Hoffnung, bitte sei dieses eine Mal kein mieser Verräter…

Ein gar furchtbares Ereignis überschattete unseren Ungarn-Einsatz; was war passiert? Auf dem Weg zum Tierheim mussten wir ein Kätzchen entdecken, welches zusammengekauert auf der hektargroßen Baustelle vor dem Asyl im Sand saß; sofort wurde klar, das arme Wesen befindet sich in einem äußert kritischen Zustand. Dass die Arme spindeldürr und schmutzstarr sein sollte, war dann offensichtlich das kleinste Problem. Tatsächlich fehlte ihr die gesamte Nase, dort, wo eine solche sein sollte, breitete sich stattdessen ein von einer blutigen Kruste umgebener Krater aus – die offene Wunde reichte bis tief in den Gesichtsbereich hinein.
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Foto: hier hat sie gelebt, in all ihrem Leid…
Sie saß dort einfach im Sand, etwas lethargisch anmutend zwar, aber andererseits doch interessiert an dem, was sie umgab. Wir stoppten den Wagen, ganz langsam gingen wir auf das Kätzchen zu, nur ja nicht erschrecken. Denn würden wir Misstrauen verbreiten, würde sie vor uns weglaufen, fangen könnten wir sie wohl niemals. Aber die Vorsicht war dann gar nicht geboten; die Herzallerliebste erhob sich, begrüßte uns mit einem erwärmenden Schnurren, so als ob gar nichts gewesen. So als ob alles in bester Ordnung. Heile Welt. Umgeben vom perfekten Chaos und Verfall zwar, aber dennoch die einzige, die sie je kannte.
Ja, und die Entscheidung war dann schnell gefallen – nie, nie, niemals konnten wir sie hier zurücklassen, so ganz alleine ihrem Schicksal ergeben. Welchen Schmerz eine derartige Verletzung wohl verursacht, eine Entzündung, die die Kraft in sich trägt, eine Katzennase in Grund und Boden zu zerfressen? Noch dazu, jetzt, wo die Sonne wieder vom Himmel brennt, wie lange hätte es wohl gedauert, bis sich Fliegen in diese grausame Wunde einnisten? Man mag gar nicht darüber nachdenken!
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Foto: von Gabi lässt sich die Süße ganz einfach hochheben!
Unser Partnerverein hier in Ungarn, in Person der so wunderbaren Gabi, erzählte, dass das arme Tier sogar einen ‚Besitzer‘ hätte, welchen man schon des Öfteren darum gebeten hatte, die Kranke doch endlich zum Tierarzt zu bringen. Ihnen hätte er so etwas nicht erlaubt, und Ihr wisst, im Osten laufen die Uhren diesbezüglich noch immer viel zu oft ganz anders. Jedenfalls, der Mann wohnt in einem Container, inmitten der Megabaustelle, und auf das Flehen der TierschützerInnen antwortete er bloß stereotyp: ‚Was habt Ihr denn, der geht’s doch gut!‘ Unfassbar.
Ganz zufällig, tatsächlich völlig unerwartet, hatten wir – inzwischen war die gesamte Spendengutladung schon an einem entfernten Ort untergebracht – eine Katzentragebox im Auto gelassen. Der Grund, warum sie nicht ebenfalls im Lager ‚unserer‘ TierschützerInnen vor Ort gelandet war, sollte ein trivialer sein: weil wir wie immer auch unsere Demosachen mitgebracht hatten, endlich wieder wollten wir einen Protest im Ungarnland veranstalten, dazu einen weiteren nach der Rückkehr in ‚good old Austria‘ zugunsten der Beendigung der Kettenhaltung der Kühe, und weil keine Schachtel übrig sein sollten, hatten wir die Utensilien eben ganz einfach in einer der vielen mitgebrachten Transportboxen gesteckt… Manchmal gibt es sie, die unbewusste Voraussicht. Gar keine Frage.
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Kätzchen ließ sich anstandslos aufheben. Anstandslos einpacken. Anstandslos ins Auto verladen. Ja, sie schien sogar froh darüber, endlich in einer Art Höhle zu sein, endlich freundliche Stimmen, endlich ein bisschen Aufmerksamkeit, Streicheleinheiten…
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Fotos: zwischenzeitlich muss die Box gereinigt werden; Kätzchen hatte am Tag, so erfuhren wir, von Gabi viel Essen erhalten, wo der Magen dann den Herausforderungen der ungarischen Kleinstraßen nicht standhielt…
Dann die Fahrt, welche eine endlose werden sollten; Rückankunft erst gegen 2 Uhr morgens, aus diversen Gründen, über welche wir später im detaillierten Newsletter berichten werden. Dazwischen musste selbstredend die Unterlage in der Box gewechselt werden, nicht, weil die Arme ihre Notdurft verrichtete, sondern weil wohl die ungewohnten – ganz bestimmt war sie bis dato noch nie in einem Auto transportiert worden – Schüttelbewegungen den Brechreiz hervorgerufen hatten. So einfach ist es im normalen aber bei Gott nicht, eine Katze während einer Fahrt zu versorgen; das Risiko ist ein hohes, dass es dabei zu unkontrollierbaren Problemen kommt. Nicht jedoch in unserem Falle: sie ließ einfach gewähren, und während wir den Innenraum reinigten, schmiegte sie sich an unseren Beinen im geschlossenen Van.
Auch aufgrund einer Panne mit Automobilclub-Einsatz, sollten wir erst derart spät den vorgesehenen Zwischenstopp, den Schlafort erreichen; da galt es noch ein Zimmer für die Patientin herzurichten – von den Eltern natürlich bereist vorbereitet – und dann, fast noch wichtiger, ausgiebig zu schmusen. Nicht aber bevor die Süße noch ein für sie bestimmt wahrlich fürstliches Mahl genossen hatte… Und dann, es war jetzt bereits halb drei Uhr morgens, ein paar Stunden schlafen…
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Fotos: spät nachts angekommen genießt der Schatz noch eine herzliche Mahlzeit!
Ein Schlaf, der viel zu früh und jäh unterbrochen wurde: hatte doch das so großartige Tierheim Krems, dessen Leiterin Frau Nina Zinnenburg, wie so oft und so unentbehrlich noch gestern Nacht, ohne auch nur einen Moment zu zögern sofortige Hilfe zugesagt; wir durften ‚unser‘ Kätzchen gleich frühmorgens zum Tierarzt in die Ordination im Asyl bringen!
Kätzchen, nach dem Aufwachen, genoss inzwischen noch die Liebkosungen der Eltern; dann wieder hinein in die Box. Der Veterinär warten schon…
Und jetzt gilt es auszuharren; bangen Stunden. Denn die erste Prognose, über das gestern noch gesendete Foto, wäre eine niederschmetternde. Verdacht auf bösartigen Tumor, ein Art, die keinen Halt kennt; sich, falls sich die Diagnose bestätigt, schließlich innerhalb kurzer Zeit quer durch den Mundraum fressen wird; wie ein niemals sattes Monster… Und die Befallenen völlig chancenlos zurücklässt.
Aber manches Mal, so sagt der Volksmund, geschehen noch Zeichen und Wunder. Vielleicht, und das wäre in jener Situation tragischer Weise das wesentlich kleinere Übel, hätte sie ja doch ein Fuchs oder ein Hund gebissen…
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Fotos, oben: noch im Haus der Eltern, unten: das Warten auf den Veterinär…
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Foto unten: die immer unfassbar nette Betreuung im Tierheim Krems ist mehr als beispielgebend – einfach fantastisch!
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Hoffnung ist ein mieser Verräter, nur allzu oft; aber bitte, bitte liebe Himmelsmächte, gebt ihr, die noch gar nicht wirklich leben konnte, so ein schweres Schicksal bis zu diesem Moment so unfassbar geduldig und so herzzerreißend bewältigt hatte, wenigstens eine klitzekleine Chance, schenkt ihr noch ein bisschen Zukunft. Dieses eine Mal lasst den miesen Verräter außen weg… bitte, bitte…
Schreiben ist eine Seelen-Therapie, für den Autor dieser Zeilen zumindest. Ein wahrer Freund, es beruhigt den Geist, dann, wenn sich das Gedankenrad unermüdlich dreht und die Sorgen keine Sekunde der Ruhe gestatten. Es gilt abzuwarten. Grausam lange, nicht endend wollende Momente. Bis zur Gewissheit.
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