Ukraine-Direkt-Einsatz – respekTIERE IN NOT on the road again!

Es ist wieder kalt geworden im Land, und nicht nur temperaturmässig. Seit im Februar letzten Jahres Russland mit einem unfassbaren Angriffskrieg die Ukraine in Schutt und Asche legt, scheint nichts mehr wie zuvor. Die vermeintliche Sicherheit, in welcher wir alle uns gewogen hatten, sie stellte sich letztendlich als eine trügerische heraus. Nur wenige Autostunden entfernt von der österreichischen Grenze passieren Dinge, welche wir eigentlich nicht mehr für möglich gehalten hätten. Ein Krieg im Herzen Europas. Menschen sterben, zu 10 000en, und für die Tiere hat die Situation wohl längst sowieso apokalyptische Ausmaß angenommen.

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Fotos: Letzte Reisevorbereitungen – in unserem Futterlager bei Hanni, ganz unten am Weg Richtung Osten!

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Wir können uns tatsächlich gar nicht vorstellen, wie es für sie sein muss, dort im ewigen Sirenenalarm und dauerndem Bombenhagel. Ein Raketenbeschuss, ein Inferno aus Lärm und Zerstörung. Was wir aber tun können, ist, nach unseren Möglichkeiten Unterstützung zu bringen. Jetzt, wo es immer mehr an allem fehlt. Ja, zu Beginn des Krieges, in den ersten Monaten, schien es noch so, als ob ganz Europa unterwegs wäre, Hilfstransporte kamen aus aller Herren und Frauen Länder ausgehend stündlich an den Grenzen an. Beladen mit Tonnen von Gütern. So viele, dass oftmals die Verteilung nicht Schritt halten konnten, dass grenznahe Vereine und Organisationen völlig überfordert waren mit der Situation. Desillusioniert berichteten bald verschiedene Helferinnen und Helfer von teils chaotischen Zuständen, von Bergen von Kleidung und Waren teils auf offener Straße, nicht wettergeschützt. Geschuldet der Unmöglichkeit, dass Klein- und Kleinstorganisationen all diese Dinge vollständig über die imaginäre Linie direkt zu den Bedürftigen bringen konnten. Über die Grenze hinweg wagten sich nämlich nur wenige, verständlicherweise.

Dann auch noch, je länger der Krieg dauert, desto spärlicher flossen die Hilfsgüter allgemein. Und langsam kommt der Strom gar völlig zum Erliegen.

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Besonders ins Land selbst gelangt die Unterstützung meist nur über Umwege und Zwischenstationen. Diesen einen Punkt, diesen einen Unsicherheitsfaktor, wollten wir als RespekTiere von vornherein vermeiden, und so sind wir nach anfänglichen „Grenzfahrten“ nun schon zum dritten Male direkt hinein in die Ukraine unterwegs. Ausgestattet mit Papieren ausgestellt vom slowakischen Partner-Verein „Sloboda Szvierat“ sowie einer besonders wertvollen Kiste tiermedizinischer Artikel von ebendiesem bahnt sich das RespekTiere-Mobil also einmal mehr den Weg in Richtung Osten. Vollbeladen sind wir, selbstredend, bis unter die Dachkante. Hunderte Kilos an Tiernahrung, Tierheimbedarfsartikel und Tiermedizin sind im Frachtraum, dazu natürlich auch jede Menge an Gütern für bedürftige Menschen. Angefangen von der Kleidung bis hin zum Rollator, alles hat Platz gefunden im Inneren des orangen Ungetüms!

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Mitkommen auf die lange Fahrt wird dieses Mal ein alter Freund und Mitstreiter – Aleko, eigentlich aus Bulgarien, aber schon seit vielen Jahren in Deutschland wohnhaft, war bereits auch in Bulgarien selbst Teil unserer Projekten, bzw. hat uns dort eigene vorgestellt. Er ist ein Trumpf-Ass – spricht der Gute doch Russisch und kann kyrillisch lesen; beide Dinge sind bei einem derartigen Unternehmen von höchster Bedeutung! Von seinem Arbeitgeber, dem Brillenhersteller „Apollo/Pearl“ hat er zudem eine große Menge an Sonnenbrillen gespendet bekommen, welche bestimmt vielen Menschen im blau-gelben Land von Nutzen sein bzw. große Freude bringen werden!.

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Foto: Aleko steigt ab Budapest zu – wir sollten zusammen eine der emotionalsten Hilfsfahrten antreten!

Seit Sonntag sind wir schon unterwegs, gestartet aus dem bitterkalten und tief verschneiten Salzburg. Die erste Zwischenstation in der Nähe von Wien ist dann aber schnell erreicht. Noch sitze ich alleine im Fahrzueug, Aleko wird in der Nähe von Budapest zusteigen, weil wir dort sein Auto belassen; wo? bei Enikö, Ihr erinnert Euch bestimmt, die großartige Katzenschützerin, mit welcher wir nun ebenfalls schon seit mehr als zwei Jahren zusammenarbeiten. Aleko darf bei ihr seinen Wagen parken, und so schließt sich der Kreis – Tierschutz at iht’s best, wenn alle zusammenhelfen! Wunderschön!

Zuerst aber gilt es noch in Oberösterreich rund 200 Liter Desinfetionsmittel in 5-kg-Kanistern abzuholen! Weil wir also gerade bei der Zusammenarbeit sind: Auch jene wurden für uns gesammelt, und zwar vom „Artenschutz Sattledt“, wofür wir extrem dankbar sind. Schon bald soll es zu einem Treffen mit besagten Naturschützendenden kommen, und dann werden wir mehr über deren so wichtige Arbeit berichten! Auch in Krems halten wir: wie so oft in der Vergangenheit stellt das dortige Tierheim, eines der besten des Landes (www.tierheim-krems.at), wieder eine Menge an Tiernahrung für den Auslandseinsatz zur Verfügung! Allerherzlichsten Dank Ihr Lieben!!!

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Fotos: Das Tierheim Krems – für uns seit vielen Jahren ein wirklich unersetzlicher Partner!

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Schließlich verbringen wir den ganzen Tag mit dem Zusammensammeln von Waren, welche allesamt noch irgendwie und irgendwo im RespekTiere-Mobil unterkommen sollen; einen Teil jener Spendengüter – auch hier gilt unser allerhöchster Dank – wird gleich in Niederösterreich verbleiben; weil wir nämlich bereits schon wieder die nächste Hilfsfahrt planen, wo es dann in den kommenden zwei Wochen in Richtung Rumänien gehen wird!

Der Dienstag beginnt wolkenverhangen. Allerdings, es soll heute besseres Wetter geben, und dazu ein klein weniger wärmer sein – schau ma mal, wie der gelernte Österreicher gerne sagt! 🙂 Erste Station heute ist Wien: In der Donaumetropole werden wir einmal mehr Cosma Stöger von den Grünen (www.gruene.at) treffen, welche besagten Karton mit Hundemedizin vom Partnerverein „Sloboda Szvierat“ aus Bratislava organisiert hat. Zeit bleibt leider wenig für das Gespräch, selbstredend, das werden wir alsbald nachholen!

Eine feste Umarmung später hat uns die Straße wieder. Nun geht es endgültig auf die Ostautobahn, vorbei an den so prägnanten Windräder-Parks des pannonischen Beckens. Der Wettergott ist tatsächlich auf unserer Seite, beste Reisebedingungen sorgen für gute Stimmung. Der Winter war ja, ich hatte es bereits erwähnt, punktgenau bei der Abreise aus Salzburg mit Pauken und Trompeten zurückgekehrt, begleitet von tiefen Temperaturen unter dem Gefrierpunkt plus heftigen Schneefall bis in die Niederungen  – aber nun am frühen Nachmittag zeigt das Thermometer sogar zarte Plusgrade. Dazu ist der Himmel ein bewölkter, und frohen Mutes nähern wir uns dem ungarischen Grenzbalken. 

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Foto: Cosma Stöger von den Grünen konnte die so wichtigen Arzneimittel aus Bratislava organisieren – super!

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Je tiefer die Fahrt hinein nach Ungarn geht, desto frühlingshafter wirkt die Umgebung. In der Tat ist es sogar ziemlich warm, bestimmt über 10 Grad, und die Sonne scheint ungehindert vom prächtigen Himmel. Strahlend blau präsentiert sich der Horizont, und die Felder ringsum zeigen sich bereits grasgrün. Nur an den Bäumen ist ob deren Kahlheit noch der ausklingende Winter zu erkennen, jedoch, selbst da sprießen offensichtlich die Knospen – unverkennbar, der nahende Lenz befindet sich im unaufhaltsamen Anmarsch! Ich komme prima voran, jetzt im ständigen Kontakt mit Aleko. Der war inzwischen noch in St. Pölten in der Firma meines Bruders Charly, wo RespekTiere ja auch ein kleines Warenlager einrichten durfte. Von dort nimmt der Freund noch gut 100 kg an Hunde- und Katzenahrung mit, welches in seinem Auto in Budapest verweilen wird; kommen wir dann zurück aus der Ukraine, so alles gut geht, dann wird der Freund von der Magyarenmetropole aus den Weg fortsetzen in Richtung Bulgarien. Wo die Nahrungsmittel natürlich ebenfalls an Straßenhunde verfüttert werden – Ihr erinnert Euch vielleicht, wir hatten in der Vergangenheit berichtet, Aleko’s Mutter versorgt in Pernik bei Sofia mehrere Rudel seit vielen, vielen Jahren!

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Foto: Ungarn, das Land der landwirtschaftlichen Nutzung: Hier ein abgeholzter Wald.

Es ist dann bereits stockfinster, als ich Enikö’s Adresse erreiche. Aleko ist nur eine halbe Stunde hinter mir, und so verbringe ich die Wartezeit mit Schreibarbeiten im Auto. Die Tierschützerin ist leider nicht zu Hause, sie musste zu einem dringenden Einsatz. Ihr wisst, zu Enikö hat RespekTiere selbstredend auch eine direkte Verbindung: Immer wenn wir zu Gabi’s Asyl an den Plattensee fahren, laden wir auch für die Katzenschützerin eine ganze Menge an Gütern. Enikö versorgt ja mehrere Dutzend Katzen in ihrer Umgebung! Leider aber können wir jetzt nicht auf sie warten, es fehlt an Zeit – Aleko und ich müssen trachten, die Grenzstadt zur Ukraine so schnell als möglich zu erreichen, haben wir doch in jener Zone ein Zimmer reserviert, wo wir nicht später als 23 Uhr eintreffen sollten. Ob’s zu schaffen ist?

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Der Freund kommt gegen 19 Uhr. Jetzt gilt es noch seine mitgebrachten Sachen in den ohnehin übervollen Van zu stopfen – im wahrsten Sinne des Wortes! Aleko hat viel gebracht; Kleidungsstücke, Stofftiere für die Kinder, Computerbildschirme und vor allem besagte Sonnenbrillen, brandneue, gespendet vom Arbeitgeber. 3 große Kartons Markenware. Alles bringen wir letztendlich nicht unter, aber wenigstens einen Teil. Der Rest verbleibt im Auto, auf der Rückfahrt werden wir erneut umladen – und dann geht das Übriggebliebene bei der nächsten Hilfsfahrt auf direktem Wege nach Rumänien! 🙂

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Letztendlich ist alles geschafft, Aleko’s Auto in der Sicherheit des kleinen Hofes geparkt und Enikö’s Oma ein herzliches Lebewohl gesagt. Dann hat uns der Highway wieder; 3 Stunden bis zum heutigen Ziel zeigt das Navi. Es sollen ihrer mehr als fünf werden… Zuerst noch können wir auf der Autobahn Zeit gut machen, alles läuft super. Aber dann geht es auf die Landstraße, eine passable für 70 Kilometer, bald aber, für weitere 30, finden wir uns auf unbefestigter Piste wieder. Vorwärtshanteln von einem Schlagloch zum nächsten ist angesagt. Stockdunkle Nacht, wenigstens ohne Gegenverkehr. Weil die Straße sowieso ins bloße „Nirgendwo“ führt. Wortwörtlich. So lange folgen wir dem Weg, bis eine Ortschaft aus dem Nichts auftaucht. Eine ausgestorbene. Obwohl, hier und dort hört man einen Hund bellen, also ein paar Bewohnende dürften übriggeblieben sein. Auch das Internet fällt schließlich aus, was der Navigation Probleme bereitet. Nichtsdestotrotz, wir finden die Herberge.

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Foto: Morgenstunde bei der Herberge; esmacht den Eindruck, als ob wir die einzigen Menschen weit und breit wären!

Herberge? Es ist ein ganzes kleines Haus, ein uraltes. Der Besitzer ist längst schlafen gegangen, in seinem eigenen. Wo, wissen wir nicht. Er hat den Schlüssel hinterlegt, und so nimmt alles ein gutes Ende. Die Räume sind übrigens – spektakulär. Weil, übriggeblieben aus den 70ern. Original. So überaltert, dass es fast schon wieder „trendy“ sein muss… Alles nebensächlich, jetzt gilt es noch ein bisschen Arbeit nachzuholen und dann zu schlafen. Müdigkeitsfaktor auf einer Skala von 1 bis 10? Mindestens 12! Morgen wartet eine besondere Aufgabe; damit ist nicht einmal unbedingt der Übertritt in die Ukraine gemeint; nein; dorthin gibt es nämlich 2 Wege. Einer, der sichere, beinhaltet gut 20 Kilometer Rückfahrt über den soeben bereisten Schlaglochweg. Kostet uns dann wieder alles in allem gut 40 Minuten plus mindestens eine halbe Stunde bis zur Grenze. Der andere, wir wären in nicht mehr als höchstens 20 Minuten in der Ukraine, einfach nur gen Norden – aaaaaber: dazwischen liegt ein Fluss. Und den kann man nur mit einer Fähre überqueren… Es handelt sich dabei allerdings, und das ist der Risikofaktor, um eine besonders kleine, welche von Stahlseilen mittels Motoren ans andere Ufer gezogen wird. Ob die zum einen auch das orange Ungetüm schafft? Wir wissen es nicht. Und zum anderen machen wir uns heute auch keine Gedanken mehr darüber… wie gesagt, Müdigkeitsfaktor 12…

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Foto: Landwirtschaftliche Nutzung, die Zweite – Tierfabrik!

Die Nacht soll eine unruhige werden. Der kleine Gasofen im Zimmer verbreitet zwar ein bisschen Wärme, gemildert wird der Wohlfühlfaktor jedoch ein klein wenig durch die einfachen Glasscheiben der Fenster, die merklich kühle Luft durchlassen. Trotz mehrmaligen Erwachens aber bin ich derart ermattet, dass ich entgegen der Gewohnheit dennoch immer wieder einschlafen kann und letztlich erst gegen 6.45 endgültig aufstehe. Fast 6 Stunden Schlaf bei einer solchen Fahrt, das ist eh schon purer Luxus! 🙂

Wir wärmen uns mit dem kleinen Reisewasserkocher Flüssigkeit und übergießen damit alsbald den löslichen Nescafe. Ein bisschen Sojapulver obendrauf und fertig ist der standesgemäße „Kaffee unterwegs“! Nun ist es aber auch schon Zeit aufzubrechen; wir kennen die Grenze nicht, wissen aber von der slowakischen Seite, dass man gerne mal drei, vier Stunden vor dem Balken verbringt, bis alle Formalitäten erledigt sind. Übrigens, der Eindruck von gestern nachts hat nicht getäuscht – das ganze Dorf scheint ausgestorben, selbst den Vermieter kriegen wir nie zu Gesicht. Ein alter Mann in Militärjacke fährt mit dem Fahrrad vorbei, dort drüben bellt hinter dem Zaun ein Hund, ein zweiter drei Straßen entfernt stimmt mit ein. Sonst – nichts. Betörende Stille, nur die Vögel zwitschern und verkünden den nahenden Frühling. Tatsächlich soll das Wetter wieder wunderschön werden, und viel zu warm für die Jahreszeit.

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Aleko und ich entscheiden uns für die vermeintliche Abkürzung. Ginge der Plan auf, würden wir uns gut eine dreiviertel Stunde Fahrt sparen. Wie denn das? Wie gesagt, außerhalb der Ortschaft führt ein Fluss über die Theis, wo es den besagten Fährbetrieb geben soll. Ein kleines Boot, Platz für ein paar Fahrzeuge, wird dort mittels Eisenkabel über den Strom gezogen. Ob das geht für uns? Wäre toll. Hierfür müssen wir nur … mitten durch die Tundra, kilometerweit über unbefestigte Straßen, hinein in einen überschwemmten Wald. Wie ein Mangrovengebiet wirkt das Umfeld, wunderschön. Dann sehen wir den verheißungsvollen Ort vor uns… mitten im Nirgendwo. Tatsächlich. Nur – die Anlegestelle ist menschenleer. Die Fähre ankert, was gut wäre. Schlecht ist allerdings, der Landesteg ist überschwemmt. Deshalb ist der Betrieb ausgesetzt. Sch…ande!

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Es gibt ein paar gottverlassene Gebäude am Gelände, sonst nur Wasser und Bäume. Ein Mann kommt mit seinem kleinen Auto, prüft kurz, meint: „Today no crossing!“ Jetzt ist es wohl endgültig bestätigt. Grrr… Plötzlich taucht vor uns ein Hund auf; ein struppiger; ein verfilzter. Nichtsdestotrotz, ein wunderhübscher. Was er wohl hier tut? Unfassbar. Mitnehmen können wir ihn allerdings leider nicht, wie denn auch. So kriegt der Süße Futter, welches er, kaum geöffnet, auch schon in sich hineinschlingt. Dann noch mehr. Ein Versprechen unsererseits folgt: Bei der Rückfahrt, da werden wir nochmals nach Dir sehen. Und dann… soll Deine Geschichte neu geschrieben werden!

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Fotos: Hier finden wir ihn! „Blue“, so nennen wir den Armen später, dürfte von der ukrainischen Seite mit der fähre gekommen sein. Ungewollt, wahrscheinlich. Wir füttern ihn, versprechen, am rückweg nochmals zu stoppen!

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Zunächst aber müssen wir all den Weg zurück, bis die Umfahrung erreicht ist. Vorbei an kleinen, ärmlichsten, offensichtlich von Roma bewohnten Dörfern. Überall Hunde in den Vorgärten, zwischen von den Elementen zerfressenen Autos und Plastikmüll. Die meisten an der Kette. An der elendskurzen.

Letztendlich erreichen wir den Grenzübergang. Der führt über den selben Fluss, welchen die Fähre gequert hätte. Ungarische Kontrolle. Auffällig: Fast nur Frauen arbeiten hier. Warum auch immer. Jedenfalls, wir freuen uns, denn die sind im normalen sanfter, nicht so herrisch wie sich Ungarn-Zöllner sonst in der Regel gerne präsentieren.

Wir sollen uns mit jener Analyse allerdings täuschen. Schwer täuschen. Denn tatsächlich, nachdem die Papiere kontrolliert und für gut befunden sind, heißt es: Bitte ausladen! Alles? Einen Teil zumindest.

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Fotos: Grenzgebiet Ungarn-Ukraine – gekennzeichnet von kleinen, ärmlcihen Dörfern. Hunde an Ketten, praktisch in jedem Hinterhof. Ganz unten: wir müssen den ungarischen Zöllner fast das ganze Auto entladen…

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Bald häuft sich ein Berg von Gütern neben der Straße. Passt das jetzt? Weiter ausräumen. Und jetzt? Nein, weiter ausräumen. Nun merken die Damen unseren Unmut. Und setzen vielleicht gerade deswegen eins drauf. Nochmals ausräumen. Zähneknirschend fügen wir uns. Was bleibt auch anderes übrig. Nach mühevoller Arbeit macht die Uniformierte, eine junge, durchaus adrette Frau, einen einzigen Blick hinein in den Wagen. Räumt nichts um, nichts hervor, berührt keine Schachtel, öffnet keinen Karton. Presst ein „Einräumen“ zwischen die Zähne hindurch. Ja, da braucht es starke Nerven! 🙂

Jetzt geht es aber endlich rein in die Ukraine. Kaum ein Fahrzeug vor uns, wie gesagt, der Hilfsgüterstrom versiegt mehr und mehr. Und wer sonst reist freiwillig in ein vom Krieg durchgeschütteltes Land? Eine sehr freundliche Polizistin kontrolliert die Ausweise, stempelt sie. Schwer bewaffnete Soldaten überall. Manchen wirken wie 16. Sie werden auch kaum älter sein. Nun folgt die Zollkontrolle. Nach der Ungarn-Erfahrung kräuseln sich beim Gedanken die Nackenhaare. Allerdings, nach den Magyaren-Polizistinnen-Desaster, Täuschung Nummer 2. Eine richtig engagierte Zöllnerin übernimmt die mitgebrachten Papiere (nochmals mit herzlichsten Dank an unseren slowakischen Partnerverein Sloboda Szvierat, welche uns die Aufgabe der Erstellung ein weiteres Male abgenommen und unfassbar gut gelöst hatte). Schließt das Fenster, vielleicht ein klein wenig unfreundlich, aber die Dame ist eifrig. Ab und zu öffnet sie die Luke, stellt die eine oder andere Frage, und nach einer halben Stunden oder wenig mehr gibt sie den Stapel abgefertigt zurück. „Have a great day, and thank you very much for your help“. Wir sind tatsächlich fertig. Entlassen. Können losfahren. Kein Checkpoint mehr, nicht wie auf der slowakischen Seite, wo nach diesem Punkt noch ein gefühltes Dutzend erneute Kontrollen stattfinden. Wie toll ist denn das?

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Foto: Wir haben es geschafft – endlich angekommen in der Ukraine!

Und schon hat uns der Highway nach Ushgorod fest im Griff. Nun im blau-gelben Land, auf ukrainischem Boden. So cool. Zuerst führt der Weg durch ein paar kleine, bitterarme Dörfer. Die Straße zeigt sich in schlechtem Zustand, und sie wird mit andauernder Fahrt noch übler. Und noch übler. Vorbei an wunderschönen Kirchen, allermeist an orthodoxen. Vorbei an Pferdegespanne, wo Roma ihre altgewohnte Lebensweise immer noch beibehalten haben. Trucks, meist russischer Bauart, queren, tiefschwarzer Rauch quillt aus den Auspuffrohren und hülltdie Umgebung in eine giftige Wolke. Vielleicht, so bemerke ich sarkastisch, war dies schon der erste Angriff auf den Staat, damals, als jene Fahrzeuge geliefert wurden.

Ziel ist nun die Flüchtlingskoordinationsstelle im Zentrum der Stadt. Dort das Zelt der Unicef, wo wir letztes Mal so viele Güter entladen konnten. Unicef ist allerdings nicht mehr da, dafür die UHCR. Und doch etwas überraschend dutzende um dutzende Menschen, welche in einer langen Schlange anstehen. Noch immer, nach einem ganzen Jahr Krieg. Hier erhalten sie Erstversorgung, Essen, Kleidung, Schlafplätze. Alles dringendst gebraucht.

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Bald sind wir in herzerwärmende Gespräche vertieft. Die Leiterin der so wichtigen Stelle begrüßt uns, und sie spricht zur großen Überraschung ein perfektes Deutsch! Warum? Sie war früher, als die Welt noch nicht in Trümmern lag, an der Uni als Dozentin für Deutsch angestellt. Nun arbeitet die Gute, und zwar seit der Krieg begonnen hatte, im Eulennest; so wird jener Platz genannt. Und das Tag für Tag für Tag, von 8 bis oft und oft weit in die Nacht hinein. Gestern beispielsweise war es 10, sagt sie uns. Und heute wird es kaum besser sein, denn 500 Hilfsbedürftige werden erwartet!

Was die Frau alles zu erzählen hat, einfach unglaublich. Das zu schildern, hierfür reicht der Platz hier nicht, aaaaber: Es sei an dieser Stelle verraten, abends kehren wir nochmals an den Ort zurück, und dann werde ich mit ihr ein Interview für unsere Radiosendung, das Radio RespekTiere, machen! Ausstrahlung hierfür ist der kommende Montag – also bitte unbedingt reinhören (genaue Infos zum Zeitpunkt auf www.respektiere.at)! Ich verspreche, es wird hochinteressant!!!

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Fotos: Flüchtlingskoordinationsstelle – hier gibt es soooo viel zu tun! Unten rechts: Über die Schaumrollen, gespendet von der Salzburger Firma „Concept Line“, freut man sich besonders!

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Jedenfalls, unter kräftiger Mithilfe vom Eulennest beginnen wir den Van zu entladen. Unfassbar, was alles mitgekommen ist! Letztendlich, nach kiloweise Süßigkeiten für Kinder und Frontsoldaten (das erfahren wir später, auch die werden von hier aus versorgt, und Süßes ist bei den Streitmächten hoch begehrt), Rollatoren, Decken, medizinische Hilfen, Kleidung und, und, und. Alsbald tut sich ein ausnehmend großer Haufen im Lager der Unersetzlichen auf! Soooo schön anzusehen. Allerherzlichsten Dank, Ihr Lieben da draußen, welche Ihr unentwegt derart viele Sachgüter spendet!!!!

Wir unterhalten uns noch eine Weile, doch dann müssen wir weiter. Kein Problem, wir werden am Abend nochmals zurückkommen, wie gesagt, das Interview. Und helfen wollen wir auch, beim Stapeln der verschiedenen Hilfsgüter.

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Bevor sich der Schlüssel allerdings wieder im Schloss dreht, erblicken wir gerade rechtzeitig eine optimale Stelle für einen ersten Protest. Ein breiter Fußweg, dahinter der Schriftzug ‚I Love Ushgorod‘, und jede Menge PassantInnen! Die sehen dann erstaunt Gevatter Tod, der ein Transparent im Winde wehen lässt, welches ‚“Putin – Stop The War“ verkündet. Später ersetzt er dies durch ein anderes: Hier steht dann: „Putin – International Terrorist“! Was den Menschen wohl besonders gut gefällt, jedenfalls gibt es hierfür hochgestreckte Daumen.

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So, nun müssen wir aber ins Tierheim. Zu Irina, der Wunderbaren. Ich mag mich hier nicht schon wieder wiederholen, in Lobeshymnen verfallen, aber genau das gebietet der Anstand, der Respekt. Was die junge Frau geschafft hat, es ist außerordentlich. Mehr als das. Fantastisch. Unglaublich, unfassbar.

Unfassbar ist auch, praktisch ohne Navigation finden wir den Weg. Und der ist ein besonderer, ihr wisst es vielleicht noch von vergangenen Berichten. An regnerischen Tagen kaum zu bewältigen, an anderen, wie heute, nu rmit Schwierigkeiten. Unbefestigt, Schlaglöcher so tief wie Fallgruben, dazu schlammige Passagen. Es ist angerichtet für die Rallye!

Bald erscheint die prägnante grüne Umzäunung. Hundebellen. Im Heim herrscht Hochbetreib. Einige helfende Hände sind gekommen. Und zu tun gibt es Enormes. Irina, nach einer festen Umarmung, sagt, sie hat rund 200 Hunde zu versorgen. Die Aufgenommenen sind ihre Verantwortung. Ihre Bürde. Ihre Ehre. Unsere Verbeugung. Natürlich, nicht jedes Eck ist perfekt im Asyl. Manche der Lieblinge müssen mit wenig Platz vorliebnehmen, manche Behausungen sind einfach, manche provisorisch. Dort, wo das Heim schon Irinas Ansprüche erfüllt, sind sie zumindest internationaler Standard. Hier, dick unterstrichen. Inmitten im Nirgendwo. Hier, völlig privat finanziert. Hier, völlig ehrenamtlich bearbeitet. Ich wiederhole mich ein letztes Mal. Und ich tue es gerne. Unfassbar!!!

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Aber auch bei Irina bleibt nicht allzu viel Zeit. Nebenbei, die Gute ist im Stress, ganz gewaltig. Und ich denke, sie ist deshalb ganz froh, als wir den Van wieder starten. Froh aber umso mehr über die gewaltige Menge an Hundefutter, welches zurückbleibt. 600 Kilogramm. Mehr als das. Nochmals: Wie passen all diese Güter in den Sprinter? Das Van ist magisch, ein Zauberer. Und hat es uns wieder und wieder ermöglicht, so viel Gutes zu tun. Wo auch immer. Auf jenen bald 200 000 Kilometern, welche wir mit ihm in fünf Jahren zurücklegten…

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Irinas Lächeln verschwindet im Rückspiegel. Wir sind still geworden, noch immer von Emotionen ergriffen. Lange Zeit bleibt allerdings nicht, um all die Eindrücke zu verarbeiten. Zurück in der Stadt stehen weitere Proteste an. In der Fußgängerzone, wo wir schon beim letzten Ukraine-Besuch waren. Am Weg dorthin halten wir in einer Kirche. Gehen hinein, entzünden eine Kerze. Menschen beten, knien vor den Ikonen, vor den Heiligenbildern. Küssen die gemalten Füße des Heilands. Die von Mutter Maria. Bekreuzigen sich. Halten inne. Gebetsfloskel. Aus dutzenden Kehlen. Bekreuzigen sich ein weiteres Mal. Und nochmals, und nochmals. Weiter drinnen im wunderschönen Gebäude predigt ein Pfarrer. Die Szenerie ist unwirklich. Die Menschen verneigen sich, beten, knien, stehen auf, fast unkoordiniert. Jede/r für sich. Bekreuzigen sich nochmals, unentwegt. Küssen nochmals Bilder. Statuen. Gebetsgemurmel, dazwischen die laute Stimme des Predigers. Sprechgesänge. Mir schwirrt der Kopf.

Vor der Kirche stehen mehrere Menschen mit Schildern in der Hand. Bitten um eine Spende. Für ihre Lieben, für die Familie, für irgendjemanden, der oder die im Spital liegt und Unterstützung braucht. Auch Kinder. Mit schmutzigen Händen fragen sie nach ein bisschen Kleingeld. Nach Menschlichkeit.

Im Angesicht all dessen wird der Protest fast schon zur Nebensache. Der ist für Straßenhunde. Und diese gibt es zuhauf, Beweis: Irinas Asyl. Einige davon füttern wir.

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Ein weiterer Protest bei der Stadtausfahrt. „Putin – International Terrorist“! Er, der verantwortlich für millionenfaches Leid. Es ist bereits dunkel, als wir die Koordinationsstelle erneut erreichen. Noch immer herrscht emsiges Treiben, noch immer wird gearbeitet, sortiert, geschlichtet. Ausgepackt, weggepackt, hochgehoben. Viktoria ist bereit für das Interview. Fotos dürfen wir leider keine machen, ist in den so wichtigen Räumlichkeiten strikt verboten. Sie könnten ja fremden Mächten, dem russischen Bären unterstellt, in die Hände fallen. Und die wüssten dann vielleicht, wohin sie ihre Raken zu lenken hätten… welch grausame Welt.

Während ich mit der Leiterin das Gespräch führe, hilft Aleko schon mit. Extrem schwere Kisten, hundert davon, müssen in eine andere Halle gebracht werden. Auf eine Sackkarre verladen, über den Hof hinweg, hinein in einen weiteren Kellerraum. Als ich mit dem Fragenstellen fertig bin, geselle ich mich zum Freund. Gemeinsam sind zwei weitere Dutzend Kisten zu schaffen, dann müssen wir aber los. Morgen vormittags werden wir nochmals zurückkommen und den Rest verladen und schlichten. Für heute sind wir fertig, nicht nur mit der Arbeit, nein, mit der ganzen Welt.

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Fotos: Am Abend helfen wir noch Hilfsgüter umzuschlichten!

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Ein Brot ist schnell gekauft, dann geht es direkt in die Herberge. Die, ein Hotel aus den 80ern, betört durch post-kommunistischen Charme. Ein riesen Gebäude, allerdings von den Zeichen der Zeit schwer in Mitleidenschaft genommen. Aber dennoch, gemütlich und für diesen Abend unser einziges zu Hause.   

Es gilt noch Computerarbeiten zu erledigen, das Doku-Material zu sichern. Es soll dann wieder weit nach Mitternacht sein, bis der Schlaf die Anspannung des Tages löst.

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Foto: einst war es wohl Luxusklasse – heute von den Elementen gezeichnet, aber mit typischen Ost-Charme versehen!

Zeitig in der Früh sitzen wir im riesigen Speiseraum der Herberge. Wir sind die einzigen Gäste. Früher mal hatte das Ganze bestimmt imperialen Glanz, doch der ist längst verblasst. Ein älterer Herr bringt uns den Kaffee, der ist beim Zimmerpreis von 25 Euro inkludiert. Auch ein Brot serviert der gute Mann dazu, allerdings lässt er sich nicht davon abbringen, es mit Käse zu belegen. Also bekommt Aleko zwei, während ich das starken schwarze Heißgetränk genieße. Die ganze Zeit beobachtet uns der Ober, nimmt nebenan Platz und versucht in breitem Russisch eine Unterhaltung.

Währenddessen haben wir unser Gepäck vorne in der Lobby gelassen. Einfach am Boden abgestellt, denn ein eigener Angestellter ist dafür bestimmt, auf die Sachen aufzupassen! Lässt sich nicht davon abbringen, versichert uns nur, alles ok. Genießt’s das Frühstück. Fast unglaublich, so viel menschlicher als in unserem strikten Kapitalismus, wo derartige Dinge alleine aus Kostengründen völlig undenkbar wären… Dann aber verabschieden wir uns. „Do svitania“ winkt uns nach einer festen Umarmung die nette Belegschaft nach.

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Fotos: Ushgorod – Fußgängerzone, unten: Katzen finden sich zuhauf in jedem Hinterhof!

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Der Weg zurück in die Stadt bringt eine Ganzkörpermassage. Er führt nämlich über von den Elementen zerfressenes Kopfsteinpflaster, und das über viele Kilometer. Welche Arbeit hat da einst dahintergesteckt! Angekommen im Zentrum enthüllen wir gleich mal erneut unsere Transparente. Man kann die Botschaft nicht oft genug wiederholen: „Putin – Stop the War“!

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Foto oben: Ein neuer Tag beginnt in Ushgorod – hoffentlich wird es ein guter!

Noch einmal wollen wir in die Flüchtlingskoordinationsstelle; drinnen in den Räumen, wo wir gestern das Interview gemacht bzw. die Kisten geschlichtet hatten, ist, ich möchte es nochmals betonen, jegliches Fotografieren sowie das Anfertigen von Videos gänzlich verboten. Nur akustische Aufnahmen sind gestattet, wie das Interview für’s Radio. Warum? Würde solches Material veröffentlicht werden, es bestünde die Gefahr, dass russischer Geheimdienst daraus Schlüsse ziehen und durch gezielte Angriffe dann den Ort der Hilfe ausradieren könnte.

Wir würden aber gerne für die Radiosendung ein Bild von Viktoria präsentieren, deshalb hat die Liebe angeboten, dies in der Früh im Park nebenan nachzuholen. Das Vorhaben soll allerdings nicht gelingen, denn, so erfahren wir nun, sie musste zu ihrer eigentlichen Arbeitsstelle, der Uni. Also verabschieden wir uns vom Rest des Teams, und dann hat uns die Straße wieder. Dass es ein harter, langer, hoch anstrengender Tag werden sollte, das wussten wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht.

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Fotos: Straßenhunde finden sich überall; oben links: Auf der App zeigt es sich deutlich: Luftraum gesperrt über der Ukraine! rechts: Die Menschen halten sich am Glauben fest – im Inneren einer Kirche! Foto unten: Und gleich noch ein Protest im Stadtzentrum!

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Der Diesel kostet in der Ukraine nur 1, 20 Euro, so tanken wir nochmals. Gut 45 Minuten benötigen wir nun bis zur Grenze, es geht vorbei an kleinen Ortschaft, hauptsächlich von der Roma-Minderheit bewohnt. Fast ident wie diesseits des Flusses. Pferdefuhrwerke, überall Hunde in den Gärten, die Ansiedlungen verfallen und von den Zeichen der Zeit überrollt.

An der Grenze hat sich bereits ein kleiner Stau gebildet, doch haben hier Hilfstransporte Vorrang. So winkt uns ein Soldat bald nach vorne, er bedankt sich herzlichst für die gebrachte Hilfe. So schön! Ein zweiter weist das RespekTiere-Mobil schließlich ein, und die Zollformalitäten benötigen entgegen früherer Erfahrung kaum Zeit! Inzwischen hat sich die Kolonne von ukrainischen Fahrzeugen verdoppelt, allesamt Menschen, welche offensichtlich das Land so schnell als möglich zu verlassen versuchen.

Foto unten: Grenze! Gleich werden uns Soldaten nach vorne winken – weil wir ein Hilfstransport sind!

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Alleine, die ungarischen Behörden treiben einmal mehr ihr eigenes Spiel. Obwohl nur ein halbes Dutzend von Autos vor uns, dauert es eine gefühlte Ewigkeit, bis wir an der Reihe sind. Dann aber hält sich die Polizei nicht lange mit uns auf und wir haben freie Fahrt zurück in die EU!

Nur, nach Hause wollen, können wir noch nicht. Der arme Hund an der Fähre geht uns nicht aus dem Kopf. Wir wollen nach ihm sehen, das Gewissen verlangt es so. 1 Stunde Umweg muss hierfür eingerechnet werden, aber wenn Zeit gut angelegt werden kann, welche sonst als diese hier?

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Es geht wieder durch die alten Dörfer, die ganz so aussehen wie jene in der Ukraine. Einmal mehr wirft sich die Frage auf: Warum haben wir Menschen das Land, die Welt, überhaupt nur derart geteilt? Überall Zäune errichtet, Balken, andere ausgeschlossen, weggedrängt? Oft nur ein kleiner Bach zwischen Nationen, ein solcher, der leicht zu überspringen wäre. Dennoch wird diesseits eine ganz andere Sprache gesprochen als jenseits, ist eine ganz eigene Kultur entstanden. No Border, no Nation, ein Spruch aus den 80ern, zugegeben sehr naiv und vereinfacht, aber dennoch: Wie schön könnte ein großes Gemeinsames sein???

Jetzt fahren wir wieder über die schrecklichen, kleinen Straßen, holprig, voller Schlaglöcher, oft zusätzlich von unbefestigten Passagen durchbrochen. Vor uns ist ein Hühnertransporter, ein riesiger, unterwegs. Der fährt im Höllentempo, ungeachtet der Bedingungen. Ungeachtet der zehntausenden Leben, welche er geladen hat. Der Anhänger wippt gefährlich, wieder und wieder, und ab und dann meint man, der ganze Lastkraftwagen würde in der nächsten Sekunde kippen. Ständig springt der LKW zudem regelrecht über die Buckel. Unfassbares Leid für die lebende Fracht… aber warum auch Rücksicht nehmen, Suppenhühner, deren materialistischer Wert bei wenigen Cent liegt… 🙁

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Am Weg erkennen wir im Augenwinkel eine Ansammlung von Hunden. Das Ausmaß wird uns erst bewusst, nachdem wir anhalten und umdrehen. Tatsächlich, nahezu camoufliert, fügt sich die Anlage in die Umgebung. Zwinger an Zwinger, dutzende, viel mehr als das. Hunderte Hunde, ohne jede Frage. Wir stoppen beim Eingang, ein Gebell aus all den Kehlen erwartet uns. Bald erscheint ein Mann, allerdings verstehen wir seine Sprache nicht, er die unsere genauso wenig. Aber der Arbeiter ruft seine Chefin und übergibt das Telefon. Die nette Dame, später stellt sich heraus sie heißt Enikö, ist an ihrer eigentlichen Arbeitsstätte, doch sie würde uns gerne treffen. In einer Stunde hätte sie Mittagspause, meint sie. Ok, das passt gut, wir sehen nach unserem Streuner und kommen dann zurück!

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Das Bild, das sich uns bietet, ist ein herzzerreißendes. Angekommen am Fährengrund sitzt der Arme am selben Platz wie zuletzt. Unverändert. Kein Mensch in Sicht, kein Dort näher als 5 Kilometer. Auf der anderen Seite des Flusses, unmittelbares Grenzgebiet, spielen Kinder, aber hier gibt es nur Wald. Und die Fährstation. Die nach wie vor geschlossen ist. Der Hund empfängt uns voller Freude. Hungrig, bis zum gehtnichtmehr. Wir geben ihm zu essen und erst jetzt erkennen wir das wahre Ausmaß der Tragödie. Sein Fell ist unfassbar verfilzt, sein Körper voller Zecken. Ein ganzes Dutzend entfernen wir vor Ort, und als wir ihn hochheben wollen, gibt er uns deutlich zu verstehen – nein, das mag ich nicht! Offensichtlich hat er Schmerzen im Rückenbereich, dazu zeigt sein Gebiss eine überdeutliche Fehlstellung. Eine Ausformung deutet außerdem auf Schläge hin. Lange würde der Arme hier wohl nicht mehr durchhalten, soviel steht fest. Es bleibt keine Wahl – er muss mit uns mit! Wir können ihn nicht zurücklassen, wenn doch, würden wir uns das wohl nie verzeihen.

Obwohl er wie gesagt nicht gehoben werden möchte, müssen wir es dennoch aus Mangel an Möglichkeiten tun; wie sonst sollte er ins Auto? Selbst Essen lockt ihn da nicht rein!

Schließlich nehme ich mit dem Liebling hinten Platz, Aleko übernimmt das Steuer. Es sei vorweggenommen – die Fahrt sollte ab diesem Zeitpunkt noch gut 12 Stunden dauern, 12 Stunden, in welchen „Blue“ (der provisorische Name, weil eines seiner Augen strahlend blau ist) das Fahrzeug nicht wieder verlassen wollte. Doch dazu später!

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Es geht zurück über die engen Landstraßen und Feldwege, bis wir erneut das Tierasyl erreichen. Dort halten wir, Blue bleibt im Auto. Die Besitzerin der Anlage erwartet uns bereits, und sie ist eine unfassbar nette junge Frau. Allerdings, vom ersten ihrer Worte an erkennt man, dieser Mensch geht in einer Aufgabe auf, die wahrscheinlich nie zu lösen sein wird. Die alles Leid der Welt in sich vereinigt, und dennoch tut sie nichts anders als zu helfen. Keine Frage zu stellen nach dem eigenen Seelenwohl. Und durchzuhalten. 400 Hunde sind hier untergebracht, erfahren wir; und wären alle aus irgendeinem Grunde morgen weg, übermorgen wären es erneut genauso viele. Warum? Weil es in der Umgebung anscheinend eine schier unendliche Anzahl an Straßenhunden gibt, zudem würden alle Menschen rundherum die nicht mehr gewollten bringen, über den Zaun werfen. „Nein“ sagen, das kann sie – wie so viele in gleicher Situation – nicht. Wie denn diese Herkulesaufgabe auch nur annähernd zu schaffen wäre? Im Prinzip gar nicht, man tut eben was man kann. Alles ist übrigens privat finanziert, Vater Staat oder ausländische Hilfsorganisationen unterstützen? Fehlanzeige.

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Dann führt sie uns durch das Asyl. Herzzerreißend. So viele so großartige Hunde. Allesamt fast ohne jede Chance, den aus allen Nähten platzenden Ort je wieder verlassen zu können. Adoptionen passieren selten, eine Handvoll im Monat vielleicht. Bei 400 Hunden. Einige sind in größeren Zwingern, andere ein kleinen. Wieder andere laufen frei, bedrängen uns regelrecht, suchen nach Aufmerksamkeit. Einige müssen an die Kette, weil sie zwar gut zum Menschen sind, zu ihren ArtgenossInnen aber leider nicht. Wieder andere teilen sich ihre Unterkunft – Behausungen, welche allesamt aus Metall- und Holzteilen zusammengezimmert sind, so gut es eben geht.

Der Mann der Besitzerin von 400 ausgestoßenen, verlorenen und auf 2,5 Hektar Land verteilten Seelen ist damit beschäftigt, Suppe für alle zu kochen. Die besteht aus Resten von Nahrungsmitteln aus umliegenden Schulen und Kindergärten, die einzige Beihilfe, die im Moment ankommt. Besser gesagt, abgeholt werden muss.

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Nein, schön ist der Ort nicht, das wäre gelogen. Grenzenlos übertrieben sogar. Aber es wird, das sagt die Menschenkenntnis, aus bestem Willen agiert und eben versucht, das Leid größtmöglich zu verringern. Geschuftet, keinen Tag Urlaub, keinen Tag Ausspannen. Finanziell jeden Moment vor dem Fiasko. „Was passiert, wenn Du, liebe Enikö (so heißt die junge Frau), ausfällst? Krank wirst oder verletzt bist?“ „Das darf einfach nicht sein“, so die einzig mögliche, einzig wahre Antwort…

Wir drücken die Lebensretter; egal, wie vielleicht manche darüber denken mögen – so zum Beispiel, auf der Straße wäre es für viele der Hunde wahrscheinlich besser – diese mutige Frau vor uns, sie versucht ohne Zweifel ihr Bestes, und ihr Herz verbietet ihr, die Streuner in ihrem Elend zu belassen. In ihrer Aussicht auf bloß 1 oder 2 Lebensjahre, viel älter werden sie bei all den Gefahren ringsum „draußen“ nämlich nicht werden. Sterberate von bestimmt mindestens 90 % in den ersten beiden Lebensjahren. Ob das hier für sie ein echtes Dasein ist? Eine Chance darauf allemal. Und mit jeder Unterstützung steigt die Wahrscheinlichkeit auf ein gutes, noch dazu.

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Etwas stiller als zuvor setzen wir den Weg fort. Es ist so, so, so unglaublich, was manche Menschen leisten müssen, welche Verantwortung sie tragen. Buchstäblich bis zum Zusammenbruch. Denn viele Jahre schafft man diesen Spagat bestimmt nicht. Irgendwann, wenn keine Besserung eintritt, zerbricht man am Hier und Jetzt. Wir werden jedenfalls wiederkommen, keine Frage. Um zu helfen, denn Hilfe ist es, die hier dringenst gebraucht wird!!!

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Blue liegt im Van und schläft. Wir erreichen der anderen Enikö‘s, der Katzenretterin’s, Haus in der Umgebung von Budapest gegen 16.30 Uhr. Enikö ist unterwegs, es gilt erneut einen Hund aus der Tötungsstation zu retten. Ihre Oma öffnet das Gatter, Aleko fährt sein Auto aus der Sicherheit. Dann laden wir um. Er hatte ja viele Sachen mit, die im Sprinter keinen Platz mehr fanden. Und jetzt mit mir auf die nächste Reise gehen, wo „Rumänien“ Endstation werden wird. Dafür bekommt der Kamerad noch Hundefutter, welches wiederum er auf der Weiterreise verteilen wird. Und bei der Endstation, Sofia, zusammen mit seiner Mutter den Straßenhunden vor Ort zuführt!

Wir versuchen jetzt, Blue zum Aussteigen zu bewegen. Zum Gassigehen. Mag er nicht. Und er zeigt es deutlich. Eine Stunde und unzählige Versuche später geben wir auf. Dann muss es eben reichen, wenn wir am heutigen Ziel, einem Lebensort am anderen Ende von Ungarn, rausgehen. Wie werd‘ ich ihn aber dort dazu bewegen? Es wird sich herausstellen.

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Foto, oben: Oma hat auf Aleko’s Auto gut aufgepasst! Unten: Ein letztes Mal umladen, dann verabschiedet sich der Freund in Richtung Balkan!

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Ich verabschiede mich von Aleko. Es war eine wunderbare, eine hoch dramatische und hoch emotionale Reise. Und wir haben uns bestens ergänzt! Danke, mein Freund! Und gute Weiterfahrt – er hat noch ganze 800, 900 Kilometer vor sich!

Bald bin ich am Highway Richtung Heimat. Blue schläft wieder. Ich rufe Sabine, die wohnt am Weg. Und ist eine begnadete Tierschützerin. Hat selber 21 Hunde. Allesamt ehemalige Straßenhunde. Fast durchwegs mit zum Teil schwersten Behinderungen versehen. Geballte Erfahrung.

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Gegen 22.30 Uhr erreichen ich den Zielort. Sabine wartet bereits. Und es gelingt ihr schließlich, Blue ein passendes Geschirr anzuziehen und ihn zum Aussteigen zu bewegen. Seien Pflegeeltern für die näcshte Zeit sind wach, und zusammen kümmern wir uns nun um den Armen. Die Stiegen hinauf zum Haus nötigen erneut gut 30 Minuten ab. Alles ist Blue fremd, neu. Wie soll es auch anders sein.

Gegen 24 Uhr liegt er in seinem Bettchen. Auf der Toilette war er jetzt auch schon. Allerdings nutzte er dazu den Teppich. Kein Problem.

Er ist ein unfassbar tapferer kleiner Kerl. Schritt für Schritt ins Leben. Aber es wird dauern, bis er selbstständig den Raum wechselt, oder von sich aus Stiegen steigt. Er lernt sicher schnell. Und wird sich anpassen. Wird zum allerbesten Kameraden werden, den es gibt. So sicher wie das Amen im Gebet.

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Fotos: Sabine, die Hundeflüsterin! Zwischenstation für Blue: er wagt es noch nicht, von alleine ein Haus zu betreten! Das für ihn bereitgestellte Bett mag er dagegen sehr!

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Gegen 0.45 drehe ich das Licht aus. Ich bin dankbar. Und euphorisch. Und desillusioniert, und gleichzeitig voller Hoffnung. Am Boden zerstört und im nächsten Moment voller Tatendrang. Und alt geworden. Unendlich müde.  

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