Wir sind zurück! 5000 Kilometer Hilfs- und Demofahrt durch Ungarn, Rumänien, Türkei, Bulgarien, Griechenland uns Serbien, Teil 1!

Das RespekTiere-Mobil war vollgepackt und stand zur Abreise bereit; eine schier unfassbare Menge an Tiernahrungsmittel, Dingen des täglichen Bedarfs für Menschen, Kleidung, verschiedensten Tierheimartikel, Hygieneartikel, Lebensmittel für notleidende Menschen und diverseste andere Güter hatte in seinem fast endlos wirkendem Laderaum Platz gefunden. Der Transporter scharrte nun im wahrsten Sinne des Wortes in den Startlöcher, und auch wir waren von jenem leichten Krippeln, einer angenehm prickelnden Nervosität, welche sich immer vor so langen Reisen einstellt, erfasst – es sollte losgehen, auf in die erste gemeinsame Hilfsfahrt mit dem orangen Ungetüm im Stahlmantel, namnes Mercedes Sprinter! 🙂
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Foto: selbst eine Trennwand ist schnell zusammengezimmert!

Schnell hatten wir – Christine, die in relativ kurzer Zeit zum fixen und unverzichtbaren Bestandteil so vieler RespekTiere-Aktivitäten geworden ist, begleitete mich auf die lange Reise – die Grenze Niederösterreichs passiert, und schon ging es durch das Burgenland, gezeichnet vom seinem immensen Windradpark, hindurch, schnurstracks der pannonischen Ebene entgegen; kurz darauf verschluckten uns auch schon die sonnenverbrannten, glattgebügelten Weiten des Magyarenlandes!
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Es soll ein brennend heißer Tag werden, wie so viele der davor gewesenen; eine Kette von ‚Tropentagen‘, mit Temperaturen von deutlich über 35 Grad, plagte die Landschaft sichtbar; verwelkendes Gras, braunes Laub, staubtrockene Böden, verursacht von einer Folge von Wellen einer in diesem Ausmaß nicht gekannten Hitze; tatsächlich, der Wind sendet seinen glühenden Atem über weite Teile Europas, non stop, ohne Unterbrechung, und langsam wird das plötzlich wüstenähnliche Klima zum Fluch, vor allem für die durstigen Kornkammern der Zone.
 
Es wird bereits dämmrig als uns die Tricolore, die Blau-Gelb-Rote, am Grenzort Maka entgegen weht. Die ZöllnerInnen sind heute in guter Laune, und unsere mitgebrachten ‚RespekTiere-Dokumente‘, welche die Fahrt als Hilfstransport deklarieren, genügen völlig – ein kurzer Blick in den ordentlich gesicherten Laderaum verursacht ein bloßes Deuten mit dem Zeigefinger in Richtung Osten: Weiterfahrt!
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Foto: Rumänien ist ein ruhiges Land, voller Schönheit und Anmut; Hirten und ihre Herden kreuzen überall den Weg!

Rumäniens Straßen präsentieren sich dieser Tage in wirklich ordentlichem Zustand; kaum mehr ein Schlagloch bremst die schnelle Fahrt, zumindest nicht bis Temeswar. Die 320 000-EinwohnerInnen-Metropole, Kreishauptstadt und drittgrößte Ansiedlung Rumäniens, empfängt uns mit ihren tausenden Lichtern, frisch erstrahlt in neuem (EU-gefördertem) Glanz. Eine inzwischen hochpolierte City, wenn die PlanerInnen halten was sie versprechen, bald sogar ein Schmuckkästchen, ein wahres ‚Must-See‘ unter Europas besuchenswerten Orten!
 
Nun geht es hinaus in menschenleeres Land, es ist bereits stockdunkel. Nach ca. 1 Stunde erreichen wir die Abzweigung ins Nirgendwo, jetzt sind es noch weniger als 20 Kilometer bis zu unserem ersten Zielort: Nadrac! Viel haben wir über jene Ansiedlung schon geschrieben, den Weg dorthin als ‚Sackgasse des Lebens‘ bezeichnet – und die Ansiedlung bezeugt der Welt diesen Ruf von Jahr zu Jahr deutlicher…
 
Gegen 1 Uhr morgens erreichen wir das kleine Caritas-Zentrum, geführt vom so großartigen Rudi Hutenau. Der Hirte der kleinen Stadt, nun auch schon in seinem 69. Lebensjahr, erwartet uns bereits innig, trotz der späten Stunde in bester Laune und hoch erfreut! Auch seine rechte Hand, sein Sohn Marius, ist noch auf, und wie immer werden wir sofort bestens versorgt. Trotzdem gibt es heute in echtes Novum, noch nie Passiertes: das Bett muss nun nämlich noch warten, die Müdigkeit geduldet, viel mehr verlangt der so herzliche Peter, Rudis Bruder, nach unserer Anwesenheit – sein Enkel wurde heute getauft, und ein solches Ereignis wird in einem Land, wo Familie und Tradition über allem gehalten werden, ein echtes Fest!
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Foto: der so wunderbare Rudi und sein Auto, welches sich dem langsamen Verfall des Städchens perfekt angepasst hat…

So finden wir uns trotz der Abgespanntheit bald im verfallenden Gasthaus des Ortes wieder, von Rudi und den seinen wunderbar adaptiert für den freudigen Anlass. Blumengeschmückt präsentiert sich der Saal in seinem 50er-Jahre-Design, laute Musik, tanzende Menschen und vor Üppigkeit an Essbaren zum Biegen beladenen Tischen! Wie wunderschön bei so einem Anlass einmal dabei sein zu dürfen! Erst gegen 4 Uhr morgens, immer in Bedacht, den Anstand, die so herzliche Gastfreundschaft, nicht zu verletzten, ziehen wir uns dann zurück; kaum sind wir in unseren Zimmer, verschmelzen wir mit den Polstern und Decken zu einer Einheit und fallen augenblicklich in tiefen Schlaf.

Am nächsten Tag allerdings bereuen wir den nächtlichen ‚Sondereinsatz‘, zumindest für kurze Weile, doch ein kleines bisschen; es gilt nämlich trotz der schweren Knochen früh aufzustehen, so viel Arbeit erwartet uns doch!
 
Der Bus ist unter der Mithilfe von Rudi’s Familie gleich nach dem Frühstück trotz der bleiernen Schwere in den Knochen dennoch relativ schnell entladen, und bald schon gehen wir durch Nadrac’s Straßen; wir füttern einige der so liebenswerten Straßenhunde, die im Augenblick allerdings nicht zahlreich vorhanden sind, ziehen sie sich doch tagsüber als Tribut an die große Hitze in den nahen Wald zurück ziehen. Von dort erschallt deren Gebell durch ganz Nadrac, ihre Frauen dürften in Hitze sein, und wir beten zu Gott sie mögen allesamt diese schwere Zeit gut überstehen – die Menschen hier führen ein hartes Dasein, und ebenso hart sind ihre Maßnahmen wenn sie sich gestört fühlen…
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Auf unserem Weg durch das Städtchen besuchen wieder verschiedenste alter Menschen, meist solche, welche vom Caritas-Zentrum mit täglichen Mahlzeiten versorgt werden; Vater Staat lässt die seinen im Alter grausam in Stich, die Pensionen von oft weit weniger als 100 Euro reichen in einem Land mit ähnlichem Preisniveau wie dem unseren nicht aus; sie sind buchstäblich zu wenig zum Leben und zu viel zum Sterben…
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Eifrige Respektiere-LeserInnen können sich vielleicht noch an jenen alten Mann erinnern, der an schweren Krankheiten litt; wir berichteten des Öfteren über ihn, er lebte in einem kaum 5 qm großen Zimmer, auf einem Bett aus bloßen Holzstämmen zusammengezimmert, mit einer selbstgefertigten Matratze aus purem Stroh; einzige Einrichtung sonst: ein kleiner Schemel mit einem 30-cm-Röhrenfernseher darauf und ein verrostetes Lavor zur Körperpflege; ein Dialysepatient, mit einem von den Elementen zernagtem Plumpsklo außerhalb der Wohnung, steil oben am gegenüberliegenden Hang… der Arme wurde im Frühjahr von den Engeln zu sich gerufen, er hat sein Martyrium überstanden…in seinem Raum wohnt jetzt ein junger Mann, ebenso hoffnungslos, gezeichnet von Alkohol und zurückgelassen ohne jegliche Versprechungen für die Zukunft.
Vorbei geht es an ‚Zu Verkaufen‘-Schildern, welche beinahe jedes 3. Haus zieren; von den einstigen fast 4000 Menschen sind nur noch etwa 1800 übrig geblieben, zum überwiegenden Teil Alte und Kleinkinder. Die Großeltern übernehmen den Erziehungspart, die mittlere Generation versucht irgendwo in Europa ein Auskommen. Verübeln kann man es ihnen nicht, die vielen, vielen Ruinen und zusammenbrechenden ehemaligen Werkshallen, von einer glorreicheren Historie zeugend, sprechen eine nur allzu deutliche Sprache. Die Fabrikgelände präsentieren sich als Gerippe, alles verwertbare, alles Alteisen und sonstig irgendwie brauchbare Material längst entwendet. Selbst Kanaldeckel auf den Straßen fehlen, der Beton des Ovales gebrochen, der umfassende Metallring veräußert…
Es ist eine unsagbare Mischung von Hoffnungs- und Trostlosigkeit, welche diesem Ort seine bedrückende Lethargie verleiht. Selbst der immer präsente Wind scheint in das Klageleid einzustimmen, gefangen in der Vergangenheit, mit trauriger Melodie durchkämmt er verwelktes Gestern. Eine nie gekannte Triste, die sich auch mit dem fast gekünstelt wirkendem Gelächter der wenigen Männer vor von der Wirklichkeit gebeutelten letzten Gaststätten – meist eine oder zwei Bänke irgendwo im Freien vor einem der winzigen Läden, umfasst von einem zerrissenen Sonnenschirm – nicht weg retuschieren lässt…
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Wir besuchen jenen Mann, der sein Einkommen mit seinen zwei Pferden durch hartes Schuften in den nahen Wäldern verdient; er macht dort Holz und bringt es zu den Haushalten, für eine kleine Bezahlung. Die Hände voller Schwielen, nur in einer zerrissenen alten Hose gekleidet, kommt er uns freudestrahlend entgegen, hat er doch von respekTIERE IN NOT schon mehrere Pferdehalfter, Pferdedecken und ähnliches Material bekommen. Das Schicksal meint es nicht gut mit ihm, seine Frau hat in verlassen, Richtung Österreich, und selbst seine Nachreise nach Graz hat die Gute nicht bewegen können, zurück zu ihm und zu den drei Kindern zu kommen.
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Unschuldig an der Situation ist er beileibe nicht, wird doch im Dorf erzählt, dass sich die Kombination seines Ichs mit Schnaps so ganz und gar nicht verträgt, er nach dessen Genuss regelmäßig ausrastet… Dennoch ist die Situation nun so, abseits jeglicher sinnleeren Schuldfrage, dass er irgendwie mit seinen Kindern und seinem alten Vater ein Auskommen sucht, und das ist denkbar schwer genug. Mama schickt kein Geld aus Österreich, und so sieht er sich veranlasst, mich in sein Haus zu bitten, um mit dort Dinge zu zeigen, die ich fotografieren und zu Hause ins Netz stellen soll. Die sich vor mir eröffnende Armut ist eine unfassbare, zwei kleine Räume für die fünf Menschen, die schützenden Mauern längst zur Gefahr geworden. Risse ziehen sich durch die Wände, der Ziegel bröckelt, die Elemente nagen unentwegt, wie die emsigen Holzwürmer im alten Dachgebälck. Was er verkaufen möchte sind Jagdtrophäen, riesige Hirschgeweihe, und alte Ölbilder; ob sich dafür allerdings die von ihm gewünschten jeweils 800 Euro lukrieren lassen, ist mehr als zweifelhaft.
Draußen in seinem Vorgarten finden sich mehrere Welpen, im Hof ein wunderschöner Hund, ohne jegliches Mitgefühl mit einer rostigen Kette an einem Umkreis von nicht viel mehr als 2 qm gefesselt. In einem kleinen schmutzigen Stall ist ein Mutterschwein gesperrt, mit vier Schweinekindern. Katzenbabys gibt es ebenfalls, dazu ein paar Hühner und Enten. Vor dem Haus liegt ein Straßenhund, wir wissen nicht ob er zur Familie gehört; jedenfalls zeugen tiefe Narben auf dessen Körper von einer gewaltbetonten Vergangenheit.
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Fotos: das Umfeld ist eine wahre Misere; dennoch sucht der Mann ein Auskommen, hat er doch drei Töchter zu versorgen. Warum er das große Schwein für uns hochhalten musste, werden wir nicht erfahren… rechts unten: Christine mit Welpe und Kätzchen, die sich im Vorhof tummeln…

Es ist einfach todtraurig Mensch und Tier in solcher Umgebung zu sehen; erdrückend ist vor allem die Hoffnungslosigkeit, das Wissen, nur ganz schwer wird sich hier etwas ändern, und selbst wenn, dann ganz sicher nicht in der nächsten Dekade. Dazu ist die wirtschaftliche Situation zu verfahren, die Korruption im Land zu verflochten, die Misere zu verbreitet. Der Nachbar zum Beispiel, er lebt ebenfalls in zwei Räumen, mit Frau und vier kleinen Kindern, ganz ohne Strom; ob er den mal bekommt? Wahrscheinlich nie, schätzt er realistisch seine Situation ein, denn die Gemeinde würde 500 Euro für das Zubringen verlangen. Geld, über welches er wohl kaum jemals verfügen wird… und wenn, es dann wohl für 1000 noch dringendere Dinge benötigen werden würde!

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Foto: die Armut im Land ist allgegenwärtig!

Am frühen Nachmittag naht die Stunde des Abschiedes; wir müssen wir jetzt endlich und schnell weiter, sonst drohen uns die teils schwer mitgenommenen Straßen ohne jegliche Beleuchtung oder Begrenzungslinien im Dunkeln, einer Vorstellung, die uns nicht freudig stimmt. Wie immer hat Rudi Tränen in den Augen als wir uns fest umarmen. Zurück bleibt ein warmes, angenehmes Gefühl – eine tiefe Freundschaft über Ländergrenzen hinweg und der tröstende Gedanke, so viele Sachen haben wir gebracht; damit lässt sich eine ganze Menge Gutes tun – und bei ‚unserer‘ Familie sind all die Dinge in den allerbesten Händen! Marius wird uns schon bald wieder so wunderschöne Bilder senden, wo Sie sehen wie und wo Ihre Sachspenden eingesetzt worden sind!
 
Erneut steht die Sonne wie festgezurrt am Himmel. Dennoch kommen wir gut und schnell voran, durchqueren wildes, Großteils menschenleeres Land von Nord nach Süd. Hie und da halten wir an, füttern Straßenhunde, die wieder in unfassbarer Zahl die Wege begleiten; zu einem anderen Anlass besuchen wir die kleine, in den Fels gehauene Kapelle, ein AutofahrerInnen-Andachtsort, entlang der Route. RumänInnen sind ein sehr christliches Volk, bezeugt durch hunderte Kreuze in sämtlichen Variationen entlang der Straßen, und durch die prächtigen, wenn auch des Öfteren vom Zahn der Zeit mitgenommenen Gotteshäuser in allen Dörfern; so stoppen an jenem etwas mystisch wirkendem Platz auch viele, viele Menschen, bekreuzigen sich, zünden Kerzen und werfen kleine Zettel mit Wünschen an den/die SchöpferIn in ein Sammelbecken.
Unser Anliegen ist ein klar definiertes: falls es Dich wirklich gibt, ob nun alter Mann mit weißem Bart oder in jeglich denkbar anderer Erscheinungsform, bitte steh den armen Tieren bei, schütze sie vor dem Zugriff von Grausamkeiten und den Gefahren des Straßenverkehrs!
 
Letzteres Anliegen allerdings bleibt leider zumindest für die nächsten Tage unerfüllt, denn in großer Zahl säumen tote Hundekörper sämtliche Straßen im Karpatenland; überrollt vom oft übermächtigen Verkehr, unbeachtet, unbeweint….

Am späteren Nachmittag beginnt sich der Himmel zu verdunkeln; endlich, der Temperaturumschwung ist ein echtes Aufatmen nach der großen Hitze! Dichte, düstere Wolken ziehen auf, und als wir Calafat, die Grenzstadt, erreichen, beginnt es zu regnen. Hier soll die neue Brücke zwischen Rumänien und Bulgarien gebaut sein, dort wo früher Fähren kreuzten (die notwenige Überquerung der Donau für 50 Euro Gebühr, 2 Minuten Fahrzeit, pro Richtung…). Zuerst aber landen wir im alten Hafen, die Stimmung ist nun beinahe apokalyptisch – der Wind frischt auf, treibt Sand vor sich her, die winzigen Körner wie eine Armee von Myriaden von emsigen Soldaten, immer dem Atem der Böe folgend; ringsum verfallende Bauwerke und Ruinen, zerbrochene Zeugen einer beschäftigteren Vergangenheit. Lange ist es her, und die Erinnerung ist wohl die die an eine viel glorreichere Momente; ob es dann auch so war, es sei dahingestellt; manches Mal, meist sogar, besonders wenn das Jetzt nicht dem Versprochenen entspricht, ist die verdrängte Realität eine bloße Geisel des Gedenkens! Ein älterer vom Leben gezeichneter Mann sitzt einsam vor einem düsteren Turm, der wie ein Bollwerk im Sturme wirkt; eine Festung allerdings, die sich mit letzter Kraft gegen die Elemente stemmt, ein gebrochener Riese, dem Zahn der Zeit hoffnungslos unterlegen; der Alte deutet freundlich zu uns her, und beinahe ehrfürchtig grüßen wir zurück.
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Und plötzlich sind sie da, ein halbes Dutzend und mehr Hunde, aus dem Nichts gekommen. Einer davon ist in furchtbar schlechtem Zustand, sein ganzer Körper ein einziges Schütteln. Was aber sollen wir tun? Wir können ihn nicht mitnehmen, viel zu gefährlich wegen Ansteckungsgefahr – immerhin fahren wir nun zu Lyubo, der selbst gut 25 der Armen bei sich beherbergt… einen Tierarzt werden wir wohl auch nicht finden, und so müssen wir uns mit den Worten des Alten, des Turmwächters, beruhigen, der da meint, so schlimm sei das nicht; der Hund lebt schon lange mit den Symptomen, und er wird es auch noch lange tun. Es bleibt keine Wahl, die Grenze ist vor uns, und ohne Papiere könnte der Hund sowieso nicht mit, schon gar nicht in dem Zustand. Wir lassen Futter dort, und brechen schweren Herzens auf, setzen gedankenverloren unseren Weg fort.
 
Tatsächlich finden wir die Brücke bald, ein wunderschönes neues Gebilde. Die Donau verfügt hier über eine ungeahnte Breite, und wir genießen die Fahrt über das Delta. 6 Euro kostet die Überquerung des Gewässers, nichts gegen die 50 für die frühere Fähre!
Die bulgarischen ZöllnerInnen erwarten uns; sie sind sehr nett, lassen uns ungehindert passieren.
Ich habe nie geglaubt, dass, was ich jetzt von mir gebe, je zu sagen: aber schon sehr bald sehnen wir rumänische Straßen herbei, der Unterschied ist ein bahnbrechender; uns fehlt bald jede Orientierungshilfe, weder Mittel- noch Seitenstreifen, von reflektierenden Begrenzungen ganz abgesehen. Die Verkehrswege Bulgariens, obwohl auch nach Sofia führend, sind hier elendsschmal, dafür aber von ungeahntem Verlauf geprägt. Sie fallen plötzlich steil ab, durchlöchert von aberhunderten kraterähnlichen Schlaglöchern, nur um dann in eine Neigung überzugehen, wo man denkt, der Wagen gibt unweigerlich der Fliehkraft nach. Ein echtes Abenteuer, eine Achterbahn mit allen Höhen und Tiefen ist ein Kindergeburtstag dagegen! 🙂
 
Gegen halb 10 erreichen wir Vom – und treffen sofort auf Lyubo! Welch eine Wiedersehensfreude!!!! Er zeigt uns das Hotel für die Nacht, ganz schöne, große Zimmer, für 15 Euro – das ist ok, obwohl das Badezimmer diese Benennung dann nicht verdient, gleicht es doch eher einer Tropfsteinhöhle!
Später unterhalten wir uns noch mit dem guten Lyubo, unentbehrliche Stütze unserer Bulgarienprojekte; er kommt gerade von einem Kastrationsprojekt zurück! 60 Hunde wurden dabei kastriert, Lyubo zeigt uns schreckliche Bilder von malträtierten und schwer kranken Hunde, welche das Team im Zuge des Einsatzes aufgefunden hatte.
 
Gegen Mitternacht gehe ich noch zum kleinen Markt, um Wasser und Brot zu kaufen. Vor dem Geschäft stehen einige Mülltonnen – und die werden soeben von einer großen Anzahl von Hunden geplündert, mindestens 15 an der Zahl! Lyubo sagte schon, hier gäbe es ein schweres Problem mit den Straßenhunden, aber ein derart großes hätte ich nicht gedacht! Sofort laufe ich zum Motel zurück um die Kamera zu holen; als ich zurückkomme, finde ich aber nur mehr drei der ‚Geisterhunde‘ vor.
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Der Morgen beginnt – mit einem schweren Gewitter! Welche Erleichterung für hitzegeplagte Gemüter! Allerdings hält der Segen nicht allzu lange an, und bald verdrängt die Sonne erneut ohne nennenswerte Mühe die schwarzen Wolken, Nun wird es noch heißer, dazu drückend schwül!
 
Wir warten vor der Herberge auf unseren alten Freund Lyubo, der inzwischen fast so etwas wie ein Bruder für uns geworden ist. Er, inzwischen auch schon 47 Jahre alt, lebt im Prinzip sein Leben nur für die Hunde. Er führt in seinem Heimatdorf in den Bergen einen winzigen Tante-Emma-Laden, zusammen mit seinem ‚echten‘ Bruder; die Mutter wohnt bei den beiden, ebenso gut 25 Hunde und mindestens ebenso viele Katzen. Lyubo kam wie bereits erwähnt erst gestern von einem Kastrationsprojekt eines anderen Vereins zurück, heute holt er uns vom Hotel, und zusammen werden wir zu ihm nach Hause fahren. Wir haben dank Ihrer Hilfe so viel für ihn mitgebracht, angefangen von den Lebensmitten bis hin zur Kleidung, und natürlich jede Menge Tiernahrung!
Als wir auf ihn warten kommt plötzlich ein kleiner Hund auf uns zu. Der Süße bekommt selbstverständlich eine Mahlzeit, und nach einem üppigen Mal möchte er gar nicht mehr von unserer Seite weichen. Wir gehen kurz in den kleinen Laden, wo ich gestern Brot und Wasser kaufte – das winzige Geschäft hat 24 Stunden geöffnet! – um einen ‚Coffe to go‘ zu holen; der Kleine kommt mit; zurück beim Ausgangspunkt legt er sich auf den Rücken, kann gar nicht genug Schmeicheleinheiten ergattern! Leider ist er voller Flöhe und Zecken, welche wir zum Teil entfernen können. Aber dann findet sich eine eitrige Wunde an seinem Ohr, und auch seinen Augen tränen. Der Arme braucht bald einen Doktor, Lyubo wird sich um ihn kümmern. Der ist nun auch schon angekommen, und wir genießen noch ein paar Züge einer in diesen Augenblicken leider doch wohlschmeckenden Zigarette – der letzten, wie auch schon von gefühlten hundert zuvor geglaubt…
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Dann fahren wir los, wir hinken dem Zeitplan ohnehin kräftig hinterher. Nach einer halben Stunde erreichen wir die kleine Ansiedlung, Lyubos zu Hause; wie viele Orte in Bulgarien zum überwiegenden Teil aus Ruinen bestehen ist einfach nur sagenhaft… Das Haus des langjährigen Weggefährten würde ebenfalls ein paar Handwerker benötigen, aber dafür fehlt immer das Geld; nichts desto trotz ist es urgemütlich, wir genießen erst einmal ein kaltes Cola sitzend bei den um einen wunderschönen Kastanienbaum aufgestellten Tischen. Seine Hunde beargwöhnen uns vom Garten heraus, und hier offenbart sich Lyubos größtes Problem – einige aus dem Rudel sind auf Fremde nicht gut zu sprechen, beherbergt er doch ausschließlich Getretene, Kranke und Verstoßene. Auch solche von Rassen, die ansonsten nirgends mehr ein zu Hause finden würden, wie einen riesigen Cane Corso, in den Büchern viel zu unspezifisch als ‚Kampfhund‘ bekannt. Der Zaun um das Gebäude ist allerdings in denkbar schlechten Zustand, ihn zu erneuern, dafür fehlt das finanzielle Polster. So aber fürchten sich die Nachbarn, und Probleme mit dem Veterinäramt sind vorprogrammiert…
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Erinnern Sie sich vielleicht noch an jene Hündin, welche wir mit gebrochener Hüfte und einem ausgeschlagenen Auge im Zuge des vorletzten Kastrationsprojektes im weit entfernten Breznik aufgefunden hatten? Ihre Überlebenschance auf der Straße wären gleich null gewesen, Lyubo hatte sie damals zu sich genommen; stellen Sie sich vor welches Schicksal sie erwartet hätte, gäbe es nicht Menschen wie diese hier! Und sie ist heute kaum wiederzuerkennen, die Brüche verheilt, die Bewegungen anmutig; soooo schön! 
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Fotos: damals und heute, welch ein Unterschied!!!

Wir entladen den Wagen, immer wieder auf ein Neues überrascht, wie viele Güter darin Platz gefunden haben! Lyubos so netter Bruder bringt uns Kaffee, und beide haben sie Tränen in den Augen ob der dringend benötigten Unterstützung.
 
Immer wieder treiben Menschen unsanft ihre Pferdekutschen vorbei, die Reittiere sind zumeist am Ende ihrer Kräfte; plötzlich erneut Hufgetrampel, zwei Hengste jagen in offensichtlicher Panik und ohne menschlicher Begleitung die kaputte Straße herunter! Eines der Tiere stürzt, fängt sich aber wieder und setzt den irrsinnigen Galopp mit weit aufgerissenen Augen fort. Was passiert war, und was passieren wird, wir werden es wohl nie erfahren – und vielleicht ist es auch besser so, unsere Gehirne ob der mannigfaltigen Eindrücke ohnehin längst überlastet, das berüchtigte ‚Error‘ auf die Stirn geschrieben…
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Wir fahren in die nächst größere Stadt, nach Lom; dort sind fünf Hunde aus dem vergangenen Kastrationsprojekt beim Veterinär, sie wurden gestern kastriert und sollen heute zurück zu ihren Stammplätzen. Die sind aber tief in den Bergen, und wir werden Lyubo dorthin zum Freilassen der Patienten begleiten! Bei der Gelegenheit lässt der Gute dem Tierarzt auch gleich seinen Finger verarzten; er wurde vorgestern im Zuge des Projektes von einem Pittbull schlimm gebissen, und die Wunde sieht heute schrecklich aus, der Finger auf das Doppelte der üblichen Größe angeschwollen. Der Arzt warnt den Tapferen, er müsse sich unbedingt Medikamente besorgen; ob Lyubo das tun wird? Ich würde es zumindest stark bezweifeln.
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Dann geht es los in die entlegene Kleinstadt, Heimat der eingefangenen Hunde. Der Weg dorthin zieht sich über einsame Straßen, weite Wälder wechseln sich mit noch endloseren Weizen-, Mais- und Sonnenblumenfeldern ab. Der Himmel zeigt sich von seiner prächtigen Seite, ob der Höhenlage unfassbar breit, durchzogen von mächtigen Wolkenfeldern, die wie von eines Meisters Hand auf das Firmament gepinselt scheinen! Epochale graue Wattebauchschen, dann wieder durchzogen von blendend weißen; dahinter ein Feuerplanet, der das Land unter sich zu versengen droht; Äcker, wo die Erde den Elementen nachgegeben hat, verdorrt, knochenhart geworden; durchzogen von Feldern mit gebrochener Materie, wie Falten im Gesicht von wettergegerbten Alten wirkend, genau wie sie zwar vom Leben gezeichnet, aber gleichzeitig von vollkommener Erhabenheit.
Das Land ist geprägt von wohltuender Menschenleere, und wenn dann doch hie und da ein einsames Dorf auftaucht, dann hat sich das der Natur soweit angepasst, dass der Anblick trotz zerfallenden Mauerwerkes kein verstörender ist! Alles wirkt unendlich friedlich, ruhig, ausgeglichen. Alleine, es bleibt die vernichtende Tatsache, dass überall Tiere unter der Schreckensherrschaft des Zweibeiners leiden; am Straßenrand zum Beispiel stehen zwei Männer, rauchend, zu ihren Füßen ein bis zur Bewegungslosigkeit gefesseltes Schaf. Was sie vorhaben, bleibt ihr Geheimnis, aber die Zukunft birgt wohl in keinem Falle Gutes für die Geknechteten.
Überall finden sich Straßenhunde, Tote aus deren Reihen säumen den Weg. Dasselbe Bild wie in Rumänien, wo wir an manchen Streckenabschnitten in kurzen Abstand ein Dutzend Opfer bezeugen mussten…
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Foto: Straßenhunde finden sich überall im Land; besonders an den Müllkippen und bei den Abfalltonnen sind immer welche, bestrebt, ein mühsames Überleben zu sichern, schmächlich im Stich gelassen von ‚Mensch‘, der sie mit großartigen Versprechungen einst der Wildnis entrissen hatte…

Wir erreichen den anvisierten kleinen Ort; dort trifft Lyubo einheimische TierschützerInnen, welche die Hunde voller Freude entgegennehmen und sofort an den angestammten Plätzen in die Freiheit entlassen. Einer davon kommt in einen Privathaushalt, was uns umso mehr freut!
Ich habe es schon oft erwähnt, und werde nicht müde es weiterhin zu tun: welch unfassbar gute TierschützerInnen es hier gibt, sie belegen bei Gott die schönste Seite im Buche der Gutherzigkeit! Wie gesagt, während es in unseren Breitegraden bei solcher Arbeit neben der Mühen doch noch viele wunderbare Aspekte gibt, zum Beispiel toleriert, ja oft honoriert, die breite Öffentlichkeit Tierschutzarbeit; bei all dem Leid welchem man ausgesetzt wird, tut ein bisschen Schulterklopfen oft wirklich unendlich gut, wer mag es bestreiten! Aber in diesen Ländern bringt der selbstlose Einsatz neben dem finanziellen Desaster und der immer präsenten psychischen Selbstaufgabe – befindet sich doch bereits der Ausgangspunkt jeglicher Aktion nahe der Grenze zur Hoffnungslosigkeit – dann ganz nebenbei auch noch soziales Abseits bis hin zu diversesten Anfeindungen und sogar offenen Gewaltausbrüchen: Hunde sind schmutzig, bergen Krankheiten und sollten am besten verschwinden und am besten alle mit ihnen, die auch noch die Dummheit besitzen, sich um sie zu kümmern – so ist es die gängige Meinung…  
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Fotos: kastrierte Hunde zurück in ihre angestammten Reviere – nur ganz wenige finden ein echtes zu Hause; Straßentierproblematik, eine der ganz großen Schanden der Menschheit!

Jetzt ist die Zeit zum Abschied gekommen; es ist viel zu spät geworden, die Uhr zeigt nach 6, und wir sollten um 8 in Sofia unsere KampagnenfreundInnen um Rumi, Emo und Petra treffen! Das geht sich ohnehin niemals mehr aus, aber zu lange möchten wir die Lieben dann auch nicht warten lassen! Die Trennung von Lyubo ist tränenreich, und das ist keine Übertreibung; es ist eine tiefe Freundschaft entstanden, als Tribut an all die gemeinsam geschlagenen Schlachten, so viel steht fest! Letztendlich aber müssen wir uns losreißen, ein langer Weg in die Metropole steht uns noch bevor!

Fortsetzung in Kürze!

 
 
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