TTIP – die Auswirkungen eines Freihandelsabkommens auf den Tierschutz!

Mit großer Freude dürfen wir Euch heute einen äußerst wichtigen Gastbeitrag von Elisabeth Buchner M.A., Gründungsmitglied unserer Partnerorganisation MUT-AG (Menschen- und Tierrechte) nahelegen:

 

TTIP und Tierschutz
von Elisabeth Buchner M.A.
Viel wurde schon diskutiert, über die potentiellen Gefahren des geplanten EU-US Handels- und Investitionsabkommens TTIP für Umwelt- und Sozialstandards, Verbraucherschutz und demokratische Kontrolle, um nur einige Punkte zu nennen. Aus Tierschutzperspektive stellt sich die Frage, ob und wie Freihandel und Liberalisierung für die Lagen von Nutztieren überhaupt relevant sind und wenn ja, in welcher Weise. Bei genauerem Hinsehen ist die Frage nicht sofort völlig eindeutig zu beantworten. In einigen wenigen Fällen ließe sich theoretisch eine Verringerung von Tierausbeutung vermuten, beispielsweise wenn Tierversuche mit Chemikalien für die Zulassung in den beiden Wirtschaftsräumen nicht mehr doppelt vorgeschrieben würden. Davon abgesehen zeigt ein genauerer Blick jedoch, dass besonders das TTIP für viele Nutztiere eine weitere Verschlechterung ihrer ohnehin schon katastrophalen Lage bedeuten könnte.
Worum es geht
Ziel des TTIP ist, einen einheitlichen Wirtschaftsraum zu schaffen, der aktuell rund 800 Millionen VerbraucherInnen und die Hälfte der globalen Wirtschaftsleistung umfasst. Ein Drittel der globalen Handelsströme entfallen schon jetzt auf die USA und die EU. Der Handel zwischen den USA und der EU liegt aktuell bei rund 800 Mio. Euro und soll durch TTIP erheblich gesteigert werden. Durch den Wegfall von Handelshemmnissen soll die Wirtschaft wechselseitig angekurbelt werden, der Wettbewerbsdruck steigen und in Folge die Preise für die Verbraucher sinken.
Allein aufgrund der schieren Größe dieses potentiellen Wirtschaftsblocks ist es für jeden Politikbereich und auch alle Staaten, die keine Vertragsparteien sind, relevant, welche Standards dort zur Anwendung kommen. Aus diesem Grund ist die Bedeutung von TTIP schwerwiegender einzuschätzen, als einige andere Freihandelsabkommen der EU. Die Liberalisierung der Landwirtschaft ist eines der Kernstücke von TTIP, da hier der Marktzugang noch vergleichsweise stark reglementiert ist.
Deregulierung: höhere Standards als Wettbewerbsnachteil
Nicht in erster Linie Zölle, sondern mengenmäßige Beschränkungen und vor allem unterschiedliche Standards stehen dem Handel zwischen den USA und der EU im landwirtschaftlichen Bereich im Weg. Die geplante gegenseitige Anerkennung von Standards bedeutet, dass Produkte, die in einem Staat nach den dort geltenden Gesetzen produziert wurde, grundsätzlich im gesamten Gebiet der Freihandelszone zum Verkauf zugelassen werden müssen, auch wenn dort andere/höhere Produktionsstandards gelten. Als Folge haben die ProduzentInnen dort wo niedrigere Standards gelten, einen Wettbewerbsvorteil. Die Gefahr liegt darin, dass einerseits ein Verdrängungswettbewerb in Gang kommt und andererseits Druck entsteht, höhere Standards durch Absenkung anzugleichen. Höhere Regulierungsstandards werden dadurch zum Wettbewerbsnachteil. Die wirtschaftlichen Vorteile liegen also ausschließlich bei denen, die billiger produzieren können, was den Zielen einer extensiven, ökologisch verträglichen und wenig tierquälerischen Agrarpolitik klar widerspricht. So werden in den USA die allermeisten Legehennen in Legebatterien gehalten, was in der EU seit 2012 verboten ist. Im Gegensatz zur EU sind außerdem die Haltung von Kälbern in Einzelboxen, die (fast) durchgehende Kastenstandhaltung von Sauen und die Zugabe von Hormonen und Futtermittelzusätzen zur Wachstumsbeschleunigung grundsätzlich erlaubt. Der Effekt eines race-to-the-bottom ist schon im EU-Binnenmarkt klar vorhanden, wo unterschiedlich hohe Standards für die Nutztierhaltung zur Anwendung kommen, obwohl es hier zumindest Mindeststandards beim Tierschutz in Form von EU-weiten Richtlinien gibt, die potentiell auch weiterentwickelt werden könnten. Aktuell hat die österreichische Geflügelindustrie es (fast) geschafft, den Druck auf die Politik soweit zu erhöhen, dass die Besatzdichte bei Masthühnern und Puten wieder angehoben wird, da sie aufgrund der strengeren Bestimmungen als in der EU-Masthühnerrichtlinie festgelegten Mindestanforderungen Wettbewerbsvorteile beklagen und Marktanteile verlieren. Dieses Beispiel zeigt, dass auch Transparenz und strenge Kennzeichnungspflichten dieser Entwicklung nichts Grundsätzliches entgegensetzten können, einerseits weil es viele Möglichkeiten der Täuschung und Irreführung durch Marketing- und Werbestrategien gibt und andererseits weil ein niedriger Preis oft doch die Kaufentscheidung bestimmt.
Regulatorische Harmonisierung: ein schwer kalkulierbares Risiko
Ergänzend zur gegenseitigen Anerkennung von Standards ist außerdem die Einführung eines EU-USA-Gremiums angedacht, besetzt mit BürokratInnen und IndustrievertreterInnen, das über regulatorische Harmonisierung entscheidet. Auch wenn von Seiten der VerhandlerInnen immer wieder beteuert wird, dass eine Absenkung relevanter Standards beim Umwelt- und Verbraucherschutz nicht zur Debatte steht, lässt die Intransparenz und fehlende Vertretung von Tier-, Umwelt- und KonsumentInneninteressen am Verhandlungstisch nichts Gutes erahnen. Tatsächlich verhandeln BürokratInnen im Auftrag von Großkonzernen darüber, in welchen Bereichen eine Liberalisierung im wechselseitigen Interesse der BürgerInnen ist.
Vorteile primär für die Agrarindustrie
Die europäische Agrarindustrie ist an diesen Abkommen vor allem deshalb interessiert, weil sie neue Absatzmärkte für ihre Überschüsse für Milchpulver und Schlachtnebenprodukte benötigt. Der Freihandel eröffnet also der Agrarindustrie die Möglichkeit weiter zu wachsen, wenn der vorhandene Bedarf gestillt ist, während für die meisten bäuerlichen Betriebe der Export nach Übersee keine große Rolle spielen wird. So werden beispielsweise in Deutschland ständig neue, riesige Tierfabriken zur Billigfleischproduktion gebaut, obwohl der Fleischbedarf in Deutschland leicht rückläufig ist. Die Landwirtschaft in den USA ist fast gänzlich industrialisiert und schon mehrheitlich in der Hand von Kapitalgesellschaften, während in der EU noch mehr bäuerliche Betriebe vorhanden sind. Diese sind schon jetzt einem enormen Wettbewerbs- und Intensivierungsdruck ausgesetzt, der durch eine Freihandelszone dieses Ausmaßes noch erheblich zunehmen würde.
Tierschutz auf EU-Ebene braucht Vertiefung statt Stagnation
Einer der problematischsten Aspekte ist jedoch, dass der Status Quo als Maximum durch ein solches Abkommen noch stärker einzementiert und die dringend notwendigen, deutlichen Verbesserungen beim Tierschutz auf EU-Ebene kaum mehr Chancen haben würden. Denn auch in der EU stehen wir erst am Anfang eines langen Weges, was Tierschutz betrifft. Wenn US-Produkte mit schon jetzt niedrigeren Standards ohne Einschränkungen importiert werden dürfen, lassen sich kostensteigernde Tierschutzauflagen für EU-ProduzentInnen in der Zukunft politisch unmöglich durchsetzen. Ein höheres Regulationsniveau ließe sich außerdem in Bereichen, die regulatorisch harmonisiert wurden, nur mehr mit Zustimmung der Vertragsparteien des Freihandelsabkommens durchsetzten.
Investitionsschutz & Deregulierung der öffentlichen Beschaffung
Werden die höchst umstrittenen Regelungen zum Investitionsschutz in das TTIP aufgenommen, besteht zusätzlich noch die Gefahr, dass US-Investoren EU-Staaten (oder umgekehrt), die nach Abschluss des Abkommens Tierschutzstandards erhöhen, auf Schadenersatz verklagen, da dies ihre Gewinnerwartungen schmälert. Ähnliche Unsicherheit besteht beim öffentlichen Beschaffungswesen, das durch das TTIP dereguliert werden soll. Kriterien wie Tierschutz, Regionalität und Nachhaltigkeit bei der Vergabe öffentlicher Aufträge könnten dann als ungerechtfertigte Handelshemmnisse angegriffen und geklagt werden. Es geht also um den Erhalt der schon jetzt sehr beschränkten demokratischen Handlungsfähigkeit der europäischen Tierrechts- und Tierschutzbewegungen und einer breiten Öffentlichkeit, die diese Anliegen teilt.
Beim TTIP geht es zumindest bei der Landwirtschaft primär um die Interessen von Industrie und InvestorInnen auf beiden Seiten des Atlantiks, die sich Marktanteile sicher und Standards absenken wollen, und nicht um einen Vertrag zum wechselseitigen Vorteil aller Betroffenen. Betrachtet man dieses große Bild, so steht die Einbeziehung der Landwirtschaft in TTIP den (noch lange nicht erreichten) Zielen einer stärker regional und ökologisch ausgerichtete kleinbäuerliche Landwirtschaft mit hohen Standards für die Nutztierhaltung und der Schaffung von Anreizen, die zu weniger Produktion und Konsum tierischer Produkte führen, diametral entgegen.
Wir wollen keine Globalisierung der Ausbeutung von Menschen, Tieren und Umwelt – deshalb NEIN zu TTIP!

Arbeitsgemeinschaft Menschen- und Tierrechte; Facebook: http://de-de.facebook.com/arbeitsgemeinschaftmut  e-mail:agmut@outlook.com

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