Ukraine, wir kommen! RespekTIERE IN NOT-Einsatz im Kriegsgebiet, Teil2!

Grenzübertritt!

Der Morgen beginnt ruhig. Allerdings, schon der erste Kaffeeduft wird begleitet von einem Gefühl, welches eine Andeutung zu geben scheint, das Heute, das hier und jetzt, es wird bestimmt mit unvergesslichen Eindrücken gespickt sein. Und die Sinnesempfindung sollte uns nicht betrügen, so viel sei verraten…

Wir kochen noch eine zweite Tasse Kaffee, sehr hilfreich ist dabei die mitgebrachte kleine Heißwassermaschine; ein unscheinbares Gerät, das auf Reisen aber dennoch wie purer Luxus anmutet – und das duftende Braun aus dem Portionspäckchen schmeckt dann tatsächlich ganz wunderbar! Zeit bleibt nicht, nur ein kurzes Entspannen; endlich kommt schließlich auch der Hausbesitzer. Auf ihn haben wir zwecks der Bezahlung gewartet – wie es scheint, waren wir wirklich die einzigen Gäste, und als der Mann gestern nach Hause ging, hat er einfach die Türen hinter sich abgeschlossen, und uns in dem weitläufigen Gebäude ganz alleine zurückgelassen. Für 16 Euro die Nacht ist das aber auch durchaus akzeptabel. Die Matratze hingegen wäre es auch umsonst kaum gewesen.

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Nun starten wir den Orangen; der Motor schnurrt trotz der deutlichen Überbeladung wie ein Kätzchen, was uns große innere Zufriedenheit verschafft; das Gefühl der Sicherheit, das Wissen, man kann sich auf eine liebgewonnene Maschine durch und durch verlassen – so etwas ist unbezahlbar. Besonders an Orten wie diesen!

Dann geht es los, das Navi zeigt den Weg zur blau-gelben Grenze; vorbei an vielen Dörfern, welche ihre beste Zeit längst hinter sich gebracht haben. Was aber nicht heißen will, dass sie keine Wohlfühlatmosphäre ausstrahlen! Wie fast überall im Osten sieht man nämlich deutlich mehr Bäume oder überhaupt Bodenbewuchs in den bewohnten Gebieten, was solche zwar wilder, aber auch natürlicher erscheinen lässt. In einer Ansiedlung beispielsweise, durch welche ein kleines Rinnsal fließt, ist das Gewässer links und rechts durchgehend mit einem mehrere Meter breiten Grasflächenstück gesäumt, worauf man verschiedenste Arten von ‚Holz‘ gesetzt hat: Obstbäume, nadelnde, einige wunderbare Föhren und ganz viele Sträucher. Lebensatem und Schattenspender zugleich. Organische Klimaanlagen. Was dann dem ganzen Dorf nebenbei auch noch einen Anstrich von ökologischer Idylle verpasst.

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Fotos unten: Ukrainischer Flieger, irgendwo im Garten eines slowakischen Dorfes gelandet; rechts: typische Landschaft, flach, menschenleer, beherrscht von Äckern.

Wir nähern uns jetzt dem Grenzbalken. Kurz davor passieren wir ein Straßenstück, wo dutzende Menschen, die meisten davon in Tarnkleidung, in hektischer Betriebsamkeit gefangen aufgeregt diskutieren. Überall parken deren fahrbare Untersätze, praktisch ausnahmslos Pick-Up-Trucks, manche der abgestellten Karossen ragen weit in den Verkehrsweg hinein; irgendwie überraschend ist der Fakt, dass die Ansammlung unsere Anwesenheit kaum zu interessieren scheint. Ob es sich um ein Jägertreffen gehandelt hat oder um eine Miliztruppe, Söldner beispielsweise, wir werden es wohl nie erfahren.

Dann tauchen die Grenzgebäude auf, hinter einer Wand aus dampfendem Nebel – allerdings versperrt uns ein über die Straße gestelltes Absperrgitter mit einem Schild ‚Einfahrt verboten‘ darauf kurz vor dem Ziel plötzlich den Weg! Eine Polizeistreife kommt auf uns zu; nein, hier kein Übergang, meinen die Beamten, ihr müsst zurück, einen weiten Bogen machen, und dann von der anderen Seite zufahren… wie wir das bewerkstelligen sollten, welchen Weg nehmen, dafür fällt die Erklärung allerdings äußerst dürftig aus…

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Foto oben: Miliztreffen? Jedenfalls, die kleine Straße vor der Grenze ist gesäumt mit Pick Up-Fahrzeugen und Menschen in Tarnbekleidung; unten: ‚Einfahrt verboten‘ – was allerdings die vorgeschriebene Fahrtrichtung bedeuten soll, darüber rätseln wir lange! 🙂

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So verlieren wir gut eine Stunde, bis sich schließlich doch die richtige Straße auftut. Vor dem Balken, slowakische Seite, hat sich eine Zeltstadt entwickelt, Rotes Kreuz und andere Hilfsorganisationen sind vor Ort, um offensichtlich Gestrandete des Nachbarstaates zu versorgen. Ein junger Mann mit einem auf den Rücken geschnallten Maschinengewehr fragt kurz, ‚Human Aid Transport?‘ Yes, lautet die Antwort. ‚This way‘, deutet der Soldat, und schon werden wir in eine kurze Schlange wartender LKW’s und Van’s eingewiesen. Scheint ja gut zu klappen, ein vorsichtiges Resümee… doch das, so stellt sich ganz schnell heraus, war ein voreiliges. Denn nun beginnt erst ein Spießrutenlauf, ein solcher, der uns schließlich gut eine Stunde Zeit abnötigt… und einen Vorgeschmack gibt, was da noch bis zum endgültigen Übertritt auf uns zukommen könnte. Und die Befürchtungen bewahrheiten sich, denn genau so ist es schließlich tatsächlich! Endlich, endlich passieren wir die slowakische Seite, durchqueren in Folge ein kurzes ‚Niemandsland‘, schon blockieren ernst blickende Soldaten, nun bereits in ukrainischen Uniformen, die Weiterfahrt erneut.

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Fotos: Grenzübergang Slowakei/Ukraine – Zeltstadt, Dixi-Klos, und viiiiel Bürokratie!

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Foto unten: ukrainische Soldatinnen checken unsere Papiere!

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Jetzt mag ich mich gar nicht daran erinnern, wie die Abfolge denn wirklich war; jedenfalls, trotz ‚wasserdichter‘ Papiere, ausgestellt von der Slowakischen Tierschutz-Allianz, sollten die kommenden Stunden zur echten Geduldsprobe werden (mit zusätzlich flauem Gefühl in der Magengegend, hatten wir doch auch eine große Menge an Medikamenten aus der Humanmedizin ‚an Bord‘, solche, wo uns selbstredend bewusst war, die darf man eigentlich nicht so einfach über die Grenze bringen – zurücklassen konnten wir sie aber auch nicht, denn ohne jede Frage wären gerade sie, extra ausgewählt, soooo wichtig!!!)! Kaum glauben wir, endlich ‚durch‘ zu sein, führt die Einbahn doch bloß zur nächsten Kontrollstelle; hundertmal wohl werden die Pässe gereicht, hundertmal die Bescheinigungen geprüft, abgestempelt, hundertmal erhalten wir kleine Zettelchen, welche mit Staatsinsignien gestempelt beim nächsten Posten abgegeben werden müssen. Warum? Wir wissen es nicht! Bürokratie wohl.

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Foto oben: eine mehr dieser vielen Zwischenstationen, wo man nicht genau weiß, was da eigentlich vonstatten geht; werden wir gewogen, gescannt, oder sonstwas?

Zöllner, Polizei und Militär, sie zeigen sich allesamt freundlich, dennoch sehr bestimmt. Kommunikativ, auch das. Meist hat man sogar den Eindruck, die BeamtInnen – es sind hier, zumindest an jenem Tag, in der auffälligen Mehrheit Frauen im Dienst (wahrscheinlich geschuldet der Tatsache, so meine Annahme, dass die Männer irgendwo an der Front ihren Dienst tun), meistens in Flecktarnuniformen– sind durchwegs stolz auf die vielen Hilfstransportfahrenden – jedenfalls, ein gelegentliches Lächeln hinter ansonsten diensttauglich strengen Minen lässt uns gerne daran glauben! Ein anderer Teil ist dann aber auch etwas unwirsch, mürrisch. Wahrscheinlich nur deshalb, weil von Sorge geplagt. Nichtsdestotrotz, Gemütslaunen verzögern leider unnötigerweise jeden Fortschritt in der Handhabung des Grenzübertritts.

Man muss schließlich durch mehrere Schleusen, wo die Fahrzeuge offensichtlich gewogen und gescannt werden, immer wieder halten weitere Soldaten die Reisenden auf und verlangen Berechtigungspapiere; unfassbar, wie viele zum Teil ganz junge Menschen, wohl einige davon unter 18 Jahre, Dienst für das Vaterland tun! Viele der ganz jungen freiwillig wohl, wie man es aus verschiedenen anderen Kriegen kennt; ab 18 muss ein Beitrag zur Verteidigung des bedrohten Vaterlandes sowieso geschehen, davor passiert er oft und oft ‚ehrenamtlich‘. Wir sind riesig stolz auf diese Mädchen und Burschen; andererseits, der Anblick deren, in Camouflagehosen und –jacken, mit umgehängten Maschinengewehren und ernstem Blick, er tut in der Seele weh! Derartige Erfahrungen, sie werden sie für ihr ganzes künftiges Leben prägen.

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Foto: erneut durchsuchen Grenz-Beamte das RespekTiere-Mobil!

Drei kleine Episoden möchte ich vom Grenzaufenthalt gerne erzählen; zum einen, da kreuzte plötzlich ein vom Dauerregen durchnässter Fuchs die Einrichtung. Genau vor unserem Fahrzeug. Ohne jede Hast, ohne Eile; er ging einfach dahin, kannte den Weg offensichtlich, unbeeindruckt der Menschenmenge, unbeirrt durch qualmenden Fahrzeuge hindurch!

Und dann fiel uns noch eine Putzfrau auf; in ihre Arbeit verstrickt, fleißig bemüht, die Aufgaben bestimmt äußerst pflichtgerecht auszuführen. Ein Anblick, der ja dann nicht so aufsehenerregend wäre. Aber ihre Bekleidung ließ ein Lächeln über unsere Gesichter gleiten – durch und durch in Tarn, allerdings mit schreiend gelben Plastiküberhandschuhen! Wir konnten uns die Scherze nicht verkneifen; derart camoufliert, sie kann sogar die Toiletten säubern, während die Menschen sie benutzen – und vollkommen ungesehen wieder verschwinden!

Als wir endlich die Formalitäten erledigt hatten, öffneten wir noch einmal die Schiebetüre des Sprinters und holten aus dem Laderaum einige Fanta-Casis-Dosen heraus; das süße Brausegetränk war ein Geschenk meines Bruders Charly, ein Tray davon sollte in seiner Spedition aus irgendeinem Grunde liegengeblieben sein. Hier erfüllte es wahrlich einen guten Zweck, die freundenstrahlenden Minen der Grenzbeamten bewiesen dies! Einfach nur nett!

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Foto oben: leider etwas zu spät sind wir mit der Kamera da – sehr Ihr den kleinen Fuchs in der Bildmitte? unten: Bestens getarnte Putzfrau – nur die knallgelben Handschuhe stören ein bisschen das Gesamtbild!

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Weit mehr als drei Stunden nötigten uns die wahrscheinlich unumgänglichen Sicherheitsvorkehrungen schließlich ab! Dazwischen setzte immer wieder schwerer Regen ein, gefolgt von aufgelockerten Phasen – genau solche würden wir für den weiteren Verlauf des inzwischen leider schon fortgeschrittenen Tages noch dringend brauchen!

Dabei sind wir letztendlich glimpflich davongekommen; wir sehen im Zollbereich einen Renault-Van aus der Schweiz, vollbeladen mit Hilfsgütern; immer wieder waren wir uns im Zuge der verschiedenen Kontrollen bereits begegnet, dabei mit der netten Besetzung in Gespräche verstrickt gewesen. Jetzt stehen die EidgenossInnen beim Grenzbalken, unter freiem Himmel bei sintflutartigem Regen, und müssen warumauchimmer die gesamte Wagenladung aus dem Fahrzeug auf den Asphalt ausbreiten…

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Fotos: allerletzter Checkpoint – dann sind wir im Land!

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Plötzlich in einem Kriegsgebiet...

Endlich lege ich den ersten Gang ein, und langsam tuckern wir aus dem Korridor. Nun tatsächlich ukrainischen Boden unter unseren Füßen. Der Stempel im Pass zeugt davon! 🙂 Steil geht es jetzt bergauf, einen kleinen Hügel gilt es zu erklimmen, zusätzlich zum Regen ergießt sich nun auch noch fast undurchdringlicher Nebel über das Land. Weiße Schwaden kriechen aus dem umliegenden Wald, breiten sich über unfassbar ramponierten Asphalt aus. Sichtweite fast Null. Schlaglöcher, so grausam wie das Leben selbst. Unwirkliche Kulisse. Wenn man sich den Übertritt in ein kriegsführendes Land irgendwie im vornherein vorstellen kann, dann vielleicht genau so. Gespenstisch. Stille. Verdammt, es ist diese Stille, die einen so wirklich nervös zu machen imstande ist. Ein Land, von Gott verlassen. Aber auch eines, das sich soeben, in Zeiten der absoluten Katastrophe, im Zusammenhalt aufrichtet und dabei zu einer echten Einheit, zu einer unbesiegbaren Nation zusammenwächst.

Bald bringen wir den Nebel hinter uns, tauchen in Ebenen ein. Es geht jetzt durch Dörfer, welche jenen auf slowakischer Seite doch sehr ähneln. Ja, es gibt mehr Ruinen wie ‚drüben‘, aber ansonsten dürfte der Lebensstandard in etwa derselbe sein. Zumindest bis vor kurzem gewesen sein.

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Wir erreichen schließlich Uzhgorod, den Ort, wo wir die mitgebrachte Ladung abliefern werden! Im Normalen, so erfahren wir bald, leben in besagter Stadt ca. 100 000 Menschen, jetzt sind es mehr als 300 000. Durch die relative Grenznähe ist die Ansiedlung nämlich schnell zum begehrten Hafen für Flüchtende aus allen Teil des riesigen Landes avanciert, täglich treffen weitere Heimatlos gewordene ein.

In Uzhgorod dürfte vor dem Krieg eine Aufbruchsstimmung geherrscht haben, jedenfalls gibt es ganz viele neu errichtete Bauwerke, oder solche, welche gerade in der Entstehung sind (waren). Sogar eine hypermoderne Autowaschanlage sehen wir. eine, die vielleicht aber auch noch nie in Betrieb gegangen ist, der Krieg ist dem Business zuvorgekommen. Die russische Komponente überwiegt, jedenfalls empfinden ‚wir aus dem Osten‘ es so; denn sämtliche Schilder und Tafeln, Werbebanner, Leuchtreklamen, Ortstafeln, Straßennamen, alles erstrahlt selbstredend in kyrillischen Lettern, was natürlich zu allerst einmal einen ungewohnten, fremdartigen Eindruck vermittelt. Einen Eindruck, welcher unweigerlich an den einmarschierten Nachbarn erinnert. So stellt man sich russische Siedlungen vor. Ein ziemliches Grau in Grau, mit stark überzogenem Verfallsdatum. Dazwischen fast wie Fremdkörper das Neue. Unpassend, passend gemacht.

Brudervolk, davon war in den Medien in letzter Zeit oft gesprochen worden, vielleicht auch darum, der Geist von der Presse manipuliert, ist die Assoziation eine sofortige. Zumindest für mich.

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Allerdings, hoch auffällig, mit dem Zustand der neuen Bauwerke, der Kaufhäuser, Waschstraßen, Wohnsiedlungen, kann jener der Verkehrswege nicht mithalten – so ganz und gar nicht. Diese sind, es scheint mehr oder weniger durchgehend, von den Elementen zerfressen, unfassbar großflächig jedenfalls, und praktisch überall wo auch immer wir uns bewegen. Wenn dies, Uzhgorod, einer der fortschrittlicheren Gegenden der Ukraine ist, dann möchte, kann man die Beschaffenheit der Verkehrswege in den ärmeren Regionen vorsichtig erahnen…

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Das Navigationssystem macht es unmöglich, den mit der Tierschützerin Irina vereinbarten Treffpunkt ausfindig zu machen. Auf ‚google maps‘ können wir nicht zurückgreifen, die Mobilen Daten aus dem Handy stillgeschaltet – ansonsten würden uns die Kosten bei der Rückreise eine sehr unangenehme Überraschung bescheren! Und TomTom zeigt sich überlastet… Irina, die vielbeschäftige, rät schließlich am jetzigen Standort zu warten – sie würde uns alsbald abholen. So parken wir das Fahrzeug in einem Meer aus Schlaglöchern und zerborstenem Asphalt. Der Regen tut sein Übriges, um die Szenerie zusätzlich höchst unwirklich zu gestalten. Von der Zeit zerfressene Häuser um uns, eine nahezu in die Moleküle zerlegte Straße, Wasserpfützen so große wie kleine Teiche – und zwei Straßenhunde, welche pitschnass auf einer Wiese vor einem Wohnblock dösen! Die wollen bestimmt essen, denken wir, und tatsächlich, nach kurzem anfänglichen Misstrauen, nehmen sie das angebotene Nassfutter schließlich direkt aus den Händen!

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Zwei so liebe Burschen, unfassbar anschmiegsam, zutraulich, obwohl sie uns doch gar nicht kennen! Das Herz bricht spätestens, als sich einer der beiden an die Beine schmiegt, seine Pfote in die Hand und den Kopf in den Schoß legt. So verbringen wir, im Liebestaumel gefangen, eine gute halbe Stunde. Dann kommt plötzlich eine Frau aus dem Hochhaus, sie kennt die Jungs offensichtlich – und überschüttet die beiden sogleich mit Freundlichkeiten! Im nächsten Augenblick scheinen wir vergessen, die Hunde folgen der Herzensguten, wo immer auch hin! Fast enttäuscht bleiben wir zurück, aber schon im nächsten Moment durch und durch erleichtert, dass unsere Schützlinge ganz augenscheinlich nicht alleingelassene sind! Die Dame wird sich wohl schon länger um sie kümmern, und mit der Einsicht schämen wir uns fast ein bisschen für den Anflug von Eitelkeit, über die verletzten Gefühlen ob der Entscheidung der Vierbeiner, uns im Ansicht des Mütterchens ansatzlos links liegen gelassen zu haben! Opportunisten, haben wir sie spaßeshalber gar bezeichnet, dabei sind sie unendlich viel mehr als das. nämlich echte Überlebenskünstler! 🙂

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Kurz gehen wir jetzt ein bisschen durch die Stadt, wir wollen die Zeit nützen, Eindrücke erhaschen. Uns unter die vielen Menschen mischen, die eilig ihres Weges ziehen, in eigenen Gedanken gefangen. Genau wie wir. Ja, letztendlich sind wir alle Gleiche unter Gleichen, mit selben Sorgen, mit selben Gefühlen, mit selben Ängsten, mit selben Freuden. Egal, ob wir nun im reichsten Land der Welt oder unter der sengenden Sonne Afrikas in der Sahelzone leben. Menschen, das ist der vereinende Faktor, die einfach nur leben wollen, lieben, lachen, träumen, ihr Dasein bestreiten. Und frei von Angst existieren möchten…

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Irinas Anruf rüttelt uns aus den Tagträumen; kurz darauf schließen wir die Liebe auch schon in die Arme! Bereits der erste Eindruck bestätigt: da steht uns eine alles einnehmende Persönlichkeit gegenüber, eine unglaublich tolle, toughe Frau, die mitten im Leben steht. Die trotz des sie täglich umgebenden Chaos nicht die Nerven verliert, immer die Contenance bewahrt. Sie ist mit ihren zwei Helfern gekommen, die wir nun ebenfalls mit aller Herzlichkeit begrüßen. Aber dann müssen wir schon los, es ist bereits späterer Nachmittag. Wieder geht es über gebrochenen Asphalt, ständig im Versuch, den oft riesigen Schlaglöchern bestmöglich auszuweichen. Immer gelingt das nicht. Doch wir bleiben dem grauen Klein-Lastkraftwagen der TierschützerInnen vor aus auf den Fersen – besser, Hinterrädern – und schließlich biegen wir in ein ehemaliges Fabrikgelände ein; Halle reiht sich hier an Halle, unterbrochen von verwunschenen, aussichtslos verwachsenen Gärten, dazwischen haushohe Bäume; eigentlich wunderschön, trotz des eindeutigen Verfalldatums, welches längst um mindestens ein Jahrzehnt überschritten ist! Bröckelndes Mauerwerk überall, hie und da ist ein ganzes Tor aus den Ziegeln gesprengt, zersplitterte Fensterscheiben und Bauschutt beherrschen das Umfeld.

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Irgendwo entlang der Gebäudereihen halten wir; dort wartet bereits ein LKW mit offener Ladefläche, auf deren ein mit freien Auge erkennbares Übergewicht Platz gefunden hat. Meist Tierfutter, aber in solchen Mengen, dass man es kaum glauben mag. Alles für Tierheime im Osten des Landes bestimmt, und für Zoos oder sonstige Einrichtungen, welche Tiere beherbergen. Die Not dort ist eine fürchterliche, zwischen Hunger und Durst, Angst und Schrecken, zwischen Bomben und Granaten, wo Mensch kaum überleben kann und Tier fast unmöglich. Der Fahrer der Zugmaschine ist übrigens ein älterer Herr, wohl um die 60, aber mit allem Mut der Welt gesegnet. Er wird das 25-Tonnen-Monster noch heute über mehr als 1000 Kilometer hinweg mitten ins Kriegsgebiet leiten, und dabei hoffen, die so überlebenswichtige Ladung persönlich überbringen zu können. Ob er die nächsten Tage schaffen wird? Er weiß es nicht, aber wenn er sich darüber Gedanken machen würde, dann dürfte er die Verantwortung nicht übernehmen, sagt er leise. Ein stiller Held. Einer der allergrößten aber auch.

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Ich sehe mich ein bisschen im Hinterhof der Fabrik um; in Gedanken versunken schrecke ich plötzlich hoch. Hundegebell lässt die Tageträume schnell verfliegen. Tatsächlich ist da in einer hintersten Ecke ein Hund angebunden, mittels einer Kette der Freiheit beraubt. Zwar wurde ihm wenigstens eine Laufleine gespannt, sodass sein Bewegungsradius vergrößert ist, aber warum muss er hier am vergessensten Platz der Welt überhaupt nur angekettet sein? Rundherum bloß Verfall, und er fristet ein einsamstes Leben in völliger Triste. Im Abseits des Abseits. So komplett ohne Sinn. Bewachen braucht er hier wohl nichts, ausgesetzt Wind und Wetter, nur eine kleine, feuchte Hundehütte ist ihm zugedacht! Schlamm, Dreck, Abfall, im Sommer Elendshitze, im Winter Eiseskälte, das ist seine ganze Welt. 

Er lässt mich näherkommen, bellt zuerst noch, beruhigt sich aber schnell. Dann darf ich ihn sogar anfassen, streicheln. Er scheint die Zuneigung zu genießen. Aus dem Auto ist im nächsten Augenblick ein Sack Futter geholt, und auf die angebotene Nahrung – er nimmt sie aus den Händen – stürzt er sich wie besessen. Auch Cosma kommt hinzu, und beide können wir die Situation nicht so wirklich begreifen. Warum tut ‚Mensch‘ solche Dinge, noch dazu am laufenden Band, den Mitgeschöpfen an? Empathielos, rücksichtslos, rückgradlos, das ist es, was unsere Gattung so oft auszeichnet. Der Gedanke ’soll man ihn befreien‘, muss jedoch bald verworfen werden, dazu haben wir zu lange gezögert; denn plötzlich kommt ein Mann mit einem Wasserkübel, tätschelt den Armen und füllt den Napf auf. Warum der den Hund in einer derart aussichtslosen Lage hält, in absoluter Triste, chancenlos gegen zum Beispiel streunende Hunderudel oder gefährliche Irre – wie es sie leider zuhauf gibt – nur er wird es wissen. Er ist es auch, der es letztendlich mit seinem Gewissen vereinbaren muss.

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Ok, es gilt keine Zeit zu verlieren. Zuerst muss der kleine Lastkraftwagen unserer neuen Freunde entleert werden. Auch der ist beängstigend voll, mehrere tausend Kilos an Tiernahrung sind darin gestapelt. Unfassbar! Diese ganze Menge verfrachten wir in Folge händisch in den großen Bruder der grauen Tierschützer-Maschine. Uff, was für eine Arbeit! Andererseits, 12 Hände, die ineinandergreifen, so als ob sie schon ein Leben lang zusammenarbeiten würden, was gibt es Schöneres???? Irina mitten drinnen, der Fels in der Brandung. Die Koordinatorin schlechthin, ein Vorbild, auf welches die Augen ihrer Mitstreiter stets gerichtet sind!

Bald ist die Aufgabe geschafft; noch bleibt ein klein bisschen Platz am Schwerfahrzeug, jetzt soll da aber zusätzlich die ganze Menge aus dem RespekTIere-Mobil untergebracht werden?! Der Fahrer schüttelt ungläubig den Kopf; dann aber scheint er zu sagen ‚was soll’s, die Tiere brauchen es‘ und schon sind wir wieder im Unterfangen. Gut 1000 kg, vielleicht sogar mehr, sind es, die im Sprinter geladen sind; jede Menge an Hunde- und Katzenfutter, weiche Betten für die Vierbeiner, aber auch Verbandsmaterial, Spritzen, Kanülen, Wundversorgungsmittel – und Bekleidung für Menschen, besonders solche für Kleinkinder! Windeln für Hunde sind dabei, worüber sich Irina fast am meisten freut – die würde sie für ihren Waschbären so dringend brauchen, meint sie einvernehmend lächelnd!

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Endlich haben wir es geschafft. Erleichtertes Durchatmen, dann sind die von meinem Bruder Charly gespendeten Fanta-Dosen einmal mehr ein ideales Geschenk für die Anwesenden! Trotz des inzwischen wieder strömenden Regens ist uns allen ob des Umherverfrachtens von tausenden Kilos an Tiernahrung doch noch so ziemlich heiß geworden; was gibt’s da besseres als einen Schluck stark zuckerhaltiges Brausegetränk? In heutiger gesundheitsbewusster Zeit, wo man oft genug verzichtet, wann sollte man sich einen solchen genehmigen, wann, wenn nicht jetzt?

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Foto: Straßenhunde gibt es offensichtlich viele; die Überlegung, hier langfristig mitzuhelfen, tut sich auf!

Irina's Asyl!

Ein Blick auf die Uhr verrät, für uns alle wird es langsam höchste Zeit – Irina muss noch zu einem alten Mann, wo es ihre selbstgewählte Aufgabe ist, dessen viele Tiere zu versorgen. Und wir haben einen Termin in der Stadt, wo wir einem bewundernswerten Arzt – der, wie sich später herausstellen wird, 11 Flüchtende bei sich beherbergt, plus drei Katzen und einen Hund – die mitgebrachte Menge an sooo wichtigen Medikamenten übergeben wollen, übergeben müssen; aber eins soll zuvor noch geschafft sein: der Blick in das Asyl der Tierschützerin! Also folgen wir im nächsten Augenblick erneut dem grauen Laster, und dieses Mal – wir waren bereits vorgewarnt – wird es richtig abenteuerlich! Denn der Weg zur Herberge, besonders der letzte Kilometer, ist echte Piste! Durch den Regen zusätzlich dramatisch gestaltet, wird die Fahrt ganz schnell zur Rallye; aus Erfahrung weiß ich, wer in solchen Situationen bremst, der verliert, denn langsam zu werden oder gar stehenzubleiben in dem knöcheltiefen Matsch oder knietiefen, mit Schlamm gefüllten Schlaglöchern bedeutet unweigerlich ‚feststecken‘! Bis über die Windschutzscheibe spritzt das Fahrtwasser alsbald, ein Ruckeln und Zucken im Inneren, wie ein Ritt auf einem wilden Mustang!

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Aber dann sehen wir sie vor uns, die Wellblecheinfriedung des Tierheimes. Und schon im nächsten Moment sind wir zutiefst überrascht: was die junge Frau hier vollbracht hat, ist grenzwertig; grenzwertig genial! Mit einfachen Mitteln wurde ein Asyl errichtet, welches diesen Namen mehr als verdient! Überall gibt es ‚Auslaufflächen‘, die Hunde sind ausnahmslos in Gruppen gehalten, und trotz der vielen leider unentbehrlichen Eisengittern, trotz des Dauerregens und der dadurch vom Matsch beherrschten Umgebung, wirkt das Asyl aufgeräumt und zutiefst friedlich. Die Hunde zeigen sich allerliebst, begrüßen uns schwanzwedelnd, bellend, allesamt wollen sie gestreichelt, liebkost werden. Sooo schön!!!

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Auf der einen Seite gibt es eine kleine Halle mit Seitengängen, dazwischen die Hundeboxen mit Auslauf ins Freie, mit Glas verkleidet. Fast wie ein Gewächshaus, und fast ohne die oft so hässlich wirkenden Gitter. Auf der anderen ist ein Strohlager, gut geschützt von der Witterung, die Hundefuttervorräte in verschließbaren Containern. Alles perfekt angelegt, perfekt organisiert. Dass Irina die bewundernswerte Eigenschaft zur Koordinationsfähigkeit besitzt, haben wir schon beim ersten Zusammentreffen gewusst. Mehr gibt es dann auch gar nicht zu sagen; sie ist die richtige Frau, die zur richtigen Zeit am richtigen Platz war. Das Schicksal, oft genug sonst ein mieser Verräter, hat hier ein Atout ausgespielt, eine Trumpfkarte, die sowas von gestochen hat. Ein Engel für die Tiere, welche nichts dringender brauchen als eine/n BeschützerIn gegen die Widrigkeiten des Lebens. Und eine solche haben sie gefunden. Danke, Irina!

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Es wird langsam dunkel; jetzt müssen wir uns endgültig verabschieden! Ein schneller Drücker, ein paar nette Worte, und schon bleiben die ukrainischen TierschützerInnen als wärmende, ewige Erinnerung in unseren Herzen zurück… obwohl, schon im nächsten Moment verbindet uns die Vorsehung bereits wieder – mussten wir doch beim Wegfahren direkt über die kleine wasserdurchtränkte Wiese ausweichen, weil der graue Van den eigentlichen ‚Straßen’verlauf rund um den ‚Kreisverkehr‘ blockiert hatte! Im Rückspiegel sehe ich, wie Irina und ihr Kollege sofort herbeieilen, und auch Cosma springt nun aus dem RespekTiere-Mobil. Mit der Schubkraft von 3 Menschen und einem vorsichtigen Gas-Kupplungsspiel finden die Hinterreifen schnell wieder Halt und wir sind endgültig am Weg!

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Foto: Cosma vom Grünen Tierschutzforum (www.tierschutzforum.at), Irina und Tom vor dem Asyl!

Im Refugee-Center von Uzhgorod!

Mittenrein in die Stadt, die irgendwie sofort gefangen nimmt. Ausstrahlung, Atmosphäre, Sehnsucht, eine brisante Mischung, die schnell ein Gefühl der Verbundenheit aufkommen lässt! Einige Telefonate später erreichen wir auch schon das ‚Refugee-Center‘ von Uzhgorod; eingangs erwähnter Doktor empfängt uns dann auch schon freundesstrahlend! Wie wichtig die Medikamente, von Cosma und ihren KollegInnen gesammelt, wären, er kann es kaum mit Worten beschreiben! Nach kurzem Gespräch lädt uns der gute Mann, trotz seines offensichtlich äußerst gespannten Zeitplanes, in die Auffangstation ein; dort haben sich bereits viele Menschen aus anderen Teilen des Landes, jenen meist, wo der Krieg ganz schnell unvorstellbare Ausmaße angenommen hat, versammelt. Sämtliche davon verloren in den letzten Tagen alles, was sie ihr ganzes Leben lang aufgebauten, alles, was sie je besaßen. Vom einem Tag zum nächsten. Im Refugee-Center wird ihnen Essen, Erstversorgung, medizinische Betreuung, ein Schlafplatz geboten. Für Kinder sind Spielecken eingerichtet, man kann sich über den weiteren Weg informieren, erhält Unterstützung und ein offenes Ohr. Wunder- wunder- wunderschön, denken wir, dass es solche Einrichtungen gibt. Und so zahlreiche HelferInnen, die ohne zu zögern für ihre Mitmenschen 24 Stunden am Tag einstehen. Ja, lieber Gott, noch ist der Plan ‚Humanität‘ nicht gescheitert!!!!

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Fotos: das RespekTiere-Mobil vor dem Flüchtlings-Zentrum von Uzhgorod; Cosma übergibt die mitgebrachten Medikamente!

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Foto unten: Dieses Mädchen hat ihre Katze von zu Hause mitgebracht auf den weiten Weg ins Unbestimmte; von einem zu Hause, dass es plötzlich nicht mehr gibt…

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'Putin - Stop The War'-Demo

Später, ergriffen von der Situation, wollen wir unseren persönlichen Protest nochmals wirklich Ausdruck verleihen. ‚Putin, stop the war‘ steht auf den Transparenten, welche wir im Zuge einer kleinen Kundgebungsaktion vor einem offensichtlichen Regierungsgebäude schwenken.

Auf dem Weg zurück zum Auto hörne wir aufgeregte Stimmen hinter uns. Drei Polizisten in schwerer Bewaffnung deuten wütend, fuchteln mit den Armen; ‚Stop‘, lautet der unmissverständliche Befehl! Was sie genau möchten, warum sie uns aufhalten, wir werden es vielleicht nie erfahren. Auf jeden Fall gebieten sie die gemachten Aufnahmen sofort zu löschen. Beide müssen wir unsere Fotomaschinen herausnehmen, und die strengen Augen der Beamten verfolgten den Druck auf die ‚Delete‘-Taste. Mit einem Lächeln tun wir das Verlangte, denn was die Eifrigen vielleicht vergessen: selbige Aufnahmen sind später im ‚Gelöschte‘-Ordner schnell wieder auffindbar! Also, keine –Aufregung, alles gut!

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Foto unten: die Polizisten am ‚Rückzug‘, nachdem sie unsere Bilder ‚löschen‘ haben lassen…

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Immer wieder Sirenenalarm!

Heimfahren wollen wir über Ungarn; der Weg über die Slowakei ist uns etwas zu weit gewesen, mit zu langen Strecken auf bloßen Nebenstraßen, welche enorm Zeit kosteten. Deshalb visieren wir nun die Grenze zum Magyarenland an. Bis dorthin geht die Fahrt dann auch gut voran, allerdings, in Sichtweite der Schranken wird sie jäh gestoppt. Ausgebremst. Zum Stillstand verdammt.

Kaum 20 Autos vor uns, als plötzlich der Balken heruntergezogen wird. Warum? Keine Ahnung. Wir fragen einige Menschen um uns, betretene Gesichter. Krieg halt, meinen sie, da kann so was passieren. Das Warten beginnt. Roma-Kinder mit nettem Lächeln und gebrochenen Seelen tasten sich durch die wartenden Fahrzeugreihen. Klopfen an Scheiben, bitten um ein bisschen Geld, Süßigkeiten oder sonst was. Vielleicht auch nur um Aufmerksamkeit. Bald folgen Frauen, deren Mütter wahrscheinlich. Der Nachwuchs zuallermeist in viel zu große Klamotten gesteckt. Schlabberpulli und -hose,von den inzwischen erwachsenen Brüdern und Schwestern ‚geerbt‘.

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Fotos: Grenze – Dramatik pur! Immer wieder Sirenenalarm, stundenlanges Warten. Der Balken komplett geschlossen.

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Wir haben extra Stofftiere im Auto belassen, im Wissen, dass wir Roma-Kinder hier antreffen werden. Und wie sie sich über die Geschenke freuen; auch die inzwischen tatsächlich heiß geliebten ‚Fanta-Casis‘-Dosen wechseln die Besitzer, und bald strahlen uns glückliche Kinderaugen entgegen. Ja, natürlich, sie fragen nach mehr, tun sie immer und haben sie so verinnerlicht, aber im eigentlich sind sie sehr zufrieden mit dem, was wir ihnen überreicht haben. Das weiß ich, daran will ich fest glauben! Auch die Mütter kommen später, dazu alte Frauen, allesamt die Verzweiflung ins Gesicht geschrieben. Aber auch der unbesiegbare Stolz. Betteln ist für diese Menschen kein Fordern, es ist die bloße Frage nach Unterstützung, gerichtet an jene, die ohnehin viel mehr haben. So zumindest versuche ich die Situation zu verstehen.

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Nichts geht mehr, stundenlang. Immer wieder Soldaten, oft noch immer Kinder und viel zu schnell aus der Unschuld in eine brutale Welt entführt, schwer bewaffnet. Einzelne Autos werden untersucht, Pässe betrachtet. Dann wieder beängstigende Stille. Im Gegensatz zu so vielen Einsätzen, wo bei ähnlichen Situationen an der Grenze schnell ein tobendes Hupkonzert ausgebrochen ist, bleiben die Fahrzeugsirenen dieses Mal stumm. Nicht aber die ‚echten‘, die großen, die überlebenswichtigen! Sie schreien plötzlich und immer wieder ihre Botschaft in die Welt! Heulen auf, zerfetzen die angespannte Stille. Unheimlich, Gänsehaut am ganzen Körper erzeugend. Warnsignal, langgezogener Ton, auf- und abschwellend, minutenlang. Dann erneut Ruhe. Das Warten auf den nächsten Ausbruch. Der kommt, alsbald. Und noch einer; jetzt wird es richtig ernst, denken wir, denn der Signalton kommt in voller Lautstärke und gleichmäßig, über drei Minuten hinweg. Höchste Alarmstufe also. Jene, wo man eigentlich den Keller aufsuchen sollte. Nur, wir stehen an der Grenze, können weder vor noch zurück. Untergeschoss gibt es nicht. Höchsten unter dem Wagen könnten wir uns verstecken. Eine beängstigende Unsicherheit ist die Folge. Die im Stillstand Mitgefangenen allesamt festgefroren. Ein gemeinschaftliches Starren auf den Horizont im Rücken. Nichts passiert.

Langsam wird es dämmrig. Dann stockdunkel. Wir haben noch mehr als 700 Kilometer Fahrt vor uns, denke ich; wie sollen wir das schaffen, wenn der Müdigkeitsfaktor schon jetzt derart hoch ist. Und sich seit drei geschlagenen Stunden die wartende Kolonne keinen Zentimeter bewegt hat! Nervenaufreibend. Adrenalin pur.

Letztendlich stehen wir mehr als 4 Stunden in jenem Stau. Dann geht es weiter, ganz langsam. Auto für Auto. Wie bei der Einreise. Soldaten in schweren Waffen. Überall. Kinder sind es auch hier zumeist. Einst fröhliche Augen, strahlende Teenager, welche sich auf den ersten Kuss gefreut haben, auf eine Berührung des/der Auserkorenen, plötzlich gefangen im Ernst des Lebens. Mehr als das, konfrontiert mit der schlimmsten Geisel der Menschheit, dem Krieg. In allen furchtbaren Nuancen. Einem Krieg, den sie nie wieder aus ihren Köpfen vertreiben werden können. Junge Männer und Frauen, wo die Zeichen der Zeit Erwachsene aus ihnen gemacht haben, und zwar über Nacht. Jeder Unschuld beraubt. Verheerend. Unfassbar.

Ukraine Hilfsfahrt 103

Foto oben: Tom steht in der kleinen Schlange – ein letztes Mal ‚bitte warten’… unten: Cosma, schon sehr müde aber immer noch völlig entspannt, als der ungarische Zöllner das RespekTiere-Mobil durchsucht…

Hilfsfahrt cosma

Wir durchlaufen wieder die verschiedenen Sperren, aber es ist irgendwie egal geworden. Kein Auflehnen gegen die Bürokratie, nicht einmal ein Ärgern. Es gibt Schlimmeres, viel Schlimmeres. Ein paar hundert Kilometer von unserer Grenze entfernt spielt sich tagtäglich die größtmögliche Tragödie ab. Sterbende Menschen, Bomben, schreiende Kinder. Verhungernde Tiere, überall. Zerstörte Infrastruktur, gefallene Schutzengel. Blut an den Händen der Mächtigen. Der russische Bär, in Ohnmacht gefangen. In Rage. Tollwütig. Es ist sowas von unglaublich, was hier passiert.

Am Heimweg!

Der Rest ist schnell erzählt. Erst in Ungarn, durchqueren wir wieder Landstraßen, aber dieses Mal nur über höchstens 50 Kilometer hinweg. Dann die Autobahn, strömender Regen begleitet uns immer noch. Budapest, wieder leitet uns TomTom runter vom Highway. Stunden später die ersten roten Lichter der Windräder. Pannonisches Becken, die Heimat naht.

Erst nach 6 Uhr morgens fallen wir ins Bett in der Zwischenstation zum Daheim. Unendlich froh, die Fahrt durchgeführt zu haben. Gehandelt zu haben. Einen Beigetrag geleistet, auch wenn es nur ein Tropfen auf den Stein war. Aber ein Tropfen ist zumindest einmal schon viel mehr als nichts….

Ukraine Hilfsfahrt 75

Foto oben: weil nur einzelne Autos im Halbstundentakt durchgelassen werden, ist die Autobahn in Folge auf weiter Strecke gespenstisch leer… unten: Budapest bei Nacht, dann die Raffinerie in Schwechat!

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