Mauretanien-Einsatz – der große Bericht!

Der Wecker klingelt viel zu früh. Schlaftrunken reibe ich meine müden Augen, nur um ihm einen bösen Blick zuzuwerfen; dem Armen, denke ich im selben Augenblick, er, der so zuverlässig die Notwendigkeit des Aufstehens mit sanften Tönen verkündet, bekommt als Dank für die unerlässlichen Dienste auch noch den Frust zu verspüren, welchen die zeitige Stunde mit sich bringt.
Es ist knapp nach 3 Uhr morgens, ich wecke Dr. Matthias Facharani, der mich dieser Tage abermals in die Wüstenwelt Mauretaniens begleiten wird. Dass er bei uns geschlafen hat erspart eine gute Stunde Zeit, hätte ich ihn abholen müssen, wäre das Schlafengehen überhaupt ein ausgesetztes gewesen.
So finden wir uns wieder im treuen Mercedes Sprinter, der uns nun zum Parkplatz beim Flughafen in München bringen wird. Im Laderaum sind sechs vollgepackte Taschen verstaut, mehr als 100 kg an Waren, welche wir für das Team vor Ort erworben haben; von der neuen Hufzange angefangen bis hin zum Entwurmungsmittel, von der Arbeitshose bis zu den Kanülen und Spritzen. Vor allem Medikamente, jedes Jahr im Wert von gut 1200 Euro, gespendet in die RespekTiere-Spenderboxen von KundInnen der Tierarztpraxis Facharani, werden unendlich Gutes tun. Überhaupt, lauter Dinge gehen mit auf die lange Reise, welche in Mauretanien viel teurer, manche davon gar nicht zu erstehen sind. Gestern Abend hat es uns volle vier Stunden gekostet, die Unmengen von Waren in die verschiedenen Koffer entsprechend dem zulässigen Gewicht zu packen. Für Schlaf hat es dann nicht mehr wirklich gereicht; erst gegen 1 Uhr sind wir zu Bett gegangen, nur zwei Stunden später verfluchte ich dann auch schon die brave Alarm-Uhr.
Mit doch etwas mulmigen Gefühl in der Magengegend treten ich die weite Reise an; zum einen quält mich der standhafte Husten noch immer, bereits in Bulgarien hatte er mir Stunden der ohnehin nur sehr beschränkt verfügbaren Nachtruhe gekostet. Mauretanien ist dann noch dazu eine völlig eigene Kategorie, ein Land, gebeutelt von bitterster Armut, gezeichnet vom Verfall, die Heimat vieler Krankheitskeime, welche anderswo längst als ausgestorben gelten. Dorthin sollte man nur in guter körperlicher Verfassung reisen, so viel steht fest. Denn ‚gesünder‘, das wird man im Wüstenstaat jedenfalls so sicher wie das Amen im Gebet nicht.
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Fotos: Dr. Matthias, Facharani, der seine Tierarztpraxis wegen des Projektes wieder für mehr als eine Woche geschlossen hielt (wenn Sie in der Umgebung von Bad Reichenhall/Salzburg wohnen und auf der Suche nach dem besten Tierarzt sind, zögern sie nicht: www.tierarzt-facharani.de), und Tom im Flugzeug am Weg zu den Eseln! Unten: so unterschiedlich können Landstriche sein: grün und fruchtbar, gelb-braune gühende Sahara-Zone…
Zum anderen beschäftigen mich selbstredend auch die Gedanken über das zu Sehende; die psychische Belastung dort ist eine enorme, eine Depression – passt man nicht unendlich gut auf – folgt auf den Fuß. Andererseits, es macht keinen Unterschied, die Dinge passieren, ob man sie sieht oder nicht. Dies ist der Knackpunkt, sich zu vergegenwärtigen, dass es so wenigstens ab und an die Chance gibt, den Verlauf des Schicksals vielleicht günstig beeinflussen zu können; eine derartige Einstellung wirft eine gänzlich andere Perspektive auf.
Es geht durch die stockdunkle Nacht in Richtung München. Leichter, für die Jahreszeit viel zu warmer Wind ist inzwischen aufgekommen, und selbst die Musik aus dem Radio klingt etwas melancholischer als sonst.
Das Auto ist bald abgeliefert, ein freundlicher Service-Mitarbeiter bringt uns im firmeneigenen Ford-Bus direkt zum Abflugterminal. Dort sitzen wir nun und warten auf die Maschine, welche uns vorerst einmal in die französische Metropole bringen soll.
In Gedanken gefangen, denke ich über unser Zielland nach; viel haben wir darüber bereits geschrieben, und es waren immer beängstigende Zahlen. So beträgt beispielsweise die Analphabeten-Rate noch immer rund 50 %, schätzungsweise knapp 20 % der 5-14jährigen schuften fortwährend in Kinderarbeit.  Amnesty International schreib im Jahresbericht 2010 von unverhältnismäßiger Gewalt und systematischer Folter gegen Demonstranten, Häftlinge und die Zivilbevölkerung. Ein genauso großes Problem: noch immer soll es hunderttausende Sklaven im Land geben – die Anti-Sklaverei-Organisation SOS Esclaves spricht von rund 600 000, was wiederum den höchsten Anteil an der Gesamtbevölkerung weltweit ergeben würde!
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Foto: brutale Realität – Kinder müssen zum Überleben der Familien ihren Teil beitragen!
Die Situation für Schwule, Lesben oder Transgender ist auch 2018 noch äußerst bedrohlich; auf Homosexualität steht nach wie vor die Todesstrafe. Noch um 1950 lag die durchschnittliche Lebenserwartung bei nur 38 Jahren, heute ist sie auf immerhin 63 gestiegen. Mauretanien gehört nach wie vor zu den ärmsten Staaten der Welt, der ‚Global Competitiveness Index‘, der Maßstab für die Wettbewerbsfähigkeit eines Landes, weist Mauretanien auf Platz 137 von 138 Ländern auf.
Vielleicht erinnern Sie sich noch, im Newsletter über den Kastrationseinsatz in Bulgarien schrieben wir, Bulgarien wäre das mit Abstand korrupteste Land in der Europäischen Union; es ist im Korruptionswahrnehmungsindex (Corruption Perceptions Index) auf Platz 75 mit 41 von maximal 100 Punkten zu finden. Wer je in Bulgarien war, weiß, wie katastrophal diesbezüglich sich die Situation im Balkanland auswirkt. Nun aber kommt Mauretanien, welches vom ohnehin mehr als beschämenden Platz 75 nur träumen kann – es liegt mit 28 (!!!) Punkten nur auf dem niederschmetternden Rang Nr. 143, zusammen mit Bangladesch und Guatemala…
Dennoch erlebte der Wüstenstaat ab 2008 aufgrund seiner vielfältigen Bodenschätze (allen voran Eisen, Gold und Kupfer) einen wirtschaftlichen Höhenflug – der erst nach 2014 in einer Bruchlandung endetet, weil es von da an zu einem globalen Preissturz der Mineralstoffe kam.
Nun setzt man aber zunehmend auf erneuerbare Energien; Nouakchott, die Hauptstadt, zeigt den Weg vor: 2012 wurde die Stadt Shami, zwischen Nouhadibou nach Nouakchott, gegründet; das Besondere daran: sie gewinnt ihren Strom vollständig aus Solarenergie und versorgt rund 5000 EinwohnerInnen!  Und das, obwohl es nur vier Jahre zuvor, 2008, noch überhaupt keine Anstrengungen hin zur Erzeugung von erneuerbaren Energien im Land gegeben hatte! Nun plötzlich, wie aus dem Nichts, darf man Mauretanien in Punkto Bereitstellung von Ressourcen für saubere Energien sogar mit Fug und Recht als eines der fortschrittlichsten Länder der Welt bezeichnen; überhaupt ist das Land auf dem Energiesektor gut aufgestellt: „Der Bedarf des Landes beträgt 120 Mega Watt Strom im Jahr. Wir haben die dreifache Leistung, die es uns erlaubt, den überschüssigen Strom an unsere Nachbarn Senegal und Mali zu exportieren,“ sagte etwa Dahane Taleb Ethmane, Pressesprecher der führenden Firma SOMELEC, kürzlich in einem Interview.
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Foto: die Probleme Nouakchotts sind unübersehbar; Müll beherrscht weite Landstriche, die Häuser von Verfall und den Elementen gezeichnet, seine Menschen leben zum großen Teil in bitterster Armut!
Die Lautsprecherdurchsage reißt mich aus den Gedanken; es ist Boarding-Time, und schon kurz darauf bringt der kleine Airbus 318 seine Passagiere in die französische Metropole – welche uns, kaum anderes würde man sich bei derzeitigen klimatischen Verhältnissen vorstellen, mit strahlendem Sonnenschein empfängt! Nun beginnt der Irrlauf durch den riesigen Flughafen, und es ist wahrlich eine Herausforderung die richtigen Terminals und Gates zu finden. Zu guter Letzt bleibt aber dann noch die Zeit für eine kleine Verschnaufpause, letzte Anrufe an die Lieben daheim werden getätigt.
Beim Einsteigen in das nun hünenhafte Flugzeug klopfe ich wie immer der Maschine sanft in die Seite; ein Riese, der Airbus 340, 8 Menschen in einer Reihe, Platz für ca. 280 Passagiere. Die Aufregung steigt, aber das Ungetüm hebt nicht ab; Grund ist ein aufgegebenes Gepäck, wo dann niemand hierfür die Bordkarte als MitfliegerIn vorweist! Der Umstand bedeutet, die Koffer müssen gesucht und entnommen werden, aus Sicherheitsgründen sehr verständlich und deshalb auch begrüßenswert. Tatsächlich dauert die Aktion dann volle 2 Stunden; als der Airbus endlich abhebt, schmerzt das Sitzfleich bereits, jetzt schon, wo wir uns noch keinen Kilometer in die Luft entfernt haben.
Leider vergisst die Air France einmal mehr auf die Bestellung des veganen Gerichtes; eine Missetat, die bei der französischen Luftlinie wahrlich häufig vorkommt. Irgendwie ist mir ein solcher Fauxpas völlig egal, aber andererseits mutet es doch ärgerlich an, denn die Tatsache, dass das Personal die Angelegenheit immer mit einem speziellen Lächeln behandelt und dann vielleicht ein paar Scheiben Zwieback und eine Tomate bringt, zeigt doch, dass die Thematik noch längst nicht in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist. Ich verspreche mir deshalb, dieses Mal bei Air France einen Protest einzulegen und den Sachverhalt nicht auf sich beruhen zu lassen. Vegan-Power, das sollte schließlich auch für den Luftfahrtsriesen gelten, oder?
Der Flug vergeht ansonsten sehr angenehm. Wir sehen spannende Filme, in meinem rettet Tom Cruise wieder einmal in einer ‚Mission Impossible‘ die Welt, dann verkündet der Kapitän auch schon den Landeanflug auf Nouakchott.
Die Maschine, Gegenverkehr hat sie in diesem Teil der Welt ja kaum zu befürchten, fliegt sehr tief über die Region; ein unendlich weites Land tut sich unter uns auf, beherrscht von Sand, dem Fehlen einer Vegetation sowie der bis obenhin spürbaren Hitze.
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Anders als beim letzten Mal – eifrige Newsletter-LeserInnen erinnern sich vielleicht, damals wurde der Großteils unseres Gepäcks aufgrund der mitgebrachten Medikamente beschlagnahmt und erst am letzten Tag der Reise wieder freigegeben – verläuft die Kontrolle am Flughafen ziemlich emotionslos. Noch gilt es das Visum zu ordern, hierfür muss sich die Menschenmenge an einem eigenen Schalter anstellte; leider wörtlich ‚an einem‘. Gepaart mit der Geschwindigkeit, mit welcher die Beamten arbeiten – und zudem nimmt nur eine Person die Daten auf, verarbeitet sie, fotografiert den/die AnwärterIn und klebt das Visa-Bild in den Pass – ergibt sich eine schier endlos anmutende Wartezeit. Überraschenderweise stehen einige ÖsterreicherInnen in der langen Warteschlange – wir unterhalten uns, tatsächlich ist es eine reine TouristInnen-Gruppe, welche die nächsten Tage in der Wüste verbringen wird! Langsam scheint in Mauretanien doch so Einiges voranzugehen; auch eine US-Amerikanerin, 72 Jahre alt (!!!), stellt sich der zu erwarteten Tortur im westafrikanischen Entwicklungsland. Sie reist alleine, erfahren wir, tut dies schon ihr Leben lang, und sie wird auch den Irak, Mali, Tschad und andere Regionen besuchen, wo sich ansonsten selbst sehr viele junge Menschen – schon gar nicht alleine – überhaupt nur ganz selten hinwagen würden… einfach super!
Dr. Dieng, der Chef-Tierarzt des Projektes, holt uns ab! Welche Freude ihn wiederzusehen! Auch seine Frau ist dabei, und nachdem wir mit Müh und Not die vielen Gepäckstücke im viel zu kleinen Auto verladen haben, unterhalten wir uns auf der gut 30 Kilometer langen Rückfahrt in die Hauptstadt.
Manches scheint sich in der Metropole geändert zu haben; die Stadt wirkt einmal mehr modernen, auf jeden Fall sauberer. Fast überall gibt es Ansätze von Bürgersteigen (auch wenn diese immer nur für jeweils ein Haus angelegt und noch dazu mit einer Höhe von gut 30, 35 cm sehr schwer zu begehen sind, für behinderte Menschen oder RollstuhlfahrerInnen eine unüberwindbare Hürde darstellen), es findet sich wesentlich weniger Abfall und über praktisch jeder Kreuzung – selbstredend nur in der Innenstadt, da, woh auch der Präsident sein unfassbar luxuröses Quartier hat – thront eine Ampel – alles Dinge, die noch vor wenigen Jahren völlig unvorstellbar gewesen wären!
Dr. Facharani und ich sitzen noch lange im Motel zusammen; auf der gemütlichen Terrasse genießen wir kaltes Wasser und philosophieren bis Mitternacht; dann ist es aber Zeit – müde fallen wir in die Betten und wir sollen tatsächlich bis fast 9 Uhr durchschlafen!
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Nach einem schnellen Kaffee aus dem Heißsieder beginnen wir die mitgebrachten Waren zu sortieren; es ist jedes Mal wieder eine Überraschung, wenn man die geballte Menge der Güter geordnet auf dem Tisch vor sich sieht; wie viele Dinge man doch im Gepäck verstauen kann! Nebenbei, der Anblick ist dann auch eine Erinnerung daran, wie sehr man sich ‚abgeschleppt‘ hat, um die völlig überladenen Koffer irgendwie zum ‚Zielhafen‘ zu schleppen.
Zappa, einer unserer wertvollsten Mitarbeiter, holt uns ab. Er hat sich inzwischen ein Auto gekauft, welches in Zukunft wohl das RespekTiere-Einsatzfahrzeug in Nouakchott sein wird! Zappa ist ein Phänomen; er, den ‚unsere‘ Irmi, Salzburgs Hufschmied par excellence vor einigen Jahren bei einem derartigen Einsatz ausgebildet hat, ist de facto Mauretaniens einziger echter Hufschmied. Was der gute Mann zu leisten imstande ist, es spottet jeder Beschreibung. Inzwischen hat er auch sensationelle Fortschritte mit seinen Kenntnissen zur Tiermedizin im Generellen gemacht und so darf man mit gutem Gewissen behaupten, er ist – bis auf die fehlende Hochschulbildung vielleicht – heute ein nahezu perfekter Veterinär. Noch dazu ein solcher, der keine Herausforderungen scheut, der sich den wildesten Eseln stellt und nebenbei einer jener wenigen Menschen hier, die auch kaum Angst vor Hunden zeigt.
Wir fahren zu einer ersten Wasserstelle, wo auch schon Achmed, nun schon wieder gut eineinhalb Jahren im Team, auf uns wartet. Achmed übernimmt die Kontrollen, er fotografiert die Arbeit und ist in unserer Abwesenheit zusammen mit seiner Schwester Houda das Bindeglied zwischen RespekTiere und den Leuten vor Ort.
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Heute, im Tageslicht (bei rund 33 Grad und bewölktem Himmel), präsentiert sich Nouakchott schon wieder von einer anderen Seite; der Eindruck von gestern, die Stadt wäre sauberer, moderner geworden, passt so gar nicht in das was wir hier sehen. Gut, wir sind nun nicht mehr im Stadtteil der Botschaften, wo die Situation generell eine wesentlich bessere dem übrigen Umfeld gegenüber ist, aber dennoch – sofort wird dem/der BetrachterIn klar, hier gibt es noch so viel zu tun, dass wohl noch mehrere Dekaden nötig sein werden, um der Hauptstadt ein schöneres Gesicht zu geben.
Von Straßen kann man in der Gegend nicht wirklich sprechen, eher von Pisten, welche dann noch mit grubenartigen Schlaglöchern übersät sind, überall regiert der Müll, Menschen in Agonie und Lebensumständen, welche im Westen wohl unvorstellbar sind. Kinder spielen mit Metallteilen auf der Straße, die Kleidung ist zerfetzt und mit einer dicken Schicht Staub bedeckt; was aber besonders auffällt: sie sind dennoch lebenslustig, voller Energie und – ein Lächeln ist ständig auf ihren Lippen, ganz so, als ob dieser Albtraum aus Zerfall und Endzeitatmosphäre der normalste Zustand der Welt wäre. Ja, für sie ist er es auch, keine Frage!
Viele Esel kommen trotz des Wochenendes zur Wasserstelle; klar auch, denn natürlich wollen die Haushalte – zum allergrößten Teil ohne fließendes Wasser – auch am Samstag und Sonntag mit der lebenserhaltenden Flüssigkeit versorgt werden. Es ist eine einzige Misere; viele der Tiere leiden an Verstauchungen, Verletzungen, blutige Stellen von unpassendem Zaumzeug breiten sich auf den geschundenen Körpern aus; zwei oder drei sind von Autos angefahren worden, sind deshalb sozusagen im Krankenstand; aber lange wird ein solcher nicht geduldet, denn die Arbeitskraft der Tiere bedeutet für ihre Halter nicht mehr und nicht weniger als pures Überleben. Besonders störrisch gebärden sich mehrere, ob es an der Hitze gepaart mit der flirrenden Luft liegt, am extremen Wetterhochdruck, oder einfach nur ein Ausdruck ihrer eigenen Hoffnungslosigkeit ist, wer mag es beurteilen.
Fotos: Impressionen
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Kinderarbeit ist ein weit verbreitetes Problem…
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Fotos: erbarmungsloser Tiermarkt; rechts: kann das Tuk-Tuk den Esel als ‚Arbeitstier‘ abwechseln?
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Foto unten: der Verkehr explodiert…
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…und solche Fahrzeuge machen ihn besonders gefährlich! Es gibt tatsächlich kaum ein Auto, welches bei uns nicht als Wrack bezeichnet werden würde.
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Fotos: leider absolut keine Seltenheit – Hufe wie diese; ein Fall für den ‚Magier‘, Zappa!
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Fotos: auch Katzen gibt es überall; das Straßentierproblem ist ein unübersehbares!
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Jedenfalls verabreichen wir eine beachtliche Menge an Entwurmungsmitteln, Spritzen gegen Schmerzen, gegen Räude und als Vitaminschub werden gegeben. Irgendwie sinnbildlich, der überbordende Verkehr auf der Hauptstraße beinhaltet auch viele Tuk-tuks, jene aus Indien so bekannte Kleinlastwägen auf drei Rädern, wesentlich mehr noch als im letzten Jahr. Sie werden sich erinnern, wir haben zuletzt darüber gesprochen, die mauretanische Regierung folgt dem Plan, die Misere der Esel eines Tages zu beenden, deren Muskelkraft durch die motorgetriebene Energie der Fahrzeuge zu ersetzen. Nicht aus Tierschutzgründen, vielmehr schadet die unübersehbare Triste, die vielen verletzten, ausgebeuteten Tieren, über kurz oder lang dem Ansehen des Staates. Ein solcher Grund ist treffender, den Behörden wichtiger, als es das Leid der Esel je sein wird. Seis wie es sein, vielleicht mag dieses Vorhaben wirklich gelingen, nicht heute, nicht morgen, aber in fünf, zehn Jahren könnte diese alte Welt aus Kummer und Schmerz in der Tat der Vergangenheit angehören (Arbeit, die wird es dann aber leider auch noch immer mehr als genug für uns geben; zum einen werden die Esel sicher niemals völlig verdrängt, zum anderen genügt ein Blick auf die aberhunderten Straßenhunde ringsum, welcher jeden Anflug eines Traumes schnell und unsanft zum Platzen bringt).
Ein weiteres Zeichen des Mutes: immer mehr Eselhalter können beobachtet werden, wie sie ihren Schützlingen Wasser reichen, sie vom schweren Zaumzeug befreien, und sein es nur für eine halbe Stunde, ja und selbst Körner oder Heu sind plötzlich als keine wirkliche Seltenheit mehr in den Futtersäcken zu finden. Karton ist zwar noch immer die dominierende Nahrung, aber langsam scheint man die Bedürfnisse der Tiere, wenn auch ansatzweise, dann doch zu verstehen…
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Foto unten: dieser Esel ist in besonders guter Verfassung – dafür gibt es für den Halter eine Sonnebrille!
Endlich sind wir wieder zurück im Motel; ein unfassbar anstrengender Tag nähert sich langsam seinem Ende! Nach einer Tasse heißem Kaffee beginnen wir erst einmal die Güter zu sortieren; jeder unserer Mitarbeiter wird einen Sack voll Geschenke – alle natürlich für die künftige Arbeit – erhalten, dazu gibt es Dutzende Sonnenbrillen, Warnwesten, Baseball-Kappen und dergleichen, welche wir wieder an jene Eselhalter verteilen werden, deren Tiere in besserem Zustand sind als die der anderen. Solche kleinen Anerkennungen wirken oft Wunder.
Am frühen Abend kommt noch Houda vorbei; sie, die Schwester unseres Kontrolleurs, ist ebenfalls längst Teil des Teams geworden. Und weil sie perfekt Englisch spricht – eine Seltenheit in einem arabischen Land, welches lange unter französischer Herrschaft stand – noch dazu ein unersetzlicher. Sie bringt uns wie im letzten Jahr einen Kochtopf, Teller und zwei Tassen, womit unser Hausstand für die kommende Woche ein ausreichender ist! 🙂
Dann besprechen wir einige Thematiken, veranschlagen eine große Teamsitzung für den kommenden Montag!
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Fotos: Team Nouakchott – oben: Zappa; Reihe zwei: Moussa, Dr. Dieng; Reihe 3: Dr. Facharani, Mohamed!
Am Abend bestätigen sich meine Befürchtungen – ich fühle mich äußerst unwohl, schlapp und niedergeschlagen. Leichtes Fieber führt dazu, dass ich erstmals w/o gebe, als Achmed anfragt, ob wir denn nicht mit ihm und Lenni, den wir schon im letzten Jahr kennenlernen durften, ausgehen würden; so kommt nur Dr. Fachrani mit den beiden mit, sie werden 2 nette Stunden in einem kleinen Lokal mit Livemusik erleben.
Am Sonntag wache ich spät auf; mein Zustand hat sich leicht gebessert, von ‚gut‘ bin ich aber leider weit entfernt. Es nützt nichts, wir sind mit Zappa und Mohammed, dem 2. Mann im kleinen Teil-Team, verabredet. Zappa holt uns um 9 ab, irgendwo am Weg lassen wir Mohamed ins Fahrzeug zusteigen. Auch Achmed ist mit dabei, und so finden wir uns bald wieder auf einer neuen Wasserstelle; einem Ort übrigens, welchen wir im letzten Jahr als neuen Arbeitsplatz ausgesucht hatten. Gut wurde gewählt, denn trotz des heutigen Sonntags beherrscht ein enormer Andrang von Eseln und ihren Haltern die Szenerie. Jeden Tag ist das so, weil die Stelle an einem Schnittpunkt mehrerer Quellen liegt und so immer bestens frequentiert ist, erklärt Zappa. Das Arbeiten ist schließlich ein wirklich mühevolles, geschuldete ein bisschen wahrscheinlich auch der Krankheit, mehr noch aber der Hitze und der Enge des Platzes. Neben den Eseln und den Karrenlenkern bevölkern auch viele, viele Kinder die Stelle, für welche wir – Dr. Facharani und ich – natürlich eine echte Attraktion mit unserem fremdländischen Aussehen darstellen.  Jedenfalls, bald sind wir mitten in einem Gedränge aus Mensch und Tier gleichermaßen, und die Hitze (wieder zeigt das Thermometer rund 35 Grad) tut ihr übriges, um die Situation als sehr stressbehaftet zu empfinden. Zwischen den Beinen und den Eselhufen versuchen dutzende Hunde ein halbwegs friedvolles Auskommen mit der Versammlung zu erlangen, wahrscheinlich in der Hoffnung, den einen oder anderen Bissen Essen abzubekommen. Immer wieder bringen Mädchen und Jungs dann auch noch Hundewelpen, woher, wir wissen es nicht. Natürlich werden diese von uns auch gleich untersucht und zumindest entwurmt; selbst ein krankes Ziegenkitz wird herbeigeschleppt.
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Fotos: Hufe schneiden, Wurmkuren, Ziegen impfen, Warndreiecke an den unbeleuchteten Karren anbringen, Hunde behandeln, Abszesse entfernen – all inclusive an den Wasserstellen!
Die Esel selbst zeigen sich ein bisschen ruhiger als jene von gestern, obwohl selbstredend immer wieder der eine oder andere gegen die gutgemeinte Behandlung protestiert. Sobald ein Karrenlenker aber seine Hand erhebt, wird er von uns oder Mohamed/Zappa darauf hingewiesen, Gewalt gegen das Tier auf der Stelle zu unterlassen. Ganz sicher, der Umgang mit den Tieren hat sich im Allgemeinen – wir können diese Einschätzung mittlerweile mit gutem Gewissen tätigen, sind wir doch seit nunmehr 13 Jahren in Mauretanien tätig – sehr verbessert; was aber leider nicht heißt, Schläge wären deswegen von der Tagesordnung gestrichen. Besonders, so erscheint es, die Hunde können ein Lied von dieser Feststellung singen, und so sind sie allermeist aus gutem Grunde besonders scheu und zurückhaltend.
Hundert Menschen möchten nun gleichzeitig Hilfe für ihre Schützlinge, wir mittendrinnen im Gezerre und Geschreie. Sie werden es vielleicht verstehen, aber nach einiger Zeit regt selbst dem gutmütigsten Menschen das andauernde ‚Ssst‘ auf, welches von den Karrenlenkern ungeachtet der Umstände verwendet wird, um die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Selbst wenn man gerade in schwieriger Arbeit vertieft ist, wird man ständig angetippt, um mit den jeweiligen Eselhaltern mitzukommen, um sich doch bitte zuerst um deren Tiere zu kümmern. Andererseits, man muss es ja verstehen; niemand kann alle Esel versorgen, und bekommt ein Verletzter heute keine Medikamente, wer weiß wie lange es dauern wird, bis sich erneut eine solche Gelegenheit ergibt! Deshalb heißt es Geduld zu bewahren, zu versuchen, möglichst schnell zu arbeiten und allen Wünschen nachzukommen.  Nicht nur auf die Behandlung selbst legen wir heute einen Schwerpunkt; auch auf die Karrensicherheit müssen wir denken. Die schweren Fuhrwerke sind ohne jede Lichtquelle, und so ereignen sich besonders des Nachts ständig schwerste Unfälle. Egal wie ein solcher abläuft, immer ist der Eselkarrenlenker Schuld, und immer bezahlt selbstredend in allererster Linie der Esel die Rechnung – oft genug mit seinem Leben! Genauso oft aber wird er auch ‚nur‘ verletzt, und ist diese Verletzung dann eine schlimmere, ist das wohl ein noch furchtbareres Los als der Tod…. Egal ob Mensch oder Tier, diese Welt verzeiht keinen körperlichen Nachteil; InvalidInnen wird weder von Vater Staat geholfen, noch erfahren sie irgendwelche andere Unterstützung. Im Gegenteil, erinnern Sie sich doch nur an die Bürgersteige. So gebaut, dass gesunde Menschen oder Tiere, sind sie zu Fuß unterwegs, bald an ihre Grenzen stoßen mit dem dauernden Auf- und Absteigen der viel zu hohen Betonkanten, stellen sie für behinderte Menschen ein wirklich unüberwindliches Hindernis dar.
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Foto: der ausgebildete Tropentierarzt, nebenbei flüssig arabisch sprechend, Dr. Facharani beim Anbringen eines Warn-Rückstrahlers!
Kinder kommen mit einem Karren, auf welchem 2 Wasserfässer montiert sind; selbst dass Kinder einen solchen lenken, muss in Mauretanien geradezu als ‚normal‘ angesehen werden, passiert dies doch tausendfach; aber dass hinter den Fässern noch ein Eselkind mit Stricken gefesselt auf der viel zu engen Ladefläche festgezurrt ist, macht den Anblick dann endgültig unerträglich.
Das Eselkind ist schrecklich abgemagert; zudem ist das Fell struppig und stumpf, was zum krankhaften Gesamteindruck das Übrige beiträgt. Es hat, so stellt sich schnell heraus, ein schweres Problem mit dem Darmausgang; dort stülpt sich eine blutige Wucherung heraus, ein bestimmt wahnsinnig schmerzhaftes Geschwulst mit den Ausmaßen einer kleinen Faust bahnt sich den Weg ins Freie.
Mohammed und Dr. Facharani nehmen sich der Sache an; eine kleine OP folgt, Antibiotika werden verabreicht, nun sollte es dem Kleinen bessergehen.
Oh mein Gott, wie viele Tiere in diesem Land so schrecklich leiden müssen, ohne jede Aussicht auf Hilfe, dies ist ein zermürbender Gedanke. Wer aber jetzt denkt, was machen die Menschen dort im fernen Afrika mit den armen Tieren, diese Tierquäler aber auch, der/die sollte sich daran erinnern, welche unfassbare Tragödien sich tagtäglich auch ‚bei uns‘ abspielen, dann halt vielleicht mehr im Versteckten, in den Ställen der Massentierhaltung beispielsweise oder hinter den Mauern der Häuser bei der Haustierhaltung – und dass, obwohl uns keine wirtschaftliche Notwendigkeit mit eisernen Fingern zu Boden drückt. Tatsächlich, ich bin viel unterwegs und habe viele Menschen kennengelernt, aber dass dies je zur Erkenntnis geführt hätte, bestimmte Abstammungen oder gar Hautfarben würden Tiere prinzipiell schlechter behandeln als andere, kann ich beileibe nicht behaupten. Bezieht man in einer solchen Rechnung auch noch verschiedene Faktoren wie zum Beispiel den Entwicklungsstand, Hunger, die Zukunftsperspektive oder dergleichen mit ein, dann ist der Unterschied denkbar gering – Fazit: der Mensch allgemein, egal welcher ethischen Zugehörigkeit, welcher Religion verhaftet oder welcher Hautfarbe auch immer, aus der Sicht der Tierwelt gesehen, ist er hinter der öfters freundlichen Fassade zumeist nur ein bloßes Monster…
Aber gerade aus diesem Blickwinkel schöpft man die Kraft immer weiter zu machen; irgendwer, irgendjemand muss den Mitgeschöpfen doch auch zeigen, wir sind zu anderem fähig als zu quälen, Angst und Schrecken zu verbreiten, zu töten. Irgendjemand, Irgendwer – warum sollten das nicht wir alle sein???
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Am späteren Nachmittag sitzen wir noch mit Zappa und Mohammed zusammen und beraten über die Zukunft des Projektes. Mit diesen motivierten Mitarbeitern können wir wohlgemut nach vorne blicken, so viel steht fest!
Am Abend steht noch ein weiteres vielleicht künftig wichtiges Gespräch an; wir haben Omar eingeladen, einen 24-jährigen jungen Mann, der soeben sein Biologie-Studium abgeschlossen hat. Kennengelernt haben wir ihn im letzten Jahr, als er auf einer Wasserstelle auftauchte und uns mit seinen Fremdsprachenkenntnissen verblüffte. Er spricht neben Arabisch und Hassania auch Französisch, Englisch und Deutsch. Deutsch hat er sich selbst am Computer beigebracht, ohne jede Hilfe von außen. Vielleicht ist er ein Mann, der uns bei Bedarf im Projekt sehr weiterhelfen könnte.
 
In der Nacht kommt ein ‚kühler‘ Wind auf, die Temperatur liegt dennoch um die 22 Grad; für die Menschen hier bedeutet das schon Winter, und es ist immer wieder seltsam anzusehen, wenn manche sich bereits in dicke Jacken kleiden.
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Foto: die drückende Hitze und die pure Armut beherrschen das Straßenbild Nouakchotts…
Montags, wenig überraschend, zeigt sich der Himmel wolkenfrei. Heute, am Wochenbeginn, präsentiert Nouakchott ihr wahres Gesicht! Der Verkehr explodiert, auf den wenigen asphaltierten Straßen reiht sich ein Autowrack an das andere; Wrack deswegen, weil der Großteil der Fahrzeuge in einem Zustand ist, der ihnen im Westen nicht einmal mehr beim Alteisenhändler einen Hafen bieten würde. Unfassbar, mit welchen Autos man hier unterwegs ist; zerbeult, vom Rost zusammengehalten, ohne Lichter, dafür mit gebrochenen Windschutzscheiben. Oft fehlen Türen, Kofferraumdeckel sowieso…
Unser Fahrer nutzt ob des Chaos versteckte kleine Wege durch die Häusermeere; diese gehen aber meist nicht einmal als Sandpisten durch, so spektakulär gestalten sie sich. Von tiefen Löchern übersät, immer wieder ragt plötzlich irgendein Eisenteil weit in die ‚Straße‘ hinein, manchmal versinkt der kleine Renault Kangoo fast bis zur Bodenplatte im Sand. Der Chauffeur meistert die Herausforderung großartig, könnte mit dieser Leistung wohl an hochdotierten Rallys teilnehmen, denken wir im stillen Staunen gefangen.

Wir fahren mit offener Seitentür, und es ist fast ein Kunststück, dass niemand aus dem Wagen fällt. Aber die zu schließen, das wäre bei der herrschenden Hitze ein unerträgliches Unterfangen. Unser Ziel ist die Wasserstelle im Stadtteil Premiere, welche immer besonders stark frequentiert ist – heute zu unserer Überraschung aber leider nicht, weil die daran vorbeiführende Hauptstraße neu gemacht wird. Wegen den Bauarbeiten sind viele Wege geschlossen, so erreichen auch nur wenige Eselkarren den Ort. Trotzdem beginnen wir zu behandeln, Wurmkuren werden gemacht, Vitamine und schmerzstillende Mittel verabreicht; auch eine Menge an Rückstrahlern können wir montieren.
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Fotos: die Rückstrahler sind unfassbar wichtig – sie retten Leben! Unten: Zappa erklärt einer Kinderschar seine immer großartige Arbeit!
Später bringen uns Zappa und Mohammed zur Wasserstelle, welche vom 2. Team an den Montagen betreut wird. Diese nennt sich ‚Netark‘, der Veterinär und sein Helfer, Moussa, erwarten uns bereits; aber auch dort ist der Andrang kein besonders großer und so fahren wir zu einem Patienten, wo der Eselhalter heute Morgen das Team gerufen hatte. Es geht durch einen Stadtteil wie er ärmer und zernagter nicht sein könnte; praktisch alle Häuser kaputt, an vielen Stellen holt sich das Meer Terrain zurück – vielleicht erinnern Sie sich, es gibt Prognosen, nach welchen Nouakchott auf Sand gebaut, bis 2030 wieder von den natürlichen Gegebenheiten vertilgt sein wird; da die Wasserversorgung eine extrem schwierige ist, hat man den labilen Boden auf der Suche nach Grundwasser tief untergraben. Jetzt drückt das Meer herein, füllt die Lücken und drängt nach oben. Wo es schließlich die Oberfläche erreicht, ist menschliches Leben nicht mehr möglich. Salzwassertümpel entstehen, manche in der Fläche kleiner Seen, von Abfall überlagert, das Wasser eine stinkende, lebensfeindliche Brühe. Die Natur rächt ihre Vergewaltigung, ob wir es hören wollen oder nicht…
In einem zerfallenen Hinterhof wartet der Eselhalter auf uns; der Ort ist ein Stellplatz für Esel, ebenfalls von Schmutz übersät, ein trister Platz ohne Hoffnung. Wie zum Trotz sind die Mauern auf der Zugangsseite von den Elementen aufgefressen worden, einzig übrig blieb die schwere Eisentür. Sie stemmt sich wie ein mutiger Krieger gegen Wind und Sonnenkraft, aber wie sie es auch immer anstellt standhaft zu bleiben, es ist nur eine Frage der Zeit, bis auch sie dem Unvermeidlichen unterliegt. Fast ironisch mutet es an, dass die Tür, alleinstehend wie ein Monument gegen den Wind, dennoch mit einem dicken Schloss zugesperrt ist.
Dem Esel geht es wahrlich nicht gut; Dr. Dieng und Moussa erkennen auch sofort den Grund: er wurde wohl hart geschlagen, lange, sodass sich ein dicker Abszess im hinteren Bereich des ausgemergelten Körpers gebildet hat. Sie stellen den Halter zur Rede, ermahnen ihn, besser mit dem armen Tier umzugehen, denn ansonsten würde dieses keine längerfristige Lebenserwartung mehr haben.

Es ist wirklich unglaublich, was die Armen erdulden, ertragen müssen; und was Veterinäre zu leisten haben, ohne modernes Equipment, ohne OP-Tisch und dergleichen. Feldoperationen tun im Herzen weh, aber sie sind so notwendig wie das Amen im Gebet. Wohin sollte man die PatientInnen bringen, es gibt keine Orte für sie. Und selbst wenn, wer könnte dies bezahlen? Also öffnen die Mitarbeiter die riesige Schwellung oben und unten, führen dann eine Drainage durch die Wunde. Das Blut fließt in Strömen, spritzt zuerst in einer Fontäne, langsam wird die am Hinterfuß hinterlassene Spur aber zum Rinnsal. Der Esel wehrt sich, natürlich tut das trotz der Schmerzmittel furchtbar weh, aber es gibt leider keine andere Alternative zu solch rustikalen Behandlungsmethoden. Greift man nicht ein, der Esel würden binnen kürzester Zeit seinen Verletzungen erliegen.
Eine gute halbe Stunde dauert die OP, alleine das Festhalten des Patientens bringt uns an den Rand der körperlichen Belastbarkeit. Letztendlich fehlt noch eine Antibiotika-Spritze, dann können wir den Esel aus der Umklammerung entlassen. Selbstredend, die Behandlung wird sich noch über einige weitere Tage hinziehen, Dr. Dieng wird immer wieder vorbeikommen, um nach ihm zu sehen.
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Inzwischen sind auch andere Eselkarrenlenker angekommen. Wieder werden Rückstrahler an den klapprigen Fahrzeugen angebracht, Spritzen gesetzt, Wurmmittel verabreicht. Dem Himmel sei Dank sind die meisten der Tiere in einem guten Zustand, und so verteilen wir auch einiges an Sonnenbrillen und Kappen!

Nun hat der Einsatz eine große Aufmerksamkeit erregt; überall im Kreis herum sitzen Kinder, ihre Mütter beobachten angespannt und mit fragendem Blick die Prozedur. Wie die Menschen da auf den Steinhaufen zerfallener Häuser sitzen, von Ruinen umgeben, ringsum Ziegen und Schafe blökend und mähend durch die Straßen ziehen, vorbei an ausgebrannten Autoleichen, die unfassbare Menge an Abfall ringsum, die zerrütteten Verkehrswege, all das erinnert sehr stark an die Bilder, welcher wir aus von Bürgerkriegen ruinierten Ländern kennen. Und hier herrscht ebenfalls Krieg – es ist ein Krieg gegen die Armut, und nicht zu vergessen, auch einer gegen die Tierqual. Denn Bedürftigkeit, wir haben es oft genug betont, darf niemals als Rechtfertigung für Tierquälerei dienen.
Die erbarmungslose Sonne, heute erreichte das Thermometer 38 Grad, hat uns wieder schwer zugesetzt; so sind wir froh, am fortgeschrittenen Nachmittag unser Motel zu erreichen. Kurz geduscht, dann bereiten wir aber auch schon wieder die anstehende Team-Sitzung vor. Und die soll dann lange dauern, mehrere Stunden, wo die versammelte Mannschaft ihre Probleme und Wünsche vorbringt, wo wir über die neue RespekTiere-NGO Mauretanien und über allerlei andere Thematiken sprechen. So zum Beispiel soll auch die Hundehilfe in Zukunft stark ausgebaut werden.
Die Dämmerung bricht bereits über das Land, als wir die Konferenz beenden. Erfolgreich war sie, und ich denke, die Gespräche haben dazu beigetragen, uns als Einheit noch mehr zusammenzuschweißen!

Der Abend gehört heute ganz der Computerarbeit. Viel Unaufgearbeitetes ist übriggeblieben.
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Der Dienstag startet gleich mit voller Power. Wir sind heute am Hühnermarkt, ein Ort, der viel weniger in die arabische Welt denn nach Schwarzafrika passt. Ein unglaubliches Gedränge herrscht vor, aberhunderte Marktstände reihen sich eng aneinander; alles gibt es hier zum Erstehen, vom Kochgeschirr bis zu den Autoteilen. Und natürlich auch, wie der Name schon sagt, Hühner. Ausgestellt in Käfigen, müssen sie das Chaos um sie herum irgendwie ertragen; dabei ist diese bestimmt extrem angsteinflößende Situation ja noch bei weitem nicht das Schlimmste, was der Tag zu bieten hat. Wird ein Huhn gekauft, zerrt es der Besitzer aus dem Käfig, an den Hinterbeinen gepackt und verschnürt wird das arme Tier dem/der KäuferIn übergeben. Einige ziehen aber bereits geschlachtete Tiere vor, dann vollzieht der Verkäufer das Todesurteil gleich vor Ort. Manche der hilflos Gefangenen sind auch Legehennen, dennoch, der Großteil von ihnen fällt wahrscheinlich noch heute der unersättlichen Fleischgier der Menschheit zum Opfer. 

Nicht nur Hühner gibt es zu kaufen, in einigen der Käfige stecken auch Kaninchen, welche mehr tot als lebendig scheinen. Der Möglichkeit des Versteckens beraubt, drücken sie sich angsterfüllt am schmutzigen Holz- oder Gitterboden fest, jeden Moment mit dem Schrecklichsten rechnend. Todesangst pur, selbst beim bloßen Vorbeigehen spürt man die Verzweiflung der Eingesperrten.
Anderswo sind Schafe oder Ziegen mit dicken Stricken gefesselt, fotografieren darf man sie fast nie. Die meisten der Verkäufer lassen keinen Zweifel aufkommen, tut man es doch, gibt es ernste Schwierigkeiten.

An der Straßenkante, dort wo der schmutzige Verkehrsweg, viel mehr die völlig zerfahrene Piste, direkt an den Ständen vorbeigeht und die ganze unwirtliche Szenerie zusätzlich in giftige Abgaswolken taucht, sitzen die Frauen mit vor sich ausgebreiteten Fischen; hunderte, tausende Leiber glitzern in der gleißenden Sonne, starren mit toten Augen in eine Welt, die keinen Respekt vor ihnen zeigt. Sogar Schildkröten finden sich eingesperrt in Gitterverliesen, manche richtig große. Was deren Schicksal wohl ist? Wir wissen es nicht. Jedenfalls gab es früher viele der Reptilien im Land, riesige, einmalig auf dem ganzen Planeten, aber heute sind nur mehr eine Handvoll davon übriggeblieben. Vielleicht sitzen sogar die letzten ihrer Art in diesen Käfigen, der Freiheit beraubt, der Hoffnung sowieso.
 
So eint fast alle diese Tiere an jenem verdammten Ort das selbe Schicksal: sie sind nicht mehr als ein lebender Nahrungmittelvorrat für uns Menschen, und diese Feststellung gereicht uns allen zur Schande. Sind sie nicht Individuen wie wir? Halten sie nicht am Leben fest, selbst wenn dies eine tägliche Hölle für sie bedeutet? Möchten sie sich nicht am Dasein erfreuen, genau wie wir es wollen?

Die Arbeit hier ist ebenfalls eine extrem fordernde; der Platz ist eng, immer wieder wollen Autofahrer durch, stoßen dabei an den Wägen der Esel, diese geraten in Panik, steigen in die Luft. Aufpassen muss man, gar keine Frage, derart passiert ganz schnell ein Unfall. Wo dann die medizinische Versorgung praktisch nicht gewährleistet, sowie die Gefahr einer Infizierung der jeweiligen Wunde eine allerhöchste ist…
Die Esel sind aber durchwegs in gutem Zustand, selbstredend immer an den Umständen gerechnet. Manche davon sind sogar fast wundfrei, was wir mit Handschlag quittieren und mit einer Kappe oder Sonnenbrille belohnen.
Wieder brennt der Feuerplanet mit all ihrer Kraft, der Staub in der Luft macht das Atmen schwer. Welche Aufgabe es ist, jeden Tag diese Arbeit zu machen, wir können es ansatzweise erahnen. Ja, selbst wir, im Wissen, schon nächste Woche werden wieder in geordneten Verhältnissen unseren Schlaf zu finden, Inshalla, sehnen das Arbeitsende herbei, die Füße schwer, die Augen müde. Noch schlimmer aber muss es dem Team gehen, welches jahrein- jahraus diese furchtbaren Zustände bezeugen muss. Denn viel umfassender als die körperlichen Symptome sind die seelischen; all diese Tiere, welch furchtbares Los haben sie gezogen. Manche Bilder prägen sich ein im Innersten, und man hat tunlichst zu kämpfen, sie unter der Oberfläche zu behalten und nicht hochkommen zu lassen. Ich verstehe die Depressionen, welche manche Menschen befallen, angesichts diesen Wahnsinns sogar voll und ganz. Nur, Mitleid oder gar Selbstmitleid, es hilft den Tieren nicht. Keine Sekunde. Sie haben so wenige FürsprecherInnen, jene, die da sind, sie dürfen deshalb trotz aller Rückschläge und aller furchtbaren Begebenheiten nie, nie, nie aufgeben, sich nie und nimmer zurückziehen.
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Gegen Mittag fahren wir zum anderen Team; der Weg ist ein weiter, durch eine verworrene Welt der Armut. Vorbei an kaputten Häusern, an abfallübersäten Plätzen, die Menschen haben trotzdem ein Lächeln auf den Lippen. Jetzt ist rechts von uns der Tiermarkt, aberhunderte, abertausende Schafe und Ziegen, dazwischen Herden von Zeburindern, werden zum Verkauf angeboten. Es herrscht ein Gezerre und Gedränge, Tiere werden an den Hinterbeinen zu Autos geschleift, andere liegen erstarrt und emotionslos am Boden, die Beine gefesselt. Ringsherum haben sich die Fleischstände ausgebreitet, wer aber die blutigen Teile essen mag, wir werden es nie verstehen. Jeder Quadratzentimeter von Fliegen bedeckt, bedarf es wohl stundenlangen Kochens, bis die Keime und Bakterien abgetötet, das Fleisch einigermaßen genießbar ist.

Dr. Dieng und Moussa arbeiten am anderen Ende der Stadt. Ihr Arbeitsplatz für den Dienstag ist weit draußen in der Peripherie, an den Außenecken Nouakchotts gelegen. Die armseligen Hütten der Menschen stehen tief im Sand, ein leichter Wind – wir sind hier unweit der Atlantikküste – tut sein zusätzliches, um alles Leben mit einer Schicht gelblichen Etwas zu überdecken. Viele Esel gibt es an jenem Ort, und noch mehr Leute. Ganze Kinderscharen stürmen auf uns ein, alle wolle die komischen Fremdlinge sehen. Arbeit ist mehr als genug vorhanden, und sehr schnell, nach nur kurzer Begrüßung, sind wir schon mittendrinnen im Schlamassel. Aber die gute Nachricht: auch an dieser Wasserstelle gibt es kaum wirklich schwere Wunden, die meisten sind durch Druck oder Abrieb des immer schlechten Geschirres entstanden. Ja, unsere Anti-Schlagkampagne hat viel verändert, das steht wohl eindeutig fest! 
 
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Auffällig ist, auch hier bringen Viele, vor allem Kinder, ihre Hunde herbei; oft unter herzzerreißenden Umständen zwar, Ketten oder irgendwelche Kabel um die Hälse geschnürt, werden sie hinterher gezerrt. Andererseits aber, noch vor kurzem waren Hunde überhaupt kein Thema, niemand hat sich um sie gekümmert. Dass wir jetzt so viele zu behandeln haben, bedeutet uns schon so einiges. Es ist wie ein Wunder beinahe, weiß man über die Stellung dieser so wunderbaren Tiere in islamischen Ländern, dass der Bezug zu ihnen augenfällig stetig zunimmt. Unfassbar schön!
Unfassbar schrecklich ist aber dann folgendes Beispiel, welches die Träume doch wieder ins rechte Licht zu rücken vermag; eine Frau bringt einen Welpen. Der, angekettet, kaut an einem toten Vogel, will ihn unter gar keinen Umständen loslassen (weiß er doch bestimmt, so schnell wird es nichts Essbares mehr geben). Wir entwurmen den Kleinen dennoch, er kriegt auch eine Injektion und wird mit Anti-Parasitenmitteln behandelt. Dann zieht ihn die Halterin zurück zu ihrem Haus, eine Kinderschar folgt, und ohne Unterlass bricht immer wieder der eine oder andere Winzling aus der Reihe, nur um das arme Hundekind zu schlagen. Selbst eine erwachsene Frau beteiligt sich an der Hetze, tritt nach dem Welpen, einfach so. Die Besitzerin reagiert nicht im mindestens auf die Menge, nur wir unterbrechen das Schauspiel. Beinahe beschämt blicken die Kinder nun zu Boden, und zurück bleibt die vage Hoffnung, sie haben für die Zukunft gelernt.
Ein alter Hund wird herbeigeschleppt; er hat ein riesiges Geschwulst am Hals; Dr. Dieng penetriert die Schwellung mit einer Nadel, weil der Arme aber sehr unruhig ist, wird er schließlich narkotisiert. Die Flüssigkeit ist schnell abgepumpt, Antibiotika werden verabreicht und ein Tuch im Schatten wird ausgebreitet. Darauf kann er sich hoffentlich schnell vom kleinen Eingriff erholen!
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Bestimmt um die hundert Esel und gut und gerne 10 Hunde behandeln wir an diesem Tag. Es müssten tausende sein, wenn man für die vergessenen Tieren Afrikas wirklich einen Unterschied machen wollte, aber dennoch ist der Einsatz viel mehr als nur der berühmte Tropfen auf den heißen Stein. Alleine die Präsenz eines Teams, welches offenen Herzens auf die Tiere zugeht, diesen den Schmerz bestmöglich nimmt, sie aufrichtet und ihnen sogar Streicheleinheiten zukommen lässt, wird einen ungeahnten Effekt nach sich ziehen. All die ZeugInnen des Tages, sie werden darüber sprechen und ganz sicher gibt es einige unter ihnen, und selbst wenn es nur drei oder vier sein sollten, welche später dem Beispiel folgen können. Was wir uns soooo sehr wünschen würden, denn ist die Saat erst einmal gesät, dann wird die Ernte nicht mehr weit sein…
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Mittwoch ist ein besonders harter Tag für unsere beiden Teams. Das eine betreut den Fisch-, das andere den Eselmarkt – zwei herzzerreißende Plätze, wo jede Hilfe händeringend gebraucht wird, welche aber eine große Herausforderung an die Psyche darstellen.
Zappa holt uns frühmorgens, wir fahren zum Strand, wo viele, viele Esel zu arbeiten haben. Hauptsächlich transportieren sie dort Fisch, aber auch Motorteile für Boote, Sprit und dergleichen. Die Esel am Strand sehen größtenteils besser aus als jene in der Stadt, ihre Arbeitszeiten beschränken sich doch auf gelegentliche Einsätze, nicht wie in der Metropole selbst, wo sie von früh morgens bis spät nachts ihre Last zu ziehen haben. Dennoch gibt es natürlich auch hier Probleme; diese sind dann meist ganz spezifische, zum Beispiel präsentieren sich die Hufe ob des feuchten Unterbodens meist in schlechtem Zustand, überhaupt sind die Gelenke im tiefen Sand überstrapaziert. Auch Augenerkrankungen finden sich häufiger, geschuldet der Seebrise, die den Sand aufwühlt.
Heute allerdings sind wenige Esel bei der Arbeit; Grund ist ein nunmehr vier Tage andauernder Streik der Fischer, welche sich einem unvergleichlichen Konkurrenzkampf mit den großen Flotten aus dem Ausland – vor allem China und Japan – stellen müssen. Aber auch hier mischt die EU mit, schickt die unausgelasteten Kähne europäischer Fischer vor die Küste und trägt so zum Missstand bei. Die kleinen Boote der Einheimischen können den Weg weiter raus auf das Meer nicht wagen, zu groß wäre die Gefahr einer Konfrontation mit den riesigen Schiffen; näher zum Strand aber sind die Bestände bereits stark eingeschränkt und obwohl die Küste Mauretaniens ursprünglich zu den fischreichsten Gebieten des Planeten gehörte, bleiben einheimische Fischer immer öfters mit leeren Kähnen zurück. Eine Spirale, wie wir sie überall in der Welt mitverfolgen können. Die Macht der Konzerne ist groß, in Wahrheit bestimmen heute sie und nicht die Regierungen bereits zum großen Teil den Lauf der Dinge.
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Foto: das Team am Weg zum Strandarbeitsplatz…
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Unfassbar viele Hunde tummeln sich am Strand; wohl vor allem, weil hier immer etwas abfällt für hungrige Mägen, welche im Prinzip von allem was sie irgendwie bekommen können leben müssen. Schlecht werden sie behandelt, gar keine Frage, sie sind allesamt noch wesentlich scheuer als ihre LeidensgenossInnen in der Stadt selbst. Aber auch wohlgenährter, ein Umstand, der das Risiko vielleicht wett macht?!
Wir behandeln trotz der eigentlichen Flaute eine ganze Menge Tiere; allesamt zeigen sich die PatientInnen recht störrisch, ängstlich gegenüber den Menschen. Dass wir ihnen nur helfen möchten, wissen sie natürlich nicht.
Bald brechen wir die Zelte ab; zurück geht es in Richtung Eselmarkt, jenem oft zitierten Ort, der den ganzen Wahnsinn der Gesellschaft auf wenigen Hektar Fläche nacherzählt. Der Weg zurück führt durch eine Gegend, wie sie schlimmer nicht sein könnte. Auf einer Fläche von mehreren Kilometern breitet sich der Müll neben der Straße aus, manchmal aufgehäuft zu regelrechten Hügel, es stinkt fürchterlich. Überall an den Abfallbergen suchen Mensch und Tier ein Auskommen, durchstöbern den Unrat nach Brauchbarem. Feuer glosen, der Wind treibt giftige Rauchwolken vor sich her. An vielen Stellen reicht das Meer aus Abfall weit in die Straße hinein, ein schauderhafter Anblick. Denkt man über die Hölle nach, wie mag sie wohl aussehen, dass hier wäre ein guter Tipp…
Dr. Dieng und Moussa erwarten uns bereits; der Markt selbst ist ein bisschen sauberer geworden, die Esel wirken durchwegs in guter Form. So müssen wir auch kaum offene Wunden versorgen, beschränken aus auf das Eintropfen der entzündeten Augen und auf die Wurmkur. Natürlich aber gibt es auch ein paar Härtefälle, besonders ein Pferd sticht aus der Reihe der schwerer Verletzten heraus. Schon in den letzten zwei Jahren haben wir es gesehen, auch behandelt, der Schimmel wird von einer schlimmen Arthrose geplagt. Ein Knie ist auf die doppelte Größe angeschwollen, ob der Fehlhaltung sind die Hufe an den Hinterbeinen in gar fürchterlichem Zustand. Einmal mehr zaubert Zappa; ein Huf, welches als solches nicht mehr erkennbar ist, wird zuerst geschnitten, dann mit Antibiotika behandelt. Die Wunden an der Sohle werden peinlichst genau ausgewaschen, gespült, mit Jod behandelt. Dann kommt der nächste Schritt; Zappa packt die Wundertüte aus, wickelt einen Verband, sucht im Müll ringsum nach Plastikteilen, welche er in den Verband einarbeitet. So garantiert er einen sicheren Auftritt. Das Pferd hält während der ganzen Behandlung bemerkenswert völlig still. Über all das Fabrizierte kommt nun ein gelber PVC-Verband, ein haltbarer, welcher das Ganze stabilisiert. So lange wird er halten, bis sich die Hufe erholt haben, und danach wird der Arme wesentlich besser auftreten können!
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Wir sehen ein zweites Reittier; auch der Hengst ist uns bekannt, er lebt zusammen mit einem Esel. Die beiden weichen sich kaum von der Seite, wohin der eine geht, kommt der andere nach. Ein Fuß des Pferdes ist in schrecklichem Zustand, es geht praktisch am Unterschenkel, das Huf ist weit nach hinten gestreckt. Zappa wird eine dicke Polsterung machen, sodass das Bein nicht eine offene Wunde davonträgt. 
Hinter dem Eselmarkt breitet sich gottfürchterlicher Gestank aus. Der ganze weite Platz ist ein Totenfeld, ein Totenfeld für ausrangierte Esel. Sie liegen auf der mit Leid und Kummer und Schmerz vollgesogenen Erde, manche von Untergrund wieder halb verschluckt, andere fast so, als ob sie noch leben und um Hilfe flehen würden. Die überall herumliegenden Knochen von unzähligen Tieren erzählen gar traurige Geschichten; die verwesenden Körper von einigen Dutzend weiteren, entsorgt wie Müll, liegen weit verstreut, manchmal alleine, wieder andere in Gruppen, von der Verwesung zu grotesken Bildnissen geformt. Grässliches, übelreichendes Wasser breitet sich aus, ebenfalls voller Leichen, welche mit leeren Augen in die gleißende Sonne starren. Wenn Christen von der Hölle sprechen, sie müssen diesen Ort meinen, denn er ist wahrlich ein Inferno einer Schattenwelt. Ein Spielplatz Luzifers, seine verworrenen Gedankengänge zum Leben erwacht.
Zurück am Eselmarkt; auch hier finden sich heute besonders viele Hunde, einige Welpen fangen und entwurmen wir auch. Die Situation der Hunde spitzt sich zu, ihre Zahl ist stark gestiegen, und es wird wohl nur eine Frage der Zeit sein, bis die Behörden wieder furchtbar Krieg führen, mit hunderten, tausenden Toten. Ihre Leiber erhängt und erschlagen, hinter Autos hergeschleift, auf das Grausamste vergiftet…
 
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Unfassbar: jeder dieser kleinen braunen Hügel ist ein toter Esel…
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Fotos: Orte, die sich tief ins Gedächtnis einnisten und dort Albträume verursachen…
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Am Nachmittag besuchen wir noch eine größere Apotheke; hier scheint es viele Mittel zu geben, welche wir ansonsten immer den weiten Weg mitgebracht hatten!
 
Der Tag soll noch ein langer werden; Saleck, unserer frühere rechte Hand in Nouakchott, kommt im Motel vorbei. Wir besprechen bei einem Kaffee wichtige Anliegen, wo wir seine Unterstützung benötigen und er uns bestimmt helfen kann. Der Gute ist ein echter Diplomat, kennt alle wichtigen Leute in der Stadt und hat uns so schon sehr oft vor schweren Fehlern bewahrt. Jetzt wird sein Rat wieder dringend gebraucht, die Papiere für die RespekTiere-NGO vor Ort müssen überarbeitet werden, nebenbei ist eine Weiterführung des Projektes geplant (darauf werden wir alsbald zu sprechen kommen). Saleck erklärt Punkt für Punkt die richtige Vorgehensweise, empfiehlt uns einen passenden Rechtsanwalt: Diego, ein alter Bekannter aus vergangenen Tagen – ich erinnere mich, er hat mir vor bestimmt fünf Jahren einmal seine Motocross-Maschine für einen Ausritt geborgt! So sieht es ganz danach aus, dass wir in den letzten Tagen in Nouakchott noch einen Rechtsanwaltstermin tätigen werden!
Kaum ist Saleck gegangen, kommt Zappa mit einem jungen Mann; der ist Kalligraph und nimmt sich der neuen Schilder für die von uns gewählten Wasserstellen an. Wir zeichnen den genauen Wortlaut, auch Bilder sollen auf den ‚Werbetafeln‘ sein – besonders jenes, welches zeigt, dass man den Esel nicht schlagen darf! Überraschung: schon morgen werden wir die Vorlagen erhalten – super! Wenn man bedenkt, wie ansonsten alles seine Zeit braucht in jenem Land in der Sahara, ist das ein enormes Tempo, welches wir dank Zappa vorlegen können!
Am späteren Abend steht noch ein Treffen mit Houda an. Auch hier geht es in erster Linie um die NGO, aber auch Fragen bezüglich der Medikamente werden geklärt. Kurzum, es ist ein ausgefüllter Tag gewesen, einer jener, der echte Fortschritte brachte, uns deshalb mit einem Lächeln der Zufriedenheit zurücklässt und hoffentlich eine gute Nachtruhe beschert.
 
 
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Zufriedenheit ist ein vages Gut. Wie ein Hammer schlägt die Wirklichkeit an diesem Donnerstag auf uns ein. Was ist passiert? Frühmorgens holt uns Dr. Dieng von unserer Bleibe ab. Regentropfen fallen, eine unbezahlbare Erleichterung für Mensch und Tier – auch wenn es nur wenige sind, man nebenbei den Eindruck hat, als erreichen sie nicht einmal den Boden, lösen sich schon zuvor im Dunst ins Nichts auf. Sie werden, so scheint es, von der Hitze des beginnenden Tages gierig aufgesogen. Dankbar heben wir allem zum Trotz dennoch den Blick in Richtung Himmel, genau wie es die Masse an Menschen um uns tun. Wolkenverhangen zeigt sich das Firmament, was wie ein Segen scheint, der Anblick aber birgt wahrscheinlich schon die Tragik des Folgenden in sich.
Am Weg zur Wasserstelle, dieses Mal weit außerhalb, an den Rändern der expandierenden Metropole gelegen, mache ich aus dem Auto heraus ein paar Bilder. Mehr zufällig. Warum auch immer, eines schaue ich mir am Bildschirm dann auch gleich an – und da ist ein Esel erkennbar, der am Boden liegt, den Anforderungen des Lebens w/o zu geben scheinend. Selbst wenn der Anblick für sich alleine schon ein fürchterlicher ist, es kommt schlimmer. Ein Zweiter steht daneben, stupst ihn deutlich erkennbar mit seiner Nase, möchte ihn zum Aufstehen bewegen!
Dr. Dieng, bitte halten Sie an, wir müssen zurück! Anders als wir es aus Europa gewohnt sind, dreht der Arzt einfach am Straßenrand, denn die Gegenfahrbahn ist abgetrennt – doch die benötigt er gar nicht. Zuerst geht es nun an der Piste neben dem Verkehrsweg entlang, dann, als Fahrzeuge und Fußgänger im Wege stehen, eignet er sich wie selbstverständlich wieder die Fahrspur an, jetzt aber in verkehrter Richtung. Als Geisterfahrer bewegen wir uns nun im Stoßverkehr, über bestimmt 200 Meter hinweg!
Dann sehen wir das Duo; der Freund des Sterbenden steht wie angewurzelt an dessen Seite, mag die Realität nicht akzeptieren. Aber die spricht eine klare Sprache; ein offener Beinbruch, der Knochen ragt aus dem Unterschenkel. Hoffnungslos. Ein tobender Orkan im Kopf. Dazu der Treue, der ihm selbst im Tode noch beisteht. Gibt es Schrecklicheres zu bezeugen?
Als wir aus dem Auto steigen, entfernt sich der Freud; er wandert aber nur zum Mittelstreifen, dort bleibt er stehen und beobachtet die Szenerie. Ob da Hoffnung aus seinen Augen spricht, Hoffnung, dass wir dem Kameraden vielleicht doch irgendwie helfen können?
Leider aber müssen wir ihn enttäuschen, einmal mehr; so wie ihn Menschen stets enttäuscht haben, missbraucht, geschlagen, des Sinnes im Lebens beraubt. Fest steht, bis auf Schmerzmittel gibt es nichts zu verabreichen. Der Arme ist dem Tode geweiht, wäre es auch in unseren Ländern, die Verletzung zu schwer, um auch nur einen Funken Zuversicht zuzulassen.

 
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Dr. Dieng telefoniert hastig, ob denn nicht ein Polizist kommen könne, der den Gnadenschuss setzt? Einschläfern, wir sind wieder beim alten Problem, geht in diesem Land nicht ohne das Einverständnis des Halters. Und ein solcher ist weit und breit nicht zu sehen. Wir würden es in diesem Falle trotzdem tun, ohne über die Konsequenzen nachzudenken; aber das besonders Tragische – es sind keine geeigneten Medikamente verfügbar.
Können Sie sich in diese Situation hineinversetzen? Es ist wie ein heftiger Schlag in die Magengrube, ein Flehen im Inneren, losgebrochenes Fegefeuer. Warum, schießt es mir durch den Kopf, habe ich den Esel überhaupt gesehen? Nun, da wir im Moment sowieso nicht helfen können, warum muss der Geist derart gequält werden? Im nächsten Augenblick aber folgt die Scham auf den Fuß; was sind eigene Gefühle im Vergleich zum unfassbaren Schmerz, welchen dieses Wesen durchzumachen hat? Im Vergleich dazu, was im Freund vorgehen mag, der vielleicht schon seit Stunden an der Seite harrt, im Begriff, das Einzige, was ihm diese Welt je gegeben hat – einen Kameraden – auf gar schrecklichste Weise zu verlieren?
Irgendwie schaffen wir es den strebenden zur Seite zu bewegen. Einer der hunderten Bauarbeiter, der Boss der Gruppe, welche im Hintergrund mit Aushubarbeiten beschäftigt sind, verspricht, er wird alles Mögliche unternehmen, um eine Erlösung herbeizuführen. Er kennt hohe Beamte, meint er, und die würden eine Erschießung erwirken. Dr. Dieng gibt seine Nummer, wir sollen angerufen werden, sobald er etwas erreicht hat.
 
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Wir fahren nun weiter, zur Wasserstelle. Aller Mut, aller Elan, alle Vorfreuden auf die Hilfe, die wir dort bringen werden, wie weggeblasen. Stille. Nur Stille und Schmerz. Einmal noch blicke ich in den Rückspiegel, mit Tränen in den Augen, und da kann ich ihn sehen, den Knochenmann, wie nur zwei Meter vom Esel entfernt im Sand hockt. Mit ruhigem Blick beobachtet er den hoffnungslosen Kampf, im Wissen, er wird es sein, der den Schwerverletzten alsbald seine Hand auflegt und sanft an seinen Nüstern saugt. Dann wird ein Zucken durch den malträtierten Körper gehen, die Verkrampfung wird sich lösen, und der Arme wird aufstehen. Gevatter Tod wird ihn anweisen ihm zu folgen, und gemeinsam werden sie sich auf dem Weg machen, die Straße hinunter, zunehmend vom aufgewühlten Sand aufgesogen, sich im flirrenden Horizont auflösend.
Der Kamerad wird zurückbleiben, ganz alleine, niedergedrückt von der Wirklichkeit mit eisernen Faust. Er wird ein letztes ‚Goodbye‘ flüstern, keinen Halt mehr im Hier und Jetzt, und nur ein Wunsch wird der seine sein: ihm so schnell als möglich nachzufolgen in eine Welt, die sich dem Jenseits entzieht, und die nur Besseres für ihn bieten kann. Gevatter Tod, bitte beeile Dich…
 
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Die Arbeit an der Wasserstelle gestaltet sich extrem anstrengend. Der Stadtteil ist ein besonders armer, dutzende Kinder sind vor Ort, in eine Schule gehen sie alle nicht. Dafür bleibt keine Zeit, in einem Umfeld, welches auf Überleben programmiert ist.
Schreckliche Fälle von Hufverformungen sind zu behandeln. Wie sich die armen Tiere überhaupt noch fortbewegen konnten, noch dazu eine schwere Last ziehen, ist entzieht sich unserer Vorstellung.
Auch ein Pferd wird gebracht, abgemagert bis auf die Knochen. Und wieder überall Hunde. Kinder sind manchmal wirklich grausam, so zum Beispiel machen sie sich über einen Knirps lustig, der eine Brandwunde im Gesicht hat. Dann wieder schlagen sie wie aus purer Langeweile auf einen Esel ein oder jagen einen Hund. Entsetzlich.
Allerdings, und das bestätigt auch Dr. Dieng, trotz des hier Gesehenen, der Trend in Mauretanien geht ganz eindeutig in eine andere Richtung. So viele Esel in halbwegs gutem Zustand wie in diesem Jahr haben wir überhaupt noch nie gesehen, gar keine Frage. Sie werden besser behandelt, aber auch besser gefüttert. Und viele Menschen kümmern sich um Hunde, auch diese Entwicklung ist augenscheinlich.
Kappen oder Sonnenbrillen zu verteilen entwickelt sich zu einem Spießrutenlauf; dutzende Kinder drängen plötzlich, man muss höchste Vorsicht walten lassen, dass nicht ein schlimmer Streit unter diesen ausbricht.
Wir fahren noch zu einer weiteren Wasserstelle. Auch dort dasselbe Bild. Immer im Kopf ist der sterbende Esel.
So fahren wir dann zurück zu ihm. Kein Anruf ist eingegangen. Von weitem schon erkennbar, der zweite Esel steht noch immer an seiner Seite, leckt das verletzte Bein.
Es gibt keine Wahl. Wir müssen schnellstens ein Mittel besorgen, aber nur eine einzige Apotheke in der Stadt stellt es eventuell zur Verfügung. Allerdings nur unter schwierigsten Voraussetzungen, aber: Dr. Dieng kennt den leitenden Beamten. Der wird es uns aushändigen.
Doch die Enttäuschung klebt an diesem Tag am Hosenbein. Der Mann ist krank, kommt erst morgen wieder – was auch heißen kann, nächste Woche.
Es nützt alles nicht, wir fahren zur Herberge zurück. Dr. Dieng wird am Nachmittag alle Hebel in Bewegung setzen, um an das Mittel zu gelangen.
Im Hotel wartet Zappa bereits auf uns; mit ihm ist Artis, der Kalligraph. Und er hat den Entwurf fertig, die Schilder sehen gut aus! So geben wir eine Anzahlung, bei Lieferung ist der Rest zu bezahlen. All dies ist im Moment aber sowieso nur nebensächlich…
 
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Fotos: unfassbar wichtig: Sensibilisierung! Dr. Dieng erklärt das RespekTiere-Heft zur richtigen Eselhaltung! Darunter: ein Junge betrachtet lange Zeit unseren Aufkleber ‚Wer Gnade am Tier übt, an dem wird Allah Gnade üben!‘
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Foto: an dieser neuen Wasserstelle gibt es viel zu tun – auch in Punkto Sensibilisierung, denn zum Beispiel beide Ohren abgeschnitten, dass sieht man Gott sei Dank nicht mehr allzu oft…
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Am Nachmittag kommt der Anruf – Dr. Dieng wird das Mittel tatsächlich erhalten. So holt er uns schließlich wieder ab, der lange Tag läuft auf sein todtraurigen Finale zu.
Vor der Apotheke gilt es zu warten; es ist Gebetszeit und jede Störung wäre nun äußerst unangebracht. Allerdings sitzen wir auf Nadeln, denn die Sonne hat die Horizont nun längst wiedererobert und brennt mit aller Kraft vom Himmel. Wie schrecklich muss das Leid des Esels spätestens jetzt sein…
Endlich ist es soweit; mit dicken Handschuhen füllt der Apotheker den Stoff in einen Plastikbecher; eine Menge, die ausreicht, um zig Menschen zu töten, erfahren wir. Niemand anderer als Dr. Dieng hätte die grauenhafte Substanz erwerben können, nur ihm vertraut der Akademiker. Wie gut, dass wir solche Leute im Team haben!
Jetzt, die Dämmerung setzt langsam ein, stürzen wir uns in den absoluten Wahnsinn; der Spätnachmittagsverkehr ist ein unvergleichliches Ereignis, für EuropäerInnen fern jeder Vorstellung. Wie im berühmten Tetris-Spiel, wo fallende Formen passend aufgereiht werden müssen, bewegt sich die Kolonne voran – völlig ungeachtet jeder Ampel, ein Fahrzeug fährt gerade, das links- oder rechtskommende (und oft nicht einmal ein solches, sondern eines von irgendwoher aus einer unbefahrbaren anmuteten Piste plötzlich auftauchend) füllt die entstehende Lücke, ein Brei aus verrostetem Blech und stinkenden Abgasen. Kleine Unfälle sind vorprogrammieret, passieren, ohne dass überhaupt wer wirklich Notiz davon nimmt.
Dann erreichen wir den Zielort; un- un- unfassbar, der Freud des Esels steht noch immer neben dem Sterbenden, wie ein Krieger im Wind, gebeugt und von den Wettereinflüssen gezeichnet, aber ungeachtet all dessen stupst er die Seite und leckt weiter die Wunden des so schwer Verletzten. Es gibt keine Beschreibung hierfür; nichts würde dem gerecht werden, was der Anblick für mitfühlende Herzen bedeutet. Fast 10 Stunden nach dem ersten Zusammentreffen, wahrscheinlich schon Stunden zuvor, hat er an dessen Seite gewacht, ohne Wasser, ohne Essen, der prallen Sonnen schutzlos ausgeliefert. Hat den vorbeibrausenden Verkehr getrotzt, die zerfallenden Fahrzeuge nur wenige Zentimeter neben sich. Es ist eine schwere Stunde, eine herzzerreißende. Eine jener, die man so nie erleben möchten, nicht in tausend Jahren, eine jener, deren Dramatik kein noch so gut gemachter Hollywoodblockbuster je nachvollziehen wird können.
 
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Dr. Dieng muss jetzt noch einen Transportfahrer anwerben, erst dann kann die furchtbare, aber furchtbar notwendige Tat selbst erfolgen. Der tote Körper darf nicht auf der Straße liegen bleiben, zu groß die Gefahr, dass sich jemand gütlich daran tut und sich dabei vergiftet. Damit sind dann nicht Hunde oder Katzen alleine gemeint…
Es dauert eine gefühlte Ewigkeit, bestimmt eine Stunde oder länger, bis der letzte Weg begangen werden kann. Währenddessen reichen wir dem armen Wasser, zuerst mit einer Flasche, dann bringt jemand ein Gefäß. Mit hastigen Zügen trinkt der Esel, es werden seine letzten Tropfen Wasser sein. Aber wenigstens haben die verbleibenden Minuten im Diesseits doch noch eine kleine Versöhnung gebracht, ihm doch noch gezeigt, dass Menschen auch anders sein können. Wir halten seinen Kopf, streicheln den geplagten Leib, der Freund steht unverändert nebenan, wie ein Fels; verlässt ihn nicht, trotz der angsteinflößenden Situation, von so vielen vermeintlichen Peinigern umgeben. Auch er trinkt nun, leckt dann weiter an den Wunden des Kameraden. Inzwischen hat sich eine Menschenmenge versammelt, auch viele Kinder sind dabei. Und das ist gut so; vielleicht zum ersten Mal in ihrem Leben erfahren sie echtes Mitgefühl mit den Tieren, sie sehen unsere Tränen, spüren die Verzweiflung. Die Atmosphäre ist eine gespannte, und im Gegensatz zu den sonstigen Arbeitsplätzen wird es schnell gespenstisch leise rundum, kein Gelächter, kein Scherzen stört die nahezu andächtige Ruhe.
Jetzt bereitet Dr. Dieng mit dicker Gesichtsmaske das Mittel zu; über einen Gaskocher wird der tödliche Staub erhitzt, später mit Flüssigkeit vermischt. Ich wage nun kaum zu Atmen, wende den Kopf nicht mehr vom Esel ab; halte ihn fest, streichle über die Nüstern, flüstere stockende, aber hoffentlich beruhigende Worte. Bitte um Verzeihung, um Verzeihung für uns alle. Bete. Dr. Facharani tut dasselbe, Moussa daneben, tief ergriffen. Mit aller Professionalität setzt Dr. Dieng die erste Spritze. Ketamin, ein Betäubungsmittel, breitet sich in den Adern des Todgeweihten aus. Glasklare Flüssigkeit durchläuft den angespannten Körper, beruhigt die Muskel. Ein kurzes Abwarten. Der Esel atmet tief und fest, die Bewegungen langsamer und langsamer werdend. Der Luftzug aus seinen Nüstern wirbelt Staub auf. Dann ist es soweit – die Nadel sticht zu, durchdringt die dicke Haut im Bruchteil des Wimpernschlages, und jetzt fließt die weißliche Flüssigkeit direkt in das Herz. Die Zeit steht still. Einen Augenblick, der zur Ewigkeit mutiert. Irgendwo über uns weint ein Engel bittere Tränen; es ist sein Schutzengel, der nur einen verdammten Moment abgelenkt gewesen war, gedankenverloren. Als das Auto in die Seite des Esels stieß. Sein Aufschrei war bis in die Unterwelt zu hören, selber Schmerz, der den Schützling wiederfuhr, sticht ins Innere des geflügelten Wesens. Der Aufprall von 100 Pferdestärken, nichts hat der kleine Eselkörper dieser Wucht entgegenzusetzen. Der Himmel ein Inferno, verfinstert sich, das Tier zu Boden geworfen, mit unvorstellbarer Heftigkeit; ein fürchterliches Knacken, als der Schenkel brach. Das offene Bein, der Knochen ragt heraus, es ist ein Stachel im Fleisch des Götterboten. Ein unverzeihlicher Fehler, mit welchem er nun in aller Ewigkeit leben wird müssen.
Noch bewegt sich das Augenlied des Sterbenden, ein letzter Wimpernschlag. Dr. Dieng setzt eine zweite Spritze. Die Füße gestreckt, erstarrt der Körper. Das Licht in den Augen, es erlischt wie eine Kerze im anbrausenden Sturm.
Sein Freund steht noch immer da, einige Meter im Abseits zwar, aber er begleitet ihn bis in den Tod. Ein gebrochenes Denkmal der Nächstenliebe. Gibt es Beispiele unter Menschen? All jenen, welche den Tieren Gefühle absprechen, wünsche ich hier zu sein, neben uns zu stehen, diese unendliche Traurigkeit zu verspüren. Nie war ein Mensch tapferer als dieser Esel, nie war ein Mensch liebender, diese Feststellung stelle ich als bittere Wahrheit hiermit in den Raum.
 
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Ich halte noch immer den Kopf; Tränen strömen über nasse Wangen, das Innere eine tobende See. Die Seele die Küste, ob deren Ränder den tobenden Wogen gewachsen sein werden? Die Beine verkrampft, ich klebe förmlich am Boden fest, als ich einen Arm spüre, der mich sanft zur Seite drückt. ER hat sich erhoben aus dem Sand, der Knochenmann, der seit dem Vormittag mit endloser Geduld auf diesen Augenblick gewartet hatte. Er flüstert einige Worte des Abschieds, und dann halte ich nur mehr eine leblose Masse in meinen Händen. Das Leben ist entwichen, der Körper bloß eine leere Hülle. Gevatter Tod, beinahe zärtlich, geleitet den Esel mit sicherer Hand in eine ferne Welt, bei jedem Schritt zerbrechen die letzten helle Farben im Schwarz der Nacht.
Ich wage nicht aufzustehen, würde am liebsten für immer hierbleiben. Nie mehr aus dem Albtraum erwachen, ein endloser Schlaf. Einzigen in den warmen Sand, geborgen im Schoß von Mutter Erde. Die Realität aber holt mich schnell zurück; schon im nächsten Augenblick heben wir den toten Esel auf den wartenden Wagen, sein irdischer Körper muss noch eine letzte Reise antreten. Er muss in die Wüste gefahren werden, weit nach draußen, wo ihn niemand finden kann, im Sand verscharrt, dort die letzten Ruhe findend.
Nun ist die Arbeit getan, und mit dem sprichwörtlichen Ende brechen die Dämme. Erwachsene Männer, viele davon, gefangen in Emotionen. Ich muss aus der Reihe wegtreten, so weit, bis mich das Dunkel verschluckt. Nur einen Moment, nur einen Atemzug. Dr. Dieng holt mich schließlich aus der absoluten Verlorenheit, drückt mich, ein stummer Trostspender. Auch Moussa und Dr. Facharani umarmen sich, der tobende Schmerz ist gleichzeitig auch eine Befreiung. Nie hätten wir auch nur eine Stunden Schlaf gefunden, hätten wir den Esel weiterhin in seinem Leid am Rande der schmutzigen Straße gewusst. Wissen Sie, wie viel Kummer und Schmerz Esel ertragen? Es ist ein Unfassbares mehr, als wir Menschen es uns überhaupt vorstellen können. In diesem Falle wäre der Leidensweg ein tagelanger gewesen, tiefste Agonie, höllische Pein. Keine Hoffnung, kein Erbarmen. Unbeweint. 
Dies ist die dunkelste Stunde vor dem Sonnenaufgang, fallen mir die Zeilen von Thomas D. aus seinem fantastischen Lied ‚Gebet an den Planeten‘ ein. Doch ob das Morgen auch nur einen Deut besser sein wird als das heute, zumindest für die Esel Mauretaniens, ich wage es in jenem Moment der tiefsten Trauer zu bezweifeln.
 
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Doch für ein Versinken in die trüben Gedanken bleibt vorerst nicht die Zeit; noch ist unsere Aufgabe für den Tag nicht erledigt. Es gilt zum Grab des Esels zu fahren, ihn dort abzuladen und den Elementen zu überlassen. Dr. Dieng muss sicherstellen, dass niemand sich am Toten labt.
Jetzt in der Nacht wirkt die Stadt noch trister als tagsüber. Wir durchqueren wieder die Abfallberge, beißender Rauch macht das Atmen schwer. Im Lichterkegel tausender Fahrzeuge tauchen immer wieder dunkle Gestalten auf, wie aus dem Nichts, Geister auf der Wanderung zwischen den Welten. Überall Kinder, in Schmutz gebadet, und Hunde. Hunderte. Dazwischen ein paar Katzen, im überall herumliegenden Müll nach Essbarem suchend. Ein Vorort der Hölle, für Mensch und Tier. Ein Auto stößt einen Radfahrer um, wir eilen zu Hilfe. Der Lenker fährt einfach weiter, ohne auch nur einen Moment anzuhalten. Gott sei Dank ist nicht viel passiert, nur das Rad ist kaputt. Wie viel wird es ihm bedeutet haben? Vielleicht war es sein ganzer Stolz, zerstört von einem Fremden, der es nicht einmal der Mühe wert fand um Entschuldigung zu bitten.
Dr. Dieng und Moussa sinnieren über die Staatspolitik; während ein Präsident in Geld badet, lebt das Volk in einer derartigen Triste. Eine Einsicht, welche den Tag abrundet, in all seiner Härte, in all seiner Qual.
Es ist jetzt tief nachts; irgendwo im Nirgendwo entladen wir den Esel. Er findet sein Grab dort, wo ständig eine sanfte Brise weht, wo die Hitze des Tages erträglich ist, wo Ruhe und Frieden herrscht. Wo kein Esel geschlagen oder von einem Fahrzeuglenker aus dem Leben gerissen wird. Wenn das allerdings alles ist was bleibt, alles aus dem man Trost zu schöpfen vermag, dann wird die Seele nie mehr wieder gesunden.
Ein Zivilpolizist hält uns beim Verlassen der Ruhestätte. Er hat uns am entlegenen Strand beobachtet, vermutet uns als Drogenhändler. Obwohl alleine, zwar bewaffnet, aber stark in der Unterzahl gegenüber uns vieren, stellt er sich den vermeintlichen Kriminellen. Mut hat der gute Mann, ohne Frage.
Endlich zu Hause; endlich im Motel. Wir sitzen noch eine halbe Stunde auf der Terrasse, ein heißer Tee, ein paar Züge von der eilig gedrehten Zigarette. Fast wortlos, in Gedanken gefangen.
Es gilt aufzustehen, den Staub von der Hose zu wischen, voranzuschreiten; krummer als zuvor zwar, das Haar wieder ein bisschen weißer, gebeugter vielleicht, aber immer noch nicht gebrochen. 
Denn, ein Gedanke spendet tiefen Trost, ein Einfall gibt Anlass zum Mut – was wäre, wenn wir nicht an jenem Tag an jenem Ort gewesen wären? Nicht auszudenken..
 
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Der arme Esel, er wird nun an einem Ort sein, wo er endlich Frieden finden kann. Wenn ich nachkomm‘, so versprach ich es ihm in seinen letzten Zügen, wird ich nach ihm sehen. Wir werden zusammen auf einer saftigen Wiese sitzen und kein Wort verschwenden über das Gewesene. Ich werde ihn fest umarmen und bittere Tränen weinen, ganz bestimmt. Ich hoffe so sehr, er weiß, wir haben nur das Beste für ihn gewollt, und hoffentlich auch getan. Schwer ist die Schuld, welche derartige Entscheidungen mit sich bringen, sie lastet wie ein riesiger Stein auf den Schultern. So ist das Leben, hat Dr. Dieng gemeint, und wahrscheinlich hat er recht. Aber diese Einsicht alleine, die schafft es nicht, den Riss zu kitten, welchen das Herz abbekommen hat. Einen mehr.
Wie wird es dem Freund ergehen? Man wagt kaum darüber nachzudenken; aber eines ist sicher – in nicht allzu langer Zeit, da werden sich die Beiden wiederfinden, und dann wird sie nichts und niemand je wieder trennen können. Bis in alle Ewigkeit!
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 Die Müdigkeit des Geistes hat nicht mit der Müdigkeit des Körpers mitgehalten. Kaum fünf Stunden Schlaf nach dem zur puren Realität gewordenen Albtraum vom vergangenen Abend waren vergönnt gewesen, denn die aufwühlenden Ereignisse ließen keine Ruhe im Innersten zu. Viel zu früh morgens sitze ich deshalb wieder vor dem Computer, versuche die Geschichte des Vergangenen in einem müden Gehirn zu verarbeiten, matere mich durch ein paar Dutzend Bilder, wo jedes einzelne bloß die Erinnerung des Gesterns wieder lebendig macht. Es ist eine Misere, eine furchtbare Tragik.
Selbst der Himmel zeigt sich heute traurig, wolkenverhangen; Sand flimmert in der staubtrockenen Luft, eine erdrückende Schwüle bremst jedes Leben. Den Vormittag verbringen wir mit Schreibarbeiten, so viel gilt es nachzuholen. Auch das Zimmer will geräumt sein, schließlich werden wir kurz nach Mitternacht, Inshalla – so Gott will, unsere Maschine besteigen und zurück in die Heimat fliegen.
Dann beginnt der Stress, einige Termine gilt es noch zu erledigen. Als erstes treffen wir die Teammitglieder, ist wird Zeit ‚Au revoir‘ zu sagen!
Damit hätten wir fast nicht mehr zu rechnen gewagt – am frühen Nachmittag empfängt uns tatsächlich noch Diego, der Anwalt! Ja, es ist ein hohes Tempo, welches wir vorlegen, in einem Land, wo selbst einfache Dinge alle Zeit der Welt benötigen. Diego scheint es gut gemacht zu haben; vor wenigen Jahren noch Mitglied einer einfachen NGO führt er heute sein eigenes Büro mit 15 Angestellten. Und er ist ein Fachmann, einer jener, die nicht nur einen höchst seriösen Eindruck vermitteln, sondern diesen auch mit seinem Tun bestätigen. Er erhält eine Vollmacht, wird sich um den letzten Schritt der noch ausständigen Forderungen kümmern, damit RespekTiere Mauretanie tatsächlich rechtskräftig wird.
Zurück geht es ins Motel, dort warten schon Zappa und Mohamed; es gilt einige weitere Dinge abzuklären, was schnell und problemlos passiert, und schließlich fallen wir uns ein letztes Mal für dieses Jahr in die Arme. Jetzt ist alles Menschenmögliche getan, um unsere Arbeit völlig geregelt auf die Spur zu bringen. Ungeahnte Möglichkeiten werden sich dadurch eröffnen, wir können frohgemutes in die Zukunft blicken!
 
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Foto: das RespekTiere-Team Eselhilfe Mauretanien: v.r.n.l., Houda, Mohamed, Zappa, Dr. Facharani, Achmed, Dr. Dieng, Tom, Moussa
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Foto: so sehen unsere neue Schilder an den Wasserstellen aus!
Am frühen Abend sitzen Dr. Facharani und ich noch im berühmten Cafe Tunis, welches allerdings sehr in die Jahre gekommen ist. Nicht mehr den Glanz früher Jahre versprüht, ganz im Gegenteil; es verdient tatsächlich keinen Eintrag mehr in eventuelle Reiseführer, und ‚google maps‘ sollte sich tunlichst vergewissern, ob dieses Lokal überhaupt noch als erwähnenswert im Straßenwirrwarr aufscheinen sollte. Die völlig kaputten Stühle sind noch das wenigste auf einer laaangen Mängelliste.
Es ist jetzt früher Abend, die Dämmerung setzt langsam ein. Das kleine Motel kommt uns sehr entgegen, wir dürfen unser Zimmer bis zum Abend nutzen. So geht sich sogar noch eine Dusche aus, wie angenehm bei der drückenden Schwüle.
Gegen halb 9 läutet Dr. Dieng. Er wird uns zum Flughafen bringen, was gar kein einfaches Unterfangen ist. Der neue Landeplatz, seit eineinhalb Jahren in Betrieb, liegt weit außerhalb der Stadt, gut 40 Kilometer Wüsten sind zu durchqueren. 40 Kilometer in Mauretanien sind nicht zu vergleichen mit 40 Kilometern bei uns, die Fahrt ist zudem sehr gefährlich. Besonders in den Ausläufen der Mega-City herrscht noch reges Treiben, Lenker von völlig unbeleuchteten Fahrrädern sind zu Dutzenden unterwegs, selbst an sehr vielen Kraftfahrzeugen fehlt jegliche Beleuchtung. Dazu queren immer wieder Fußgänger den Weg, oft in schwarze Kleider gehüllt. Fast gespenstisch wirkt die Szenerie, als es an den Papp- und Blechhütten vorbeigeht. Halbnackte Kinder spielen im Sand, behinderte Menschen versuchen neben oder auch direkt auf der Straße nach einem Auskommen. Sie sind auf die Almosen angewiesen, ihr Überleben hängt davon ab, denn in einem Land, wo ein einzelnes Leben so gar nichts zählt, gibt es kein soziales Netz. Vielleicht kann man sich, vergegenwärtig man die Situation, nun besser vorstellen, warum es die Tiere gar so schwer haben; wo es den Menschen derart abgrundtief schlecht geht, wer hat in solchem Falle noch die Kraft sich um die Mitgeschöpfe zu kümmern? Einfach gesagt: kriegt man die eigenen Kinder nicht satt, ist man in einem aussichtslosen Dilemma gefangen, wo wohl selbst das Schicksal des Nächsten in die Ferne rückt; Mitleid ist ein kostbares Gut, ganz sicher aber schrumpft es, wenn der täglich zu fechtende Überlebenskampf für die eigene Familie es nahezu unmöglich macht, sich die allgemeine Misere jeglichen Individuums zu nahe zu Herzen gehen zu lassen kann. Dies sollten wir bei allen Überlegungen, bei allen angebrachten Missfallen, doch in die abschließende Bewertung miteinbeziehen.
 
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Esel in Mauretanien ist ein wunderbares Projekt. Mit zitternden Fingern hämmere ich diese Worte in die Tastatur, hier am Flughafen sitzend und die Geschmissen der letzten 9 Tage Revue passieren lassend. 1100 Esel im Monat, die behandelt werden, das ist eine stolze Zahl. Unvorstellbar wäre sei gewesen, nur wenige Jahre früher. Die Mobile Klinik ist eine Institution geworden, das Team rettende Engel, die ausfliegen, sobald ein Notruf eines ihrer Telefone klingeln lässt. Ja, sämtliche private Nummern der Vier stehen auf den jeweiligen Plakaten vor den Wasserstellen, und immer öfters werden sie genutzt. Wie wichtig das ist, zeigt das Beispiel des schrecklichen letzten Tages. Heute, bei der vorherrschenden Hitze, da würde der arme Esel noch immer dort liegen, neben der Straße, unbeachtet. Niemand würde ihm helfen, sein Leiden beenden. Niemand. Dafür bleibt in einem Land, wo sich selbige Situationen tagtäglich zu Dutzenden abspielen, kaum Raum. Das ist todtraurig, ist es, gar keine Frage, aber immer mehr Menschen wissen, an wen sie sich zu wenden haben, wenn sie derartig Furchtbares sehen. Nouakchott ist trotz seiner Größe ein Dorf geblieben, nichts bleibt unentdeckt, nichts im Verborgenen. Irgendwie kennt über viele Ecken jede/r jede/n, und für unsere Arbeit ist das gut so. Wir sind hier, und wir werden nicht mehr weggehen, solange nicht, bis wir eines Tages viel, viel bessere Nachrichten mitteilen können. Das ist ein Versprechen!
 
 
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