Wenn der Tod als Freund kommt – unfassbares Eselleid

Dies hier ist ein besonders aufwühlender, zu Herzen gehender Sondernewsletter; verfasst deswegen, um zu zeigen, wie unglaublich wichtig und notwendig unser Einsatz in Mauretanien überhaupt nur sein kann. Wie niederschmetternd die Arbeit dort manchmal ist, wie sehr sie die Psyche zu belasten imstande ist. Aber andersrum, und genau daran muss sich das strauchelnde Ich festhalten, denkt man die folgende Geschichte zu Ende – was wäre also, wenn wir nicht vor Ort wären – um wieviel noch schlimmer wäre das Schicksal des armen Esels gewesen? Denn diese Tiere, sie gehören mit zu den allerwunderbarsten Geschöpfen des Planeten Erde. Ausgestattet mit einer unfassbaren Leidesfähigkeit, eine Leidensfähigkeit, welche jede Grenze überschreitet. Und dann nochmals überschreitet. Und nochmals. Die alles geglaubt Ertragbare neu definiert. 
Was ihnen aber im Umgang mit ‚Mensch‘ nur allzu oft zum Verhängnis wird…

Der folgenden Report ist einer aus persönlicher Sicht, ein Versuch, den verzehrenden Schmerz in mir zu besänftigen. Er ist auch ein Ausschnitt aus dem Gesamtreport, der in Kürze erscheinen wird!

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Foto: Ich schäme mich dafür zu denken, dass sind die schlimmsten Momente in unseren Leben – so etwas bezeugen zu müssen. Denn egal wie schimm sie auch gewesen sein mögen, für den Esel waren es es noch so viel mehr…

Es geht zurück zur Herberge; mit ob des Bezeugten bereits angegriffenen Nerven sitzen wir im Auto, fest in den eigenen Gedanken gefangen. Vor uns ist der Eselmarkt, dort werden wir morgen arbeiten. Eifrige NewsletterleserInnen wissen es, der ist für Tierschützende, und nicht nur für diese, wohl mit einer der allerschlimmsten Orte einer an solchen ohnehin überreichen Welt. Einer jener, der im Wissen des folgenden Besuches schon am Vortag ein besonders flaues Gefühl in der Magengrube auslöst, wo man beim Betreten schon das Verlassen herbeisehnt. All das ist er für uns. Für die Esel allerdings noch mehr; das Land verkörpert ihre persönliche Hölle, der Sand vollgesogen mit unendlichem Leid und furchtbarst vorstellbarem Schmerz.

„Schauen wir kurz, ob viele Esel da sind“, meint Dr. Dieng. Ohne zu ahnen, dass wir alsbald Momente durchmachen werden, welche wir wohl allesamt nie wieder vergessen können; Augenblicke, blitzschnell zur Ewigkeit mutiert, so schrecklich, dass niemand sie jemals erleben sollte müssen. Am allerwenigsten der betroffene Eselhengst.

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Den sehe ich schon bei der Zufahrt am Boden liegen. Tot, der Arme, denke ich mir, im Anflug der Verzweiflung. Dabei wäre der Tod noch das beste gewesen, was ihm überhaupt nur passieren hätte können. Nur, das hab‘ ich da natürlich noch nicht gewusst. Wir erklimmen also den kleinen Hügel, und was wir zu sehen bekommen, nimmt die Luft zum Atmen. Ein Vorderbein hängt weg, nur mehr durch Hautfetzen und einem gebrochenen Knochen mit dem übrigen Körper verbunden. An mehreren Stellen. Dazu ist diese unfassbare Verletzung völlig unbrauchbar versucht worden zu schienen. Mehrmals, dilettantisch, ein Gerüst aus Zweigen, Stofffetzen und Stricken. Wie von Kinderhand zusammengebastelt. Was für Pein muss das Anlegen für das todgeweihte Tier bedeutet haben! Nutzloseste Pein. völligst unnötig.

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Foto: ohne jede Worte…

Noch dazu, es liegt nach Aussage des Halters schon seit Tagen an der gleichen Stelle, niemand da, der den Esel erlöst hätte. Niemand da, der den Schmerz überhaupt nur bemerkte. Der Halter meint, nein, eingeschläfert darf der Schwerstverwundete nicht werden, wir sollten operieren. Der wird schon wieder, und tatsächlich versucht er im nächsten Moment den Esel mit aller Gewalt aufzurichten. Wir schreien ihn an, halten ihn zurück; wollen den Seelenhändler von diesem Wahnsinn abhalten, brüllen *haram*, also von Gott verboten, was den Berserker aber nicht beeindruckt. Er stellt ihn tatsächlich auf drei Beine, Zufriedenheit sprüht aus seinen Augen; „So, jetzt hab ich es Euch aber gezeigt wie es geht! Der Esel wird schon morgen wieder arbeiten“, scheint er herauszuposaunen wollen. Besagter humpelt dementgegen einen Schritt, steigt auf das offene, blutende, eiternde, von Fliegen übersäte und bereits übelst riechende Bein und bricht natürlich sofort wieder ein. Der Aufprall hallt in meinen Ohren wieder, der Schmerz, ich fühle ihn in mir selbst. Nur mit allergrößter Mühe gelingt es, den Inhalt meines Magens im Körper zu behalten. Die Tränen aber nicht.

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Foto: der Mann zerrt den Esel tatsächlich in die Höhe, bevor wir noch so wirklich reagieren können!

Wie konnte der Mann tatsächlich glauben, eine derartige Verletzung würde je wieder gut werden? Was folgt, ist ein Irrsinn. Ein weit über eine halbe Stunde anhaltender noch dazu. Während ich versuche den Esel zu beruhigen, seinen Kopf festzuhalten, ihn zu streicheln und gut zuzureden, beratschlagen die Ärzte. Ihr wisst es, Mittel zum Töten eines Tieres (außer das Messer im Schlachthof selbstredend, welche Ironie…) also Narkotika, sind hier verboten. Von Allah höchstpersönlich. Wenn, dann hat der aber noch nie ein Tier in derartige, Schmerz erlebt. Einfuhr gängiger Mittel zum Zweck kann mit jahrelangem Gefängnis bestraft werden. Nur relativ leichte Betäubungsmittel sind erlaubt; also spritzt Dr. Dieng solche im gefühlten Minutenrhythmus im Übermaß, abwechselnd mit Dr. Facharani. Nur, der Esel will nicht sterben. Selbst die Spritze ins Herz beendet den Wahnsinn nicht, dazu findet sich alsbald keine geeignete Ader am Tierkörper mehr zum erneuten Einstich. Ja, ich habe viel Schlimmes erlebt und bezeugt, aber das hier, es raubt mir beinahe den Verstand. Menschen stehen herum, wahrscheinlich und ohne jemanden etwas unterstellen zu wollen, der Neugierde und kaum des Mitleides wegen. Tränen aus den Augen des Sterbenden tun ihr übriges, um alle Dämme brechen zu lassen. Hilflosigkeit, sie ist ein schreckliches Befinden. Ein solches, das Schande und Scham auslöst. Und Wut, Wut auf den Halter beispielsweise, der sich noch immer nicht mit dem unweigerlichen Muss, sein Tier jetzt sterben zu lassen, abfinden möchte. Später wird er als Ersatz wenigstens eine Sonnenbrille verlangen.

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Geschlagene 40 Minuten dauert der Todeskampf. 40 Minuten, wo die Tränen des Tieres über meine Arme laufen, in meine Poren fließen und mein Herz überschwemmen. Ausnahmezustand. Voll und ganz. Unerträgliche Traurigkeit, die in mich kriecht. Und in alle anderen Umstehenden wohl auch. Der stete Wind wie eine Hand, die sich um den Hals legt und zudrückt. Über meinen, leider nicht über den des Esels. Zwischendurch überlege ich allen Ernstes, seine Nüstern zuzudrücken. Und nie mehr damit aufzuhören. Solange, bis das Heben und Senken des Brustkorbes erlischt wie ein Kerzenlicht im tobenden Orkan. Ein Heben und Senken, welches nun zum Feind geworden ist. Der Beweis der Existenz, der Beweis, dass das Leben noch immer nicht aus dem malträtierten Körper gekrochen ist. Ich bete zu Gott um Erlösung, aber der scheint wegzusehen. Oder hat die Augen geschlossen, bei all dem, was er hier jeden Tag zu ertragen hat, kein Wunder. Oder hat anders vorgehabt, an diesem Tag, wo die Engel weinten.

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Wie soll ich es schaffen, dem Esel die Luft zu nehmen, nur jeweils viel zu kurz verbleiben meine Hände an den Nasenflügeln; es ist für mich unmöglich, was mir sowas von nicht zur Ehre gereicht. Feigling. Nichts als ein erbärmlicher Feigling. Für den Barmherzigkeit dort aufhört, wo die eigene Belastungsgrenze ausgedehnt, ein klein bisschen überschritten werden müsste. Eine fürchterliche Einsicht.

Das ganze Sein nur mehr ein Sehen nach dem Tod. Komm, großer Schwarzer Mann, wo bist Du, wenn man dich einmal braucht; komm, leg deinen Arm um den Leidenden und nimm ihm jeden Schmerz. Saug an seinen Nüstern, lass ihn einschlafen. Endlich einschlafen. Und dann führe ihn über die Brücke, hinab in Dein Reich.

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Aber Tod hat genau wie Gott anscheinend ebenfalls anders vor. Er kommt nicht. Viele Minuten lang nicht, Minuten, die zur Ewigkeit werden.

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Fotos: zwischen den Versuchen der Erlösung geben wir dem Sterbenden immer wieder Wasser… vielleicht die einzige nette Handlung, die er von Menschen in seinem ganzen Dasein erlebt hat…

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Nichts sehnlicher wünscht man dem Patienten, als loslassen zu können. „Dort, wo Du nun hingehst, dort erwartet man dich bereits. Mit Freuden. Du wirst nie mehr Lasten ziehen müssen, und du wirst alle wiedersehen, die vor Dir gegangen sind. Sie warten schon auf Dich, auf immergrünen Wiesen. Und Schatten, Schatten, wo immer Du ihn suchst. Ruhe, nichts als Ruhe. Du musst einfach nur loslassen.

Aber er lässt nicht los.

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Erst im dutzenden Versuch wird die Atmung schließlich flacher. Ganz langsam, unterbrochen wieder und wieder vom Lebenswillen. Ich halte den Sterbenden immer noch fest. So fest als möglich. Angst ist in seinen Augen, er möchte sich nochmals aufrichten. Meine Hände um seinen Hals, mein Kopf an seinem Kopf. Endlich ist Gevatter Tod eingetroffen. Ich spüre seine Anwesenheit, sehe seine Hand, die sich um die Nüstern des Esels legt. Der wird ruhiger, fast entspannt. Ein letzter, tiefer Seufzer. Dann wird es still. Unfassbar still.

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Später im Auto ist der Hals zugeschnürt. Tränen gibt es keine mehr. Ausgeweint. Kein Wort wird gewechselt. Ja, es wird auch heute wieder Nacht werden in Nouakchott. Und morgen wird erneut ein Tag heranbrechen. Aber nichts wird mehr so sein, wie es früher mal war. Eine quälende Erinnerung, welche, egal wie unnachgiebig man sie auch immer verstecken möchte, sich im hintersten Winkel des Gehirns festsetzt und vom selben Augenblick an untrennbar mit dem Ich verbunden sein wird. Die sich an der Lebensfreude nährt, ungeniert. Alle Gedanken, ja selbst die Gerüche an jenem Tag, die Farben und die Lichter, sie werden „Mensch“ nie wieder loslassen. Eine Geisel für den Rest des Lebens. Ich persönlich, ich frage mich immer wieder, wie wird es sein, wenn sich derartiger Wahnsinn eines Tages geballt aus der Enge befreit und sich ergießt in den Rest des Speichers; werden die guten Eindrücke der Welle standhalten, eine Balance erschaffen können? Über eine Antwort nachzudenken quält mich schrecklich. Denn ich weiß sie längst. Gute Reise, mein Freund, wir werden Dich nie vergessen. Ake Wancinyankin ktelo, bis wir uns wiedersehen.

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Foto: ein allerletztes ‚Good-Bye‘!

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