102 Kastrationen – der Einsatzbericht (Teil 1)!

Es war eine unruhige Nacht gewesen. Ein nicht zu stoppendes Kopfkino hatte das Einschlafen lange Zeit unmöglich gemacht. Immer wieder kauten bleierne Gedankengänge die künftigen Tage durch, nur um letztendlich bei der Gewissheit zu verbleiben: das Kommende lässt sich nun, keine 20 Stunden vor dem Abflug, sowieso kaum mehr beeinflussen, die Zukunft alleine weiß Bescheid über Erfolg oder auch Misserfolg des anstehenden Einsatzes. Doch den Tüchtigen gehört die Welt, jenen, die versuchen, die kämpfen, die nicht aufgeben, die dann und wann auch einmal an das Unmögliche glauben – und egal was immer passieren mag, hat man diese Tugenden eingehalten, nichts ist dem- oder derjenigen mehr vorzuwerfen. 
Der tiefe Glaube an solch kosmische Gesetze legte sich schließlich wie Balsam auf die geplagte Seele und ließ den müden Körper doch noch für ein paar Stunden Ruhe finden.

Langsam verblasst nun die Aufregung. Jetzt, am Flughafen, braucht es kein Nachdenken mehr ob denn alles eingepackt, alles hergerichtet, alles organisiert ist, denn nun, wäre dem nicht so, es sollte ohnehin zu spät dafür sein. Rien ne va plus, nichts geht mehr, im guten Sinne!
Endlich, endlich bloßes Zurücklehnen, eins zu werden mit dem Warten auf das was immer auch folgen mag. Hektisch sind sie gewesen, die letzten Tage. So viel nebenbei galt es noch zu erledigen, Arbeit ohne Ende. Wie immer nun schon im eigentlich ruhigeren Herbst, der sich gemessen am Arbeitsaufwand dennoch längst kaum mehr von jenem im Winter, Frühjahr oder Sommer unterscheidet.
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Foto: ein unruhiger Flug wird am besten genutzt, wenn man daneben arbeitet! 🙂 rechts: Flughafen Sofia – seit jeher stehen dort Spendenboxen für den Tierschutz!!!
Wir warten auf den kleinen Airbus 319 der bulgarischen Luftlinie, welcher uns bis Mitternacht nach Sofia wird bringen soll. Dort, im Flughafen der Metropole, wird Rumi, die unverzichtbare, langjährige Mitarbeiterin, bereits auf uns warten; die Gute soll uns schließlich zu Aleko’s Mam, jene herzensguten Frau, welche vor 6 Monaten Betty und Jonny zu uns brachte, kutschieren (eifrige Newsletter-LeserInnen erinnern sich vielleicht, Aleko ist ebenfalls ein bulgarischer Mitstreiter, der aber seit vielen Jahren in Germanien wohnt; Betty und Jonny sind zwei Straßenhunde, welche ohne den Einsatz der Tierschützerin keine Überlebenschancen gehabt hätten)! Wir dürfen bei ihr, Daniela, übernachten, und dann mit Aleko’s in Bulgarien abgestellten Wagen weiterfahren – einfach super! So wichtig und schön sind Freundschaften, so cool, wenn eine Hand die andere wäscht. Vielleicht besteht genau darin der vielgesuchte Sinn des Lebens!
Und morgen beginnt es, das mittlerweile 9. RespekTiere-Kastrationsprojekt in Breznik. Fast 1000 Hunde und Katzen haben wir in der Kleinstadt inzwischen dem Eingriff unterzogen, nicht nur Straßentiere, auch die Heimtiere der BewohnerInnen, diese allesamt fast jeglicher finanziellen Mittel beraubt, werden uns inzwischen zu Dutzenden in den alten, längst von den Elementen zerfressenen Saal gebracht. Die TierhalterInnen nutzen die Chance mittlerweile gerne. Mittlerweile deshalb, weil es bis zum Status Quo ein schwerer Kampf war (und häufig immer noch ist) – wie oft wurden wir weggeschickt, wenn wir an den Haustüren fragten, beschimpft sogar, tatsächlich oft genug bedroht. Aus irgendwelchen uralten Traditionen, aus unwahren und doch so tiefsitzenden Legenden resultierend, haftete dem Begriff ‚Kastration‘ für viel zu viele Menschen etwas Unglückseliges an, etwas Problematisches. Tut es leider noch heute. Ein Schatten über unserer Arbeit, der nicht leicht zu vertreiben war und ist. Denn fest steht – nur ehrgeizige Kastrationsprojekte können ansonsten unweigerlich kommendes Tierleid verhindern!
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Fotos: wir dürfen in der Wohnung von Daniela die erste Nacht verbringen; die Tierschützerin stellt das Wohlergehen der Straßenhunde weit über ihr eigenes…
Doch manchmal ist die Zeit ein Freund; die BewohnerInnen Breznik‘s haben selbstredend die Veränderung über die Jahre hinweg bemerkt, hin zum Guten; das eingedämmte Leiden an den Straßenrändern, die Krankheiten, welche seit dem durchgehenden Impfen weit weniger oft ausbrechen und wenn, dann nicht mehr eine derart hohe Anzahl von Opfern einfordern. Nicht zu vergessen, die Güte und den Respekt, welchen wir den Tieren entgegenbringen, die wirkt ansteckend. Auch dieses Faktum ist ein nicht zu unterschätzendes. Jedenfalls sind die wirklich unfassbaren Fälle von Tierquälereien, das fast öffentliche Erschlagen, Erhängen und Verbrennen von Tieren, das bewusste Überfahren und dergleichen, seit dem Beginn der Kampagne wesentlich zurückgegangen. Eine Tatsache, welche uns mit großer Freude erfüllt, und mit noch mehr Hoffnung. Vielleicht wird am Ende des Tages doch noch alles gut…
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Fotos: Straßenhunde finden sich in Bulgarien überall; auch wenn die Situation inzwischen in Sofoa selbst besser scheint, am Land ist sie immer noch dramatisch!
Bulgarien ist ein bitterarmes Land. Und eines, welches in Korruption geradezu versinkt. Nicht zuletzt deshalb ist die Situation eine derart bedrückende, nicht zuletzt deshalb haben viele seiner BewohnerInnen dem Balkanland den Rücken gekehrt. Besonders nach der Wende und nach dem EU-Beitritt, endlich im Bewusstsein offener Grenzen, verließen die Menschen scharenweise die einstige Heimat, immer in Richtung ‚Goldener Westen‘. Meist, um dort nur erneut von der Realität eingeholt zu werden. Folge: Betrug die Bevölkerungszahl 1980 noch über 10 Millionen, leben heute nur mehr knapp über 7 Millionen im Land. Die Bevölkerung ist zudem eine stark alternde, was zusätzlich düstere Zukunftsprognosen aufwirft. So geht man davon aus, dass 2050 unter fünfeinhalb Millionen Menschen im Land leben werden. Weiteres Indiz: in den letzten Perioden konnten nur vier Städte einen Bevölkerungszuwachs verzeichnen, darunter selbstredend Sofia-Stadt. Die pulsierende Metropole wird allerdings von vielen Zuwanderern als Sprungbrett zur Abreise ins Auslands genützt.
Die BürgerInnen verteilen sich übrigens auf rund 111 000 Quadratkilometer, was wiederum eine Bevölkerungsdichte von rund 64 Menschen pro Quadratkilometer mit sich bringt (zum Vergleich: jene von Österreich, wo nun schon fast 9 Millionen auf gut 83 900 Quadratkilometer leben, beträgt 105).
Rund 83 Prozent einer im Gegensatz zum Nachbarland Rumänien wenig religiösen Gesellschaft geben sich als Christen aus, mehr als 13 Prozent als Muslime. Erschreckend ist der eklatante Schwund der jüdischen Minderheit, zu welcher sich um 1950 noch weit mehr als 50 000 Menschen zugehörig bekannten, bis 2001 sind davon aber nur mehr 650 übriggeblieben sind. Überhaupt, der Umgang mit Minderheiten ist stets ein problematischer gewesen. Nebenbei, die letzten Fussballspiele haben es wieder erschreckend deutlich gezeigt, gibt es auch eine starke Rechts-Szene, die sich wie selbstverständlich mit Nazi-Propaganda umgibt.
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Foto: der Verfall ist allgegenwärtig. Hunderte Fabriken stehen leer, Rost und Vergänglichkeit regiert diese Welt. Von einst bis zu 11 Millionen BulgarInnen sind kaum 7 Millionen im Land übrig geblieben und Schätzungen versprechen einen weiteren dramatischen Rückgang.
Bulgarien war, ein Fakt, über welchen vielleicht Wenige Bescheid wissen, fast 500 Jahre unter türkischer Herrschaft. 1393 bis 1396 erobert, gelang es erst 1876 einem russischen Heer die Osmanische Dominanz zu brechen. Alleine, für die Bevölkerung änderte sich nun aber nur der Name des Unterdrückers. 1944 wurde das Land von der Roten Armee besetzt, und knapp nach dem Krieg endgültig in den Sowjetischen Einflussbereich integriert. Tausende Todesurteile an der bis dahin herrschenden Klasse wurden nun vollstreckt. Bulgarien war jetzt ein kommunistisches Land. Im November 1989 allerdings formten sich die ersten Proteste gegen die politische Elite, 1990 gab es endlich freie Wahlen. 2007 erfolgte der Beitritt zur Europäischen Union, wobei eine Aufnahme in den ‚Schengener Raum‘ aufgrund ‚unerfüllter Kriterien‘ bis heute nicht zustande kommen konnte. Hauptgrund hierfür ist wohl die ausufernde Korruption, welche das Land im eisernen Griff hält und jeden Fortschritt verhindert. Bereits 2008 kürzte die EU wegen mangelnder Entwicklung diesbezüglich über 220 Millionen an Fördergeldern, nur wenige Monate zuvor waren 825 Millionen vorübergehend eingefroren worden. Wie dramatisch die Situation ist, beweist ein Blick auf die Statistik: Nach dem Korruptionswahrnehmungsindex nimmt Bulgarien 2016 den beschämenden 75. Rang unter 176 Ländern ein, gleichauf mit Tunesien oder Kuwait, mit ganzen 41 von 100 möglichen Punkten. Hier kommen wir nun erstmals auf die Straßentier-Problematik, denn trotz vieler zweckgebundenen EU-Fördergelder erreichen diese niemals die dafür vorgesehene Bestimmung. Sie verlaufen sich in dunklen Kanälen, ein Grund, warum das Thema auch gar nicht gelöst werden mag – zu viele verdienen am fortgesetzten Tierleid blutiges Geld…
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Nun finden wir uns im Flugzeug wieder; wieder Erwartens gab es dieses Mal keine Probleme bei Passkontrollen und Sicherheitscheck – im normalen läutet dabei immer irgendein Sensor, der Metall oder andere ‚verdächtige‘ Stoffe am Körper entdeckt – wie die Nacht zuvor soll der Flug dann aber leider ebenfalls ein sehr unruhiger werden, von Turbolenzen gezeichnet.
Georg sitzt neben mir, ein herzensguter Tierschützer aus Wien, und ich hoffe inständig, die Reise wird für ihn eine aufregende, eine mit hohem Erfahrungswert! In meinen Sessel gedrückt versuche ich ein bisschen zu schreiben, hämmere diese Zeilen in die Tastatur; den Schriftsatz geschmeidig zu machen, gelingt mir nicht wirklich, wohl, weil die Gedanken an anderen Orten kreisen, nicht zur Ruhe kommen. Zum Beispiel die Tatsache, dass so fantastische FreundInnen mir die Fahrt zum Flughafen so völlig angenehm gemacht und dabei ihre eigene Zeit geopfert hatten, erfüllt mich im Moment mit großer Dankbarkeit. Ja, es werden anstrengende Tage sein, die da vor uns liegen, aber letztendlich – Inshalla, so Gott will – wird der so wichtige Einsatz dann auch wieder einen riesigen Unterscheid gemacht haben. Einen Unterschied für die Tiere, das ist es, was es zu erreichen gilt. Und dafür werden wir alles tun, so viel steht fest!

Knapp vor Mitternacht landen wir in Sofia; Bulgariens Metropole empfängt uns mit angenehm warmen Temperaturen, selbst zu dieser späten Stunde! Und mit Rumi, zusammen mit ihrem Mann Toni wird sie uns nun zu Aleko’s Mama fahren, irgendwo in ein Außenviertel der Stadt. Wir suchen den Ort dann längere Zeit, aber schließlich erreichen wir die gewünschte Adresse doch irgendwie. Die strahlt ein bisschen Ost-Flair aus, und da gehört es irgendwie dazu, dass sämtliche hinführende Wege, in Fakt sogar gefühlt die allermeisten Bulgariens, geborsten sind, mit Schlaglöcher tief wie kleine Erdkrater. Fest steht, egal wie müde man ist, spätestens nach einer Fahrt über Ost-Asphalt ist man wieder munter! 🙂
Im Winter wohl unmöglich zu räumen, ist später regelmäßig das totale Verkehrschaos vorprogrammiert. Die Gebäude sind von den Elementen zernagt, genau wie die Straßen, hie und da leuchtet noch eine Laterne, andere haben den Geist und den guten Willen längst aufgegeben. Hunde bellen, von allen Seiten; wie Geister der Nacht ziehen ihre Silhouetten vorbei, versinnbildlichen die Schande der Menschheit. Denn die ist es gewesen, die vor tausenden Jahren ihren Schutz gebraucht und sie deshalb der Wildheit entrissen hat; und heute, große und mächtig und all beherrschend, haben wir sie fallen gelassen, betrachten sie wie den Schmutz zu unseren Füßen. Ratet mal, wenn wir schon unsere besten Freunde derart behandeln, wie gehen wir dann mit den uns nicht so nahen Geschöpfen um? Macht die Stalltüren auf, und Ihr habt die erschreckende Antwort…
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Foto: des Menschen bester Freund – von ebendiesen bitterst im Stich gelassen!
Aleko’s Mam, die Gute, erwartet uns bereits voller Vorfreude; lange haben wir uns nicht gesehen, und so  viel gibt es zu erzählen. Sie hat wieder drei Hunde bei sich aufgenommen, zuckersüße, eine davon allerdings, eine Hündin, zeigt sich extrem scheu. Sie hat auch allen Grund dazu, durch eine Wahnsinnstat verlor sie eines ihrer Vorderbeine!
Daniela verkörpert den Prototyp der hiesigen Tierschützerin; ich hab es oft erwähnt, wie unfassbar erschöpfend in jenem Land eine derartige Zuneigung zu den Mitgeschöpfen sein kann, sein muss. Denn anders als beispielsweise bei uns, wo man zwar auch so manches schreckliche Erlebnis zu verdauen hat, aber wenigstens ab und dann auch ein Schulterklopfen für die Tierschutzarbeit bekommt, so wichtig wie die Luft zum Atmen, bliebt eine derartige mentale Unterstützung im Osten meist völlig aus. Das Gegenteil trifft sogar zu, Tierliebe wird nur allzuoft sogar mit totaler sozialer Ächtung ‚belohnt‘. Und trotzdem machen diese Menschen weiter, immer weiter, ohne jemals auszuruhen; sie wohnen in Umstände, wo viele von uns keine 2 Tage damit zurechtkommen könnten, in bitterster Armut, und teilen dennoch jegliche Habe. Ja, sie verzichten selbst auf die eigene Mahlzeit, wenn das Geld einmal ganz knapp wird – die Schützlinge sattzukriegen, ist ihnen um vieles wichtiger…
Genauso ist Daniela; ihr ganzes Dasein ist den Hunden gewidmet, für sie bleibt nur das Notwenigste. Der gesamte Alltag ist auf die VierbeinerInnen ausgelegt und sogar notwendige Arztbesuche werden auf ungewisse Zeit verschoben. Es gebührt ihr allerhöchster Respekt, den sie aber in ihrem Umfeld nie finden wird…

Die Nacht ist eine denkbar kurze; müde Körper registrieren das viel zu frühe Weckerläuten mit bloßem Missfallen.
Es hilft nichts, nach einer Tasse duftenden Kaffee und einer herzlichen Verabschiedung starten wir auch schon Aleko’s Auto, der 15 Jahre alte Peugeot wird die nächsten Tage über unser bester Freund sein! Danke dafür, Aleko!
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Fotos: wieder hat Daniela drei Straßenhunde bei sich aufgenommen; sie hätten ansonsten in einem hundefeindlichen Umfeld keine Chance – so haben Nachbarn beispielsweise verboten, die öffentliche (!) Straße hin zu deren Grundstücken auch nur zu überqueren…
Rumi, Didi, die großartige Tierärztin, sowie Reni und Vanja – eifrige RespekTiere-Newsletter-LeserInnen wissen, das alljährliche Stammteam – sind schon im alten Veterinär-Saal, der für sich längst dem Verfall preisgegeben ist. Für uns eignet sich der Ort dennoch perfekt. Mitten im Ortszentrum von Breznik gelegen und dennoch keine Nachbarn, welchen das unweigerliche Hundebellen sauer aufstoßen könnte, mit funktionierender Wasserversorgung und allen für die Arbeit wichtigen Details ausgestattet, könnten wir uns keine bessere Basis wünschen. Fehlende Komponenten haben wir längst durch Einfallsreichtum ausgeglichen, und so sind wir der Stadt sehr dankbar für die Zurverfügungstellung des Platzes!

Wenig später stößt auch noch Marietta, welche uns die ersten Kampagnen über als Veterinärin begleitet hatte, dazu – welche Freude, mit ihren mittlerweile gut 16 000 eigenhändig durchgeführten Kastrationseingriffen ist sie mit all ihrer Erfahrung der Ruhepol und die Stütze schlechthin!
Auch einige Hunde sind bereits von durch die Medien informierten StadtbewohnerInnen gebracht worden; während die Veterinärinnen mit den Operationen beginnen, sind Georg und ich dann auch schon unterwegs – unsere hauptsächliche Aufgabe für die nächsten Tage wird es nämlich sein, Hunde zu finden, einzufangen und zum Saal zu bringen.
Zuerst verschaffen wir uns einen Überblick; unten bei den Blocks, dort, wo schon so viele Tierquälereien passiert sind, finden sich dennoch – wohl einzig und alleine aufgrund des Nahrungsangebotes bei den vielen Mülltonnen – immer einige Hunde. So auch heute; wir füttern sie, die Armen sind aber sehr misstrauisch; bedenkt man den Umgang mit ihnen, wohl mehr als verständlich! So bleibt uns nur, sie an die Anwesenheit zu gewöhnen, später wiederzukommen, erneut zu füttern, und derarts letztendlich in den folgenden Tagen vielleicht das Vertrauen zu gewinnen.
Am Friedhof schließlich werden wir fündig; einem Tipp folgend, wussten wir im Vorfeld von der Gegenwart einer Mutterhündin samt fünf ihrer Babys. Wir entdecken die Welpen auch bald, nur Mama lässt sich nicht blicken. Schließlich erkundigt sich ein Arbeiter, wahrscheinlich der Friedhofsgärtner, nach unserem Anliegen; wir erzählen mit Händen und Füßen sowie ein paar aufgeschnappten Brocken Bulgarisch von dem Vorhaben. Tatsächlich kann er später die Hündin herbeirufen. Nur, auch sie ist recht scheu, will gar nicht das mitgebrachte Futter anrühren. Letztendlich nehmen wir wenigstens die Halbwüchsigen mit uns, alle fünf; denn würden wir sie vor Ort belassen, allesamt würden sie bis zum nächsten Jahr für eine erneute Welpenschwemme sorgen.
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Foto: erste Gespräche zum kommenden Einsatz!
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Fotos: Willkommens-Transparent bei der Zufahrt zum OP-Raum; rechts: Hunde und Katzen finden sich an jeder Ecke…
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Fotos, oben und unten: Friedhofshunde; die Welpen nehmen wir sofort mit, sie werden später in Rumi’s Asyl in Sicherheit gebracht! 🙂 Die Mutter konnten wir dagegen nicht gleich einfangen, ihr Fall sollte uns die nächsten Tage über beschäftigen.
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Der Wettergott ist heute unser Gefährte; nicht nur heute, die Vorhersage kündet von kommenden Spätsommertagen; glaubt man der Prognose, wird uns weder Regen noch Kälte bis zum Ende der Kampagne das Leben schwermachen – super zwar für das Projekt, andererseits lässt der Klimawandel grüßen!

In einem unweit von Bresnik gelegenen Dorf können wir einen weiteren kleinen Hund einfangen; drei große lassen uns zwar nahe an sich heran, entschwinden aber im letzten Moment vor einem möglichen Zugriff. So holen wir Didi, die Expertin. Und so gelingt es uns letztendlich in der Tat den Rückweg mit zwei weiteren Hunden anzutreten. Allerdings nicht mit den gedachten. Dafür aber deren Mutter, die erschöpft wie sie ist, sich unerwarteter Weise relativ einfach zum Mitkommen ‚überreden‘ lässt. Ihre imposante Größe täuscht aber auch etwas über ihr Verhalten hinweg. Denn tatsächlich ist sie äußerst sanft, unfassbar liebenswert. Eines ihrer Vorderbeine steht im schrägen Winkel zum Körper, ein verheilter Bruch, der sich wohl schon Jahre zuvor zugetragen hat. Ich bete zu Gott, das Bein möge im Winter bei kalter Witterung nicht furchtbar schmerzen… Ihr drei Kinder müssen wir zurücklassen, aber klein sind sie ohnehin längst nicht mehr. Gut 15 Kilo schwer, werden sie später wohl sogar wahre Riesen sein! Morgen ist auch noch ein Tag, um unser Glück nochmals zu versuchen.
Wie allerliebst diese Hunde doch allesamt sind; und wie verzweifelt, wie traurig sie wirken! Nicht zu vergessen, wir haben sie soeben entrissen einer harten Welt, die dennoch ihre einzige Heimat ist. Obwohl im ständigen Überlebenskampf, sie kennen es nicht anders, sind sie ihrer Umgebung angepasst, Teil deren. Natürlich, sie wissen nicht, genau jene Menschen, welche jetzt noch tagtäglich nach ihnen sehen, sie versorgen, genau diese werden die kommenden Monate in der Stadt verbringen. Dann, in der bittersten Zeit, im eiskalten bulgarischen Winter, im Gefrierschrank des Ostens, wird niemand mehr da sein, der ihnen Nahrung zukommen lässt. Sooo traurig ist die Realität, die keinen Platz für falsche Vorstellungen oder gar Idylle bietet…
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Foto: es ist soooo traurig – während die Schafe im Hintergrund von der Familie, Mutter und Sohn, täglich zum Grasen und später wieder heim gebracht werden, lebt der arme Hütehund ausgestoßen beim Müllplatz. Dabei wäre es so einfach. Er würde sicher einen perfekten Begleiter abgeben…
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Foto: bewohntes Umfeld; es ist manchmal kaum zu glauben…
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Fotos: auf der furchtbaren Müllhalde finden sich dieses Mal dem Himmel sei Dank keine Hunde!
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Foto: das Pferd steht angekettet in der Sonne; auch wenn in der Impression Wolken aufziehen, all die Tage hatte es rund 25 Grad. Wasser wird keines gereicht.
Bulgarien ist das Land der Ruinen. Überall zerbersten die Gebäude, verlassene Gehöfte soweit das Auge reicht. Die Dorfzentren ausgestorben, nur vereinzelt sitzen alte Männer oder Frauen im Schatten von noch viel älteren Bäumen und scheinen eine Vereinbarung mit der Zeit getroffen zu haben. Die Bitte um Stillstand wurde gewährt. Mit müden Augen und beinahe stoisch hängen sie der Vergangenheit nach, der guten, alten, die doch meist niemals eine solche war. Stattdessen hat die Vergänglichkeit sie längst im eisernen Griff, genau wie die bröckelnden Mauern, die ihr Hab und Gut nur mehr mühsam vor den Elementen beschützen können.

Menschen bringen ihre Hunde zum OP-Saal, Katzen ebenso. Dazwischen gelingt es uns immer wieder selbst welche einzufangen, und so werden wir am Ende des Tages wieder 20 Kastrationen durchgeführt haben.
Gegen 18 Uhr müssen Georg und ich das Team kurz alleine lassen, es gilt, in Pernik die Schlüssel zu unserem Apartment zu übernehmen. Wie schon beim letzten Mal schlafen wir dort in Lachezar’s Appartment, welches er uns über Airbnb zur Verfügung gestellt hat – zum supersonder-Tierschutzpreis von 20 Euro pro Nacht! Seine Familie, Lachezar arbeitet in Deutschland, empfängt uns dann auch wieder allerherzlichst; auch daher ist das Zusammentreffen fast ein ‚Nach-Hause-Kommen‘! So hilfsbereite Menschen, so herzlich, es ist eine Freude!
Wir können diese Herzlichkeit zurückgeben, davon haben wir selber ebenfalls viel zu verschenken, aber was wir nicht haben, ist Zeit! So verabschieden wir uns auch schon wieder und werden am Weg zurück nach Breznik von der beginnenden Nacht verschluckt.
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Foto: Georg versucht eine scheue Hündin einzufangen – leider erfolglos!
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Fotos: selbst Leckereien schaffen es nicht, den hungrigen Liebling soweit anzulocken, dass wir ihn mitnehmen hätten können; rechts: wunderhübsche Katze mit blauen und grünen Augen. Mitnehmen dürfen wir auch sie nicht, OP vom Wirten, vor dessem Gastgarten sie lebt, verboten!
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Fotos oben und unten: Kastrationen in der Dauerschleife; das Team leistet wirklich großartiges! Menschen bringen von sich aus ihre Tiere – alleine das ist ein großer Erfolg der jahrelangen Bemühungen!
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Foto unten: Rumi hilft dem Hund des Jungen mit seinem Parasitenproblem; zudem schenkt sie danach ein Brustgeschirr!
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Eine Hündin findet sich spät abends vor den Toren der Klinik ein, halb verhungert, jede Rippe sichtbar; ein Skelett, nur Haut und Fell halten das Knochengerüst in Balance; zudem ist ein Vorderbein in Mitleidenschaft gezogen, die Arme humpelt stark. Bestimmt wurde sie auf den Straßen ausgesetzt; eine wunderschöne Jagdhündin, vielleicht reinrassig, was war wohl passiert? Die Antwort gibt sie uns die nächsten Tage selbst – unfassbar sanft und liebevoll war sie augenscheinlich für das blutige Hobby nicht geeignet und wurde deswegen kurzerhand entsorgt…
Sie scheint tatsächlich nach Hilfe gesucht – und findet diese selbstverständlich bei uns! Jedenfalls kann ich sie ganz einfach hochheben und in den Saal tragen! Keine Gegenwehr, kein Murren; nur ein trauriger Blick. Fest steht, für diese Hündin müssen wir ein zu Hause finden; sie darf nicht mehr zurück auf die Straße, in ein Leben, dass mit Sicherheit ihren baldigen Tod bedeuten würde.
Die Uhr zeigt bereits halb 10, als wir müde und zerschlagen die Lichter im alten Saal löschen. Die Hunde schlafen bereits, morgen werden sie allesamt wieder zurück dürfen an ihre angestammten Plätze. Sagte ich alle? Nein, ein paar davon, jene, denen das Leben am übelsten mitgespielt hat, werden in Rumis kleines Asyl gebracht, wo sie dann auf ihre Ausreise in den Goldenen Westen warten!
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Fotos: was für eine wunderbare Hündin! Am Bild erkennt man den dramatischen Zustand gar nicht so wirklich; jedenfalls war sie dem Verhungern nahe, wir päppelten sie die folgenden Tage bestmöglich auf. Keinen Schritt mehr entfernte sie sich von der ‚Klinik‘, wohl im Wissen, unsere Präsenz ist ihre einzige Chance!
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Der Tag beginnt erneut mit strahlendem Sonnenschein. Gott ist doch TierrechtlerIn, denken wir dankbar; welcher Unterschied zu vergangenen Kampagnen, wo wir zusätzlich mit Regen und Kälte zu kämpfen hatten.
Der Weg von Pernik nach Breznik ist ein wunderschöner; die schmale Straße windet sich durch zwar genutzte, aber dennoch prächtige Landschaft, voller goldenen Grases und herbstlich geschmückter Bäume. Menschenleer. Über weite Strecken findet sich kein Haus, und ist es stockdunkel, keinerlei künstliches Licht erhellt die Umgebung. Friede pur.
Angekommen im Saal warten bereits wieder Menschen mit Hunden und Katzen auf uns. Schnell sind wir mittendrinnen in der täglichen Kastrationsarbeit, die PatientInnen von gestern wollen gefüttert, ihre Übernachtungsplätze müssen gereinigt werden. Die einen werden nun ‚Gassi‘ geführt, andere dürfen, müssen, jetzt aber auch schon wieder zurück an ihre angestammten Plätze. Besonders schwer fällt uns diese Aussiedelung bei einem großen Hütehund, der so unsagbar vertrauensvoll seinen Häschern, uns, gegenüber war, dass es in der Seele schmerzt, ihn nun wieder ins Ungewisse entlassen zu müssen. Ach ja, wer an dieser Stelle findet, er oder sie könnte das nicht, er oder sie müsste alle Hunde mitnehmen, der oder die ist herzlichst eingeladen uns zum nächsten Projekt zu begleiten. Wir brauchen Eure Hilfe! Denn nichts wäre schöner als allen ein zu Hause verschaffen zu können, die Wirklichkeit sieht aber leider anders aus.

Am selben Ort versuchen wir dann auch wieder die ‚Kleinen‘ von gestern zu fangen. Unmöglich, sie sind zu scheu! An anderen Plätzen in der Stadt sind wir aber erfolgreicher. So zum Beispiel gelingt es uns aus einem Ortszentrum eine wirklich große Hündin mitzunehmen.
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Bulgarien, das Land der Ruinen!
Aber die drei Halbwüchsigen von gestern gehen uns nicht aus dem Kopf. So erklärt Marietta schließlich, wie wir die Sedierpaste Sedalin verwenden könnten. Gesagt, getan. Tatsächlich isst der Junge den präparierten Brei, gut in Nahrung eingewickelt. Er wird auch bald schläfrig. Allerdings, richtig einschlafen wird er nicht, nur seine Reaktionen sollten sich stark verlangsamen. Eine seiner beiden Schwestern riecht dagegen im wahrsten Sinne des Wortes die Falle, sie isst nur einen kleinen Teil der angebotenen Leckerei, den Rest lässt sie liegen; die dritte ist leider überhaupt unauffindbar.
Der Junge scheint jetzt zu schlafen. Allerdings blinkt uns ein halboffenes Auge eine deutliche Warnung zu. Trotzdem schaffen wir es eine Leine um seinen Hals zu legen. Doch als wir diese festzuziehen versuchen, springt er plötzlich auf und schon im nächsten Moment ist das Band durchbissen. Ich versuche ihn dennoch festzuhalten, was ich sekunden später bereits bitter bereue – denn blitzweiße Zähne bohren sich schneller als ein Gedanke in meinen rechten Unterarm und hinterlassen eine blutende Wunde! Im nächsten Moment ist der Hund dann auch schon im Unterholz verschwunden. Grrrr…
Auch bei seiner Schwester ist uns das Glück nicht hold. Sie, die wesentlich weniger des Medikamentes gegessen hatte, durchschaut sofort auch diesen Plan, wir kommen erst gar nicht zum Zupacken. Im dichten Dornengestrüpp ist sie schnell unauffindbar.
Ärgerlich! Viel Zeit und viel Mühe umsonst. Außer Spesen – in unserem Falle besser ‚Schmerzen‘ – nichts gewesen…
Am Abend wollen wir einen weiteren Versuch starten, dann gemeinsam mit Marietta, Didi und Evelyn, die heute zum Projekt gestoßen ist (auch sie ist bereits ‚Veteranin‘, war sie doch ebenfalls schon mehrmals dabei). Trotz all der Geschicklichkeit der im Umgang mit Hunden so erfahrenen Frauen, sie sind allesamt hoch dotierte ‚Fängerinnen‘, müssen wir dann aber ein nächstes Mal w/o geben. Umsonst war der etwas weitere Weg in den kleinen Ort dennoch nicht; eine Anrainerin, welche die Aktion mit großem Interesse beobachtet hatte, gibt uns nämlich einen Hund und 2 Katzen mit, die wir morgen zurückbringen werden.
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Foto: selber Schuld – ein schmerzhafter Hundebiss. Georg, rechts, und Didi, unten, machen es besser!
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Auch in jener Ortschaft, wo Georg und ich gestern Abend noch die große Hündin fingen, halten wir. Am Dorfplatz gibt es weitere Hunde, ein halbes Dutzend davon, allesamt aber ebenfalls sehr scheu. Und einige Katzen, eine davon gänzlich weiß, mit einem tiefblauen sowie einem giftgrünen Auge! Auch hier sind wir letztendlich jedoch erfolglos, nur, ein Mann verschönert den Moment, als er uns seinen eigenen Hund für den Eingriff überlasst.

Der Fall der ‚Friedhofshündin‘ mit ihren Welpen bereitet uns weiterhin Kopfzerbrechen. Wieder mit Sedalin im Gepäck versuchen wir sie einmal mehr einzufangen, sogar unter der Mithilfe des Friedhofgärtners sowie eines weiteren Mannes, der von sich behauptet, er können sie, die Scheue, tatsächlich anfassen. Die Mutter nimmt die Paste dann wirklich auf, aber schlafen möchte sie nicht. Langsamer zwar, dennoch weiterhin behänd, zwingt sie uns ihr über die Begräbnisstätte zu folgen. Mehrmals scheint sie dabei einen Platz zum Ruhe gefunden, aber immer, wenn wir etwas näherkommen, setzt sie die Flucht erneut fort. Da hilft auch er nichts, der meinte, er könne ihr einfach eine Leine umlegen!
Wir müssen schließlich aufgeben; morgen werden wir es wieder probieren, dann mit dem Betäubungsgewehr. Emo, der langjährige Freund, hat sich hierfür angesagt, er, der ein Meister in der Benutzung der Waffe ist!
Nichtsdestotrotz, erneut bringt uns ein Mann nun von sich aus seinen eigenen Hund – wie wichtig das ist, denn besonders die ‚Haushunde‘ tragen immens dazu bei, dass die Straßentierproblematik eine prolongierte bleibt. Warum? Weil die meisten Menschen aus schon erwähnten Gründen Abstand davon nehmen, ihre Tiere kastrieren zu lassen – und sie andererseits aber wie selbstverständlich über lange Zeiträume des Tages hinweg völlig frei die Gegend erkunden lassen!
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Foto: Lebensraum für einen Hund?!
Wie schrecklich, ein kleines Kätzchen stirbt am Behandlungstisch. Ihr Zustand war ein so schlechter gewesen, dass die Ärztinnen mit aller ihnen eigenen Routine und langen Wiederbelebungsversuchen sie nicht mehr wieder ins Leben zurückbringen konnten. Möge ihre letzte Reise eine Gesegnete sein!
Wie furchtbar die Tatsache des Todes auch ist, es nützt alles nichts. Auch wenn die Stimmung im Team verständlicherweise urplötzlich in den Keller rasselt, wir haben hier eine Aufgabe zu erledigen, eine so wichtige, dass keine Zeit für langes Überlegen bleibt. Gerade jetzt, für all die Tiere da draußen, gilt es noch härter zu arbeiten, muss die Trauer nach einem schnellen Gebet nach hinten verschoben werden. Ohne jede Frage, selbstredend wird für jede/n von uns die Zeit der Aufarbeitung kommen…
Eine Frau holt ihre Katzen; ich biete an sie heimzufahren, wohnt sie doch bestimmt zwei Kilometer entfernt, noch dazu weit oben am Hang. Mit drei Katzen in den Körben würde die Bewältigung des Weges einer Tortur gleichen! Bei ihr angekommen offenbart sich eine weitere Tragödie. Mindestens 25 der Stubentiger bevölkern den kleinen Garten, große, kleine, ängstliche, freche. Sie selbst wohnt in ärmsten Verhältnissen, ein Herz, welches nur für die Tiere schlägt.

Auch heute, nach erneuten 30 durchgeführten Kastrationen, wird es selbstredend wieder spät, bis wir die Lichter im Saal abdrehen. So ist es erneut nach 22 Uhr, als wir unsere Übernachtungsstätten erreichen. Und jetzt geht die Arbeit an einer anderen ‚Front‘ gleich ansatzlos weiter – Reporte müssen verfasst, E-Mails beantwortet werden.
Deshalb zeigt die Uhr einmal mehr 2 Uhr morgens, bis wir endlich die dringend benötigte Ruhe finden!
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Fotos: Total-Einsatz bis spät in die Nacht!
Und der neue Tag beginnt viel zu schnell! Kaum sind die Augen zugefallen, läutet auch schon wieder der Wecker; er erntet dafür einen mürrischen Protest. Aber es hilft alles nichts, aufstehen und weitermachen lautet die Devise. Schon ist die heiße Tasse nicht ganz so guten Kaffees geleert, der Wagen gestartet, und wir befinden uns erneut auf der Landstraße zwischen Pernnik und Breznik. Wieder begrüßt uns der Morgen mit seinem schönsten Lächeln, wieder strahlt die Sonne von einem blitzblauen Himmel. Wieder werden Temperaturen um die 25 Grad erwartet. Mitte Oktober.
Rumi ist schon im OP-Saal, wir beginnen die morgendliche Routine. Gott sei‘s gedankt, geht es allen PatientInnen gut. Schon werden erste Hunde Gassi geführt, gefüttert, ihre Unterbringungen gereinigt; wie wunderschön, neben Evelyn hilft heute auch noch ihr Partner Chris, sowie Natalya und Robert; genau wie Gabi und Bobby, welche allesamt schon bei vergangenen Einsätzen unentbehrliche Stützen des Projektes waren! Auch Krissie, die Schwester Didi’s, schließt sich erneut an, Slaveya ebenfalls, und wie dringend jede einzelne helfende Hand gebraucht wird!!!
Noch einen schnellen Kaffee zubereiten, und dann geht es für die beiden Österreicher auch schon wieder los, es gilt Ausschau nach Hunde zu halten! Georg – der für seinen ersten diesbezüglichen Einsatz bereits wie ein Vollprofi agiert – und ich durchsuchen die Umgebung, sammeln dabei auch Kartonagen auf, welche später als Unterlage für die Transportboxen dienen.
Schließlich finden wir einen Rüden, den wir gerne mitnehmen würden. Allein, er ist einmal mehr extrem schüchtern. Mit viel Mühe und Geduld schaffen wir es aber ihn sogar mit der Hand zu füttern. Doch sobald sich die zweite auch nur eine Handbreit nähert, im Versuch ihn zu fixieren, springt er zurück und entzieht sich der Zugriffmöglichkeit. Nach endlos scheinenden, erfolglosen Minuten stellen wir eine Box auf, legen eine Futterspur in deren Inneres. Sobald sich der Arme die Leckerbissen daraus holt, so der Plan, muss blitzschnell reagiert und die Zugangsöffnung geschlossen werden. Tatsächlich scheint die Idee zu funktionieren, der Hund steckt zuerst den Kopf hinein, dann zwei Drittel seines Körpers, aber im letzten Moment vor dem Zuschlagen erscheint ein erboster Mann, der wütend gestikulierend zu verstehen gibt, er duldet unsere Arbeit nicht. Ja, man möge nun sagen, es wäre nicht einmal sein Hund, man sollte sich daher auf derartige Diskussionen einlassen, aber was wäre der Endeffekt, wem wäre mit Streit auf der Straße geholfen? Der Straßenhund ist inzwischen sowieso längst verschwunden, und so würden wir nur Ärger provozieren, Ärger, der sich in der Kleinstadt schnell herumspricht und künftig den Einsatz nochmals erschweren könnte.
Also werfen wir dem Aggressor einen letzten bösen Blick zu, packen zusammen und setzten den Weg fort.

Kurz darauf entdecken wir am Straßenrand auch schon wieder zwei ganz junge Hunde. Die beiden sind einsam und alleine, keine Mutter irgendwo zu entdecken. Sie wirken zudem schon etwas apathisch, was bedeutet, sie befinden sich wohl seit längerem in dieser schrecklichen Lage. Höchstwahrscheinlich ist die Mutter lange tot, überfahren oder andersartig ums Leben gekommen; vielleicht auch wurden sie von der oder dem HundehalterIn einfach als unerwünschte Belastung am Straßenrand ‚entsorgt‘; Fakt ist, so oder so, ihre Überlebenschancen stehen bei einem Weiterverbleib auf der Straße extrem schlecht. Ja, sie müssten ohne jede Frage sterben, noch bevor sie gelebt haben.
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Fotos: oben, fast hätten wir ihn gefangen; leider macht ein wütender Mann die Situation zunichte! unten: die beiden Welpen konnten wir aber mitnehmen. Niemand interessiert sich für solche, wie werden tatsächlich viel zu oft wie Müll behandelt…
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Für uns WestlerInnen sieht eine solche Sache ganz klar aus – einpacken und mitnehmen. Da gibt es keine Schattierung, kein Grau. Nur Schwarz und Weiß. Aber hier im Osten ist es nicht ganz so einfach. Denn wohin damit???? Alle Menschen, die sich um Tiere kümmern, haben ihre Unterbringungsmöglichkeiten bereits mehr als ausgeschöpft, es ist ihnen gänzlich unmöglich, weitere Hundekinder aufzunehmen. Überlegen wir, sie müssten jeden Tag solche mit nach Hause nehmen, jeden verdammten Tag landen Welpen auf der Straße, in unfassbarer Anzahl. Alle hier, ausnahmslos alle, die am Projekt teilnehmen, tun ihr aller- allerbestes, zusätzliche Bürden würden die ohnehin hoch fragile Balance endgültig kippen lassen. Sooo traurig, aber soooo wahr! In solchen Fällen, wir haben leicht reden – weil wir in unserer goldenen Blase keine solche Zustände kennen. Nicht dieser zutiefst deprimierenden Realität ausgeliefert sind, egal was tagsüber immer auch passieren mag, wir werden am Abend nach Hause kommen, die Türen schließen und Ruhe haben können. Ja, viele von uns leben auch mit zwei, drei oder gar vier Hunde, aber tierschutzaffine Menschen im Osten kümmern sich durchwegs um Dutzende. So zum Beispiel Chris, ein herzensguter Aktivist, den ich von ganzem Herzen schätze; er und seine Evelyn, die ebenfalls bei allen Einsätzen in Breznik an vorderster Front dabei ist, beherbergen 30 Hunde, und nehmen trotzdem wieder ein Hundebaby mit nach Hause. Muss es eben mit dem erst gestern aufgenommenen blinden Kater im Bad zusammenleben, bis ein zu Hause gefunden ist! Jedermann/frau, der/die denkt, man muss alle Hunde mitnehmen, nichts hält dem/die auf, die Koffer zu packen und ein paar Tage nach Serbien, Rumänien oder Bulgarien zu kommen um diese Mission zu erfüllen. Händeringend wartet man auf Euer Erscheinen! Und ja, Kritik ist immer angebracht, besonders dann, wenn man selbst mit gutem Beispiel vorangeht. Wir würden uns jedenfalls über Ihre Meinung freuen!
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Fotos: wieviele der Hundekinder hätten wohl den kommenden Winter überlebt???
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Gegen Mittag fahren wir mit Rumi zu ihrem kleinen Asyl bei Sofia; drei große Hunde aus dem Projekt wird sie dort unterbringen, sowie fünf (!!!) Welpen, jene, die wir am Friedhof einfangen konnten! Eli ist übrigens auch dabei, ebenfalls längst Veteranin im Dauer-Einsatz! Das Asyl liegt inmitten eines Industriegebietes, aber nicht eines solchen, wie wir aus der Heimat kennen. Es ist vielmehr eine Ruinenstadt, den Elementen preisgegeben, von Wind und Wetter zernagt. Was aber niemanden davon abhält in den völlig verfallenen Hallen tausende Hühner reinzustopfen, ebenso Kaninchen und Schweine. Jede Tiergattung wird sich wohl finden, sucht man erst danach, ausgebeutet und dem unfassbaren menschlichen Profitdenken gnadenlos preisgegeben. Halle um Halle, aneinander gereiht zwischen Gebirgen von Müll auf den zerborstenen Straßen, die ihrerseits einer Kraterlandschaft gleichen. Tod und Verwesung liegt in der Luft, aber dazwischen keimt die Hoffnung. Eine Rettungsinsel. Wie eine Blume inmitten einer Wüstenlandschaft. Rumi’s Herberge!
Wie sauber sie die Anlage halten kann, es ist nicht zu glauben, mit so viel Liebe errichtet. Einmal mehr bin ich soooo stolz, Menschen wie sie kennen zu dürfen.
Nun kommt aber auch schon ein Anruf – wir werden dringend im OP-Saal gebraucht, wo inzwischen noch mehr HelferInnen gekommen, aber zu wenige Hundefänger vorhanden sind. Also sitzen wir im nächsten Moment, nachdem wir uns von all den Lieblingen verabschiedet haben, schon wieder im Wagen am Weg zurück. Es geht über Autobahnen, wo die Sträucher und Gräser an den Seiten tief in die Fahrbahn hineinreichen, bis zu ‚unserer‘ Landstraße. Nach gut einer Stunde sind wir endlich in Breznik, wo inzwischen auch Emo zur Truppe gestoßen ist. Emo, oft habe ich darüber berichtet, ist der beste Hundefänger der Welt, daneben aber vor allem ein einfach nur wunderbarer Freund, nun bereits über viele Jahre hinweg. Wenig überraschend ist es ihm in unserer Abwesenheit bereits gelungen drei Hunde in den OP-Raum zu bringen!
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Fotos: mit Rumi und Eli in deren Rettungshort – sooo schön! rechts unten: am Nachbargrundstück lebt dieser riesige Hund an der kurzen Kette. Ohne Sinn. Wegnehmen kann und darf man ihn aus diversen Gründen trotzdem nicht…
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Foto unten: trotz des derzeitigen Verbotes einer Schweinehaltung wegen der grassierenden Schweinepest finden sich im Stall gegenüber des Asyls dennoch Tiere!
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Fotos: große Freude – wir konnten tatsächlich eine Mutterhündin eingefangen, welche wir seit langem zu Betäuben versucht hatten! Ein alter Bruch am Fuss bereitet bestimmt immer noch Schmerzen…
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Foto: hier darf sie auch schon wieder zurück, entledigt der Mühe, immer neue Welpen in eine Welt zu setzen, die so gar nichts für die Kleinen bereithält… noch im Entlaufen versuche ich vorher übersehene Verknotungen aus dem Fell zu schneiden.
Nach einer herzlichsten Begrüßung machen wir uns auch schon wieder bereit, um zusammen mit Chris nach jenen Junghunden Ausschau zu halten, welche wir seit zwei Tagen ohne Erfolg einzufangen versucht hatten; sogar, Sie erinnern sich, Sedalin war keine Hilfe gewesen, im Gegenteil, wir fingen uns bloß einen schmerzhaften Biss ein…
Am Weg in den kleinen Ort ‚liefern‘ wir dann auch noch eine Katze ab, frei Haus zurück sozusagen, sowie einen Hund und zwei weitere Stubentiger an andere Adressen. Diese durften wir gestern noch aus dem Haushalt einer alten Frau entführen, konnten dabei aber einen weiteren ihrer Hunde, bereit für die Kastration, nicht einfangen. Auch der Halterin selbst gelang es nicht, den Verschreckten festzuhalten. Heute aber ist der Beste mit uns, und bald darauf trifft der Pfeil aus dem Betäubungsgewehr auch schon punktgenau. Zuvor hatten wir den großflächigen Garten umstellt, um dem Patienten keine Fluchtmöglichkeit zu bieten – dazu muss man wissen, ein Betäubungspfeil braucht einige Minuten, bis das Medikament wirkt. Trifft er, läuft der Hund erst einmal panisch weg. Wenn alles gut geht, kann man langsam – jede schnelle Bewegung animiert das Tier zum Dauerlaufen, was wiederum Adrenalin freisetzt und somit die Wirkung stark verzögert – nachsetzen, um den Getroffenen nur ja nicht aus den Augen zu verlieren. Bestenfalls legt der sich bald irgendwo hin, um dann einzuschlafen. Schlechtesten Falls ist dieses ‚irgendwo‘ aber ein dichtes Buschwerk, ein Wäldchen, eine Ruine, wo der Hund unauffindbar bleibt, versteckt von der Landschaft. Dort schläft er die verabreichte Dosis aus, und nichts ist erreicht.
Heute aber ist das Glück auf unserer Seite. Es gibt kein Entkommen aus dem riesigen Garten, die Schlupflöcher zugedeckt, die Ausweichwege von uns verstellt. Alles gut! Neuerlich kommt später, als Draufgabe sozusagen, zudem eine Katze mit.
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Foto: ein weiterer, erfolgloser Versuch, die ‚Friedhofshündin‘ zu fangen…
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Fotos oben und unten: die einen werden zurückgebracht, die anderen versucht einzufangen!
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Genauso passiert es dann auch mit den beiden Junghunden, besser gesagt Junghündinnen! So lange haben wir es vergeblich versucht, nun gelingt das Vorhaben! Bei einer davon passiert es sogar relativ problemlos, bei der anderen gestaltet sich die Angelegenheit leider etwas schwieriger. Sie kommt aber nach dem Treffer auf einer, dem Himmel sei Dank wenig befahrenen, Dorf-Seitenstraße zum Liegen, was ja eigentlich gut für uns wäre; denn ringsum im dichten Gebüsch wäre die Erfolgsaussicht sehr gering sie wieder zu finden. Gut allerdings nur, wenn, ja wenn nicht besonders rücksichtslose AutofahrerInnen selbst beim Anblick des torkelnden Tieres kaum abbremsen und so völlig unnötig die Situation doch noch zu einer äußerst bedrohlichen gestalten! Da hilft alles schimpfen nichts, Wahnsinnige gibt es überall. Und gibt man solchen viele Pferdestärken als Unterlage, dann potenziert sich das Risiko, wird unkalkulierbar. Letztendlich aber geht alles gut, wir verladen sie sicher ins Auto und treten mit drei Hunden und einer Katze den Rückweg an.
Nach einer kurzen Verschnaufpause steht die nächste ganz große Aufgabe an – die Mutterhündin am Friedhof, der bislang schwierigste Fall. Wird es mithilfe Emo’s gelingen, sie zu fangen? Die Frage ist, mit wem, wenn nicht mit ihm?! So wichtig wäre es, denn ansonsten bevölkern schon in kurzer Zeit wieder neuerlich viele Welpen die Totenstätte…
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Fotos: Emo, der Profi! Zuerst gelingt es uns eine besonders scheue Hündin nach den vergeblichen Versuchen der letzten Tage doch noch einzufangen, dann die meist Herbeigesehnte…
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Foto: endlich!!! die ‚Friehofshündin‘ wird sich nie mehr Sorgen wegen Welpen machen müssen. In einer solchen Umgebung bedeutet das einen riesigen Vorteil auch für das eigene Überleben!
Schnell finden wir die Schlaue; und tatsächlich trifft Emo’s Pfeil auf ein Neues! Nur, so einfach ist die Sache nicht, denn der Friedhof liegt inmitten einer weitläufigen Steppe, hüfthohes Gras, dazu verlassenen Ruinen wohin das Auge blickt. Und die so clevere Hündin schafft es einmal mehr, unseren Ring zu durchbrechen. Verzweifelt beginnt nun die Suche; als wir schon am Aufgeben sind – eigentlich ist es unmöglich, sie in derartiger Umgebung wiederzufinden – sehe ich plötzlich einen ‚Hundepfad‘ weit entfernt vom Friedhof. Diesen einen Versuch haben wir noch; das niedergetretene Gras verrät zumindest, hier laufen öfters Tiere, der Weg wird von diesen benutzt. Und in der Tat: bald sehe ich den schlafenden Körper vor mir! Welche Freude!!! Chris eilt herbei, und zusammen tragen wir die Getroffene die steile Anhöhe hoch, wo wir uns bald schon ob des großen Erfolges mit Georg und Emo abklatschen. Es ist wirklich geschafft!!!!
Die Freude ist auch bei den Frauen im OP-Saal riesengroß. Kaum jemand hätte noch gedacht die Hündin könnte im Zuge des Projektes erwischt werden!

Die Finsternis hat uns längst wieder eingeholt, als wir die Pforte des OP-Raumes schließen. Mehr als 80 Kastrationen sind nun vollbracht, ein Team, wie man es sich in der Zusammensetzung besser nicht wünschen könnte. Teil dessen zu sein, ist schon etwas sehr besonders. Der Gedanke bereitet echte Freude und ein wohliges Gefühl, welches jedem Schlafmangel nur so trotzt…
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Foto: am Weg zurück in die Freiheit!
Sonntag, der letzte Tag des diesjährigen Kastrations-Einsatzes beginnt. Wettergott ist immer noch auf unserer Seite und so stürzen wir uns frohen Mutes in die wartende Arbeit. Ganz so leicht fällt uns der Aufwand allerdings nicht mehr, müde Knochen sehnen sich langsam nach ein bisschen Ruhe. Wieder startet die allmorgendliche Prozedur, Hunde versorgen steht dabei an vorderster Stelle. Ist dies getan, sitzen wir auch schon wieder im Auto, es gilt erste Hunde zurück zu ihren HalterInnen zu karren. Überhaupt, die Tendenz ist eine stetig steigende, kommen immer mehr Menschen mit ihren Haustieren zum Projekt, eine Entwicklung, die wir mit kribbelndem Behagen registrieren. Ein Umdenken hat stattgefunden, was uns später auch mehrfach bestätigt wird: Breznik ist seit dem Beginn der Kampagne zu einer der hundefreundlichsten Gemeinden Bulgariens lanciert, weit über die Grenzen hinaus bekannt, hören wir des Öfteren. Was wir wiederum als die größtmögliche Auszeichnung betrachten – einfach schön!
Bemerkenswert ist auch, dass jene so wunderbare Hündin, welche wir vor zwei Tagen direkt vor dem Kastrationszentrum aufgelesen und ohne jede Gegenwehr in den Saal reingetragen haben, immer noch bei uns ist. Jedes Jahr passiert es, dass Hunde nach dem Eingriff – wo man denkt, sie müssten eigentlich böse mit uns sein, erschreckt – einfach nicht mehr wegwollen. Heute glaube ich, manche bestimmen ihr Schicksal selbst, sie wissen genau, diese eine Chance gibt es, Lottosechser, und wird sie nicht ergriffen, folgt keine zweite. In ihrem Fall zahlt sich die Überwindung der natürlichen Angst mehr als nur aus, denn sooooo großartig: Marietta wird sie bei sich jetzt einmal bei sich aufnehmen und später in die Schweiz bringen! Bis dahin aber bleibt die Süße unsere treue Seele; tatsächlich, jedes Mal, wenn Georg und ich mit dem Auto wegfahren, läuft sie trotz eines Hinkebeines die Straße hinter uns her, solange, bis wir stehen bleiben und sie einladen. Sie sitzt dann am Schoß, betrachtet voller Neugierde die Umgebung, und wenn wir später halten, im Einsatz sind, erkundet sie das Umfeld, nur um beim Starten des Motors wieder in den Wagen zurückzuspringen. Wie könnte man sie je zurücklassen????
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Foto: Georg und ich mit ‚unserer‘ Hündin; welch ein Schatz, sie versucht uns überall hin zu folgen – und begleitet deshalb so manchen Einsatz!
Ach ja, und auch die beiden Welpen von gestern, für die wir so lange gezittert haben, weil es ganz danach aussah, dass niemand sie würde beherbergen können, findet sich eine Lösung: Chris und Evelyn haben das Unmögliche geschafft, sie fahren sie am Nachmittag zu einer Pflegefamilie, und bis wir zu Hause Plätze für sie gefunden haben dürfen die beiden dort bleiben!!!!! Was soll diesen Tag noch toppen?

Ja, da gibt es etwas – zusammen mit Mariettas Mann Stanimir, der ein professioneller Hundefänger ist – natürlich im Rahmen von Tierschutzprojekten – gelingt es uns am Nachmittag in der Tat die Mutter jenes Welpen einzufangen, welchen wir ebenfalls vor zwei Tagen nur mit äußerster Mühe erwischen konnten – warum das so wichtig ist? Weil wir seit mindestens zwei Jahren hinter ihr her sind, in der Zwischenzeit hat sie regelmäßig eine Schar Babys gehabt. Wie viel künftiges Tierleid nun verhindert wird, wer mag es erahnen? Aber der Fall war auch in diesem Jahr ein äußerst schwieriger – im völlig verwachsenen Gelände, dutzende Ruinen bieten ideale Verstecke, sollte es unser aller höchste Anstrengung benötigen, um ihrer überhaupt erst habhaft werden zu können.
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Foto: draußen ist es bereits stockdunkel, während Marietta drinnen noch weitere Operationen tätigt!
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Mit dem kleinen Rudel unten bei den schrecklichen Wohnsilos haben wir dann aber leider nicht so viel Glück. Die Hunde entschwinden allesamt in die Peripherie, nach langer Suche geben wir schließlich auf.  Nächstes Jahr werden wir hier einen neuen Versuch starten!
In einem verlassen Fabriksgelände kehrt der Erfolg wieder zurück. Stanimir gelingt ein zielgenauer Schuss aus dem Betäubungsgewehr, alleine das Umfeld ist ein äußerst schwieriges. Landschaft pur, durchzogen von Hecken, Sträuchern und allfälligem dornigen Gestrüpp. Wie durch ein Wunder aber entdeckt Chris schließlich den schlafenden Körper, hunderte Meter von der Stelle entfernt, wo die Hündin getroffen worden ist. Sagte ich schlafend? Nein, diese Hündin ist eine unfassbare starke. Sie liegt zwar bereits am Boden, hebt allerdings noch den Kopf. Versucht aufzustehen, wankt, fällt erneut. Wir warten in angemessener Entfernung, im normalen kommt ein Hund in dieser Situation nicht mehr gänzlich hoch. So nähert man sich nach Minuten des Abwartens langsam, hebt das jetzt schlafende Tier auf und trägt es zum wartenden Wagen. Diese Süße ist aber nicht wie andere. Im Gegenteil; plötzlich erhebt sie sich nochmals, wackelt, fällt um, erhebt sich wieder – und beginnt schließlich tatsächlich erneut weiterzulaufen. Schwankend zwar, aber beständig und viel zu schnell, um sie mit menschlicher Kraft einzuholen. Es bleibt keine andere Wahl – der  ‚Anästhesist‘ muss einen zweiten Treffer setzen. Und selbst dann geht sie zwar in die Knie, rafft sich jedoch einmal mehr auf, torkelt weiter, immer noch schnell genug, sodass wir ihre Fluchtwege weitläufig abschneiden müssen. Jetzt endlich, nach bangen Minuten, kann die Arme wirklich nicht mehr. Aber wer denkt, sie legt sich nun einfach hin, gibt dem Bedürfnis nach und schläft ein, der irrt! Deutlich erkennbar, mit aller Kraft kämpft sie gegen die unweigerlich folgende Bewusstlosigkeit an, kommt auf den Gelenken zu liegen, aber den Oberkörper fortwährend hoch gestreckt. Weitere herzzerreißende Minuten vergehen, dann lässt die Spannung in ihr nach. Sie sinkt endlich, endlich ganz zu Boden und kurz darauf tragen wir sie auch schon zum Auto – was für eine Geschichte, man muss diesen unfassbaren Mut und Kraftaufwand, das unvergleichliche Durchhaltevermögen mit eigenen Augen gesehen zu haben um zu glauben, was da gerade passierte…
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Foto: Mariettas Stanimir steht in seiner Geschicklichkeit Emo kaum nach; auch er schafft es schließlich, einen unserer ‚Problemfälle‘ zu betäuben!
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Bei der nächsten Erkundungsfahrt ruft plötzlich jemand meinen Namen; es ist Dimitri; den wir im letzten Jahr kennengelernt haben. Dimitri arbeitet in der lokalen Milchfarm, einer riesigen Niederlassung einer großen deutschen Molkerei. Er sah uns damals bei der Arbeit und zeigte entgegen den meisten anderen einheimischen Männern große Empathie und reges Interesse. Schließlich lud er uns sogar zu einer ‚Besichtigung‘ seiner Arbeitsstätte ein, wo wir später einen sehr kritischen Bericht dazu verfassten. Nichtsdestotrotz begrüßt er uns nun wie alte Freude, fragt, ob er denn nicht seinen Kater zum Kastrieren bringen dürfte. Natürlich!!! Später fahren wir den Tiger zurück, lernen dabei auch noch die Familie kennen. Und ernten eine Einladung, morgen, falls die Zeit es zulässt, nochmals die Farm anzusehen.

Zusammen mit Marietta fahren wir die beiden Hündinnen von gestern zurück in den kleinen Ort namens Konska, der wie so viele andere zur Hälfte aus Ruinen besteht. Dabei sehen wir auch gleich nach den inzwischen doch zahlreichen hierher Zurückgebrachten, allen geht es gut!
Jetzt steht die traurigste Aufgabe an; nachdem wir uns entschlossen hatten, die Friedhofshündin wäre wohl überall sonst als in Freiheit unglücklich, bringen wir sie schweren Herzens zurück. Die Tränendrüsen drücken, als sie langsam unseren Blicken entschwindet, zwischen den Gräbern untertaucht in die erneute Anonymität.
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Fotos: das Zurückbringen von Hunden – stets besonders emotionale Momente!
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Foto: …erst recht bei ihr: die so wunderbare Hündin vom Friedhof! Mögen ihre Wege besonders beschützte sein!
Langsam zieht sich aber auch schon wieder die Sonne zurück. Noch gilt es zwei Katzen zu behandeln, sowie die letzte verbliebene Hündin. Im Saal herrscht naturgemäß Hochbetrieb, wir setzten allesamt letzte Kräfte frei. Die Katzen werden später abgeholt, die Hündin wird über Nacht vor Ort bleiben müssen – zu kurz der Zeitraum der Ruhe, um sie jetzt schon wieder freizusetzen – ebenso die zweite von heute Nachmittag. Die beiden werden Georg und ich morgen zu ihren Plätzen zurückbringen!

Nun ist die Zeit der Verabschiedung gekommen. Unglaublich nette Gespräche und heftige Umarmung später, natürlich im Versprechen, im nächsten Jahr wieder genau an dieser Stelle zusammenzutreffen und den Erfolgslauf ‚Kastrationsprojekt‘ fortzusetzen, schließen wir schließlich das Tor. Alle unsere so liebgewonnen FreundInnen werden uns wohl sehr fehlen – nach solch intensiven gemeinsamen Tagen keine Frage!
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Foto: Teamarbeit; Rumi, Marietta, Didi, Bobby, Robert, Chris, Gabi, Evelyn, Eli, Reni, Vanja, Natalya, Slaveya, Krissi, Emo, Stanimir und noch einige mehr beweisen einmal mehr, welche Kräfte verinnerlichter Tierschutz freizusetzen imstande ist…
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Foto: das Saal wieder zurückversetzt. Ausgeräumt und gereinigt. 2019 ist Geschichte, 2020 wartet das nächste Kapitel!!!
102 Kastrationen sind es wieder geworden, eine ganz wunderbare und unter den schwierigen diesjährigen Umständen kaum für möglich gehaltene Anzahl. Derartiges lässt sich nur mit einem fantastischen Team und durch ungeheuer nervenaufreibende, aber völlig unverzichtbare Vorarbeit – hier gilt aller Dank einmal mehr Rumi – mit den Behörden, der Stadtverwaltung und den Medien (zwecks Aufrufen, Menschen mögen ihre Tiere bringen) erreichen. Ich habe es schon viel zu oft erwähnt, aber es muss dennoch nochmals sein: tausend Dank an alle, welche an den Traum der Beendigung des Straßentier-Leides glauben! Jede einzelne hilfreiche Hand ist in der Umsetzung sowas von unverzichtbar, und es ist eine große Ehre, Teil eines derartigen Gefüges sein zu dürfen!!!
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Foto: ein Teil des Teams am Abschlusstag!
Teil 2 folgt in Kürze; es stand noch eine umfangreiche Recherche an, wir besuchten die Katzenmutter Tzneka und veranstalteten mehrere aufsehendserregende Proteste – bitte unbedingt reinlesen!!!
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