Wie lange noch???? Ein Appell!

Die gleisende Sonne brennt vom wolkenlosen Himmel, taucht die Umgebung in flirrendes Weiß. Leichter Wind ist aufgekommen, Labsaal für die Seele. Er streichelt die Haut, berührt sie beinahe zärtlich, so, als ob er Trost aussprechen möchte. Im Wissen des Übernatürlichen wohl, denke ich, dass es Trost ist, nach dem ich mich im Augenblick geradezu verzehre.
Gebannt, in mich gekehrt, stehe ich irgendwo im oberösterreichischen Innviertel vor einem Stall und habe Mühe die Fassung zu behalten. Ja, es gibt schlimmere Anblicke, es ist mir völlig bewusst, als den des mit traurigen Augen nach mir schielenden Stieres, aber trotzdem berüht mich sein Schicksal auf eine ganz und gar niederschmetternde Art und Weise. Denn so sehr ich mich dagegen auch wehren möchte, im Innersten weiß ich es: niemand wird sich je seiner erbarmen, kein Gesetz kümmert eine solche Haltung. Sie ist rechtens, auch wenn das Recht in diesem Falle gegen den Verstand geht. Gegen das Leben selbst. Das hier ist nämlich keine Tierquälerei, nicht im Sinne des ‚besten Tierschutzgesetzes der Welt‘. Ja, wir haben alles schon erlebt, Ketten, Nasenring, Hornanbindung, Beinfesseln, usw.; und ja, all diese Maßnahmen sind wohl Ausgeburten eines kranken Geistes, hochgradig absurd, pervers. Aber zum Bild unten gibt es einen Unterschied: man kann dagegen vorgehen, kann anprangern, kann die Pein abstellen, beenden. Das wird uns hier nicht gelingen; weil unsere Gesellschaft eine solche Haltung nicht als ‚Tierqual‘ erkennt. Und dieses Faktum alleine ist das wirklich Erschütternde des Momentes…

Es ist nicht immer das ganz offensichtliche, direkteste Leid, welches uns manchmal einfach überwältigt und umzuhauen droht. Das wie eine Flutwelle über uns zusammenbricht, an den Rändern der Erträglichkeit knabbert und uns schließlich fortzuspülen droht. Manchmal ist es auch das verstecktere, vielleicht nicht für jedermann/frau auf den ersten Blick erkennbare. Und dieses trifft einen emphatischen Menschen umso schwerer, ein ansatzloser Haken genau in die Magengrube. Es trägt die Kraft in sich, uns von den Beinen zu holen, nach Luft schnappend im Schmutz und in der Illusion der ach so gepriesenen Humanität zurückgelassen.
Ein solches Gefühl treibt uns Tränen in die Augen, ob wir es wollen oder nicht. Es sind dann nicht nur Tränen des Kummers, des (Mit-)Leides, es sind auch solche der Wut und der Fassungslosigkeit. Der Ohnmacht. Der Ohnmacht gegenüber einer Gesinnung, welche einfach nicht zur Besinnung kommt. Gibt es etwas Beschämenderes als den Gedanken, wir sind zu einer herzlosen, gefühlskalten Gemeinschaft mutiert, welche tierliches Leid beharrlich ignoriert, und damit einen Fortschritt im Umgang mit dem Mitgeschöpf geradezu torpediert? Warum lässt unsere Gesellschaft etwas Derartiges zu? Warum gibt sie zwar vor, auf einem ach so menschlichen Weg zu sein, heftet sich ‚Humanität‘ in sämtlichen Bereichen an die längst zerschlissenen Fahnen einer verlorenen Barmherzigkeit, andererseits aber schafft sie es nicht, den Schwächsten der Schwachen auch nur einen Hauch von Rechten zuzugestehen? Warum lässt sie zu, dass wir, Mensch, dermaßen mit den uns so hilflos Ausgelieferten verfahren? Dass wir, die wir sie beschützen sollten, zu deren schlimmsten Albtraum geworden sind, zu nimmersatten Parasiten an der Nährnadel des Lebens? Wie Figuren schieben wir sie dorthin, wo wir sie ge- und verbrauchen; auf einem Schlachtfeld ohne jede Ehre waten wir in Blut, die eine, unsere, Seite übermächtig, die andere, die, wo die Tiere ob unserer Grausamkeit in Schrecken erstarrt sind, ohnmächtig.
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Foto: kein historisches Bild, sondern aufgenommen im Juli 2019; es erinnert daran, wie es sein muss, lebeding begraben zu sein.
Wir, die Hirten, wir, der Schöpfung höchster Stufe. Vielleicht stimmt das auch so, zumindest mit den Augen der Wissenschaft betrachtet, das anthropozentrische Weltbild mit der Muttermilch aufgesogen. Man kann, mag, soll über eine derartig hochtrabende Feststellung streiten, an einer anderen, angelehnten, umso niederschmetternderen, jedoch besteht dann überhaupt kein Grund zum Disput: die vermeintlich höchste Stufe der Evolution ist nämlich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit viel eher deren tiefster Fall. Ein Fall ins Bodenlose. Die Dornenkrone der Schöpfung.
Die Ketzer der katholischen Kirche, jene, die noch nie für das Leben der Mitgeschöpfe eingetreten sind, haben uns gar als ‚gottgleich‘ identifiziert; als Ebenbild des Erschaffers. Wenn ich allerdings mein Spiegelbild betrachte, selbst in den allerbesten Momenten, kommen irgendwie doch schwere Zweifel in mir auf, ob so ein Gott vorstellbar wäre… aber vielleicht tue ich dessen Vertretern auf Erden mit meiner Skepsis Unrecht, denn sind wir nicht tatsächlich fast wie der Allmächtige? Denn, ja, auch wir haben geschaffen, haben unsere eigene Genesis. Oder ist es nicht so, aus einem Gedanken, aus einem Albtraum, aus einer abgrundtiefen Furcht, nicht zuletzt aus der unfassbaren Sünde heraus, deren wir uns den Tieren gegenüber schuldig gemacht haben, ist der Gehörnten geboren, und er hat sich seither prächtig entwickelt. Wir konnten unserer geistigen Erfindung keinen Widerstand entgegensetzen, jeden Tag haben wir das Böse in uns mehr genährt, gefüttert, und schließlich ist es zum Leben erwacht. ‚Teufel‘ ist nun der Name dieser mächtigen Kreatur des Geistes, entbunden in der Unterwelt unserer Gedanken; ja, er ist es, einst klein und schmächtig, er, der, der als bloße Märe unserer gepeinigten, von Gier und Hass zerfressenen Gehirne das Licht der Welt erblickte und sogleich sämtliche Religionen durchwanderte; er hat nun längst Halt gefunden, ist tatsächlich von der allein psychischen Existenz zur Materie, zur physischen Erscheinung gelangt. Und wir machen in täglich stärker, in unseren Kriegen, in unser Gier, im Hass, in den Tierversuchslabors, in den Mastställen und in den Schlachthöfen. Genau dort, wo wir andererseits Jesus und seine Lehren jeden Tag auf ein neues kreuzigen.
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Foto: wie in der Gruft, ein anderer Vergleich fällt nicht ein.
Der Satan der Gedanken ist mitten unter uns angekommen; sagte ich ‚unter uns‘? Nein, denn das würde noch eine Chance offenlassen, würde bedeuten, er könnte vielleicht im letzten Augenblick separiert, isoliert, bestenfalls sogar vernichtet werden; in diesem Falle aber ist er bereits in unser Innerstes gekrochen, hat sich in uns versteckt, in den hintersten Winkeln des Gehirns eingenistet. Ist zum unentfernbaren Karzinom geworden, hat unsere Blutbahnen infiziert, unsere Gene verändert, unsere Gedanken befallen. Nun, nachdem er sich an unseren Seelen sattgefressen hat, entpuppt er sich, tritt in die Wirklichkeit und wendet sich plötzlich gegen seine Schöpfer. Der, den wir geschaffen, er frisst uns langsam auf. Ironie des Schicksals.
Der Anblick dieses Stieres in einem insgesamt eigentlich gar nicht so üblen Stall, er hat mich mitten ins Herz getroffen. Den Boden unter den Füßen weggezogen. Vielleicht gerade darum, um den Kreis zu schließen, weil das Furchtbare hier nicht so direkt auf uns einprasselt. Es ist ein hintergründiges, nur auf den zweiten Blick erkennbares.
Aber bitte betrachtet dieses Wesen, wie es da in seinem Gefängnis liegt, in einem kaum körpergroßen Loch, auf purem Beton-Spaltenboden. Aufstehen und sich niederlegen, darauf sind seine Möglichkeiten beschränkt. Will er sich drehen, wird’s schon schwierig. Eingesperrt, entwürdigt, gedemütigt. Schmerz ist es, der aus seinen Augen spricht. Seelenschmerz, und körperlicher noch dazu. Und gerade weil einen derartigen Anblick dennoch so viele Menschen als ‚normal‘ empfinden, löst er in mir etwas Ungeahntes aus, eine Regung, die kaum in Worte zu fassen ist. 2019 steht am Kalender, vergessen wir es nicht. Das 3. Jahrtausend nach Christus. Und wieweit haben wir in all der Zeit, in der wir auf diesem Planten wüten, die Tierhaltung revolutioniert, ‚humaner‘ gemacht? Das hier vor den eigenen Augen ist es, was wir geschafft haben, das ist das schändliche Ergebnis. Nach tausenden von Jahren des Zusammenlebens, der Domestikation. Weiter sind wir nicht gekommen. Die Wahrheit ist eine bittere; wir haben uns in Bezug auf unseren Umgang mit den Tieren keinen Deut von der Barbarei entfernt. Unfassbar traurig.
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Foto: niemals darf ein solche Anblick ’normal‘ gelten; zwei so wunderbare Geschöpfe verbringen ihr ganzes Sein in einem derartigen Gefängnis und wir sollen es als ‚artgerecht‘ hinnehmen? Übrigens: auch auf diesem Stall prangt ein Gütesiegel!
Am Ende eines über ca. 15 Millionen Jahre andauernden Entwicklungsprozesses der Hominiden betrat vor etwa zwei Millionen Jahren der Urmensch ‚Homo habilis‘ die Weltenbühne. 2 Millionen Jahren; und innerhalb einer solchen Zeitspanne ist es uns nicht gelungen, uns als Menschheit, zu 100 % einen solchen Anblick unerträglich zu finden?! Unerträglich, das sind alleine die Ausreden geblieben, die wir gebrauchen, um ihn ertragen zu können. Davon aber haben die Tiere nichts, Vorwände konnten eine Situation noch nie verbessern. Im Gegenteil sie verhindern eine Neu-Ausrichtung, sie verhindern sogar ein Nachdenken darüber.
Es wird Zeit zu neuen Ufern aufzubrechen. Keine Verzögerung mehr, kein Glaube an Worte, die doch nie erfüllt werden. Lasst uns gemeinsam die Stimme erheben, einen Wind entfachen, zum Orkan gesteigert! JETZT ist der beste Zeitpunkt, die größte Schande der Menschheit auszutilgen. JETZT helfen wir den Tieren, JETZT lassen wir keine Ausreden mehr zu, JETZT beenden wir unser Schweigen. Keine Stunde ist besser dafür geeignet als das JETZT!!!
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Und wenn unsere Stimme alleine nicht genügt, dann, wenn keine andere Wahl bleibt, weil weder der Gesetzgeber die nötigen Schritte einleitet, noch die Behörde ihre Arbeit tut, wenn die Tierhalter und all jene, welche am Leid der Tiere ihr blutiges Geld verdienen, sich gegen uns stellen – und das wird passieren, passiert doch schon seit Jahren – dann zerren wir die TäterInnen unbarmherzig wie sie selber sind an die Öffentlichkeit, und stellen sie an den sozialen Pranger! Zumindest das sind wir ihren Opfern schuldig.
Denn das Schweigen ist ein belanglos nicht; es ist der Bruder der Unmenschlichkeit, zusammen sind sie eine Glut, vom Bösen entfacht, welche den letzten Funken von Ehre in uns erstickt. Lassen wir es nicht zu. Nicht länger. Schweigen zu einer Untat, von der man weiß, ist die allgemeinste Art der Mitschuld!

Wissen Sie, was es ausmacht, dass gerade dieses Bild für mich persönlich ein derart erschütterndes ist? Weil es in seiner Veröffentlichung keine Konsequenzen mit sich bringen wird, weil der Tierhalter unantastbar bleibt. Weil das Gesetz eine solche Haltung billigt, ihr keinerlei Tierqual unterstellt. Weil viel zu viele Menschen dahinter nicht den Wahnsinn erkennen, welchen wir tagtäglich über die Tiere ergießen. Weil Mütter mit ihren Kindern vor diesem Stall stehen, und von Tierliebe sprechen, dabei nicht die Enge, nicht die Ohnmacht sehen; weil sie nicht das Flehen und Bitten in den Augen der Gequälten bemerken, viel lieber den Kopf senken, und den Blickkontakt vermeiden. Würden sie alle sich nur einen Augenblick Zeit nehmen und das eingepferchte Individuum als das annehmen, was es ist – nämlich ein Teil der Schöpfung, der genau wie wir nur in Frieden leben möchten, der genau wie wir fühlt und genau wie wir zum Leiden fähig ist –  dann könnten, müssten alle Dämme brechen.


P.S.: Die Befürchtung, dass ein gut gemeintes Tierschutzvolksbegehren, welches sich aber andererseits auch als ‚Pro Bauern Volksbegehren‘ sehen möchte, genau aus diesem Grunde ziemlich wirkungslos verhallen könnte, ist so weit nicht hergeholt. Man wird sich wohl für die eine oder andere Variante entscheiden müssen, um die Glaubwürdigkeit hochzuhalten und nicht Verrat zu begehen, an dieser oder jener Seite! 
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