5. RespekTiere-Kastrationsprojekt – der Bericht, Teil 2

Bulgarien, 5. Kastrationsprojekt – der Bericht, Teil 2!

Der Tagesablauf im bulgarischen Breznik ist für uns immer annähernd derselbe; er beginnt mit dem frühmorgendlichen Klingeln des Weckers, schnell raus aus den Betten, für ein kurzes Frühstück sollte nun manchmal noch schnell Zeit sein, jedoch nicht immer; denn an einigen Tagen fährt ein Team schon gegen 6 Uhr in die nahe – viel größere – Stadt Pernik, um dort wo es noch nie Kastrationsprojekte gab, Hunde einzufangen und in die adaptierten Operationsräume nach Breznik zu bringen. Solche Fahrten bergen immer Überraschungen in sich, an einem Tag zum Beispiel stößt die Mannschaft dabei auf eine Frau, welche fünf erwachsene Hunde im 2. Stock ihres Hauses hält, das Obergeschoss jedoch selbst nicht mehr betreten kann; Warum? Weil ihr der Zugang zu den Hunden entglitten ist, sie nun panische Angst vor dem Rudel hat… so stellt sie nur täglich Futter ab, um dann schnell wieder die Türen zu schließen! Keines der Tiere ist zudem kastriert, und wie viele sich nun dort aufhalten – unbekannt! Dem Vernehmen nach sollen die Hunde längst in den eigenen Exkrementen leben, kniehoch, doch hineinlassen in den Wahnsinn möchte sie uns nicht… wir denken darüber nach was zu tun, allerdings: gesetzliche Möglichkeiten gibt es selbst in solch extremen Fällen kaum. Noch schlimmer sogar, in der furchtbaren Realität bleibt der Behördenweg den tierrechtsbewusten AktivistInnen sogar verschlossen, denn würden wir die Zuständigkeit informieren, sie würde anrücken und bei einem – sehr wahrscheinlichen – ‚Nicht-Kooperieren‘ ihre viel zu oft einzige Handhabe durchführen – was dann einem fast sicheren Todesurteil für die armen Tiere gleichkommt…

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Foto: wieder einmal durften wir auch viele Katzen aus privaten Haushalten kastrieren!

Während also eine Mannschaft in der Großstadt unterwegs ist, fährt die andere zur Klinik, beginnt mit dem Saubermachen jener Hundeboxen, in welchen PatientInnen die Nacht verbringen mussten. Der große Teil davon wurde am Vortag kastriert, wird nun kurz ‚Gassi‘ geführt, dann mit Nahrung versorgt. Später werden wir sie, so deren Zustand entsprechend ist (was praktisch immer zutrifft), auf ihre angestammten Plätze zurückbringen und sie wieder in die Freiheit entlassen. Wir werden später bei jeder Gelegenheit nach ihnen sehen und sie dabei selbstverständlich mit Nahrung versorgen.

Andere, jene, die gestern abends noch eingefangen werden konnten, müssen für die OP vorbereitet werden, denn Dr. Jordan wird pünktlich um halb 9 kommen und möchte dann sofort mit den Eingriffen beginnen.

Der übrige Tag setzt sich in Folge aus einem Wechselspiel von Aufräumarbeiten, medizinischer Assistenz, dem Aufspüren und Einfangen von Hunden, erkunden neuer Hundereviere, Fütterung von ehemaligen PatientInnen auf der Straße, und anderen, weit gefächerten Aufgaben zusammen – langweilig kann es dabei wirklich nie werden, gibt es doch sooooo viel zu tun!
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Foto: Lyubo und Rumi beim Zurückbringen eines Hundes!

Auch dieses Mal wieder – dank der großzügigen Ankündigungen von Rumi, welche mit ihren MitstreiterInnen im Vorfeld der Kampagne die halbe Stadt mit Plakatwerbung für die Aktionstage zugeklebt hatte – kommen viele Menschen mit ihren Haustieren direkt in den Operationssaal. Sie bringen uns ihre Lieblinge, vertrauen sie uns an und werden sie später wieder abholen. Auch das werten wir als Zeichen einer sich verändernden Gesellschaft; Tierschutz wird mehr und mehr selbstverständlich, und als wir dann auch noch eine junge Frau in ihrem Garten sehen, welche voller Inbrunst einen wunderhübschen Collie bürstet, wissen wir: der Hund, bester Freund des Menschen, diese Einsicht ist in weiten Kreisen der Bevölkerung auch im Osten längst angekommen!

Wir besuchen wieder jenes so unfassbar herzliche Schwesternpaar, welches in einer winzigen Ortschaft ein Stück abgelegen lebt; vielleicht erinnern sie sich noch, wir durften von dort schon im letzten Jahr einige Hunde zum Kastrieren holen. Die Schwestern sind so unglaublich dankbar für unsere Projekte, mit Tränen in den Augen betonen sie immer wieder wie sehr sie solch eine Entwicklung in jenem Teil des Landes herbei gesehnt hatten; ihr Garten bevölkert von vielen, vielen Hunden und Katzen, als Gesamtbild eine traute Einigkeit. Auch jetzt wieder können wir vier der (ehemaligen Straßen-)Hunde mit uns mitnehmen (am nächsten Tag dürfen wir dann nochmals zwei Katzen abholen), davor aber muss noch Zeit für ein kaltes Cola und ein wenig Tratsch bleiben! Übrigens, die Schwestern haben einen Kater namens Tommi – nach mir benannt!:)
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Fotos, Reihe 1: Ankündigung vor dem Einsatzgebäude; rechts: bei den so netten Schwestern dürfen wir wieder vier Hunde abholen! Reihe 2: Petra und Anja beim flächendeckenden Anbringen der Ankündigungen des neuerlichen Projektes(Foto Martin Kirchner); rechts: im Garten der Schwestern!

Am Dienstagnachmittag wird der im ersten Teil des Berichtes angesprochene Albtraum Wirklichkeit; der Tag hatte bereits wenig verheißungsvoll begonnen, die Leichtigkeit des Gesterns durch eine bleierne Schwere, eine düstere Vorankündigung, ersetzt; was folgen sollte, wir konnten es noch nicht ahnen. Ein unheilträchtiges Bauchgefühl hätte Warnung genug sein müssen, doch wie leicht lässt sich die innere Regung zur Seite schieben; so trifft das vielleicht Unvermeidbare den nicht vorbereiteten Geist mit voller Wucht, wie ein fürchterlicher Schlag einer eisernen Faust, von einer nicht wohlwollenden Macht punktegenau ins Zentrum eines ohnehin  Gehirnes gesetzt.
Jedenfalls, Lyubo und ich entdecken eine Hündin im Stadtzentrum, eine jener, welche wir schon mehrmals erfolglos versucht hatten einzufangen. Nun allerdings stehen die Zeichen gut, die Wunderschöne schläft nichtsahnend unter einem der unzähligen Bartische der Stadt.

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Ich mache mich in Sichtweite, aber dennoch in größerem Abstand, bereit für die anstehende Verfolgung, während Lyubo von der anderen Seite mit dem Betäubungsgewehr kommt – und tatsächlich, er gelangt nahe genug an den Hund heran, im nächsten Augenblick schon höre ich das so unverwechselbare Zischen aus der Gasdruckwaffe. Der Pfeil trifft zielsicher, im selben Moment startet die erschreckte Hündin los. Es soll eine lange Verfolgung werden, durch mehrere Straßenzüge, dann an einer Kirche vorbei, rauf auf einen Berg; dort folgt die Arme aber nicht mehr der Straße, vielmehr biegt sie in einen Waldweg ein. Nun langsam aber werden ihre Bewegungen unkontrollierter, das Betäubungsmittel beginnt zu wirken. Dann jedoch verliere ich sie aus den Augen, irgendwo zwischen den Bäume und im hohen Gras scheint sie von der Umgebung geradezu verschluckt. Plötzlich, ein Schimmer von Weiß, durch die ansonst so tarnenden Büsche hindurch – das muss sie sein! Ich schleiche geräuschlos näher, ja, sie ist es tatsächlich, etwa 100 Meter von mir entfernt. Die Hündin ist derart mit sich selbst beschäftigt, dass Sie mich dem Himmel sei Dank nicht entdeckt; würde sie das nämlich, sie würde ohne Frage erneut losstarten, und dann hätte ich sie wohl endgültig verloren!
So aber warte ich in Ruhe ab. Schließlich sackt sie vollends in sich zusammen, hebt noch ab und zu den Kopf, dann erlahmen selbst diese Bewegungen. Erst jetzt gehe ich heran, sie schläft nun tief und fest. Voller Erleichterung hebe ich sie auf – ja, wir haben lange versucht genau diese Hündin einzufangen, sie, noch jung und sicher sehr fortpflanzungsfähig….
In großer Aufregung rufe ich Lyubo am Telefon, er findet mich schließlich. Inzwischen habe ich die Hündin den Waldweg runter zur Straße getragen, wo uns beide der gute Freund aufnimmt. Voller Freude und noch immer außer Atmen schwinge ich mich ins Auto, und da passiert es: ich stoße an das Betäubungsgewehr und eine Verbindung bricht! Oh nein, das ist ein großer Schock, wie dringend brauchen wir doch das Werkzeug….
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Foto: endlich haben wir sie eingefangen – die Freude darüber wird allerdings nur eine kurze sein…

Später stellt sich heraus, der gebrochene Teil lässt sich dem Himmel sei Dank bestellen, allerdings nur in der Hauptstadt – aber, Glück im Unglück, da Emo ohnehin nach Sofia muss, wird er ihn noch am Abend von dort mitbringen – dennoch, ein kleiner Schatten fällt über die Freude, denn der Ersatz ist ein nicht allzu günstiger: die klitzekleine Verschraubung, sie schlägt sich mit 40 Euro zu Buche… doch was soll’s, das Gewehr wird wieder einsatzfähig, und, nicht zu vergessen, wir haben endlich die begehrte Hündin aus dem Stadtzentrum!


Lyubo und ich sind zurück beim OP-Saal; mit großem Stolz hebe ich die Betäubte aus dem Kofferraum, trage sie ins Gebäude; da entleert sich ihr Darm, eine dünne, übel riechende Brühe – oh Gott, das schaut nach einer schweren Krankheit aus, bitte, bitte, lass es nicht Parvo sein… der Doktor macht sofort einen Test, einige Minuten später steht das Ergebnis, unmissverständlich in klaren Lettern am Display des Teststreifens – eine wie in Stein gemeisselte Verkündung einer fürchterlichen Katastrophe  – die schlimmsten Befürchtungen werden war!
Sofort isolieren wir die Arme, alles, was sie, Lyubo oder ich inzwischen berührt haben, muss sorgfältigst desinfiziert werden, selbstverständlich auch wir selbst. Chlorbleiche kommt zum massiven Einsatz, das Auto wird geschrubbt, alle erdenklichen Maßnahmen zum Schutz vor einer Ausbreitung des hoch aggressiven Virus gesetzt. Unsere Kleidung, vor allem meine, nur mehr schnellst zu entsorgender Müll, denn die Keime sind hoch resistent, deren Überlebensfähigkeit ist unbekannt. Wahrscheinlich aber bleiben sie monatelang, vielleicht sogar jahrelang wirksam…
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Foto: Lyubos Auto bei der gründlichen Desinfektion!

Die Stimmung im Team sinkt im Gleichschritt mit der Diagnose verständlicher Weise auf einen Tiefpunkt; in Momenten wie diesen, da stellt sich plötzlich die Sinnfrage, wozu, warum?!

Wir platzieren die Hündin in eine Box; Lyubo und ich sollen sie später nach Pernik fahren, wo Dr. Jordan eine Klinik führt. Dort wird sie sofort weiter untersucht, in Quarantäne verfrachtet, aber wenigstens ist sie nun bestens versorgt!
Wir treffen in Dr. Jordans Räumen übriges auch unser kleines Mädchen, jenen Welpen, der in meinem Zimmer eine Nacht verbracht hatte – es geht ihr viel besser, wenigstens eine gute Nachricht zum ansonsten bitterschwarzen Tage!
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Foto: wir bringen die arme Hündin in Dr. Jordan’s Klinik…

Auf der Rückfahrt sprechen Lyubo und ich kaum ein Wort; in den eigenen Gedanken gefangen, wird das Nachdenken zur Qual. Man kann die Überlegung weiter spinnen – die Arme mit der Krankheit infiziert, wie viele andere Hunde werden notgedrungen schon mit ihr in Berührung gekommen sein? Wer weiß wie weit sich die Infektion schon ausgebreitet hat… Lyubo ist noch zusätzlich in großer Sorge, beherbergt er doch selbst so viele Tiere, allesamt auf Grund der hohen Kosten ungeimpft, bei sich zu Hause; was, wenn es uns nicht gelungen ist die Keime im Auto, an uns, vollständig abzutöten?

Es soll zwei, drei Tage dauern, bis sich die gar so dunklen Gedanken ein klein wenig verflüchtigen; erst als wir während des angesprochenen Zeitraumes keinerlei weitere Anzeichen auf eine bereits erfolgte Ausbreitung des tödlichen Virus finden, keine Menschen als Augenzeugen von erkrankten Hunden berichten, beruhigt sich der innere Kampf langsam. Habe ich so lange mit der Überlegung gerungen, hätte ich sie nur nicht gefunden in jenem Waldstück, setzt sich dann plötzlich eine andere, noch viel weitreichender gesponnene Realität in den gequälten Gehirngängen durch – und die lässt die Welt dann plötzlich doch schon wieder viel positiver aussehen.. hätte ich sie nämlich tatsächlich aus den Augen verloren, sie wäre sehr bald und unweigerlich in einen aussichtslosen, elendiglichen Todeskampf geraten – nun aber hat sie eine reelle Chance das Virus zu besiegen. In Fakt, es sei vorweg genommen, sie soll in den folgenden Tage große Fortschritte machen, und der Doktor zeigt sich mit der Entwicklung sehr zufrieden! Tatsächlich habe ich ihr damit wohl das Leben gerettet, und nicht nur das, es scheint als wäre die Erkrankung im Anfangsstation gewesen, konnte sich noch nicht verbreiten; wäre dem aber passiert, die Folgen wären nicht auszudenken – so jedoch, durch unser Eingreifen, könnte eine Epidemie verhindert worden sein! Nicht nur das an der Seuche selbst viele, viele Hunde zugrunde gegangen wären, stellen sie sich vor wie ein großer Teil der Bevölkerung wohl auf dahinsiechende Tiere am Straßenrand reagiert hätte – keine Frage, es wären Tötungswellen gerollt, Tötungswellen, die ganz sicher genau so nicht infizierte Hunde betroffen hätten!
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Kaum setzt sich jedoch Erleichterung, sogar Freude durch, kommt der nächste Tiefschlag – Rumi und Lyubo waren in Pernik gewesen, konnten von dort vier Hunde zur Kastration mitbringen. Wir tragen die schlafenden Tiere in den Saal, und plötzlich wird uns bewusst: einer, ein wunderhübscher Schwarzer, schläft nicht nur; der Körper ohne Regung, kein Heben oder Senken des Brustkorbes, kein Anzeichen von Leben! Der Doktor reagiert sofort, beginnt mit Reanimation, presst den Brustkorb, versucht den Todgeweihten mit Luft zu versorgen. Nach qualvollen Minuten gibt er den Kampf jedoch verloren, es ist zu spät. Der Hund hatte wohl an einer schweren Verletzung gelitten, wodurch auch immer herbeigeführt, ihm sollte kein langes Leben beschienen sein. Wie erstarrt stehen wir alle um den Tisch, niemand kann es fassen. Eine große Beule am Bauch verdeutlicht die gesundheitliche Problematik, unter welcher er gelitten haben muss. Trost ist uns die Tatsache dass er nun eingeschlafen, nichts bemerkt hat außer einem leichten Brennen des Betäubungspfeiles, und ihm dadurch in naher Zukunft höchstwahrscheinlich großes Leid erspart worden ist, freilich keine.
In Momenten wie diesen, wenn der Himmel über einem zusammenbricht, wenn sich sämtliches Unglück in einer beispiellosen Welle ansatzlos entleert, in Momenten wie diesen möchte man einfach nur im Boden versinken. Es ist, als ob es kein Morgen gäbe, und gibt es das doch, es ist völlig unterschiedslos. Man verspürt einen unfassbaren Druck in der Brust, alle Wut und aller angestauter Stress entlädt sich im Augenblick eines Wimpernschlages in einen Regenfall aus Tränen. Sinnlosigkeit erfasst den Geist, ein Verlangen nach Ruhe und Frieden, einfach nur tiefer Schlaf, das ist alles, wonach sich Körper und Geist sehnt, das Innerste schreit. Und ein Abschalten der Gedanken, ohne Rückkehr zur Realität. Nichts ist danach mehr wie es einmal war; die Leichtigkeit, der Elan, die Kraft entschwindet ansatzlos, schmilzt wie Schnee auf den Frühjahrshängen.
Irgendwie bringen wir den Tag dann doch noch hinter uns; die Arbeit darf nicht unter solch tragischen Entwicklungen leiden, es muss weiter gehen – und immerhin, wir sind schon nahe der magischen Grenze von 100 OP, wir dürfen dem inneren Drang keine Nahrung geben, müssen einfach weiter machen!

Am Abend sitzen wir noch kurz beisammen, aber die Stimmung ist eine denkbar angespannte. Reden mag sowieso niemand.
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Der nächste Tag sollte ein brütend heißer werden. Schon in den frühen Morgenstunden klettert das Quecksilber des Thermometers unaufhaltsam nach oben, so, als ob es gar nicht stoppen möchte.
Sobald wir in der Klinik sind, beginnen die üblichen Routinearbeiten – Hunde auf die Wiese führen, deren Boxen reinigen, gestern kastrierte Tiere füttern und alles für den angehenden Tag vorbereiten. Dann geht es auch schon los, wie immer in zwei Teams suchen wir die Straßen nach freilaufenden Hunden ab; nicht nur das, wir stoppen auch bei dutzenden Haushalten, um zu fragen ob wir denn deren Katzen oder Hunde mitnehmen dürften – morgen würden wir sie wiederbringen, Haus-zu-Haus-Service sozusagen, noch dazu völlig kostenlos. Die Antwort ist allerdings zumeist eine ernüchternde, und nicht nur einmal müssen wir sogar Hals über Kopf aufbrechen, weil die Tierhalter aus unbekannten Gründen wütend werden. Dies betrifft in erster Linie männliche, und da vor allem jene mit großen Hunden…
Frauen sind da meist ganz anders; sie geben ihre Lieblinge oft nur zu gerne ab, sind äußerst dankbar, vor allem verständnisvoll warum wir diese Kampagnen machen. Sie sehen das Tierleid, verinnerlichen es, nicht wie so viele halbstarke Machos, denen das künftige Wohl der von ihren Gefühlsregungen so völlig Abhängigen viel zu oft überhaupt nicht bekümmert – könnten sie sonst ihre Hunde an einer ein Meter lange Ketten fesseln, manchmal ohne jeder Möglichkeit Schutz vor Witterungseinflüssen zu finden??? Ja, sie streicheln ihnen vielleicht auch mal über die Köpfe, aber die Vorstellung der ‚Maschine Tier‘ ist so lebendig wie vor hundert Jahren…
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Fotos: Lyubo bringt einen vierbeinigen Liebling zurück; immer mehr Menschen bringen ihre Hunde direkt in die Klinik!

Eigentlich ist die Situation solcherart eine zutiefst groteske – in dem Moment nämlich wo jemand die Hand auf den Kopf eines Tieres legt, mit ihm spricht, nebensächlich ob in freundlicher Absicht oder wütend, belehrend, gesteht er dem Mitgeschöpf doch ein eigenes Ich zu, meistelt er den Unterschied zwischen Leben und bloßer Materie schon heraus aus der Hülle des menschlichen Stumpfsinns; würde man eine Maschine streicheln, anschreien (ja, ich weiß, es gibt auch solche Fälle, aber beschränken wir uns auf das ‚Normale‘)? Aber im selben Moment ‚vergisst‘ man diesen so hilflos Ausgelieferten Wasser zu reichen, schattenlos unter gleißender Sonne gefangen, oder auch nur einen kleinsten Anflug von Bequemlichkeit anzubieten…. Wir leben in der Tat in einer seltsamen Welt!

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Foto: Dr. Jordan, bei der Arbeit!

Gegen Mittag erreicht die Temperatur die 30-Grad-Marke, ohne den Höhepunkt des Tages auch nur anzukratzen; es wird tatsächlich fühlbar heißer und heißer, und wahrscheinlich auch deshalb finden wir innerhalb von fünf, sechs Stunden keinen einzigen Straßenhund in der Stadt. Sagte ich ‚keinen einzigen‘? Das stimmt so nicht ganz, wir sahen doch einige, aber allesamt mit ‚unseren‘ Ohrenmarken versehene – was bedeutet, wir hatten diese im Zuge der letzten Kampagnen bereits kastriert.
Sonst allerdings sind die Straßen für Ost-Verhältnisse leer; wir denken darüber nach ob das denn nun ein Grund zum Feier ist, ob es bedeutet, dass wir so weit fortgeschritten in unserem Tun sind, dass wir von einem echten Durchbruch sprechen könnten – oder ob die Tatsache der verwaisten Stadtgebiete doch viel mehr den hohen Temperaturen geschuldet ist, nun, da alles Leben in den Schatten kriecht um dort die Hitze auszusitzen?! Die Antwort wird wohl eine Mischung aus Beiden sein, obwohl zweitere Überlegung dann eigentlich nicht wirklich schlüssig ist – hätten wir sonst jene bereits kastrierten Hunde angetroffen?
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Foto: an diesem Tag ein seltener Anblick: Emo oder Lyubo mit dem Betäubungsgewehr im Anschlag!

Wie dem dann auch sei, ein Durchatmen gibt es leider ohnehin lange noch nicht – wir brauchen nur eine Sekunde darüber nachzudenken, für wie viele der Welpen wir im Augenblick wieder ein zu Hause suchen müssen; selbst wenn nun ein Großteil der Hunde bereits kastriert wäre, die wenigen verbliebenen würden bei einer Beendigung der Aktionen superschnell wieder für alte Verhältnisse sorgen – und alles wäre umsonst gewesen…

Wie schon während des letzten Projektes im Herbst begeben wir uns zunehmend auch in die umliegenden Nachbarortschaften, um dort nach den Hunden zu sehen. So auch an diesem sonnenstrahlenden Tag – es ist nun bereits nach fünf, und man möge meinen, nach den siedenden Temperaturen des Tages würde nun langsam eine Entspannung einkehren, doch dem sollte nicht so sein. Selbst der Fahrtwind beim weit geöffneten Fenster reicht kaum aus um ein bisschen Abhilfe von der heißen Luft zu schaffen.
Wir erreichen einen kleinen Ort, etwa 15 Kilometer von unserem Ausgangspunkt entfernt; hier, wie fast überall entlang unserer Routen, scheint das Leben eine Pause eingelegt zu haben. Man wird das Gefühl nicht los, in manchen der entlegenen Gemeinden Bulgariens wird es vermutlich keinen Unterschied machen, ob eine Megakrise die Weltwirtschaft erschüttert oder nicht, ob Russland den Westen brüskiert oder umgekehrt, ob China die Kontrolle über die Marktwirtschaft vollends gewinnt, ob die USA jedes gesprochene Wort ihrer besten Freude hinter deren Rücken abhört und aufzeichnet. Alles wird hier beim Alten bleiben, ja, viele werden selbst von solchen eminent wichtigen Vorgängen, sollten sie dann eintreffen, vielleicht gar nichts mitbekommen; ihr Alltag ist ein harter, ihr Dasein ein Genügsames, ihre Sorgen betreffen andere, für sie viel wichtigere Dinge – so sitzen sie gemeinsam, vor allem die Alten (die Jüngeren werden, von modernen Medien wie Internet geblendet und verführt, viel zu oft schon lange weggezogen sein), in gottgegebener Ruhe unter noch älteren, mächtigen Bäumen und erzählen sich Geschichten aus der Vergangenheit. Welche hier genau wie überall anders bestimmt durchwegs die ‚gute, alte’ war…
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Foto: so liebenswerte ältere Menschen – Lebensfreude pur!

Bulgarien, ich hab es schon des Öfteren erwähnt, ist ein Land der Ruinen; kaum sonst wo in der der Welt finden sich derart viele, von den Elementen zerfressen, von Wind und Wetter gegerbt, von der Sonne gebleicht; versteinerte Monumente, ein Schicksal erzählend, für welches sich niemand mehr zu interessieren scheint. Wenn der Wind durch ihre Mauern schleicht und dabei ein Klagelied anstimmt, es sind – womit sich der Kreis vielleicht schon bald ein letztes Mal schließt – nur mehr die Alten da, der ihm zuhören. Die Vergangenheit erlischt, so als ob sie nie Wirklichkeit gewesen, vergänglich, wie das Leben selbst.

Immer wieder müssen wir am Straßenrand stehen bleiben, weil Kuhhirten ihre Herden am Verkehrsweg entlang treiben. Es gibt viele solcher Hirten in Bulgarien, jene, welche auf einige Ziegen, Schafe oder eben Kühe aufpassen, sie auf einsame grüne Wiesen führen und den Tag damit verbringen eins zu sein mit ihrer Umgebung.
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Fotos: überall im Land trifft man auf Hirten mit ihren Weidetieren – Verzögerungen im Straßenverkehr nimmt man hier gelassen hin…

Die aber, welche nun an uns vorbei ziehen, in völlig verschmutzter Kleidung und mit zersausten Haaren, sie werden wohl nichts anderes als moderne Sklaven eines Großgrundbesitzers sein – niemals würden sie derart viele Tiere für sich selbst zu halten imstande sein, und wäre dem so, sie würden bestimmt besser auf ihr Äußeres achten können. Wir hatten Minuten zuvor noch eine riesige Farm besucht um dort nach Hunden für die Kastration zu fragen, der Besitzer vertrieb uns aber mehr als rüde; wenn er uns so behandelt, die wir Fremde für ihn sind und eigentlich einen Gefallen anbieten, wie wird er sich dann wohl zu diesen Menschen, die zu allermeist nirgends anders hin können als in seinen Schatten, gebärden?

Immer wieder finden sich Esel oder Pferde entlang der Verkehrswege auf den Wiesen; allesamt sind sie an Pflöcken angebunden, mal an längeren Stricken, dann wieder an kurzen Ketten. Wasser findet man selten in ihrer Nähe, aber warum auch? Es wird eh ohnehin Abend werden, mit kühleren Temperaturen…
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Fotos: Esel und Kühe an Ketten finden sich zu Hauf – am Foto links unten sieht man einen jungen Stier, der von einem Auto angefahren und deshalb vom Halter einfach zurück gelassen worden war; der kommt zwar ab und dann vorbei um ihn zu füttern, aber mit nach Hause nimmt er ihn nicht; es sei denn, die Verletzung heilt wieder…

Auf der Suche nach Hunden fällt uns ein kleiner Schweinestall auf; darin lebt eines der Tiere, mit betoniertem Auslauf, zwar im relativen Schmutz, aber mit Wasser und eingeschränkter, jedoch zumindest vorhandener Bewegungsfreiheit. Natürlich, man könnte davon aus bestimmter Perspektive ein Foto machen, um dann die Zustände als besonders schrecklich dargestellt werden, aber dem würde nicht der Wahrheit entsprechen – denn tatsächlich ist die Haltung um Welten besser als sie ‚unsere‘ Schweine in den heimischen Konzentrationslagern tagtäglich als Hölle auf Erden erleben! Was uns dann besonders überrascht: als wir am späteren Nachmittag nochmals dieselbe Strecke abfahren, finden wir das Schwein wieder, dieses Mal mitten auf der Straße, sich in einem mit Schlamm und Wasser gefüllten Schlagloch suhlend – völlig frei, die Roma-Familie am Straßenrand auf Stühlen, friedlich tratschend, uns freundlich zuwinkend. Vorbeifahrende Autos weichen wie selbstverständlich aus, das Schwein gelassen und relaxed; wo könnte man dergleichen in Österreich oder Deutschland sehen????

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Das 5. Kastrationsprojekt neigt sich langsam dem Ende zu. Was bleibt, ist eine erneut großartige Zahl an durchgeführten OP’s, 111 an der Zahl, dazu die Erkenntnis, dass unsere Arbeit in diesem Teil Bulgariens eine eminent wichtige ist; nachlassen gilt nicht, nicht jetzt, und so überlegen wir schon wieder einen Termin für einen neuerlichen Einsatz im Herbst. Wann genau, das wird sich je nach Finanzierbarkeit und Terminmöglichkeit bald ergeben. Wir bedanken uns vom ganzen Herzen bei Ihnen allen, die solche Einsätze überhaupt erst möglich machen – sie sind die allereinzigste Chance, des fortlaufenden Dramas eines Tages vielleicht doch noch Herr zu werden! Wir unserseits versprechen Ihnen nichts unversucht zu lassen um zu diesem Wunschgedanken einen entscheidenden Teil beizutragen – wie Sie wissen, mit Ihrer Hilfe, da wird alles möglich! Ich stelle jetzt eine kühne Prognose auf, doch bin ich im selben Atemzug sicher sie wird eintreffen: irgendwann am Ende unserer Tage, da werden wir als Tierrechtsgemeinde auf einen Berg von Missgeschicken, Tragödien, mittleren Katastrophen und Rückschlägen zurückblicken – aber auch auf zuvor nicht möglich geglaubte Erfolge und entscheidende Entwicklungen. Wir werden sagen, wir haben mitgeholfen den Tieren endlich echte Rechte zu verschaffen, und wir werden mit uns und der Welt zufrieden sein, ein letztes Mal einschlafen im Wissen, nicht nur geredet, sondern wirklich etwas getan zu haben – so Gott will!  
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Foto: Teil des Projektteams der 5. RespekTiere-Kastrationskampagne (Martin Kirchner)!

Bitte helfen Sie uns helfen! Solch groß angelegte, unfassbar wichtige Kampagnen werden nur durch Ihre Unterstützung möglich!
Unser Spendenkonto für Österreich und Deutschland, Kennwort ‚Kastrationsprojekt Bulgarien‘, finden Sie unter folgendem Link:

http://www.respektiere.at/unterstuetzung.htm

  

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