Breznik – Projekt 4, Teil 2 – und sogar das bulgarische Fernsehen ist dabei!

Kastrationsprojekte beinhalten nicht nur das Einfangen und Kastrieren von Hunden und Katzen, sondern auch das Zurückbringen der operierten Tiere am nächsten Tag. Bei einigen der PatientInnen welche ein ‚zu Hause‘ haben fällt das äußerst schwer, denn auf sie wartet nun erneut die Kette. Es ist einfach nicht zu glauben, viele der Menschen hätten genug Platz, lassen die ihnen so Zugetanenen trotzdem auf engstem Raum vegetieren. Wir versuchen natürlich auf die TierhalterInnen bestmöglich einzureden, ob dies Wirkung zeigt, ist abzuwarten. In vielen Fällen wird sie aber bloße Illusion sein… so bricht es einem fast das Herz mitanzusehen wie ‚Mensch‘ seine scheinbare Überlegenheit ummünzt in bloßen Despotismus.
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Nicht Zurückbringen ist dennoch keine Option – würde sich so etwas herumsprechen, wie viele Menschen würden uns beim nächsten Mal wohl noch ihre Hunde anvertrauen? Sämtliche Hündinnen an Ketten, sie würeden ohne den Eingriff aber in Kürze schwanger sein – wenn die HalterInnen schon sie selbst, ungeachtet deren Dienste in Bewachung, derart behandeln, wie denken Sie werden sie wohl mit ungewollten Welpen umgehen? Und Rüden, wie leiden die wohl, angekettet, den Duft der Weiblichkeit in der Nase, und keine Chance, je der eisernen Umklammerung zu entkommen?!Wäre es da nicht wenigstens viel besser, gar kein Verlangen zu verspüren?
An den Abenden sitzen wir zusammen, zwar im wahrsten Sinne des Wortes ‚hundemüde‘, doch an das Bett ist nach einem derart intensiven 13-Stunden-Einsatz nicht zu denken; zu aufwühlend ist das Erlebte, das Gesehen, als dass ein geschlauchter Körper sofort Ruhe finden könnte; wir diskutieren den Tag, verlieren uns hie und da auch in belanglose Gespräche, einfach Abwechslung, soziale Nähe ist gefragt; anders würde das gepeinigte Gehirn wohl mit einer durchwachten Nacht antworten, die Ereignisse wieder und wieder vor dem inneren Schaufenster ablaufend.
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Fotos: selbst die Kleinen verbringen ihr Leben schon an der Kette; nicht nur Hunde, auch ‚Haustiere‘ wie Kuh, Ziege, Esel, Pferd, teilen ihr Schicksal nur allzu oft…

Natürlich gibt es dann nicht nur positive Zeichen von den TierhalterInnen; manche verstehen den Sinn hinter der Kastration noch immer nicht – obwohl tausendfach vorgelebt auf den Straßen, wo sie doch tagtäglich das Ergebnis fehlender Kastrationspolitik bezeugen konnten – immer noch hält sich der so fatale Glaube, eine Hündin müsse mindestens einmal im Leben Welpen in eine grausame Welt setzen (nicht nur in Bulgarien ist das so, wie oft kann man diesen Wahnsinn auch im gelobten Westen hören?); dem Himmel sei Dank aber begegnen uns nur wenige Menschen mit Abstand, hie und da mit Ablehnung, und in einem Falle sogar mit offener Gewalt, wo wir uns nur durch einen schnellen Lauf zum wartenden Auto vor einer schweren körperlichen Attacke in Sicherheit bringen können. Dennoch, eine überwiegende Mehrheit zeigt große Zuneigung zu den Straßentieren, und sie ist für jede Hilfe äußerst dankbar. Die Menschen selbst leben oft in wirklich nicht zu glaubenden Verhältnissen, so völlig unvorstellbar in Westeuropa, und vieles hat sie gebrochen, Wirtschaft, Politik, Korruption – nicht aber ihre Tierliebe konnte untergraben werden. Und wenn dieser Fakt kein Licht am Horizont verspricht, keinen Morgenröte, kein Beginnen eines neuen Tages?
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In einem vorwiegend von Menschen der ethischen Minderheit der Roma zugehörig bewohnten Randbezirk der Stadt erleben wir nochmals eine Steigerung der ohnehin überall prekären sozialen Situation; dort, wo die Straßen besonders zerborsten, wo fließenden Wasser und Strom bei Gott keine Selbstverständlichkeit sind, wo sich aus allen möglichen Werkstoffen zusammen geflickte Häuser aneinanderreihen, gibt es dann auch die meisten Hunde. Wie arm die Menschen auch sein mögen, sie begegnen uns immer öfters mit offener Freundlichkeit, mit Hilfsbereitschaft und sogar mit Neugierde. So dauert es dann auch nicht lange, bis die ersten Kinder mit ihren Hunden ankommen. Es ist ein herzzerreißender Anblick, allesamt sind die Tiere stark verfloht, leiden an Räude, haben geschwollene Bäuche (müssen entwurmt werden…) – das schlimmste aber: sie werden an rostigen Ketten, an Stricken, an allen möglichen aus Metallstücken, Lederbändern und zusammengeknoteten Schnüren herbeigebracht-andererseits aber zeigen sehr viele der Kinder auch riesige Zuneigung zu den ihnen anvertrauten Tieren, ein Augenblitzen, ein sanftes Streicheln über den Kopf, ein schneller Kuss-all das verrät, zumindest die heranwachsende Generation baut langsam aber sicher ein anderes Verhältnis, ein tieferes Verständnis, zu den Mitgeschöpfen auf als es die meisten ihrer Eltern je getan haben.
Apropos Roma: ähnlich wie in Rumänien, ähnlich wie in fast allen anderen Staaten Europas und der Welt, leben diese Menschen unter den allerärmlichsten Verhältnissen und selbst in einem darbenden Land wie Bulgarien ist ihre Situation eine noch hoffnungslosere und desolatere als sie es unter jeglichen anderen Minderheiten der Fall ist. Warum eigentlich? Sie sind von Haus aus ein stolzes Volk, mit langer Tradition, mit einer unfassbar vielfältigen und bunten Geschichte – mindestens genau so bunt die Kleidung ihrer Frauen- einer Geschichte, die von Mut und Kraft und Ausdauer spricht, Widerstandswille und Auflehnung, und vor allem von größtmöglicher Freiheit des Einzelnen. Ungeachtet dessen diktieren wir ihnen einen anderen Lebenstil, glauben zu wissen was für sie gut ist und das ist unserer Meinung nicht das, was sie über die Jahrhunderte so stark gemacht hat. Wir stellen unsere Lebensweise weit über die ihre und verlangen bedingungslose Anpassung.
Wie aber, so frage ich mich, soll man es bezeichnen, wenn sich eine Mehrheit über eine Minderheit hinweg setzt, dieser die Möglichkeit nimmt nach eigenem Gutdünken zu leben, sie in starre Regeln drängt, ungeachtet deren reichhaltiger Vergangenheit? Die man zwingt nach westlichen Maßstäben ihr Dasein zu gestalten, in einen Einheitsbrei mischt, ohne Chance die eigene Lebensweise, ja die eigene Identität, zu bewahren? Wer mag entscheiden welche besser oder schlechter ist, und vor allem: wer hat das Recht dazu? Ist es dann auch tatsächlich Rechtens was wir ihnen aufzwingen, oder ist dieses Recht nicht längst abgeglitten, in nennen wir es beim Namen, Tyrannei?
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Ganz bestimmt aber, wenn es um die Rechte anderer, noch unterlegener Wesen geht – wie die der Tiere – muss dieses Spektrum extra behandelt werden; denn natürlich kann es auch nicht sein dass sich eine Minderheit darüber beschwert wie sie von anderen behandelt, ausgegrenzt wird, genau dieselben Ungerechtigkeiten aber dann an den ihnen Ausgelieferten praktiziert. Es gibt wie für alle Regeln des sozialen artenübergreifenden Zusammenlebens allerdings ein Zauberwort: Kommunikation! Und hier greift respekTIERE IN NOT ein, zum einen mit gutem Beispiel voranzugehen, zum anderen durch immerwährende Aufklärungsarbeit.
Inzwischen, nachdem schon einige lokale Zeitungen über das RespekTiere-Projekt berichtet hatten, ist auch das Fernsehen auf uns aufmerksam geworden; so finden wir uns wieder vor TV-Kameras, wo wir unsere Intentionen für die Kastrationen einem breiten Publikum nahebringen dürfen! Das ist natürlich fantastisch, je bekannter wir werden, desto einfacher und erfolgreicher wird sich der nächste Einsatz gestalten!
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Nach einer Woche harter Knochenarbeit ist das Ziel erreicht; nein, nicht nur das, mit 138 durchgeführten Operationen ist es wohl weit übertroffen! Stellen Sie sich noch einmal vor, jetzt, nach 3 Projekten und mittlerweile mehr als 300 kastrierten Hunden und Katzen, wie viel künftiges Leid ist damit erspart! Wie viel besser gestaltet sich die Situation für viele der Hunde – siehe die immer häufigeren Versorgungen einzelner Tiere durch die AnwohnerInnen – und wie viel ausbrechende Krankheit verhindert? Beinah‘ noch umwälzender: wie viel höher ist die Akzeptanz für Straßentiere, wie viel weniger Wut und Hass, bestenfalls umgeleitet in positive Gefühle, konnten wir wohl durch die wesentlich geringere Anzahl von Hunden auf der Straße erreichen???? Überglücklich reichen wir uns die Hände, fast schon Familie, und bald finde ich mich wieder alleine im Wartesaal des Flughafens und überdenke das Geschehene. Ich bin erfüllt von tiefer Freude und Bewunderung gegenüber den Menschen hier, die so Unfassbares geleistet haben. Zusammen sind wir ein fantastisches Team, bereit die Aufgaben der Zukunft gemeinsam zu lösen. Es ist Geschichte die wir schreiben, zumindest für die kleine Stadt Breznik, die uns so wunderbar unterstützt! Es bleibt nur eines: Danke zu sagen, dass wir Teil von all dem hier sein dürfen!!!
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Fotos – Reihe eins: das Ärzteteam bei der Arbeit! Reihe 2: Emo schaut ob ein betäubter Hund bereits tief genug schläft um ihn mitzunehmen; rechts: Lyubo trägt einen eingefangenen Straßenhund in den OP-Saal; Reihe 3: Unterricht: dieser Junge träumt von einer Karriere als Tierarzt; Dr. Nikolay Mehandjiiski nimmt sich der Nachwuchshoffnung gerne an!

 Ja, wir träumen von einer besseren Welt, von einer Welt ohne Tierleid, einer Welt, in der der Wert jedes Lebewesens, egal ob es denn nun aufrecht oder auf allen Vieren geht, fliegt, kriecht oder schwimmt, am Wert des Lebens selbst gemessen wird; sie mögen nun einwenden, das sind bloß Träumereien. Und sie mögen vielleicht sogar recht haben, aber ist es nicht so, sobald wir unsere Träume aufgeben, sobald wir zulassen, dass sie mit der Gegenwart zu konkurrieren haben, an jener gemessen werden, zerstören wir selbst die leiseste Hoffnung in uns. Träume sind die Sicherheitsgurte des Bewusstseins, und sobald wir diese durchschneiden, geben wir unsere inneren Hoffnungen ungeschützt einer oft überragenden Realität preis. Träume, unterschätzen wir sie nicht, geben uns jene letzte Prise an Mut, welche nur zu oft nötig ist, um aus einem aussichtslosen Unterfangen doch noch einen Erfolg zu machen; geben wir das Träumen auf, verlieren wir als unabwendbare Folge früher oder später die Kraft zu kämpfen. Wir möchten deshalb diesen Newsletter mit den Worten Mark Twain’s beenden, der da gleichlautend sagte: ‚Trenne Dich nicht von Deinen Illusionen. Wenn sie verschwunden sind, wirst Du weiter existieren, aber aufgehört haben zu leben!‘
 Ganz in diesem Sinne, lassen Sie uns weiterträumen, gemeinsam, von einer besseren Welt, und Sie werden sehen, eines fernen Tages werden wir zurückblicken auf die Taten unseres Daseins, und was gäbe es Schöneres dann zu sagen als: ‚Es war gut dass wir da waren!‘….
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Foto: für den Moment sind wir glücklich, Lyubo und ich, weil wir die Kleinen wenigstens satt bekommen haben; die Zukunft bereitet uns allerdings große Sorgen, ja, wir werden diese Babys selbstverständlich von der Straße retten – aber wie ergeht es tausenden und tausenden anderen????

P.S.: die Ereignisse haben sich noch während des Niederschreibens dieses Berichtes überholt und es gibt nun leider denkbar schlechte Nachrichten; die schwer verletzte Mutterhündin, wir hatten sie in eine Tierklink gebracht. Dort wurden Bisswunden, wahrscheinlich verursacht von anderen Hunden, diagnostiziert, dazu eine schwere Infektion. Sie hat ihren Kampf dieser Tage verloren, ist von uns gegangen wie sie gelebt hat – still und bescheiden, ohne ein Wort des Klagens. Umso mehr muss es nun unser Versprechen sein ihre Kinder zu retten – welche wir allesamt bereits im Hundeasyl untergebracht haben…. Wir bitten Sie an dieser Stelle inständig um Hilfe, auch für die anderen 10 Hundebabys; wir müssen sie von der Straße holen, wir müssen sie impfen und auf die Reise vorbereiten, aber all das kostet leider viel Geld – ein Hund, egal ob groß oder klein, kostet rund 70 Euro allein für den Transport, dazu kommen noch Kosten von mindestens 50 Euro für den Aufenthalt im Asyl, auch Impf-und Medikamentenkosten schlagen sich zu Buche… aber wir können Leben retten, Leben, welches eigentlich von Anfang an chancenlos war, und damit dem Schicksal ein Schnippchen schlagen, hin in eine glorreiche Richtung; wir können, so schließt sich der Kreis, den Unterschied ausmachen, und dafür muss es uns jeder Aufwand wert sein…
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Fotos: in unserem provisorischen Spital gibt es eine erste Behandlung; rechts: in der Klinik – leider erweisen sich die Verletzungen als zu schrecklich und sind nicht mehr kurierbar…
Reihe 2: die so wundervollen Babys sind nun ganz alleine in dieser dunklen Welt – sagte ich alleine? Wir versprechen Ihnen vom ganzen Herzen, im Gedenken an die so tapfere Mutter werden wir für alles für ihr zukünftig sicheres und wunderschönes Leben tun!!!!

Jene Hündin aus der Fleischfabrik, auch sie haben wir in eine Spezialklinik gebracht; dort wurde neben mannigfaltigen anderen Verletzungen auch ein Beckenbruch diagnostiziert….sie ist nun in der Obhut vom wunderbaren Lyubo, der in Rumänien lebt; Lyubo beherbergt dort in seinem Heim um die 20 Hunde, allesamt Notfälle, und so wird sein Heim demnächst zum Bestandteil unserer Initiative respekTIERE IN NOT werden – doch davon werden wir später berichten!

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Ganz wichtige Mitteilung: wie Sie vielleicht mitverfolgt haben, kam es am Donnerstag zur Verhandlung unserer Maßnahmenbeschwerde gegen das Vorgehen der Polizei nach einer Kundgebung vor der rumänischen Botschaft in Wien, in deren Folge drei AktivistInnen verhaftet worden waren; nicht die Verhaftungen an sich hatten wir bekrittelt, sondern das fast unfassbare Geschehen danach, wo die Staatsgewalt ohne mit der Wimper zu zucken eine junge Aktivistin nur in Unterwäsche bekleidet weit nach Mitternacht, ohne die Möglichkeit jemanden anzurufen, ohne Telefon, ohne Geld, bei bitterkalten Temperaturen auf die Straße setzte. Warum dies so drastisch passieren hatte müssen, ungeachtet der Gefahr, in welche man völlig unnötiger Weise das junge Mädchen damit brachte, blieb ungeklärt.
Zur Verhandlung selbst waren drei PolizistInnen als Zeugen geladen, von Tierschutzseite niemand. Es kam wie es kommen musste – die Polizei wurde aller Fehlverhalten freigesprochen, die anfallenden Gerichtskosten von fast 900 Euro müssen somit von uns bezahlt werden (natürlich wird hierfür kein Cent Spendengeld verwendet, die Summe von uns privat übernommen). Der Richter, auf die Tatsache angesprochen, was der Frau aufgrund einer deartigen Zwangsmaßnahme alles passieren hätte können, antwortete nur kurz und lapidar: ‚Wir sind ja hier nicht in Chicago.‘ Ungeachtet jeder Kriminalstatistik ist eine solche Feststellung alleine schon ein Skandal – wäre seine Tochter auf selbe Art und Weise behandelt worden, was denken Sie, hätte er dann ähnlich polemisch argumentiert? Wir werden in den nächsten Tagen eine genaue Darstellung der Ereignisse bringen.

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