Es ist spät geworden. Viel später als gewollt. Erst gegen 10 vormittags startet die schwere Mission „Ukraine-Hilfe“ ein weiteres Mal. Wir hatten noch abgewartet, denn auf Brot und Gebäck in großen Mengen für die Flüchtlingskoordinationsstelle in Uzhgorod, Ukraine, wollten wir nicht verzichten. Und die Backwaren sollten dann eben erst um diese Uhrzeit verfügbar sein. Obwohl, ganz richtig ist die Feststellung nicht. Denn zum einen haben wir sowieso davor schon nie aufgehört mit den diversesten Sammlungen an verschiedensten Fronten, zum anderen sind wir ja dann im eigentlichen Sinne bereits wieder seit Mittwoch unterwegs. Tatsächlich, an jenem Tag schnurrte der Motor des RespekTiere-Mobils trotz seiner nun schon beinahe 300 000 Kilometer-Belastung wie am ersten Tag, der A1 folgend, die Motorhaube vom selben Augenblick an immer in Richtung Osten weisend. Es ist in der Tat fast unglaublich, auf die gefahrenen Kilometer gerechnet haben wir ganze 6-mal mit dem treuen Freund mit dem Herz aus Stuttgart bereits die Welt umrundet. Nun gut, seither gibt es natürlich die eine oder andere Alterserscheinung, Rostflecken, die Drehzahl nicht mehr ganz so freudig und spritzig, es knarrt an verschiedenen Stellen – aber derart kleinlich wollen wir nun wirklich nicht sein. Denn der Vergleich zum menschlichen Körper, zu dessen Abnutzung in den letzten 10 Jahren belegbar bei jedem Blick in den Spiegel, den braucht der Van sowas von nicht zu scheuen 🙂
Foto: Langsam füllt sich das RespekTiere-Mobil. Zu guter Letzt wird es wie immer bis zur Dachkante beladen sein!
Am Weg in die Ukraine haben wir dann endlich wieder einmal Gabi in ihrem Gnadenhof in der Nähe von Haag besucht. 21 Pferde versorgt die Gute, dazu viele, viele andere Tiere; Kaninchen, Igel über den Winter, Krähen und Raben, Tauben sowieso, Schafe, Hunde, Katzen; alles tummelt sich am so besonderen Ort. Und mittendrinnen: Blue, eifrige RespekTiere-Newsletter-LeserInnen erinnern sich bestimmt, welchen wir vor gut 2 Jahren tatsächlich in einem wahnwitzigen Abenteuer aus der Ukraine mitgebracht hatten! Welche Freude es ist, all die Vertrauten und ihn wiederzusehen, Blue, den Prächtigen!
Noch am selben Abend entladen wir das RespekTiere-Mobil auch schon wieder; bei der Zwischenstation „Elternhaus“ angekommen, wo wir morgen noch weiteres Hundefutter zuladen und dann die mitgebrachten Güter nochmals sortieren werden. Ausgedruckte Listen stapeln sich im Auto, die Grenzformalitäten werden auch immer langwieriger. Genau wie der Krieg selbst, der schon so unfassbar viele Opfer gefordert hat. Und leider noch fordern wird. Putin’s Schergen lassen nicht locker, die roten Zähne tief im Fleisch der blau-gelben Brudernation vergraben; die UkrainerInnen ihrerseits wehren sich mit dem Mut der Verzweiflung und ein großes bisschen mehr oder weniger wohl auch mithilfe der Nato. Was dann erst den Kreislauf in Gang setzt… aber hier zu urteilen ist nicht unsere Aufgabe. Jedenfalls, direkte Hilfsfahrten, obwohl notwendig wie nie zuvor, hinein ins kriegsführende Land gibt es kaum noch; zu gefährlich, sagen die einen, zu müde sind die anderen. Wo wir wieder bei den Abnutzungserscheinungen sind. Doch es hilft alles nichts; keine Sekunde könnten wir ruhig schlafen, im Wissen, was sich alles in unseren Lagern türmt und wie dringend genau diese Ware irgendwo gebraucht wird!
Fotos, links: Hanni im jetzt fast leeren Futterlager. Erstmals seit langer Zeit müssen wir uns wieder Sorgen um den Bestand machen und deshalb aufrufen: Jede Spende wird dringend gebraucht!
Am Donnerstag beginnt das Zusammenfahren verschiedenster Güter schon früh. Silvia aus Straß hat erneut viel gesammelt, dazu stapeln sich Güter im Elternhaus, die ebenfalls eingepackt werden müssen. Aus dem Tierheim Krems – bei den edlen HelferInnen, welche seit Jahren unentwegt Tiernahrungsmittel für die Hilfsfahrten für respekTIERE IN NOT zur Seite legen; Ihr Lieben, wir können nicht oft genug „herzlichsten Dank“ im Namen der Tiere ausrichten – holen wir wieder jede Menge Hundefuttersäcke. Es ist einfach stets auf ein Neues absolut überwältigend, wie groß die Unterstützung von jener Seite überhaupt nur sein kann! Obwohl selbst natürlich auch andauernd in der Not, geben die Tierschützenden des Asyls ohne zu zögern. Weil sie wissen, dass die Klemme anderswo noch um Längen schlimmer ist. Unbeschreiblich, großartig!
Fotos: Einmal mehr ist das Tierheim Krems unser Retter in der Not – wir dürfen eine sehr großzügige Futterspende entgegennehmen! Wie gut das nur sein kann – noch dazu, wo gerade im Moment unser Futterlager beängstigend leer geworden ist, zeigt das Bild oben – Tom füttert später mit demselben Hunde in der Ukraine!
Der Tag ist ein trüber. Die Wolken weinen, und hartnäckiger Nebel bedeckt das Land. Ganz so, als ob Gott selbst es verstecken würde, vielleicht wegen der unendlich vielen Wunden, welche wir der Natur bereits zugefügt haben. Und nicht aufhören damit. Bis „Mensch“ sich zu guter Letzt als Teil deren selbst zerstört. Homo Sapiens, ein Karzinom am Leben, sägt stetig am Ast, auf dem unsere Gattung sitzt. Findet keinen Halt mehr im Sein, und verwandelt gerade deswegen alles ringsum in einen Schein.
Foto: Was wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen – auf der Westautobahn um Alland im Wienerwald herrscht tiefes Winterwetter!
Der Van ist bis zur Dachkante beladen, aber noch muss ganz Wichtiges untergebracht werden: Die großartige Bäckerei Schalk (www.baeckerei-schalk.at) aus Langenlois stellt uns einmal mehr Brot und Gebäck zur Verfügung, worüber man sich am Zielort wirklich extrem freuen wird! Übergeben sollen die Köstlichkeiten erneut von der Sabine werden, jene unfassbar coole Tierschützerin aus Straß, welche Tag für Tag für ihre eigenen Schützlinge eine wahre Gewaltleistung vollbringt – beherbergt sie doch alte, kranke, verletzte, behinderte Hunde und Katzen, deren Versorgung so viel Zeit und Mühe beansprucht, von den finanziellen Belastungen ganz zu schweigen – und so grenzt die selbstgestellte Mission oft und oft an Selbstaufgabe.
Sabine hat viel wieder extrem viel für uns beiseitegelegt! Dutzende herrlich duftende Brote, Gebäck in jeder Form, dazu mehrere Kartons voller Mehlspeisen – einfach wunderbar!
Fotos: Wie schon so oft dürfen wir Brot und Gebäck von der Bäckerein Schalk in Langenlois mit auf die Reise nehmen! Wie immer stellt uns Sabine die hochwillkommenen Delikatessen zusammen.
Zu Hause sind noch Kaffee und Proviant zugeladen, das Abblendlicht muss am Reisemobil ersetzt werden. Auch das ist schnell gemacht und dann hat uns der Highway wieder! Zuerst in Richtung St. Pölten, wo wir in der Firma von Charly, meinem Bruder, noch Getränke zuladen und sogar auftanken dürfen. Meine Reisebegleitung steigt dort ebenfalls zu, angereist aus dem oberösterreichischen Laakirchen. Es ist ein ganz besonderer Gefährte, nämlich Andi, und hinter unserer Freundschaft steckt eine ebenfalls ganz besondere Geschichte: Tatsächlich hatten wir uns vor fast 40 Jahren völlig zufällig in Griechenland kennengelernt, beide unbesiegbar jung und zum Aussteigen bereit! Ganz in diesem Sinne wollten wir nach einigen intensiven Tagen auf den wunderbaren Inseln gemeinsam über Ägypten nach Israel reisen, um dort in einem Kibbuz zu arbeiten. Was wir am Weg dahin alles erlebten, es ist Legende. Und verband uns zutiefst für das Kommende. Wo wir uns später aber vorerst aus den Augen verloren, bis es nach unfassbaren Jahrzehnten endlich zum so emotionsbehafteten Wiedersehen kam. Durch puren Zufall dann, denn zuvor hatten wir all die Zeit dazwischen versucht uns zu finden; alleine, der Erfolg einer etwaigen Kontaktaufnahme blieb verwehrt, aus verschiedensten Gründen. Umso größer die Wiedersehensfreude, allerdings, manchmal geht das Leben seltsame Wege, brachte ich zum ersten Zusammentreffen nach mehr als 30 Jahren dann gleich einen ungeliebten Begleiter mit – das Coronavirus! Was aber der Hochstimmung keinen Abbruch tat – und uns das Versprechen abrang, von nun an stets in engen Kontakt zu bleiben!
Fotos: Zusammen mit Papa muss noch das Licht im RespekTiere-Mobil wiederhergestellt werden; dann treffe ich endlich Andi, meinen besonderen Reisebegleiter (mehr dazu im Spezialbericht 🙂 )
Und jetzt sitzen wir gemeinsam im RespekTiere-Mobil, nach all den vergangenen Abenteuern bereit für ein Neues! Die Sonne zeigt sich heute kaum, die Temperatur bescheiden; selbst die oft erschreckende neue Welt – an der Stelle eindrucksvoll vor Augen geführt am Beispiel der „grüne Energiewende“ durch hunderte Windräder, welche wie eine übermächtige stählerne Armee die Umwelt in einen riesigen Industriepark verwandelt habe – scheint in sich erstarrt. Die Soldaten aus Stahl eingefroren, stumme Mahnmäler einer Entwicklung, deren letztendliches Ergebnis noch nicht absehbar ist. Rettet man die freie Natur, auch für den Preis, sie am Weg zur Erlösung mit abertausenden Fundamenten aus blankem Beton zuzubetonieren? Nicht ein großes Kraftwerk, aber unzählige kleine; jedes einzelne davon verpflichtet, den Wind zur Sisyphusarbeit zu verpflichten, ohne Anfang, ohne Ende. Er, der seit der Erdentstehung stets frei war, plötzlich zum Sklaven geworden, der Anarchie beraubt, zum ständigen Streben gezwungen.
Foto: Ab jetzt geht es nur noch in eine Richtung – Richtung Osten, Ziel Uzhgorod!
An der Grenze zum Magyarenland halten wir kurz; eine Vignette gilt es zu erstehen, und weiter geht die Fahrt. Am späten Nachmittag erstirbt der Verkehr immer wieder in sich selbst, eine endlose Karawane aus Stahl und Blech wälzt sich ihren Weg in Richtung Osten. Wie eine gefräßige Schlange, deren Ausscheidungen blanker Beton. Ein asphalternes Band, welches die Menschheit möglichst schnell von A nach B führen soll, uns dennoch immer weiter einschneidet. Dabei die Natur vergewaltigt, sich ins Landesinnere wälzt, in zielloser Raserei alles Leben unter sich begräbt. Unwiederbringlich verändert.
Foto: Entlang der Autobahn sind riesige Baustellen. Noch immer investieren westeuropäische Firmen im Magyarenland große Summen! Verbauen aber unwiderbringlich das wunderschöne Land. Und oft genug stehen die Komplexe schon wenige Jahre später weider leer, von den Elementen zerfressen; weil es für die Konzerne dann billiger ist, noch weiter östlich auszuweichen – wo Lohnnebenkosten geringer sind und Menschenrechte kaum oder gar nicht beachtet werden…
Langsam aber sicher besiegt die Nacht den Tag, die dunklen Schleier am Horizont breiten sich aus, nehmen Besitz vom Firmament. Und bedecken die Narben an der Landschaft, wie ein riesiges Tuch, verhüllen den vom Menschen verursachten Wahnsinn. Für einige Stunden zumindest.
Bald nun läuft die Autobahn in der Ausfahrt zusammen; der Weg wird enger, vorerst eine Bundesstraße, dann eine Landstraße. Und schließlich ein Weg, über gut 15 Kilometer hinweg. Sind wir hier richtig? Kein Beton, nur blanke, hartgefrorene Erde. Aber keine planierte, zumindest nun nicht mehr. Vielleicht war es so am Anfang der Entstehung. Doch die guten Zeiten sind hier längst vorbei, die Zukunft von der Vergangenheit in die Knie gezwungen.Zu belastet zeigt sich die Wirklichkeit, aus den Fehlern nicht gelernt. Das Land ringsherum wirkt apatisch, trist, wie aus einem düsteren Traum. Nebelverhangen. Nichts, was das Auge auch nur ein klein bisschen erfreut, stattdessen Schlaglöcher, wo ganze Autoreifen darin verschwinden können. Das Bankett abbrüchig, dahinter Gräben. Tief genug, um das bemüht die Spur haltende Fahrzeug auf einmal zu verschlucken. Keine Lampen weit und breit, kein Nachweis gesellschaftlicher Existenz. Keine Begrenzung, nur Felder, Wiesen, Wälder. Ohne jeglicher Lichtverschmutzung. Auch wieder wunderbar.
Fotos: die Nacht hat uns längst eingeholt. Dabei werden die Straßen enger, letztendlich laufen sie in Pisten aus. Was uns einiges abverlangt; todmüde kommen wir schließlich in der Herberge an!
Letztendlich erreichen wir doch noch eine Ortschaft. Jetzt einen Steinwurf von der ukrainischen Grenze entfernt. Hier soll unsere Herberge für die Nacht sein. Wir rufen den Vermieter, um zu erfahren, wo denn der Schlüssel abzuholen wäre. Der hebt lange nicht ab, später dann doch. Meldet sich – aus China! Tatsächlich, kein Scherz. Verrät die Nummer der Schlüsselbox, welche sich beim gesuchten Haus befindet. In einem Dorf, welches zumindest jetzt in der Nacht völlig ausgestorben wirkt. Allerdings, die Überraschung ist groß – hier war ich schon mal, damals mit Aleko, Ihr erinnert Euch vielleicht, ebenfalls auf Hilfsfahrt in die Ukraine!!! Welcher Zufall dann auch…
Foto: Endlich ist die erste Etappe geschafft! Wurde dann aber auch schon Zeit, denn besonders ob der unfassbar schlechten Straßenverhältnisse am letzten Stück fühlen wir uns inzwischen buchstäblich „wie gerädert“.
Die Herberge, ein ganzes kleines Haus im Nirgendwo, ist eine feine. Ein Überbleibsel aus vergangener Zeit, vor Glasnost und Perestroika. Ostcharme pur, Retroschick vom Feinsten. Und urgemütlich!
Lange sitzen wir noch, trinken Kaffee, genießen ein paar Kekse und unterhalten uns über vergangene Zeiten. Dann gilt es jedoch noch zu arbeiten, Zeile um Zeile in den Computer einzutippen. Zu Mitternacht aber erlöschen auch hier die Lichter. Die einzigen im weiten Umkreis.
Foto: Andi und Tom im Retro-Haus an der ukrainischen Grenze. Nichts nachgebaut, hier ist alles echt. Selbst die handgehäkelten Tischdecken von Oma. Zurückversetzt in die 70er! 🙂
Die Nacht ist eine zähe. Schlaf lässt sich aus dem einen oder anderen Grunde nicht viel generieren, sodass müde Augen den Sonnenaufgang beobachten. Aufstehen geht nicht gleich, zu entkräftet sind die alten Knochen, noch eine halbe Stunde „Augen zu“ funktioniert aber genauso ganz und gar nicht mehr. Und so dreht sich der ermattete Körper von einer Seite zur anderen, bis Hundegebell von draußen endgültig den beginnenden Morgen verkündet.
Bald sitzen wir bei einer Tasse duftenden Kaffee, im Versuch, die Müdigkeit irgendwie abzuschütteln. Gelingt anfangs nicht ganz, aber schon im nächsten Moment sind wir auf die kommenden Aufgaben derart fixiert, dass die körperlichen Symptome vollends in den Hintergrund rücken.
Fotos: Lost Place in Reinkultur!
Am Gelände des kleinen, feinen Hauses steht ein „Lost Place“, ein in sich zusammenstürzendes Gebäude. Zieht uns magisch an. Kurz darauf ist aber auch schon das Tor der Herberge geöffnet, der Motor des RespekTiere-Mobils scheint kurz irritiert, lässt jedoch nach kurzem Zögern sein typisches tiefes Knurren aus 136 Pferdestärken hören und langsam aber sicher verschwindet der Umriss des Nachtquartiers im Rückspiegel.
Jetzt erst, bei Tageslicht, erkennt man den Zustand der Umgebung im ganzen Ausmaß. Fast jedes zweite Haus steht leer, die Jungen wohl allesamt aus der Sackgasse weggezogen. Die wenigen Alten versuchen es sich zu richten, aber der Weg ist für sie ein zunehmend schwerer. Vergessen von der „Außenwelt“, in einem eigenen Mikrokosmos gefangen. Jedermensch scheint Selbstversorger zu sein, anderes kann es gar nicht funktionieren. Die Zäune eingebrochen, Dächer mit klaffenden Löchern, Fassaden seit einer Ewigkeit nicht mehr bearbeitet und deswegen vom Verfall gezeichnet. Der nächste Einkaufsmarkt meilenweit entfernt. Die Uhr scheint an einem jetzt undefinierbaren Tag plötzlich stillgestanden, und bis heute sind die Pendel nicht mehr in Schwung gekommen. So völlig abseits des Stromes der Geschichte hat wohl selbst der im Ungarn-Land allmächtige Orban auf diese Menschen vergessen, so zumindest macht es den Eindruck, wenn die Frauen in schwarzen, wallenden Kleidern, dicken Jacken und Kopftücher auf ihren uralten Fahrrädern an uns vorbeifahren. Vom Friedhof kommen, mit aller Wahrscheinlichkeit. Die Männer sitzen inzwischen auf Bänken vor den Häuser, vor dem verfallenden ehemaligen Gemeindeamt. Rauchen, trinken, fluchen. Husten, vom Leben gezeichnet. Vielleicht glorifizieren sie gerade die „gute alte Zeit“, die so gut nie gewesen ist.
Foto: Der Verfall schreitet in den ländlichen Gebieten unübersehbar voran!
Ich mag es gar nicht glauben, aus purem Zufall heraus entdecken wir schließlich neben dem Pfad Hundehütten. Viele davon. Und noch mehr. Viel mehr. Es ist tatsächlich das Asyl, wo ich einst mit Aleko ebenfalls am Weg in die Ukraine vorbeigekommen war. Wo wir Hilfe versprachen, aber dieses Versprechen nicht einhalten hatten gekonnt, weil wir die Verbindung wieder verloren. Der Zettel mit Namen und Adresse aufgesaugt ins Nirgendwo, unauffindbar unter Legionen anderer „wichtiger Notizen“. Wie oft habe ich daran gedacht, den Geist zermartert, wie wiederfinden? Und da ist es plötzlich! Wir halten natürlich sofort. Das Tor ist offen, ein Auto parkt davor. Unsere Schreie hört niemand, deshalb entern wir den herzzerreißenden Platz. Und finden uns im nächsten Moment im Wahnsinn wieder… Hunde, hunderte davon, in kleinen Zwingern, so weit das Auge reicht. Wir versuchen Streicheleinheiten zu geben, gelingt bei einigen, aber an der schieren Masse scheitern wir selbstredend. Tränen in den Augen, so bedrückend der Anblick. Verzweiflung pur, rund um uns. Schließlich, wir wollten schon gehen, kommt die Tierhalterin doch noch auf uns zu. Ja, es ist die liebenswerte Frau von damals. Noch immer versucht sie alles in ihrer Macht Stehende für die armen Seelen zu tun, bestimmt opfert sie wie seit vielen Jahren nach wie vor ihr ganzes Sein, aber an der unübersehbaren Anzahl von Tieren, an der Größe der Aufgabe, muss sie schlichtweg selbst zugrunde gehen. Depression schreit aus ihren Augen. Das ist es, was sie mit eiserenen Krallen festhält, Burnout, welches die Gute zu vernichten droht. Und mit ihr die Vierbeiner, völlig auf sie angewiesen, ohne jede Chance im Leben. Geht die Tierschützerin, bedeutet dies auch deren unvermeidlichen Untergang. Niemand wohl wird sich der scheinbar unlösbaren Herausforderung annehmen. Und genau das ist die Ironie der Geschichte, genau das ist es, was die junge Frau wohl weiterhin am Leben hält. Sie morgens noch einmal aufstehen lässt, obwohl der Körper und der Geist das Liegenbleiben verlangen. Sie mit knochigen Fingern festhalten, bleischwere Glieder verursachen. Das Wissen, dass es sonst niemanden gibt, der oder die wenigstens ein bisschen Hoffnung keimen lassen könnte. Wir versprechen zu helfen, noch nicht heute, dafür haben wir einfach zu viele Aufgaben im Nachbarland, aber bestimmt bald.
Fotos: Enikös Tierheim braucht dringend Hilfe! Wir werden uns alsbald in einem Extra-Newsletter dem Asyl speziell widmen, ausführlich darüber berichten. Es ist ein Ort, wo respekTIERE IN NOT viel Energie und Kraft investieren wird… und wo wir auf Eure Unterstützung angewiesen sein werden – ja, das Motto „Die Tiere brauchen uns – und wir brauchen Euch“ bewahrheitet sich wieder und wieder…
Als wir endlich im Auto sitzen, fällt das Sprechen schwer. Gefangen in eigenen Gedanken, jeder für sich alleine in einer Welt des Schmerzes.
Nach einer Ewigkeit erreichen wir eine halbwegs befahrbare Straße, Wohltat nach den zerberstenden Wegen. Noch mehr Wohltat wohl für den Van, Und noch einmal mehr für den Geist, nach der so beklemmenden Vision des 400-Hunde-Asyls nach Halt sucht…
Nun dauert es nicht mehr lange, bis wir die Grenze erreichen. Eine ungarische Zöllnerin mit hübschem Lächeln kontrolliert die Papiere, weiß mit dem Hilfstransport nicht so recht umzugehen. Holt Rat bei Vorgesetzten, welche uns in Russisch ansprechen und dann verwundert sind, dass wir nicht entsprechend antworten.
Letztendlich befindet die Grenzbeamtin es wahrscheinlich nicht der Mühe wert, weitere Gedanken an den Transport zu verschwenden, winkt das RespekTiere-Mobil durch. Aufatmen.
Kaum auf ukrainischer Seite fällt die Temperatur merklich. Es ist plötzlich bitter kalt, und nicht nur wegen der fortgesetzten russischen Aggression. Im Hinterkopf höllert die morgendliche Nachricht auf orf.at, wonach die Nacht wieder von schrecklichen Angriffen gezeichnet gewesen ist. Später sollen wir erfahren, keine 20 Kilometer von unserem Zielort entfernt hat dabei eine Rakete Tod und Verwüstung gebracht.
Foto: die Grenzstation von ungarischer Seite – gleich wird eine Polizistin mit unserem Hilfstransport Probleme haben; immer an dieser Stelle übrigens gibt es Schwierigkeiten – der Schelm möge meinen, weil Ungarn eine sehr „russenfreundliche“ Politik betreibt…
Passkontrolle, alles ok. Dann zum Zoll. Ein etwas beleibter Offizier, wie aus einem James-Bond-Film entsprungen und mit dem Halsumfang eines Preisboxers, widmet sich uns, zuerst sehr unfreundlich, doch bald erhellt sich seine Mine. Die Jungs bringen Hilfsgüter, denkt er vielleicht, und deshalb sind schließlich mehrere schwere Fehler in unseren Papieren zu verzeihen. Letztendlich verschwindet Dr. No mit Pässen, Auto- und Frachtpapieren, bis er, wir inzwischen bibbernd vor Kälte, ein lautes „Thomas“ aus irgendeinem Bürogebäude von sich gibt. Ich eile dorthin und muss mich wieder rechtfertigen; auf den Zollpapieren steht, warum auch immer, auch noch die verkehrte Autonummer, verursacht durch einen Zahlensturz.
Schließlich aber gibt der vermeintliche Movie-Ostbösewicht, mit eigenem Charme glänzend, dann doch noch jeden Widerstand auf und deutet uns entnervt zur Weiterfahrt. Wir sind im Land!
Fotos: Grenz-Impressionen!
Foto: Der ukrainische Beamte nimmt es mit der Durchsuchung doch etwas genau, kontrolliert auch den Fahrgastraum!
Vorbei geht es nun an zerborstenen Häusern, an wunderschönen Kirchen, an Menschen, welche mit ernster Mine in den finsteren Horizont blicken. Nach gut einer dreiviertel Stunde erreichen wir Uzghorod. Es ist die größte Stadt weit und breit, hatte vor dem Krieg weniger als 100 000 Einwohnende; jetzt, zwei Jahre später, sind es durch die aufgenommenen Flüchtenden stolze 140 000. Eine riesen Herausforderung, für den Wohnungsmarkt, für das Stadtbudget, für die Wohlfahrt. Für die Infrastruktur.
Kurzer Stopp bei einem kleinen Straßenmarkt. Alles wird hier verkauft, von den Schuhen über die Kleidung bis zum Speck und dem Truthahn…
Tatsächlich finden wir das „Eulennest“ (zentrales Flüchtlingscamp, Anm.) ausnahmsweise ohne jedes Problem. Ausnahmsweise deshalb, weil – vielleicht erinnert Ihr Euch – weil wir bei der letzten Fahrt große Probleme hatten uns entsprechend zu orientieren. Sehr cool hingegen ist der heutige „Start-Ziel-Sieg“. Das Zentrum ist geschlossen, jedoch wissen wir vom letzten Mal, es gibt ein verschlüsseltes WLAN-Netz. Und das Passwort steckt noch immer im kleinen, unentbehrlichen Begleiter, dem Mobiltelefon! 🙂 Also, an die Tür gelehnt, erhaschen wir das betriebsinterne Verbindung und rufen Viktoria, die Leiterin, über WhattsApp. Das Eulennest hat nämlich seit Kurzem am Wochenende geschlossen, einfach, weil inzwischen doch nicht mehr ganz so viele Menschen tagtäglich auf die so großartige Koordinationsstelle angewiesen sind. Viktoria ruft daraufhin Dennis, ihre rechte Hand, der wiederum informiert einen weiteren Mitarbeiter. Die Drei versprechen in kurzen Abständen hintereinander einzutreffen. Eine halbe Stunden bleibt zu warten, und die soll genützt sein! So veranstalten wir auch schon erste Proteste im Ortszentrum. „Putin – International Terrorist“, steht da auf einem Banner, an einer anderen Stelle ein Aktivist in Kuhmaske, dessen Spruchband „Eating Meat kills“ verkündet…
Teil 2 folgt in Kürze!
Fotos: Kleiner Straßenmarkt in Uzghorod; oben: Bauboom – bei 40 000 neuen EinwohnerInnen ein Muss! Unten: Putin – International Terrorist“, steht auf unserem Banner.