Mauretanien, die Reise – Teil1!

Väterchen Frost hat sie alle überlistet. Er, der bereits Totgesagte, war plötzlich zurückgekehrt, mit unvermuteter Kraft hat der alte Mann aus dem Norden all seine Kritiker Lügen gestraft und das Land nochmals mit purem Weiß überzogen und in seinen eisigen Atem gehüllt.

Die Nacht hat doch gerade erst begonnen, als der Wecker gefühlte Augenblicke nach dem Einschlafen schon wieder mit schrillem Getöse die noch kurz vorhin so friedvolle Stille zerreißt. Müde Hände bereiten dampfenden Kaffee, und erst der unwiderstehliche Geruch des dampfenden, tiefscharzen Bohnengebräus erweckt die Lebensgeister.

Es ist halb drei Uhr morgens, als die bleierne Schwere der Musik von Alice in Chains das Innere meines Wagens in eine Klangwolke verwandelt. Die Straßen sind gezeichnet von der Frühe der Stunde, ungeräumt, und so bahne ich mir meinen Weg mit Vorsicht und Demut den Witterungsverhältnissen gegenüber in Richtung deutsche Grenze; ich werde dort Dr. Matthias Facharani (wer in der Nähe von Salzburg wohnt, es gibt keine bessere Adresse für Ihr Tier: www.tierarzt-facharani.de) abholen – der wunderbare Gemeindetierarzt von Bayerisch Gmain, eine Koryphäe auf seinem Gebiet, dazu ein ausgebildeter Tropenmediziner und arabisch-sprechend, wird uns erneut zu unserem ehrgeizigsten Projekt, zu den Eseln nach Mauretanien, begleiten!

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Fotos: was für ein Vergleich – der tief verschneite Flughafen in München, und nur wenige Stunden später eine Welt aus Sand, beherrscht von einer gnadenlosen Sonne, 35 Grad im Schatten…

Kurz vor dem Übergang zwischen den beiden Nationen überrascht mich eine lang gezogene Kurve und das Fahrzeug kommt urplötzlich und mit nicht gedachter Leichtigkeit ins Schleudern. Nur mit großer Mühe und noch mehr Glück kann ich einen Aufprall an beiden Seiten der Straße vermeiden, die Räder finden keinen Halt und letztendlich, nach einer Rutschpartie von einer Begrenzungslinie zur anderen über gut 200 Meter hinweg, komme ich in einer Baustelleneinfahrt entgegen der Fahrtrichtung zum Stehen. Es ist nichts passiert, ein Schutzengel hatte meinen Weg wohl begleitet, und nur noch das heftige Pulsieren des Blutes in meinen Adern verrät die Schrecksekunden. Ich könnte in diesem Moment schwören, auch mein Auto kurz aufatmen gehört zu haben, jedenfalls fühlte sich das Motorengeräusch bei der Weiterfahrt irgendwie zufriedener an als zuvor!

Es ist kurz vor halb vier, als Dr. Facharani und ich uns auf der tief verschneiten Autobahn in Richtung Flughafen München wieder finden. Trotz der unwirtlichen Bedingungen aber kommen wir schnell voran, und mit einem eigentlich fast ungewohnt weiten Zeitpolster stehen wir alsbald in der Warteschlange vor dem Air France-Schalter.

Was wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht wussten – wir hätten uns gar nicht so beeilen müssen, denn tatsächlich kann das Flugzeug über eine Stunde lang nicht abheben, auf Grund des vielen Schnees und der eisigen Temperaturen, welche die Außenhaut des fliegenden Monsters mit einer Schicht aus gefrorenem Nebel überzogen haben!

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Foto: das ist es was uns erwartet: Esel in Not!

Nur mit viel Glück erreichen wir schließlich den Anschlussflug in Paris, und mit eineinhalbstündiger Verspätung hebt die voll besetzte Boeing endlich ab in Richtung Wüstenstaat. Seit in Mauretanien enorme Reserven von Rohstoffen, allen voran Gold und Erdöl, entdeckt worden sind, konzentrieren sich die Interessen der Industriemächte plötzlich im Nomadenstaat; flog früher nur die Grand Nation selbst den verlassenen, endzeitanmutenden Flughafen Nouakchotts, der Hauptstadt des darbenden Landes, an, so gibt es heute gut ein halbes Dutzend Fluglinien, welche die größte Ansiedlung in der Sahara ins Visier nehmen. Alteingesessene Botschaften werden nun ausgebaut, neue sprießen aus dem Sand, auf dem die Träume von Reichtum und Macht aufgebaut sind – mit modernster Technik und übertriebener Architektur protzend, von Grün umgeben, wohlgemerkt in einem der finanziell schwächsten und wasserärmsten Land dieses Planeten! Autoritäten werden umgarnt, jene Männer, welche ihr eigens Volkes in einer immerwährenden Misere zurücklassen und nur sich selbst mit noch dazu ungeheurem Luxus umgeben, nimmersatt – die unfassbare Ironie, die absolute, fast unerträgliche Unterlegenheit der westlichen Welt gegenüber Devisen und materiellen Werten der europäischen Seele wird hier offenbart wie kaum anderswo. Ob Halb-Diktatoren oder westliche Mächte, beide Seiten wissen, dass von den zu erwartenden Geschäften die Hungernden und Darbenden ausgeschlossen bleiben werden, trotz aller anderslautenden politisch korrekt formulierten Beschichtigungsreden.


Wir erreichen Nouakchott gegen halb fünf Uhr nachmittags, mitteleuropäischer Zeit. Der Temperaturunterschied ist ein enormer, einer von weit mehr als 40 Grad – der heiße Wüstenwind an der Rollbahn bläst uns eine erste Warnung entgegen – ein Willkommensgruß aus einer anderen Welt!

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Fotoserie, erste Reihe: links, Dr. Dieng und Dr. Facharani bei der Diagnosestellung; rechts, Zappa und Tom bei der Hufbehandlung; Reihe Mitte: Hauptnahrungsquelle der Esel – purer Karton! rechts, Moussa bei der Arbeit; Fotos Reihe 3: Dr. Dieng, Dr. Facharani; rechts, Anbringen unserer ‚Wer Gnade am Tier übt…‘-Sticker

Genau diese Welt, beherrscht von einer gnadenlosen Sonne, von Sand und Tod, aber auch von einem unfassbaren Lebenswillen, einer nicht geahnten Lebensfreude seiner BewohnerInnen, welche selbst der kargsten Umgebung noch ein bisschen Normalität abzutrotzen vermag, hat uns alsbald fest in ihre Hände geschlossen.



Nouakchott, 1960 am Reißbrett entworfen, damals für nicht mehr als 10 000 bis 15 000 Menschen konzipiert, verkörpert heute ein spannungsgeladenes Gemisch aller erdenklichen Ethnien, ist innerhalb kürzester Zeit zur Millionenmetropole angewachsen; ein Umstand, der natürlich mannigfaltige Problematiken in sich birgt. So zum Beispiel konnten mit dem überragendem Bevölkerungswachstum weder soziale noch technische Errungenschaften auch nur im entferntesten Schritt halten, und so findet sich die Mutter der Städte heute wieder als Moloch aus dampfenden Abgasen hunderttausender Großteils eigentlich verkehrsuntüchtiger, aus Europa abgeschobener Fahrzeuge, einem unüberschaubaren Menschengewirr und einem Ozean aus zernagtem Abfall, welcher unentsorgt viel zu oft den Keim des Todes in sich birgt.



Wir möchten uns heute aber gar nicht zu sehr in politisch-soziale Belange vertiefen, deren viel zu oft herzzerreißende Schwächen hier wie kaum sonst wo auf dieser Welt offenbart werden,  sondern uns vielmehr auf den Zweck unserer Reise konzentrieren – auf unsere mobile Klinik, welche in jenen Gassen und Straßen seit vielen Jahren die einzige Hilfe bringt, welche die gequältesten Kreaturen in Nouakchott, und vielleicht sogar auf ganzer Gottes weiter Erde, die Arbeitsesel,  je erhalten werden –  es gibt ihrer nach vorsichtigen Schätzungen allein in der Hauptstadt gut 80- bis 100 000, deren Schicksal es ist, nach einem Leben in unfassbarer Entbehrung einem Tod entgegenzusehen, der sich nahtlos an die Härte ihres so brutalen Alltages anpassen wird…

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Fotoserie, erste Reihe: können wir ermessen wie es ist, solche Gewichte zu ziehen? rechts: Zappa, der Magier! Reihe zwei: welch ein Vergleich zwischen Stadt und Land! Reihe drei: ‚Nicht-Schlagen‘-Schilder an allen unseren Behandlungsplätzen, rechts: unsere so unverzichtbare Barbara Bitschnau bringt Leckerlis!

RespekTiere stemmt sich dem Unvorstellbaren nun schon seit Ende 2005 entgegen, mit aller Kraft und unter Aufwendung aller uns zur Verfügung stehenden Mitteln. Und dieser Einsatz hat sich inzwischen mehr als gelohnt, statistisch gesehen jeden 2. Esel hat unser Ärzteteam im Laufe der Jahre wohl schon behandelt! Seit ca. einem Jahr konzentriert sich unsere Arbeit vor Ort neben der medizinischen Hilfe nun auch auf die orthopädische, was bedeutet, jedes der beiden Teams ist mit einem Hufschmied ausgestattet. Das Faktum ist ein umwälzendes – gab es diesen Berufsstand bisher doch überhaupt gar nicht im Lande, zumindest ist wohl noch kein Esel mit Feilen, Hufmessern und Hufzangen in Berührung gekommen! Wie wichtig die Einsetzung dieser Maßnahme war, offenbart sich uns bei jedem Schritt – Hufverwachsungen in unbekanntem Ausmaß präsentieren sich, manche in derartiger Heftigkeit, dass solche ‚Schönheitsfehler‘ über kurz oder lang tödlich für das Individuum wären; wie viele Esel hatten im Laufe der Zeit wohl schon nicht zu beschreibende Leiden erdulden müssen, jede Bewegung zur Qual geworden, nur weil sich niemand um deren Hufe gekümmert hatte?

Zappa ist unser neuester Mitarbeiter; er stieß im letzten September, Sie erinnern sich sicher noch, zu uns und wurde sogleich von der wunderbaren Hufschmiedin Irmi Forsthuber eingelernt – und lernen tat er schnell, unfassbar schnell! Heute sind wir stolz auf ihn, denn er verfügt über beinahe magische Hände; tatsächlich beweist er wieder und wieder auf ein Neues, dass selbst fürchterlichst verwachsene Hufe keinen Grund zur Verzweiflung bieten – innerhalb von einer Stunde schafft er es aus aussichtslosen Deformierungen irgendwie doch wieder formschöne, stabile Schalen zu gestalten! Wir können den Einfluss in unsere Arbeit gar nicht hoch genug einschätzen, denn tatsächlich bedeutet der Unterschied zwischen vor und nach der Behandlung sehr oft Leben oder Tod; stellen sie sich vor, trotz all der Notwendigkeit gab es den Berufsstand bisher nicht einmal, konnte solchen Tieren nicht geholfen werden…

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Dr. Dieng, unser Chefarzt, kümmert sich um einen Esel, der eine tiefe Stichwunde an seiner  Seite aufweist. Was war passiert? Unvorstellbar, der Halter hatte sie dem armen Tier in einem Anfall von Wut zugefügt… und er steht nun daneben, sich keinerlei Schuld bewusst, selbst als ihn Dr. Dieng auf das nicht zu Begreifende anspricht, zeigt sein Gesicht keine Regung, keine Spur von Reue – dies ist ein hartes Land, und wenn selbst seine mündigsten BürgerInnen kaum über Möglichkeiten des wirkungsvollen Protestes verfügen, so zählen die Belange der Rechtlosesten unter ihnen, die der Tiere, keinen Deut.

Dr. Dieng straft den Schinder ab, mit harten Worten und bewussten Gesten; er erzählt ihm von der Leidensfähigkeit der Esel, zum unabdingbaren Zusammenspiel zwischen den Arten, von der Gottlosigkeit, welche in solchen Wahnsinnstaten lebt. Ob sich der Mann die Worte zu Herzen nimmt? Inschallah, so Gott will…

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So muss der arme Esel nun diesen furchtbaren Schmerz über sich ergehen lassen, zu Boden gedrückt von einem Dutzend Männerhände; er bekommt zwar Schmerzstillendes verabreicht, aber dennoch, jeder Stich durch das wunde Fleisch mit der dicken Nadel des Arztes lässt seine Nüstern erbeben… Die Prozedur dauert qualvolle 25 Minuten, vom Reinigen der Wunde bis hin zum Vernähen. Dann kommt Blauspray als Schutzschicht auf den gemarterten Körper  – und endlich kann der Esel aufspringen. Er tut dies vorsichtig, mit wackeligen Beinen, sein Kreislauf unstabil nach all dem Schmerz und Leid, nach der ausgestandenen Angst und der herzzerreißenden Pein. Es tut in der Seele weh, und nur jemand, der/die mit eigenen Augen solche Szenen erleben muss kann das wohl wirklich nachvollziehen, zu wissen, dass der Arme wohl in wenigen Minuten schon wieder seine kaum zu bewältigende Last durch heißen Wüstensand ziehen wird, erneut ausgesetzt den grausamen Händen seines Peinigers. Die Hände jenes Mannes, dessen Empathie wohl erstickt war, untergegangen, hoffnungslos ertrunken in den unergründlichen Moorwassern einer Kindheit im Vorhof der Hölle.

Wie kann ein Wesen all diese Dinge ertragen, über sich ergehen lassen, noch dazu mit der dem Esel eigenen, fast ehrwürdigen Gelassenheit? All diesen Kummer, immerfort, von unvorstellbaren Schmerzen geplagt, und dennoch auf wundgescheuerten Rücken eine Last von bis zu einer Tonne hinter sich herschleppend, den Weg unbeirrt fortsetzend? Wahrlich, diese Tiere sind Geschöpfe eines mächtigen Gottes, und wenn die Worte der heiligen Schriften einen Wahrheitsgehalt aufweisen, so kann eine Verkörperung des Allmächtigen nur in ihren Ebenbild zu finden sein – Blasphemie sagen Sie? Nur ‚Mensch’ kann dies von sich behaupten? Aber, bitte überlegen Sie, birgt diese Annahme nicht noch viel mehr Gottlosigkeit in sich? Eine allmächtige Macht, das Epizentrum an Großzügigkeit, Besonnenheit, Nächstenliebe und Güte, an Weisheit und Barmherzigkeit – und dem gegenüber: WIR? Zerfressen von Neid und Hass, zernarbt von Kriegen und Gewalt, von Ausbeutung gezeichnet und blutbefleckt gegenüber dem Leben? Sie werden vielleicht zustimmen, dass dieser Vorstellung Zweifel anhaften könnten…

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Fotos: erste Reihe: Dr. Facharani bringt Erlösung in Form von Wasser; rechts: Vitamine erhält fast Esel; Reihe zwei: unser Aufkleber ‚Wer Gnade übt…‘, rechts: Mohammed bei der Behandlung

Wenn der Ausdruck tränender Eselaugen erst Ihr Herz erreicht hat, er wird sie nie mehr loslassen. Denn tatsächlich, diese Tiere sind der Inbegriff all dessen was Würde und unbesiegbarer Stolz versprechen. Sie verfügen über Superlativen, welche in einer degenerierten Welt nur ganz schwer zu finden sind, können selbst aus purem Karton, welcher hier ihre Hauptnahrung ist, überlebenswichtige Zellulose ziehe, anders als ihre edlen Verwandten, die Pferde, mit enormer Rohfaseraufnahmekapazität gesegnet; sie können Leiden erdulden, für fast alle anderen Lebensformen bis zu einem unerreichbaren Zenit, und Leistungen erbringen, fernab des Vorstellbaren.

Eine Ironie des Schicksals – genau diese Tugenden sind es, welche den Esel letztendlich zum wohl leidgeprüftesten Wesen unserer Zivilisation machen, denn ‚Mensch‘ ist ein gar unverständiger Despot, in seiner Herrschaft ein teuflischer Tyrann, der, einst vielleicht sogar zum Behüter erkoren, vom Weg abgekommen und den des gnadenlosen Ausbeuters eingeschlagen hat.

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Aber es gibt auch Gutes zu berichten, und der Ausdruck ‚Gut‘ allein tut dem was hier geschaffen wurde, bei weitem nicht genüge! 2 RespekTiere-Teams sind in Nouakchott unterwegs, an 7 Tagen die Woche, und unsere 4 Ärzte und Arzthelfer behandeln dabei an diversen strategisch gut gewählten Plätzen rund 1 000 Esel Monat für Monat; Tiere, welchen bisher nicht ein Deut an Hilfe zugestanden, welche ihrem Schicksal ohne Wenn und Aber ausgeliefert waren. Die Esel erhalten zudem erstmals regelmäßig Hufpflege, wir können es nicht oft genug wiederholen, wie wichtig dieser Aspekt ist!

Fortsetzung folgt in Kürze!

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