diese Periode ist für sie eine sehr kurze, werden sie auf Beton vegetieren, viel zu früh einer schreienden und weinenden Mutter entrissen, gnadenlos. Sie sind ein ‚Abfallprodukt’ der Milchbarone, lästig und doch so unbedingt notwendig, weil ohne sie selbst die hochgezüchteten ‚Turbokühe’ praktisch keine Milch geben würden. Ein Kreislauf, so obszön und brutal, aus der Gedankenwelt Luzifers entsprungen. Wir alle haben dieser perfekten Inszenierung eines menschenunwürdigen Kapitalismus nichts entgegenzusetzen gehabt, restlos überfordert über die Jahrzehnte weg, hat er an uns genagt und dabei wie selbstverständlich und praktisch ohne Gegenwehr die letzten Funken von Menschlichkeit aus uns heraus gezehrt. So lange, bis wir den  vollkommenen Wahnsinn als Normalität akzeptierten…

 

Niemand in der Halle stößt sich an unserem Erscheinen, doch unentwegt werden wir wegen der mitgebrachten Fotoapparate angesprochen. Es steckt allerdings keinerlei Böswilligkeit hinter diesen Fragen, viel mehr Neugierde und der Wunsch, ein Bild von sich selbst vielleicht am nächsten Tag in irgend einer Zeitung wieder zu finden – ob diese Freude auch ein gleiche sein würde, wüssten die Herrschaften, dass der angestrebte Bericht als Bestandsaufnahme für den Tierschutz verfasst werden wird?

 

Die hiesige Versteigerung findet alle drei Wochen am selben Platz statt. Jedes Mal wechseln dann zwischen 500 und 800 Kälber den Besitzer. Ein Landwirt verrät uns, die meisten der Kälber würden von umliegenden Landwirtschaften erworben werden, es handle sich hier um reine Masttiere, welche die nächsten 2 Jahre in österreichischen Ställen verbringen werden. Ein anderer aber scheint es besser zu wissen: ‚50 % werden gemästet, 50 % kommen zum Schlachten. Viele italienische Viehhändler besuchen regelmäßig die Auktionen, ein ganz großer Teil der Schlachtkälber wird bei diesen landen.’

Und tatsächlich, kaum ausgesprochen parken bereits erste Todestransporter mit italienischen Kennzeichen im Hinterhof…

 

Rings um die Arena haben viele MitbieterInnen Platz genommen. Im Stallteil des Gebäudes warten hunderte Tierbabys auf ihr ungewisses Schicksal. ‚Die weiß-schwarzen werden fast zu 100 % von den Italienern gekauft, die möchten die besonders gerne’, erfahren wir. Nervig für die Treiber sind die Kälber aus Mutter-Kuhhaltung, sagt ein weiterer. Die sind die Stricke nicht so gewohnt, sind sehr bockig und viel nervöser als jene, welche von Geburt an von ihren Müttern getrennt worden waren. Ob ‚Unfälle’ passieren, wollen wir wissen. Ein Angestellter sagt, er arbeite seit über fünf Jahren hier, noch nie sei einem Kalb etwas passiert. Allerdings, in der Halle sahen wir nur Minuten zuvor, wie ein Kalb am Boden lag, offensichtlich unfähig sich zu erheben. Mehrere Arbeiter versuchten es unsanft auf die Beine zu stellen, vergebliches Bemühen. Schließlich lassen sie von ihm ab, das arme Tier bleibt allein mit seinem Schicksal zurück. Mit gebrochenen Augen starrt es in eine Welt, welche ihm niemals Halt gegeben hat. 10 Minuten später allerdings, nach einigen Streicheleinheiten von uns, erhebt es sich doch, mühsam drückt sich das verängstigte Kälbchen schließlich mit tapsigen Schritten an die Hallenwand.

Genau so schlimme Szenen spielen sich im Außenbereich ab. Ein Landwirt, ein alter Herr, zerrt ein Kalb hinter sich her, öffnet einen winzigen am Traktor montierten Selbstbauverschlag – und siehe da, bereits drei weitere Tierkinder waren dort auf kleinstem Raum gedrängt! Weil der Platz nun wirklich sehr eng geworden war, muss er versuchen das Kalb im Rückwärtsgang die Ladebordwand hochzutreiben; was mehrere Male schmerzlich misslingt. Das Kalb rutscht ab, angsterfüllt, fällt und landet immer wieder auf seinem Rücken, nur um einen neuerlichen Versuch über sich ergehen zu lassen. Letztendlich ‚passt’ es doch irgend wie in den Hänger – die Fahrt wird eine sehr kurze sein, meinte der Landwirt. Sein Versprechen klingt wie eine Entschuldigung.

Auch in einem abenteuerlichen Holzverbau auf einem kleinen LKW haben mehrere Kälber inzwischen Platz finden müssen. ’Wir haben sie um 5 Eure pro Kilo gekauft, sie sind drei Wochen alt und werden ca. 2 Jahre bei uns am Hof sein, bis wir sie zum Schlachter bringen’, erfahren wir.

 

Am Parkplatz werden auch Hühner verkauft, an der Verkaufsstelle ist selbst das Batterieverbot scheinbar außer Kraft gesetzt. In engen Käfigen warten die Vögel auf neue Besitzer. ‚Sie kosten 9,50 Euro das Stück und die meisten werden bis zum natürlichen Ende bei den Käufern bleiben’, meint der Hühnerzüchter. Ob er das selbst glaubt, verrät er nicht wirklich. So sieben, acht Jahre Lebenserwartung hätten sie, nun 20 Wochen alt, würden sie alsbald mit dem Eierlegen beginnen und ungefähr 300 davon pro Jahr ‚produzieren’.

 

Die Arbeiter treiben nun unaufhörlich Kälber in die Arena. Die Armen müssen dabei so manche Schläge einstecken, und die inzwischen strafbare Tat des Schwanzumdrehens wird bis zum Exzess praktiziert. Manche die Kälber stürzen, nur um unter Gewaltanwendung wieder auf die Beine gebracht und vorwärts getrieben zu werden.

Gegen 2 Uhr endet der Spuk; die Arbeiter lehnen müde in den Ecken, die Viehhändler reiben sich zufrieden die Hände, die Bauernleute ‚satteln’ ihre Traktoren und machen sich auf den Heimweg. Alle scheinen zufrieden; alle, bis auf die hunderte Kälber, deren Schicksal an diesem Tag eine neue Wendung genommen hat. Die Vorstellung von der ‚Ware Tier’ ist hier genau so lebendig wie vor hunderten Jahren…

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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