Salzburg… nicht Rumänien

Es hört nie auf…
Gestern wurden wir in den späten Abendstunden zu einem Einsatz gerufen. Bei einem einsamen Landwirten sei Gefahr in Verzug, dutzende Hundewelpen gäbe es am Hof, eingesperrt in Auto-Anhängern und dunklen Verliesen, Kühe an Ketten, Perde genau so, Ziegen in Containern…
Da der Hofbesitzer eine Annonce in einer Zeitung aufgegeben hatte – er möchte Hundewelpen verkaufen – folgten wir dieser ‚Einladung‘, sie verschaffte uns das benötigte Alibi um das Anwesen unauffällig zu betreten.

Als wir den Hof erreichten, war die Sonne bereits müde geworden. Sie stand nun tief, erwärmte mit letzter Kraft unsere Knochen und bereitete gespannter Haut ein wohliges Prickeln. Und das hatten wir bald bitter nötig, denn was wir nun sahen, sollte etwas sehr heftig sein…

Ein Paar verließ gerade den Hof, im Arm ein Hündchen – ob sich die Beiden am Nachhause-Weg über den Zustand des Hofes, über das Schicksal der dort versammelten Tierschaft, unterhalten, Gedanken darüber verlieren, würden?

Das Landgut selbst wäre ein wunderschönes, perfekt gelegen in den Tennengauer Bergen, mit Überblick über weitläufige Wiesen und Wälder; doch am Hof, fast typisch für alleine lebenden männliche Bauernsleute, hatte sich im Laufe der Jahre so allerlei angesammelt, angefangen von friedlich vor sich hinrostenden Anhängern bis zur Ackerbaugerätschaft aus postmoderner Zeit; überall liegt Alteisen, Schrott. Mauerwerk, abgefahrene Autoreifen, Ziegel, Steine, Holz; Container bevölkern den Grund, durchbrochen von einsam dahinvegetierenden Stahlgittern, Absperrbändern beherrschen die Szenerie.
Und dazwischen Hunde – überall Hunde! Welpen suchen sich ihren Weg durch dichtes Gerümpel, Muttertiere der Freiheit beraubt von Ketten und Stricken! Wir zählen mindestens drei erwachsene Tiere, die Welpen wohl an die 10!



Ein halboffener Container zeigt sich uns, darin einen Meter hoch Heu .. und darauf zwei Zwergziegen, durch ein Gitter vom Zugang zur ‚Außenwelt‘ abgetrennt…


Der Bauer selbst kommt trotz unseres Anrufes noch immer nicht, so gehen wir gleich direkt in den Stall – der ist zumindest nicht schmutzig, zu unserer Erleichterung. Auch hier überall rostbraune Eisengitter als Absperrungen gedacht; chaotisch doch mit System an Wänden und Vorsprüngen gelehnt; Raumteiler mit metallener Gewalt; wir sehen Kälber in einer kleinen Box, umgeben von Gittern, wie in einem Käfig; ein Stier, festgekettet, durch einen zusätzlichen viel zu kurzen Strick um die Hörner, festgezurrt am Eisengeländer, fast zur Bewegungslosigkeit verdammt; eine Mutterkuh, an schwerer Kette, ständig schreiend – warum? Weil ihr, so erfahren wir später, erst gestern geborenes Baby keine eineinhalb Meter von ihr entfernt im Heu liegt, offenbar zu schwach sich zu erheben – ebenfalls angebunden, ein Strick um das Gelenk des vorderen Fußes…
In der Ecke noch ein Käfigverschlag, darin 2 Pferdchen, eine Stute und ihr Fohlen, beide selbst im kleinen Verlies noch an Stricken festgebunden.
Im Hintergrund springt ein weiter Verschlag ins Auge, mehrfach unterteilt, metallene Gitter; darin befinden sich ebenfalls Welpen, fünf, sechs, sieben, oder so – allerdings mit Zugang ins Freie.







Zwischen Mutterkuh und Baby und den Pferdchen sind noch 2 Hunde, an Stricken, zu einem Bewegungsradius von höchstens 1 Meter verdammt…

Wut steigt in uns auf; wie kann jemand seine Tiere nur so halten, ihnen dieses unwürdige Leben aufzwingen????

Dann kommt der Bauer – und mit ihm eine schwere Prüfung an das Gefühlsleben! Denn der 70-Jährige Mann ist ein Netter, keine Spur von irgend welcher Aggressivität – viel mehr ist es wohl Naivität, die ihn auszeichnet. Sofort zeigt er uns die Hunde, der Fotoapparat scheint ihn dabei nicht im Mindesten zu stören. 3 besonders hübsche Tierschützerinnen sind mit, er überhäuft die Frauen mit Komplimenten – und viel, viel wichtiger – die Tiere scheinen ihn trotz ihrer Lage allesamt zu lieben! Schnell öffnet er die Verschlüsse der Hundeketten, lässt die Muttertiere frei laufen, herzt sie; er müsse sie immer wieder anhängen, sonst wären sie in der ganzen Nachbarschaft unterwegs und würden ihn bald erneut mit Nachwuchssorgen plagen (warum er sie nicht kastrieren lässt, ist die Frage!).
Er zeigt uns einen alten Anhänger, verrostet, mit den Wunden der Zeit überzogen; dort sind nochmals vier Welpen untergebracht, herzallerliebste. Er wolle sie verkaufen, müsse sie in die Steiermark bringen, dort hätte er eine Freundin welche eine Hundezucht betreut; die würde sie für ihn verkaufen können. Um die Kleinen an das Rütteln im Anhänger während der Fahrt zu gewöhnen, würde er sie für einige Tag jeweils mehrere Stunden dem Transportfahrzeug aussetzen, immer wieder daran vorbei gehen um das Gefährt zu schaukeln; so wäre ihnen die Fahrt dann eine viel erträglichere.

Hühner laufen am Hof, sie dürfen solange bleiben, bis sie vom Alter und Gebrechen gezeichnet tot umfallen würden; er hätte sie nur der Eier wegen, erklärt uns der alte Mann.

Wir gehen in den Stall; erstere beiden Kälbchen füttere er mit der Hand, sie wären von der Mutter verstoßen worden; der riesige Stier müsse hier bleiben, weil er noch einen zweiten hätte, der mit den restlichen an die 10 Rindern auf der Weide rund ums Haus unterwegs ist – Mutterkuhhaltung – und es zwischen den Beiden sonst zu Kämpfen kommen würde (welch unterschiedliches Los den beiden Tiere hier zugedacht wurde; erst im Schlachthof werden sie wieder Gleiche unter Gleichen sein…); die Mutterkuh wäre an der Kette weil sie ihr Baby nicht annehmen wolle; sie lässt es nicht trinken, so der Landwirt. Würde er sie losbinden, die Gefahr, dass sie unbeabsichtigt auf das Kind steigen, es erdrücken würde, wäre viel zu groß. Man hätte bereits alles versucht, erfolglos; so müsse er abwarten, es sei das erste Kalb der jungen Mutter, da gäbe es öfters derartige Probleme.
Das Kleine wirkt schwach, fast stoisch. Es schläft, unruhig, so als ob böse Träume es quälen würden – wir machen uns ernsthaft Sorgen!
Der Bauer beruhigt, er sagt, wir sollen morgen wieder kommen, da wäre es sicher schon viel stärker, würde sich erheben und sich uns dann von der besten Seite präsentieren…

Die kleinen Pferdchen sind Mutter und Sohn, auch sie wären tagsüber auf der Weide, und er wolle sie unbedingt verkaufen – samt dem Vater, der draußen an einer Kette hängt, eine mehrere Meter lange zwar, aber entgegen des Tierschutzgesetzes allemal!
1000 Euro verlangt er für die Familie, wohl ein angemessener Preis in Anbetracht bäuerlicher Gewinngestaltung, aber die Pferdchen müssen schnell weg; er würde das Arbeitspensum bei so vielen Tieren einfach nicht mehr schaffen.
Ja, es würde ihm zu viel werden, die ganze Arbeit am Hof, er wäre nun alt und nebenbei, wer wisse denn was der Morgen brächte? Fast nachdenklich starrt er in die Leere der beginnenden Nacht, so als ob Befürchtungen eines nahenden Unheils seine Gedanken beschäftigen würden.
Frei erzählt er von den Begebenheiten, den Mühen seiner Arbeit, seines bisherigen Lebens; immerzu beschäftigt, den festgebundenen Hunden Aufmerksamkeit zu schenken. Er erzählt von seinen Liebsten, seinen Frauen, seinen Tieren; trotz all des herzbrechenden Rundherums kann man diesen Mann plötzlich irgend wie verstehen, kann hinter seiner mühevoll durch Ketten und Stricke und Eisengittern erbauten Fassade den guten Menschen erkennen – jenen, der sich Gedanken macht ums eine Umwelt, seine Familie, seine Tiere; waren wir vor einer Stunde noch überzeugt, mit Wut im Bauch, dies alles hier sofort den Fängen des Gesetzes auszuliefern, die Presse zu informieren, so wird unser Handeln ein zögerlicheres; was ist zu tun, ist die Frage? Was ist zu tun um dem Tierschutz gerecht zu werden, aber auch um dem in die Szenerie unweigerlich eingebunden Menschen dabei nicht völlig aus der Bahn zu werfen????
Der alte Mann braucht Hilfe, setzt man ihn unter Druck oder liefert man ihn den vielleicht gnadenlosen Zeilenakrobaten der Nachrichtenblätter aus, so wird er auf völlig stur schalten, sich zurück ziehen, niemanden mehr an sich heran lassen; man muss den Tieren helfen, keine Frage – die Hunde müssen von den Stricken und Ketten, die Pferde auch, der Babystier braucht Hilfe – aber eine der sanften Art, eine, wo der Mensch als Verursacher dieser Probleme trotzdem nicht vergessen wird…


Wir verabschieden uns, sagen, dass wir darüber nachdenken werden, welchen Welpen zu adoptieren, und wir würden morgen wieder kommen.

Auf einem nahen Parkplatz überlegen wir; inzwischen kommt ein Kamerateam von ATV, herbeigerufen von einer ebenfalls involvierten Tierschutz-Organisation; schweren Herzens, die Journalisten sind weit gefahren, winken wir nach reichlichem Nachdenken ab – wir wollen hier keine Tragödie provozieren, eine Sachlage hervorrufen, welche für Mensch und Tier unabsehbare Folgen haben könnte; statt dessen werden wir versuchen zu helfen, Plätze für die Tiere zu finden; das Fernsehteam zeigt überraschender Weise Verständnis und verabschiedet sich freundlich!!!

Nun laufen unsere mobilen Telefone heiß – unglaublich, aber wahr: tatsächlich würde die Pfotenhilfe, wie so oft Retter in höchster Not, die Mutterkuh samt Baby übernehmen, gleich morgen früh!!!!!
Wir machen uns ernsthaft Sorgen um die Gesundheit des Kleinen, beschließen, nochmals zum Hof zu fahren und das Baby die nächsten Stunden über bis zum Morgen zu bewachen und zu füttern.





Die Nacht hat das Land inzwischen fest im Griff, ein heller Mond strahlt in sichtlicher Lebensfreude sein mattes Licht zur Erde. Wir betreten den Hof, trotz der Vielzahl von Hunden dort bleibt es bemerkenswert ruhig; nur das freudige Wiehern des Hengstes auf der Wiese begrüßt uns.
Der Bauer kommt vom Hang, er hätte gerade den Weidekühen eine neue Wiese eingezäunt – Arbeit gäbe es hier immer.

Wir erklären unsere Absicht, erzählen davon, dass wir die Kuh samt Kind kaufen möchten, schon morgen; milde lächelt der alte Mann, fast beruhigend spricht er; keine Hektik, zuerst muss das Kleine stärker werden, muss an die 10 Tage alt sein, und die Mutter müsse es trinken lassen; dann könnten wir über das Geschäft sprechen.
Ob wir es wenigstens füttern dürften, fragen wir; auch da verneint er, er hätte es am Abend bereits gefüttert, und zu viel Milch wäre für den kleinen Magen nicht gut.
Ob wir es sehen dürften, wenigstens kurz – mit der Absicht die Saugreflexe zu testen! Mit kurzem Seufzer führt er uns in den Stall, vor Momenten noch ein gebrechlicher, alter Herr, wandelt sich seine körperliche Verfassung in sekundenschnelle; behänd öffnet er die eiserne Absperrung, schleicht fast wie eine Katze in den Wohnraum so vieler verschiedener Tiere.
Wir bräuchten uns keine Sorgen machen, er würde seit 40 Jahren seine Arbeit tun, wisse, wie man solche Fälle zu behandeln hätte – hierbleiben? Nein, das geht nicht, aber er würde das Baby ohnehin um fünf Uhr morgens füttern, so viel sei sicher.



Plötzlich verfällt sein Gesicht wieder in einem seinem Alter entsprechenden Zustand; die angespannten Gesichtszüge erhärten sich, die Regungen seiner Mimik verkünden Müdigkeit; er setzt sich im Stall, sinniert, lässt und uns die Tiere herzen. Er beobachtet die Szenerie, offensichtlich nicht ganz sicher, wie er den Sachverhalt einordnen solle; wir verwickeln ihn in Gespräche, wollen wissen, ob es ihm nicht oft leid tun würde, wenn ein Tier zum Schlachter gebracht werde; seine Antwort ist eine erstaunliche, kommt in Bruchteilen von Sekunden – 2 kurze Wörter; UND OB!! Manchmal müsse er dann sofort raus aus dem Stall, Tränen würden ihm das atmen schwer machen, seine Gefühle zu ertränken drohend; und oft würde dem so sein, immer und immer wieder. Warum er sich dann das Ganze antun würde, wollen wir wissen; warum wolle er nicht in den Ruhestand gehen, seinen Lebensabend genießen? Weil er seine Arbeit liebe, seine Tiere; keines davon er hergeben wolle, niemals; selbst die vielen Welpen wolle er am liebsten behalten, allesamt; aber er würde die damit verbundene Arbeit ganz einfach nicht mehr schaffen, die Last der Jahre hätte seinen Rücken gebeugt, seine Hände schwach gemacht. Er würde ohne Tiere dennoch nicht leben wollen, keinen Tag; jeder hätte so seine Leidenschaften, bräuchte Sinn im Leben, etwas, woran er sich halten könne – bei ihm wären das eben seine Tiere.

Wir verlassen den Hof, nun selbst in Gedanken gefangen; wir müssen reagieren, den Tieren helfen, keine Frage; zumindest die Ketten müssen weg, besser heute als morgen – aber diesen alten Mann, den dürfen wir dabei nicht übergehen; würden wir sein Herz brechen, was zweifellos der Fall wäre, würden wir hier so handeln wie sonst, wem würde da geholfen?
Nicht den Tieren, nicht dem Tierschutz, nicht einem einzigen Menschen – nur unserer Genugtuung. Und dafür wäre der zu bezahlenden Preis ein viel zu hoher….

Wir werden heute nach dem Rechten sehen, das Kälbchen besuchen, und eine Lösung für die Hunde und Pferde andenken; und Ihnen dann berichten…

 
 

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