von den Schrecken der Treibjagd und der ewigen Konfrontation

Bergheim, Freitag Nachmittag; es sollte ein herrlicher Herbsttag sein, zumindest bis zu jetziger Stunde; und obwohl die Sonne längst die meiste ihrer Kraft verloren hat, wärmen ihre Strahlen noch immer, wenn schon nicht den ganzen Körper, so doch wenigstens das Herz. Die Luft ist klar und rein, vom sanft Wind bewegt im Südföhn, dennoch erahnt man in ihr bereits den wartenden Winter, der wohl schon vor der Türe steht und immer fordernder um Einlass bittet.
Selbst der fast ohrenbetäubende Lärm eines ausufernden Verkehr durch den Ort scheint heute barmherziger als sonst, ganz so, als ob er sich der kommenden Feierlichkeiten bewusst und deshalb die Gemüter zufrieden stellen wolle. Nichts scheint die Idylle zu stören…
 
DSC 2418Doch plötzlich zerreißt lautes Knallen die Stille und vernichtet im Augenschlag des Momentes den vermeintlichen Frieden. Unwiederbringlich. Eine Treibjagd, schießt es durch den Kopf, eines jener abgrundtief feigen Massakers, welche gerade nun im Herbst über die Tierwelt in unseren Wäldern nur allzu oft mit einer nicht geahnten Brutalität, einer nahezu unfassbaren Herzlosigkeit, von Seiten grünberockter Täter hereinbricht; wenn Familienväter und immer öfters auch –mütter plötzlich ihre gutbürgerliche Maske ablegen, und während noch ihre Finger fast liebevoll in der Verabschiedung durch das Haar des Nachwuchses streichen – niemand ihnen noch, am wenigstens sie selbst, diese unersättliche Blutgier zutraut – ihre Gedanken schon längst beschäftigt sind mit bevorstehenden Gräuel.
 
DSC 2434Der Plainberg ist ein heiliger Ort; an seiner Spitze ragt eine wunderschöne Kirche gar majestätisch gen Himmel, von Gottes Gnaden kündend; ein Wallfahrtsort, ein Ort des Friedens; heute nicht…
 
Am Fuße des Berges und an seinem Rücken entlang sind sie positioniert, eine Dutzendschaft meist alternder Männer, oft an Gehstöcken gelehnt; die meisten sitzen in mitgebrachten Campingstühlen, orange Warnwesten vermitteln einen grotesken, beinahe kindlich verspielten Eindruck – dennoch versprechen sie ihnen notwenigen Schutz, ist doch des Jägers größte Gefahr nur allzu oft eine vom eigenen Kameraden ausgehende.
 
DSC 2419Aneinandergereiht wie Soldaten des Todes, in Reih und Glied, zum Töten bereit. Da stehen und sitzen sie, blitzende Stahlrohre in den Händen, fixiert auf die folgenden Momente; während die Schergen des Todes durch den Wald laufen, gellend schreiend, Pfeifen blasend, trommelnd, warten sie.
 
Verzweifeltes Leben in der Falle; Todesangst; chancenlos; ausgelöscht, tote Körper von giftigen kleinen Kugeln durchsiebt, leere Augen blicken in einen urplötzlich gar nicht mehr so freundlich wirkenden Himmel. Paradise lost – das Paradies entzaubert, untergegangen in ienem Meer der Tränen.
Gott als Zeuge, in seinem Haus sitzend, am Gipfel des kleinen Berges; erstarrt, Tränen in den Augen ob der eigenen Schöpfung. Rast- und ruhelos, handlungsunfähig ob der bezeugten Taten.
 
DSC 2439Menschen entlang des Weges, die Schönheit des Tages nutzend; geschockt harren sie der Ereignisse; eine ältere Dame lehnt an einem Baum, weinend; ein Ehepaar macht dem Ärger Luft, ‚soll sie doch alle der Teufel holen’, entweicht es ihrer Kehle; nebenan ohrenbetäubendes Knallen, an eine Silvesternacht erinnernd – sagte ich Silvester? Nein, viel eher an andere, prägnantere Geschehnisse, Geschehnisse, von welchen nur die älteren Generationen noch wissen; es ist wie Krieg, Krieg gegen hoffnungslos Unterlegene, Chancenlose; ein Krieg, dessen Ziel einzig Vernichtung heißt, ein Massaker; ist ein Krieg unter Menschen wenigstens noch ein Krieg unter seinesgleichen, wusste schon Dr. Georg Arundale – und das im Jahre 1926 – gibt es keine Rechtfertigung für die Schande der Treibjagd. Egal, zu welchen Leistungen auf kultureller oder geistiger Ebene wir uns noch aufraffen werden, sie werden klein und nicht sein im Angesicht dessen, was sich der Mensch dem Tier gegenüber zu Schulden hat kommen lassen.
 
DSC 2425Ein Tierschutzaktivist, herbeigerufen nur durch den Lärm der Vernichtung, in seinen Ohren gellen die Schreie, Schüsse, der Duft des Todes will nicht weichen, ist ebenfalls bewaffnet, jedoch ist seine ein Fotoapparat. Vor ihm steht er, ein Anhänger mit Holzgerüst, voll gestopft mit Leichen; aufgehängt an Hinterbeinen und Hälsen, der Würde noch im Leben beraubt, im Tod erst recht; 37Füchse sollen es sein, erfährt er später, dazu einige Enten, ein Fasan und zwei Eichelhäher. Ein jüngerer Jäger stellt sich in den Weg, ansatzlos, sofort, gebietet dem Traktorfahrer loszufahren; dann entwickelt sich in gleicher Sekunde ein heftiges Streitgespräch; Grund: vor gut einem Jahr war selbiger Grünrock vor dem Haus des Aktivisten vorgefahren, ein totes Reh im Kofferraum; der Pflegehund des Tierschützers, so meinte er, jener, der erst seit wenigen Tagen in Österreich angekommen war, gerettet aus dem Grauen einer illegalen rumänischen Tötungsstation – dieser hatte am Tag zuvor seinen Streunergenen folgend einen Weg nach ‚draußen’ gefunden, magisch angezogen von des Nachbarn’s Mülltonnen – hätte das arme Tier wohl getötet; oben im Wald, dort wo besagter Hund bestimmt noch nie gewesen. Und eine Drohung folgte auf den Fuß: er werden nicht mehr lebend heimkommen, würde er nochmals entkommen können, selbst wenn nur wenige Meter… Ungeachtet dessen, das besagter Hund namens Blue zwei gebrochene Vorderbeine, schlecht zusammengewachsen und von Arthrose gezeichnet, sein eigen nennt.
DSC 2452Keine Zeugen solcher Tat, die weiße Brust des Armen nie blutbefleckt, und dennoch derartige Worte; es ist ein Versprechen, stößt der ‚ja vielmehr Heger’ sie nochmals aus in der Öffentlichkeit (am bierseligen, alkoholschwangeren Stammtisch ist es doch nicht zu verhindern, doch unter seinesgleichen – was stört es die mächtige Eiche, wenn sich ein Wildschwein an ihr kratzt – ist es eine andere Welt, eine dem Normalbürger nie verständliche; dort, wo selbst das Töten, das Morden mit anderen, leichter verdaulichen Wörtern kaschiert wird, wo aus ‚Blut’ verharmloster ‚Schweiß’ wird und dergleichen) dann wird dies eine sofortige Anzeige – Grünrock, bestimmt liest Du diese Zeilen – wegen Verleumdung zur unmittelbaren Folge haben!
Daraufhin war ein zwei Meter hoher Zaun erreichtet worden, denn wie sie nun mal sind diese ZeitgenossInnen, sie fühlen sich als Richter und Vollstrecker zugleich; als Herren des Lebens, die doch nur den Tod vertreten; Leben nehmen ohne zu schaffen, wie hungrige Dämone müssen sie der Welt der Geflügelten und der Vierbeinigen, der Kriechenden und Schwimmenden, erscheinen; die Zahlen sprechen für sich: so sollen laut Statistik rund 40 000 Katzen und 4 000 Hunde alljährlich allein in Österreich auf diese Weise ein jähres Ende finden. Wahrlich, die Bestie im Menschen ist noch nicht zu erliegen gekommen, manchmal nur schläft sie – doch wehe wenn sie zum Erwachen kommt.
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Streckenlegung; direkt vor der geöffneten kleinen Kapelle, im Kerzenschein, die Einsamkeit erleuchtet, tanzende Lichter auf den sanften Gesichtern der Heiligen; vor ihren Antlitz sind sie ausgebreitet, zerschossenen Wesen, am Höhepunkt ihres Dasein der Welt entrissen.
Im Hintergrund die mächtige Kirche, das Kreuz am Dach schimmert unter der versinkenden Sonne gülden; entehrter Boden, blutgetränkt. Die Kirche als Gastgeber heidnischer Rituale.
 
Die Stimmung unter der Jägerschaft ist prächtig, selbst Kinder im Outfit der Schießwütigen; und Frauen, sogar Hübsche, wäre da nicht der Ausdruck der Blutgier in ihren leeren Augen, die sich im Moment mit dem ebenso leeren Raum dahinter ein Gefecht zur Vorherrschaft der Nichtigkeit zu liefern scheinen…
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Es folgen weitere Streitgespräche, Beleidigungen von Seiten der Jäger, gekontert mit ethischen und moralischen Vergleiche; kurz gibt es sogar Hoffnung, zumindest leicht Entspannung der kritischen Situation – einer der Jäger versucht ein ernsthaftes Gespräch, ein Ringen nach einer Basis; dann jedoch die völlige Entgleisung: der Jagdleiter stürmt heran, seine Hand, schneller wohl als das Gehirn folgen kann, am Fotoapparat des Aktivisten, das Fotografieren verbieten wollen; weiß er nicht, dass dis einer Nötigung gleichkommt, bereits Gewaltanwendung ist? Es sein eine Privatveranstaltung auf Privatgelände, brüllt er; privat?DSC 2466 Töten ist niemals Privatsache, vielmehr begleitet von Blutschuld, und nebenbei: kein Hinweisschild, keine Absperrung, es ist ein Kirchenvorhof, offen für jede/n, Gottes Wort und Gottes Schutz, für alle zugänglich. Wir sind nicht im Jahre 1938, wo Andersdenkende auf freiem Land ausgesperrt werden können, ganz wie es einem Despoten beliebt, denkt der Schelm; der Mann tobt, zerrt mehrmals am Ärmel des Tierschützers; eine Warnung: bitte nicht angreifen, wenn es Probleme gibt, dann soll der Gute doch die Polizei rufen; die würde ihm sagen, dass es jedermanns/frau Recht wäre, auf offenem Gelände zu fotografieren, was immer beliebt! Das wüste Anfassen hört nicht auf, eine Reaktion folgt – das Wort Lusttöter, Lustmörder – weit hergeholt? – soll gefallen sein, was dem Tobenden endgültig aus der Fassung bringt; er ruft nach seinem Anwalt, das wird teuer, meint er, ebenso die Verweigerung des Zeigens eines Ausweises mit einer Schlussfolgerung, warum dies sowieso nicht zielführend oder notwendig sein könne; Schimpftiraden folgen, beidseitige, allein die Bezeugung der Worte ist dann aber eine einseitige: sind doch gut 30 JägerInnen anwesend, die dem Wütenden sofort zur Seite stehen, und neben dem Tierschützer nur ein Privatmann – der sich dann lieber doch (nicht unverständlich) aus dem Geplänkel heraushält.
Ach ja, und zwischendurch, da war auch einmal ein Ehepaar anwesend; im Gespräch mit einem Jägersmann, sich nach der Zahl und Art der Opfer erkundigend, ob besorgt oder einfach nur interessiert sei dahin gestellt, erzählte die Frau: ;ja, habt’s ihr diesen einen Hasen gesehen, der ist abgehauen, um sein Leben gelaufen und hat es geschafft.’ Darauf ein Jäger: ‚So wunderschön kann die Schöpfung sein’….
 
Fazit: sie teilen fürchterlich aus, diese Waidmänner, einstecken jedoch ist nicht ihre Sache; sie sind die Verkörperung der Mimose und schnell mit Anwaltsschreiben, aber langsam in der Erinnerung, von Vergesslichkeit befallen, wenn es um eigene Äußerungen geht, die zuallermeist weit unter der Gürtellinie angesetzt sind; sind stark und mächtig – zu zehnt, zu zwanzigst, zu dreißigst, doch sehr zurückhaltend in der Minderheit. Und sie können nicht einsehen, nicht glauben, ihre Zeit ist eine abgelaufene.
Sie werden aber genau dies tun müssen – denn die Zeichen stehen auf Menschlichkeit, und ihre Verachtung des Lebens ist eine zum Kotzen überstrapazierte Anmaßung. Die es anzuklagen gilt, wo immer damit konfrontiert!
 
Bergheim, einst Juwel vor den Toren der Mozartstadt, hätte die unwiederbringliche Chance gehabt ein kleines Paradies zu sein; aber spätestens in dem Augenblick, als es eine Tötungsanstalt in seiner Mitte duldete, hat es seine Unschuld verloren. Seither hängt der Atem des Todes über dem Dorf, der schreckliche Gestank der Angst von 150 und mehr täglich getöteten Rindern. Die Idylle ist zerbrochen, und steht der Wind richtig, so kann man manchmal, wenn man nur genau hinhört, sogar die Schreie der Ermordeten hören, ihre Furcht, ihre Hoffnungslosigkeit spüren. 150 Unschuldige sterben täglich hier, und heute sind nochmals mindestens 48 Opfer mehr zu beklagen.
 
DSC 2489Freitag Abend; es ist wieder ruhig am Plainberg. Mit der kommenden Nacht kriecht zäher Nebel über die Felder und Wiesen, bahnt sich seinen Weg hinauf die Hügeln, bis zum großen Gotteshaus hüllt er das Land in einen Schleier des Vergessens. Er breitet ein Leichentuch über die grausamen Geschehnisse nur wenige Stunden zuvor, ganz so als ob ein gütiger Schöpfer das Land verhüllen wolle unter sanften Schwaden. Vielleicht versteckt er die Sünden seiner Unvollkommenheit, seiner eigenen Schöpfung, vor seinen eigen Augen, weil er deren Anblick nicht länger ertragen kann.
Nur, so sicher wie das Amen im Gebet, irgendwann, wahrscheinlich schon mit dem Beginn des neuen Tages, lichtet sich das Grau wieder, aber mit dem Nebel sind sie nicht verschwunden, tief eingegraben in der Erde, welche die Verbrechen des Vortages im Gedächtnis der Ewigkeit speichert.
 
Bergheim ist noch immer ein kleiner Ort; aber seine Unschuld, die kommt nie zurück.

Wir warten gespannt auf einen Anwaltsbrief, den wir im selben Tone zu erwidern werden wissen. 

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