Mauretanien, der große Einsatzreport!

Ja, diese Reise hatte schleppend begonnen; ich kämpfte die letzten Tage mit gesundheitlichen Problemen, welche mir einiges abverlangten. Zeit für Erholung gab es nicht, dazu war das Programm zu straff, gab es einfach viel zu viel zu tun. So musste ich Medikamente mitnehmen, Antibiotika und Schmerzmittel, ein Umstand, der dann keinen guten Beginn versprach – sagt doch die Erfahrung, dass man in Mauretanien zumindest einen Tag einplanen sollte, wo man aufgrund der dortigen Gegebenheiten nicht so fit sein würde, von den verschiedenen Einflüssen geplagt. Dann erst mit einer ‚eingeschleppten‘ Krankheit von vorneweg zu starten, ist dabei wahrlich keine ideale Ausgangslage. Was hilft’s, Dinge müssen passieren, und ‚Mensch‘ hat ab und dann keine Wahl.
Der Tag der Abreise beginnt viel zu früh; bereits um 2.10 morgens erbricht sich der Wecker in gnadenlosem Getöse, und im selben Moment verflucht der/die so unsanft Geweckte nichts mehr auf dieser Welt als das nervige Klingeln. Vergessen ist der edle Dienst, welchem das Gerät fortwährend und ohne je zu straucheln leistet, zumindest für die Minuten bis hin zum ersten Kaffee des noch so jungen Tages. Schlaftrunken verabschiedet man sich von den Lieben, vielleicht ein bisschen intensiver als sonst, weiß man doch nicht, was alles in einem der unsichersten Länder der Welt geschehen kann…
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Foto: Bilder wie diese sind es, welche in solchen Augenblicken die Gedanken beschäftigen…

Dann finden wir uns im RespekTiere-Sprinter wieder. Der immer verlässliche Orange soll uns zum Flughafen nach München bringen, wo er die nächsten 9 Tage auf einem Parkplatz eines Shuttle-Services auf uns warten wird. Die Fahrt geht dann auch recht reibungslos von der Hand, nur einzelne immer wieder auftauchende Nebelschwaden verhindern ein noch schnelleres Vorankommen. Dennoch, alles läuft nach Plan, und gegen 5 Uhr morgens stehen wir bereits in der langen Check-In-Reihe des Flughafenschalters, eingetaucht in eine Masse müder Leiber, deren verschiedene Elemente sehr bald und allesamt in wohl gänzlich andere Richtungen überall hin in die Welt ausschwärmen werden.

Ich weiß nicht, ob es an meiner Krankheit liegt oder einfach nur am zunehmenden Alter, aber als ich am Flughafen in München sitze, Dr. Matthias Facharani (www.tierarzt-Facharani.de) – seines Zeichens ausgebildeter Tropentierarzt, fließend arabisch sprechend noch dazu – und treue Mauretanien-Wegbegleiter entspannt neben mir, wird die Sentimentalität der Stunde urplötzlich bewusst; wahrscheinlich drückt die Seele umso mehr, je gezeichneter die eigenen Widerstandskräfte sind. Jedenfalls fühle ich mich in jenen Momenten völlig durchsichtig, gläsern, nackt und schutzlos, ganz als ob jedermann/frau am Airport nun geradewegs bis in die hintersten Winkeln der Seele in mich hinein sehen könnte. Ich suche nach einer Deckung, Geborgenheit, irgendeinen Ort, um mich festzuklammern, doch nirgends findet sich Halt. Bestimmt würden die Menschen um mich das würgende Gefühl in meiner Kehle sehen, sie würden merken, dass sich mein Magen unsanft hebt beim Gedanken an das Elend, welches uns die nächsten Tage erwarten wird. Sie werden merken, wie der Geruch des Todes mein Gehirn peinigt, wie der Gestank der Sterblichkeit geradewegs in mein Herz kriecht. Ganz sicher würden sie auch erkennen, ich wünschte mich weit weg von hier, wünschte, die Reise würde in gegensätzliche Richtung, immer nach Norden gehen, dorthin, wo Gevatter Frost mit seinem eisigen Atem die Luft glasklar erstarren lässt. Wo Krankheiten, und sei es auch nur im Geiste, einfach w/o geben den Umständen und einfrieren auf ewige Zeiten, gemeinsam mit allem Bösen der Welt. Wo die Vergänglichkeit nicht so sichtbar ist, wo der Schnee ein gnädiges Tuch über das Land legt und es in tiefen Schlaf zurück lässt. Stattdessen geht es der Sonne entgegen, welche am Zielort wie ein Feuerball am gleisenden Firmament stehen wird, keinen Atemzug zulässt, der nicht bis tief in die Lunge brennt.  In ein Land, wo die Elemente die Herrschaft ausüben, als unumschränkte Despoten einer ausufernden Hoffnungslosigkeit.
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Die Maschine, wie könnte es bei derart trüben Gedanken dann auch anders sein, hebt verspätet ab, als Tribut an die ungünstige Wetterlage; gefrierender Nebel hat sich auf die Triebflächen gehaftet, muss mit den Spritzgeräten der Spezialfahrzeugen entfernt werden. Kurz steht der Weiterflug vom Zwischenflughafen nun sogar in weiter Ferne, aber dann entschwebt  das mächtige Flugzeug doch noch rechtzeitig in den zögerlich beginnenden Tag. Die Maschine ist bis auf den letzten Platz besetzt, dennoch, von all dem bekomme ich nur wenig mit, weil ich sofort in einen tiefen, traumlosen Schlaf falle.
Am Flughafen der Tri-Colore-Metropole lernen wir einen netten Mann aus Guinea kennen. Er, Seku, wohnt schon seit 20 Jahren in Deutschland, erst im heurigen Jahr hat er die alte Heimat zum allerersten Mal wieder besucht. Seku erzählt, wie der fortschreitende Klimawandel auch das grüne Guinea im eisernen Griff hält, Wetterkapriolen, schwere Regen und Unwetter gefolgt von zunehmender Hitze setzen dem relativ kleinen Land zu. Wie pflanzenüberwuchert es doch war in seiner Kindheit, und wie verändert ist jetzt? Einer Hommage an die weiter nördlichen Länder Afrikas gleich, Mauretanien etwa, wird es stetig wüstenähnlicher. Die Bäume und das Gras sind zuerst aus der Hauptstadt verschwunden, zugedeckt von Beton und Asphalt; der Mensch ein wucherndes Geschwür, ein selbstgemachtes Szenario einläutend – welches wie überall sonst in der Welt einen langsamen Untergang  entriert…
Seku ist übrigens Vegetarier, seit seinem 12. Lebensjahr, wo er mitansehen musste, wie sein Vater ein Schaf schlachtet, welches die letzten Monate sein bester Freund gewesen war…
Auch die 2. Maschine, ein riesiger Airbus 330, sollte voll besetzt sein; und auch jetzt gibt es Probleme, irgendein Passagier aus Istanbul ist den Sicherheitsleuten seltsam vorgekommen, deshalb soll dessen Gepäck nochmals entladen und kontrolliert werden. Es ergibt sich daraus eine weitere Verzögerung von weit über einer halben Stunde…
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Starker Kopfschmerz quält mich bald, und irgendwie bin ich froh, als die Maschine endlich den gleisenden Himmel durchkreuzt, die Menschen im Flugzeug dazu bringt, die Fensterluken zu schließen und einer angenehmen Düsterheit Einlass zu gebieten…
Der Überflug nach Nouakchott funktioniert dann problemlos; die Maschine gleitet durch den Tag und setzt sicher am neuen Flughafen von Nouakchott auf. Der liegt nun gut 40 km außerhalb der Stadt (früher war er in deren Zentrum), zudem ist er komplett neu errichtet, aus dem Wüstenboden gestampft. China, so munkelt man, hat den Bau finanziert, über eine Abgeltung – und die verlangt der ‚Rote Drache‘ so sicher wie das Amen im Gebet – kann bestenfalls spekuliert werden; einige Menschen sind sicher extrem reich geworden, während die Allgemeinheit kaum einen Vorteil daraus zieht… (später stellt sich allerdings heraus, China hatte mit der Fertigung nichts zu tun; im Gegenteil, es war ein nationaler Deal, eine der großen Landesfirmen errichtete den Airport anscheinend auf eigene Kosten, bekam dafür aber im Austausch das gesamte – höchst lukrative – Gelände des alten Standortes völlig kostenlos überschrieben. Der Konzern wird sich die Ausgaben vergolden lassen, so viel steht fest, wenn ein neuer Stadtteil auf bestem und wohl auch teuerstem Bauland der Stadt errichtet wird!)
Jedenfalls, obwohl sich der Komplex gespenstisch leer präsentiert, unser Flugzeug das einzige am weiten Hangar, ist er doch nicht zu vergleichen mit dem ‚alten‘, der tatsächlich so wirkte, wie man derartige Bauwerke aus den ‚Indiana Jones‘-Filmen kennt: und die spielen dann in den 30er und 40er-Jahren des letzten Jahrhunderts!
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Foto: Anflug auf den Flughafen, mitten in der Wüste!

Auf den Gängen bläst dem/der BesucherIn nun sogar ein luftgekühlter Hauch entgegen. Überall Beamte, aber die Waffen sind nicht mehr so präsent wie noch vor wenigen Monaten. Rund 20 der Passagiere müssen Visa beantragen, so wie wir. Allesamt sind es Wirtschaftstreibende, meist wohl im Fischereigewerbe – Mauretanien würde, und das ist die große Schande, denn es ist ein unfassbar darbendes Land in welchem Menschen verhungern, eigentlich über die fischreichste Küste des Planeten verfügen; nur angeln dort riesige Fangflotten vor allem aus Asien,  aber auch die EU lässt ihre maroden Schipper unentwegt auslaufen, und für die einheimischen Seeleute bleibt kaum mehr etwas übrig…
Die Abfertigung, unglaubliche 120 Euro werden für ein Visa verlangt, nötigt uns eine weitere Stunde ab, dann endlich dürfen wir das Gebäude verlassen. Noch soll gescannt werden, das gesamte Gepäck, doch irgendwie scheinen die Beamten mit der heiklen Aufgabe völlig überfordert; so laufen die Gepäckstücke letztendlich durch das Gerät, nur der Monitor bleibt schwarz – Makulatur in Feinkultur!
Draußen, es ist nun gegen 16 Uhr, erwartet uns Hassan, ein Freund von Sidi, der uns wie schon so oft bei sich übernachten lässt; Hassan bringt uns für 15 Euro in die Stadt, auf den wenigen gepflasterten Straßen des Landes; die sind hier sogar ein vierspuriger ‚Highway‘, durchaus befahrbar (im Gegensatz zu den ‚Pisten‘ der Stadt, wo ein Schlagloch das andere ablöst), mit hunderten solarbetriebenen Lampen versehen! Vom wolkenfreien Himmel brennt die Sonne, die Quecksilbersäule zeigt doch ein wenig überraschende 38 Grad!
Heute ist Gebetstag, Freitag, der den überwallenden Verkehr zumindest für Stunden lahmlegt; die Straßen sind einsam, und auch Esel sind wir fast keine! Nouakchott, die Sahara-Metropole, innerhalb von nur 50 Jahren von 0 auf weit mehr als 1 Millionen EinwohnerInnen angewachsen (konzipiert wurde die Stadt 1961 für 15 000 Menschen; wie viele Menschen sie heute beherbergt, niemand weiß es genau. Jedenfalls ist sie eine der am schnellsten wachsenden Städte der Welt), zeigt uns von Anfang an ihr wahres Gesicht: obwohl so viel gebaut worden ist in den letzten 5 Jahren, obwohl einige Straßenzügen nun durchaus einen Anflug von Internationalität ausstrahlen, kann sie jedoch ihre hässliche Seite nie verbergen; sie wird beherrscht von Abfall, der Verfall ist allgegenwärtig, die Armut omnipräsent…
Angekommen in Sidis Herberge packen unsere Sachen aus; für gut 1400 Euro haben wir westliches Medizinmaterial mitgebracht, vor allem auf die Hufpflege legten wir im Einkauf großen Wert. Beste Hufzangen, Hufbearbeitungsgeräte und ‚Technovit‘ zum Versiegeln geplagter Hufe werden wir morgen dem Team übergeben!
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Foto: gut 100 kg Fluggepäck, voll genützt…

Nun kommt auch noch unsere rechte Hand in Nouakchott, Daouda, vorbei. Welche Wiedersehensfreude! Noch gut 2 Stunden besprechen wir den Ablauf für morgen, dann, es ist nun schon halb 11 (zu Hause ist es durch die Zeitverschiebung bereits halb 1 Uhr), fallen wir müde in unsere notdürftigen Betten.
Es hat heute selbst in der Nacht wohl über 30 Grad in Nouakchott, und die Luft ist erfüllt von Mokitogesurre – ob das gute Voraussetzungen für eine erholsame Nacht sind, morgen werden wir mehr wissen…
In Fakt ist es so heiß, dass die mitgebrachten Kerzen kaum einsatzfähig sind, das Wachs buchstäblich zerfließt. Selbst das Haarshampoo und das Duschgel, wir werden es die nächsten Tage feststellen, verlieren ihre Konsistenz, verflüssigen sich mehr und mehr. Kein Wunder, dass hier jede Flüssigkeit, jede Tafel Schokolade (die es bloss an ganz wenigen Plätzen zu erstehen gibt) nur in der Kühlvitrine angeboten werden kann…
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Foto: wenig überraschend ist, dass Schokolade nur gekühlt angeboten werden kann; überraschender ist da dann schon der Fakt, dass sie überhaupt erhältlich ist, noch dazu in dieser großen Auswahl! rechts: die österreichische Weltmarke ‚Red Bull‘ – verleiht nun auch in Nouakchott Flügel!

Der Samstag beginnt gleich mit einem Paukenschlag: es steht der Einsatz am Eselmarkt an; so viel haben wir über diesen Ort bereits geschrieben, Sie alle kennen ihn bestens. Es ist jener Platz, wo Esel gehandelt werden – was bedeutet, Menschen kaufen ‚neue‘ und sehr oft sind in Begleitung der ausgedienten, verletzten. Diese lassen sie dann viel zu oft einfach zurück und treten mit den soeben erstandenen Tieren den Heimweg an.

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Foto: das Gelände rund um den Eselmarkt – eine Stätte des Grauens!

Die Armen werden alleine gelassen, ohne Versorgung, ohne Beistand; oft sind sie in so schlechtem Zustand, dass sie nicht mehr gerettet werden könnten, egal, wie viel Zeit und Einsatz man investieren würde. Dennoch, sie zu ‚erlösen‘ ist keine Option, dass wird in einem Land wie Mauretanien nicht geduldet. Zudem, solange sie am Leben sind, gehören sie ihren ‚Eigentümern‘ – und diese behalten die Verstoßenen im Hinterkopf, denn es könnte ja passieren, dass der Esel, nun, da er nicht mehr arbeiten kann, vielleicht alleine deswegen gesundet. Würde man diese Tiere sanft einschlafen lassen, die Besitzer würden sich umgehen melden – Nouakchott ist trotz seiner Größe, eine echte Millionenstadt, doch immer ein Dorf geblieben, und ein derartiges Vorgehen würde sich blitzschnell herumsprechen. Mit dem Ergebnis, all die Leute würden – extrem überhöhte – Ansprüche stellen und Geld verlangen. Würde man nicht bezahlen, sehr bald wäre unsere Gruppe eine geächtete, könnte keinen Schritt mehr tun, ohne nicht mit schlimmsten Dingen konfrontiert zu werden…
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Genau darum leben und sterben die Esel um den Eselmarkt zu Dutzenden; gleich hinter dem Ort breitet sich ein weiteres Feld aus, welches in den letzten Jahren zusätzlich immer mehr zur Müllkippe geworden ist, wo man wohl hundert Gerippe findet, die Tiere gefallen und zu Staub geworden, wo sie gestanden und gelitten haben. Der Geruch ist ein übermannender, ein derart stechender, dass man sich Schutzmasken herbei seht. Überall rings herum suchen Menschen, vor allem Kinder, die Abfallberge nach Gebräuchlichem ab, Flammen steigen empor, der Himmel ist ob der Rauchwolken verdunkelt – hier, wo sonst, ist das Ende der Welt, unwillkürlich sucht man nach der Pforte, nach dem Übertritt in das Dunkel. Man wagt kaum zu atmen, am allerliebsten würde man einfach weglaufen – oder stehenbleiben, und keinen Schritt mehr tun; sich einfach fallen lassen, ergeben einem Makrokosmos, der nichts, aber auch gar nichts mehr zu bieten hat… außer Schmerz und Elend!
Baggerfahrzeuge stehen an den Rändern bereit, Sandhaufen sind aufgetürmt. In Kürze wird man einen Einsatz starten, wie schonn oft zuvor, und den Wahnsinn erneut einfach zuschütten, überplanieren; das Grauen zu verstecken versuchen, doch der Boden hat schon derart viel Leid aufgesogen, dass man besonders an den windigen Tagen das Klagen der Unterwelt zu hören vermeint, wie es sich mit den Böen des Sturmes zu einer Anklage an die Menschheit emporschaukelt.
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Unser Team ist bereits tief in die Arbeit verstrickt; wir umarmen uns, und dann beginnen wir sofort gemeinsam zu arbeiten. Dr. Facharani und ich ziehen die Wurmkur-Spritzen auf, aber auch Schmerz – und Räudemittel werden zu dutzenden verabreicht. Tatsächlich, und erst dieser Umstand macht den Ort irgendwie erträglich, finden sich besonders am Eselmarkt viele Menschen, welche wir längst liebgewonnen; zum Beispiel den alten Mann, der fast nichts mehr hört und seine Sätze deshalb Detonationen gleichen; den sanften Riesen, der uns immer nach diesem und jenen fragt, ständig zu Scherzen aufgelegt ist und mit den Eseln wirklich behutsam umgeht; oder die Teenager, die mit den Eseln arbeiten müssen, um ihre Familien zu unterstützen – Zeit für die Schule bleibt so keine mehr.
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Vor allem aber, und auch über ihn haben wir bereits viel geschrieben, ist der ‚Chef‘ des Platzes, ein sehr ehrwürdiger, unfassbar gescheiter älterer Mann, ein Fels in der Brandung und unser Hauptgesprächspartner. Erinnern Sie sich, wir hatten vor kurzem über den immer stärker werdenden Hunger der Chinesen nach Eselfleisch berichtet. 100 der Tiere würden ihre Handlanger inzwischen kaufen, an jedem verdammten Tag, mehr als 3000 im Monat. Selbst alte und kranke, es würde keinen Unterschied machen, hören wir. Allesamt sterben die ‚Auserwählten‘ in lokalen Schlachthöfen, nur um zu Fleisch verarbeitet, verpackt und in Stücke geschnitten auf Schiffe verladen ins Reich der Mitte transportiert zu werden…
Die Situation, so meint er, für die Esel hat sich abseits der neuen Bedrohung dennoch gewaltig verbessert, durch unsere Initiative! Wie uns seine Worte freuen! Die Esel würden heute durchwegs anders behandelt als noch vor wenigen Jahren, es gäbe nicht mehr so viele verletzte, und das Schlagen wäre auch deutlich zurück gegangen, nicht zuletzt durch unsere Radio’werbung‘!
Wir sehnen das Arbeitsende herbei; der Tag präsentiert sich brennend heiß, rund 38 Grad lassen uns gehörig leiden. Dazu der Stress, die Aufregung, das Leid ringsum – gegen 14.30 drehen ich mir eine kleine Zigarette, blase den Rauch in den Nachmittag und versuche an nichts mehr als an ein kühles Cola zu denken…
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Länger zu arbeiten, es wäre bei diesen Temperaturen und unter den gegebenen Umständen fast unmöglich. Die Müdigkeit zwingt zu immer längeren Pausen, und nicht nur jene des Körpers, sondern vor allem jene des Geistes.
Arbeitsende ist aber noch allemal nicht; jetzt steht der Rest des Tag voll im Zeichen von Einzelgesprächen mit den Teammitgliedern; heute sind Zappa, der Wunder-Schmied, und Moussa an der Reihe, beide können wir mit den mitgebrachten Sachen – Hufzangen, Hufmesser, Arbeitshosen, Arztbekleidung, medizinischem Material, aber auch Freizeitkappen und anderen Gebrauchsdinge – ausstatten. Mit der Arbeit wären sie sehr zufrieden, bestätigen die Guten, was uns wirklich freut – denn nur gemeinsam können wir hier etwas ausrichten, einen Unterschied machen!
Den Sonntag verbringen wir mit vielen weiteren Gesprächen zum Projekt. So zum Beispiel treffen wir uns mit Saleck, aufmerksame RespekTiere-Newsletter-LeserInnen werden sofort wissen, Saleck war für viele Jahre unser Koordinator in Nouakchott (bevor er ein Hotel übernommen und nun leider kaum mehr Zeit übrig hat), und bis heute ist er ein unverzichtbarer Bestandteil des Teams, vor allem für alle Fragen um das Organisatorische oder um die rechtlichen Belange. Nun geht es um die Festsetzung von RespekTiere als anerkannte NGO in Mauretanien selbst, was für uns einige Vorteile brächte: zum Beispiel könnten wir dann zollfrei ein Auto für die Klinik einführen, was schon einiges an weiterem Aufschwung brächte.
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Fotos, Reihe 1: ein Esel hat sich im Zaunnetz verfangen; wird er nicht sofort befreit, hinterlassen seine Bestrebungen aus der Umklammerung zu entkommen, oft schmerzliche Wunden an den Beinen; links: heute zwar seltener, aber immer noch markieren manche Eselhalter – natürlich immer ohne jede Betäubung – ihre Esel mittels ins Fleisch geritzte Zeichen… Reihe 2: rund um den Eselmarkt, eine Tragödie für Mensch und Tier!

Immer wieder sprechen uns jetzt verschiedenste Personen auf das Projekt an, welche über diverseste Quellen auf die Eselhilfe aufmerksam geworden sind. Der Tenor ist dabei immer der gleiche: endlich, endlich, endlich nimmt sich jemand der armen Tiere an! Man glaubt gar nicht, wie viele Menschen selbst in einem harten Land wie Mauretanien ein weiches Herz für unsere Mitgeschöpfe haben! Ein Mitbewohner in Sidis Haus, wo wir dankender Weise einmal mehr residieren dürfen, ist aus der Hafenstadt Nouadhibou; vielleicht ergibt sich aus dieser Verbindung einmal eine Möglichkeit, um auch dort zu helfen…

Dr. Facharani und ich bereiten die mitgebrachten Arzneimittel für das Team sowie die Geschenke für jene Eselhalter, welche ihre Tiere besser behandeln, vor; gut hundert Warnwesten haben wir mitgebracht, soooo wichtig, weil die Eselkarren auch oft nachts unterwegs sind und über keinerlei Beleuchtung verfügen (zu diesem Zwecke haben wir auch reflektierende Folien sowie Rückstrahler eingepackt!) und jetzt gilt es, sie alle mittels Marker mit dem Schriftzug ‚www.respektiere.at‘ zu verzieren. Auch die Dutzenden Kappen, als unabdingbarer Schutz vor der Sonne heiß begehrt, erhalten dieselbe Behandlung!
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Am späten Nachmittag wandern wir ein bisschen durch die Stadt, besuchen den großen Markt; Nouakchott ist westlicher geworden, keine Frage, obwohl es sich ganz eindeutig seinen tief-afrikanischen Charakter bewahrt hat.
Es ist auffällig sauberer in der Stadt – natürlich nicht vergleichbar mit mitteleuropäischen Städten, aber als deutlicher Kontrast zu früheren Jahren –  zudem baut China, welches die diesbezüglich internationale Ausschreibung für sich entschieden hatten,  gerade an einem völlig neuen, erweitertem Abwassersystem, was dann auch den Eseln zugutekommen wird: umso mehr Haushalte an das Wassersystem angeschlossen sind, desto weniger Wasser – welches zu den Haushalten zu befördern die Hauptarbeit der armen Tiere ist –  muss auf den Rücken der Grauohren herangeschleppt werden. Weiters gibt es, wir haben es im letzten Jahr schon angesprochen, immer mehr der dreirädrigen ‚Tuk-Tuk‘-Fahrzeuge, wie man sie aus Indien oder Sri Lanka so gut kennt. Die Ambition des Präsidenten: tausende der ‚motorisierten Fahrräder‘, mit Transportraum im Rücken, sind angeschafft worden (in Entwicklungshilfe-Zusammenarbeit mit – Sie werden es schnell erraten – China), sie sollen nach und nach an Eselkarren-Lenker verteilt werden – ein Vorhaben, welches völlig neue Regeln für die geplagten Mitgeschöpfe aufstellen könnte; nur, deren Halter nehmen das ‚Geschenk‘ gar nicht gerne an, Esel wären in der Erhaltung viel billiger, verbrauchen zudem auch kein Benzin, so das Argument…
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Foto: riesige Märkte gibt es im gesamten Stadtgebiet!

Es gibt nun sogar kleine Gärtnereinen in der Stadt, ein sicheres Zeichen für einen Wandel der Gesellschaft, sowie selbst Bankomaten – vor wenigen Monaten wohl noch unvorstellbar – und abertausende neue Geschäfte, wie zum Beispiel ein ‚Haus der Lampen und Leuchten‘… alles kann man plötzlich finden, zwar in der Regel immens teuer, aber es gibt natürlich auch in Nouakchott, wenn auch nur wenige, aber doch, sehr reiche Menschen!

Die USA bauen mitten im Zentrum an einer neuen, überdimensionalen Botschaft; die Sicherheitsvorkehrung wären dort so hoch wie man es noch nirgends zuvor sonst gesehen hätte, so hören wir. Absurd, selbst als noch Sand geschoben worden war, kein Stein aufgesetzt, mussten die Arbeiter beim Betreten des Bauloches peinlichst genaue Untersuchungen über sich ergehen lassen – ja, die Macht aus dem Westen hat viel Unheil gebracht, besonders im arabischen Raum, und die Ernte für die so oft vernichtende Politik spüren die ‚Stars and Stripes‘ seit vielen Jahren…
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Foto: es gibt noch so viel zu tun in Mauretanien; der Schlagstock etwa kommt immer noch viel zu oft zum Einsatz…

Mauretaniens Präsident spricht gerne von Demokratie; selbstredend ist er ein führendes Mitglied des Militärs gewesen, und nichts im Land passiert ohne seine Zustimmung. Sein Wohnort ist übrigens ein mehrere Hektar großer grüner Palast im Stadtzentrum, umgeben von hohen Mauern und noch mehr Soldaten, welche wie Ameisen das Wunderland bewachen. Fotos sind verboten, selbst in der Umgebung; warum wohl? Weil es sich vielleicht nicht so gut macht, wenn ein Mann im völlig übertriebenen Reichtum schwelgt, während 100 000den kein Bissen Brot zum Essen bleibt, mag der Schelm denken…

Übrigens, und das ist auch der Wandel der Zeit, gibt es seit längerer Zeit immer wieder Kundgebungen gegen die Regierung im Stadtzentrum. Auch das ist in Mauretanien möglich und zuallermeist verlaufen sie friedlich.

Der Klimawandel ist auch in Nouakchott allgegenwärtig, die Jahreszeiten sind aus dem Gleichgewicht geraten; so sollte im normalen der Winter auch hier beginnen, natürlich nicht so wie wir ihn aus unseren Gefilden kennen, jedoch auch mit Temperaturen von ‚nur‘ 20 oder 25 Grad zu Jahresende, in der Nacht kann es dann schon mal auf wenige Grad abkühlen – seit wir in der Stadt sind, ist das Thermometer aber selten unter 38 Grad gewandert, und selbst die Nächte sind brütend heiß. Noch immer machen Myriaden von Mücken das Leben für Mensch und Tier gleichermaßen schwer.

Wussten Sie, dass der weltweite Militärapparat rund 1000 Milliarden Dollar im Jahr verschlingt? Dass noch nie ein Krieg, von welch barmherzigen vordergründigen Zielen auch getrieben, den Hunger und die Nöte beenden konnte? Wussten Sie, dass eine wirksame Bekämpfung des Hungers auf der Welt dagegen ‚nur‘, in Anbetracht oben genannter Zahl aber fast lächerliche, rund 20 Milliarden Dollar kosten würde? Dass der Zugang zu Trinkwasser für alle Menschen dieser Welt dieselbe Summe verschlingen würde? Wussten Sie, dass Mauretanien weltweit über die wenigsten Trinkwasserreserven verfügt?
Erkennen Sie die Heucheleien der Mächtigen? Die gewollte, geplante, rücksichtslos durchgeführte Unterdrückung des Schwachen?
Unfassbar, wie viel in der Stadt, die längst aus allen Nähten platzt, gebaut wird! Moderne Bürogebäude, stylische Hochhäuser, alles ist dabei – mit einfachsten Mitteln errichtet, selbst in den 15. Stock werden die Kübel mit Baustoffen immer noch viel zu oft per Seilzug und Handarbeit gebracht.
Der Montag beginnt, wie könne es anders sein, mit strahlendem Sonnenschein; die Temperatur scheint nochmals weiter zugelegt zu haben, und so hatten wir kaum Nachtruhe finden können, derart schwül und drückend waren die vergangenen Stunden gewesen. Daouda kommt uns abholen, wir treffen heute den medizinischen Leiter des Projektes, Dr. Dieng; zusammen mit seinem Assistenten Mohammed, der jetzt auch schon einige Jahre bei uns arbeitet, ist er bereits am Ort des Geschehens. Die Stelle heißt ‚Netag‘, sie liegt in einem der so zahlreichen Außenbezirke. Alleine die Fahrt dorthin ist bereits ein Abenteuer für sich, die Straßen, vielmehr Pisten, sind in unfassbar schlechtem Zustand; wenn es einmal regnet, dann ist es fast unmöglich hierher zu kommen, ist der Bezirk nahezu in sich abschlossen. Die Wege verwandeln sich blitzschnell in Morast, verhindern jegliches Weiterkommen.
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Gegenüber der Wasserstelle ist eine Koranschule, hundert oder mehr Kinder hören gespannt den Ausführungen des Geistlichen zu. Bald aber gilt deren Interesse viel mehr uns, und nach Beendigung des Unterrichts belagern sie förmlich das Team. Sehr interessiert am Fremden stehen wir im Mittelpunkt, zusehends wird dabei aber jede Bewegung schwer. Wir müssen Hände schütteln, Freundlichkeiten werden gewechselt; einfach nur schön!
Die Esel befinden sich in ganz gutem Zustand, es gibt relativ wenige ernste Probleme. Einfache Wundbehandlung reiht meist aus, dazu werden Vitamine verabreicht, ab und dann muss nebenbei ein Antibiotikum oder ein Schmerzstiller gespritzt werden. Manche der Tiere schauen sogar bemerkenswert gut aus, man nimmt wahr, dass ein Umdenken mehr und mehr stattfindet – leider kann man diese Feststellung nicht wirklich verallgemeinern, aber die Tendenz ist doch eindeutig! Wie wunderschön zu wissen, wir haben hier in den 10 Jahren unseres Wirkens wirklich Unmöglich scheinendes zumindest in den Bereich des Möglichen gebracht!
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Fotos, Reihe 1: unsere Warnwesten finden immer begeisterten Absatz – und sie sind soooo wichtig! Reihe 2, links: Dr. Facharani und Tom vor dem allgegenwärtigen RespekTiere-‚Nicht Schlagen‘-Schild; links: Mohammed und Dr. dieng bei der Hufarbeit; Reihe 3, links: Dr. Facharani bringt unsere Aufkleber an; rechts: Dr. Dieng behandelt eine schlimme Wunde; unten: Dr. Facharani hat Leckereien für die Esel mitgebracht – nur, oft kennen diese eine solche gar Zuneigungsgeste nicht udn es dauert, bis sie merken, man will ihnen nur Gutes…

Natürlich belohnen wir mit großem Aufsehen – das ist sehr wichtig! – jene Eselhalter, deren Tiere am besten aussehen. Warnwesten sind sehr begehrt, dazu auch die Schirmkappen, ein paar Sonnenbrillen – und nicht zu vergessen, die Rückstrahler, sowie stark reflektierende Folien, welche wir auf die Rückansicht der Wasserfässer kleben. Manchmal gilt es auch seinen Standpunkt zu vertreten, und deshalb, auch wenn so etwas nicht immer ganz einfach ist, muss man zu Eselhaltern, deren Esel nicht so gut aussehen, auch ein klare ‚Nein‘ sagen können, sich dann der unausweichlichen Diskussion stellen, um letztendlich zum Schluss zu kommen: wir werden wieder hierher kommen, beim nächsten Mal, und dann bekommt ihr ebenfalls Geschenke, wenn wir merken, ihr habt Euch in den vergangenen Monaten gut um eure BegleiterInnen gekümmert…

Letztendlich wird der Andrang von Kindern derart groß, dass wir unsere Sachen zusammenpacken und eine weitere Wasserstelle aufsuchen. Die Kinder laufen noch lange hinter dem Auto her, versuchen, durch die geöffnete Fensterscheibe unsere Hände zu schütteln!
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Nun besuchen wir die ‚Mali‘-Wasserstelle – vielleicht erinnern Sie sich, dort waren die Esel immer in besonders schlechtem Zustand; warum? Weil dort Menschen, der Name verrät es, aus Mali arbeiten, Gastarbeiter, welche für ihren kurzen Aufenthalt – meist um die 6 Monate – Esel mieten. Nun nimmt das Schicksal seinen Lauf, denn die Eselhalter versuchen für die nächsten Wochen so viel Geld als möglich zu verdienen, das Schicksal der Tiere selbst wird dabei nebensächlich.
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Foto: Teamarbeit pur!

Aber auch dort sind wir schließlich positiv überrascht – es muss erwähnt werden, viele der Tiere haben Wunden, mehr als an anderen Stellen, aber so schlimm wie es noch 2 Jahre zurück war, ist die Situation bei weitem nicht mehr! Tatsächlich laufe ich extra zum Auto zurück, um die letzte, dann persönliche Kappe zu holen, um sie einen jungen Mann zu überreichen, der seinen Esel immer wieder liebkost – der hat dann keine einzige noch so kleine Wunde, sieht wirklich gut aus! Auch jetzt wiederholt sich das alte Spiel: die anderen Eselhalter versammeln sich um uns, und wir erklären lag und breit warum gerade der die Kappe bekommt!

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Leider muss auch ein schwerer Eingriff vorgenommen werden – ein Esel hat einen bösen Abszess, hervorgerufen durch wiederholtes Schlagen auf dieselbe Stelle; die Schwellung wird von Dr. Dieng oben und unten geöffnet, eine Drainage gemacht, peinlich genau gereinigt, desinfiziert und letztendlich wird ein Antibiotikum verabreicht. Es ist einfach unfassbar, was diese so wunderbaren Tiere über sich ergehen lassen, fast ohne Gegenwehr. Sie fügen sich einfach dem Unvermeidlichen. Gott, könnten wir nur allen hier helfen…
Ein junger Mann bringt einen Esel mit einer schrecklichen Kopfwunde – ein tiefes Loch hat die Schädelplatte gespalten, hervorgerufen durch einen Zusammenstoß mit einem scharfkantigen Gegenstand. Allerdings, so meinen die Ärzte Dr. Dieng und Dr. Facharani gleichermaßen, die Verletzung schaut zwar furchtbar aus, aber sie wird schnell und gut verheilen!
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Am frühen Nachmittag gibt es ein weiteres Teammeeting, dieses Mal mit Dr. Dieng und Mohammed. Wir besprechen Probleme, erstellen neue Einsatzpläne und beraten über einen Umbau der Teams, um wieder einmal ‚frisches‘ Blut in die Gruppe reinzubekommen. So wird in Zukunft Dr. Dieng mit Moussa seine Tour fahren, Mohammed wird Zappa begleiten. 
Es ist einfach nur großartig, wie die Verständigung passiert; jetzt, nachdem wir schon mehrere Jahre mit denselben Leuten arbeiten, ist vieles so viel einfacher als früher, wo es doch einen regen Austausch von Mitarbeitern gegeben hat. Das Vertrauen ist da, mehr als das, es sind echte Freundschaften, die wir aufgebaut haben; erstmals gibt es das Gefühl, jeder hier möchte sich einbringen, die Einsätze vorantreiben – und es stolz darauf, in diesem Team zu arbeiten!
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Foto: Teamarbeit ist das Zauberwort – unter der Anleitung der fachkundigen Ärzte wird Erlerntes schnell praktisch umgesetzt!

Am Nachmittag kommt unser Gastgeber, Sidi, zurück; er ist Touristenführer, und ja, immer wieder finden sich Menschen aus Europa, welche eine solche Individualreise in die Wüste buchen (viele sind es nicht, gehört Mauretanien doch zu den 10 ‚am wenigsten besuchten Ländern der Welt‘…). Sehr erfreut erzählt er uns auch sofort: er ist mit zwei ÖsterreicherInnen unterwegs, welche RespekTiere schon von den Hundehilfsfahrten kennen und uns morgen sehr gerne zur Wasserstelle begleiten würden – wie klein die Welt doch ist! Wir freuen uns, es ist immer besonders nett und motivierend, Menschen direkt das Projekt vorstellen zu können!

Sidi erzählt davon, wie die Esel Überland gehalten werden würden; überhaupt kein Vergleich zu Nouakchott, meint er, allesamt würden die Menschen den Tieren großen Respekt erweisen, und wer einen Esel schlägt, der würde durch die Gemeinschaft dieselbe Strafe bekommen! Die Tiere wären niemals überlastet, ihre Aufgabe ist der Transport von Wasser, aber mehr als ein paar Kanister müssten sie dann nicht schleppen – hier sind es 400 Liter, mindestens…  man würde auch keine Verletzungen sehen, im Gegenteil, die Esel wären alle sehr kräftig und völlig gesund.
Am Abend gehen wir noch ein paar Dinge besorgen; dabei treffen wir auf einen Mann – es passierte auf dieser Reise ein Dutzend Mal – der mit uns bezüglich der Esel ins Gespräch kommt. Mit großer Freude hört er vom Projekt, will sofort nähere Infos – wir überreichen den französisch-sprachigen RespekTiere-Flyer. Welche Schande es sei, dass die Esel derart gequält werden, wie stolz er darauf sei, dass es Organisationen wie die unsere gibt – und auch er erzählt vom großen Hunger aus China nach Eselfleisch, und davon, dass die Ausfuhr bald verboten werden würde – hoffentlich sehr bald…
Die Nacht ist wieder eine glühend heiße; sogar MauretanierInnen selbst klagen ob der großen Hitze; so erzählte uns Sidi gestern, dass in den letzten Wochen knapp außerhalb der Stadt kilometerlange Autoschlangen auf der Küstenstraße in Richtung der Hafenmetropole Nouadhibou am Straßenrand parkten, weil StadtbewohnerInnen vor der drückenden Schwüle geflüchtet waren, nur um im Freien entlang des endlosen Strandes im Freien, wo ständig eine leichte Brise weht, zu übernachten!
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Foto: Dr. Matthias Facharani und Tom im Gespräch mit den bieden jungen Frauen aus Innsbruck – wir haben uns sehr über das große Interesse von Yvonne und Nora gefreut!!!

Früh morgens, es ist Dienstag, klopft es am Eingangstor – jene 2 junge Frauen aus Österreich, genauer aus Innsbruck, Sidis Gäste, warten schon auf uns und gemeinsam, zu sechst im Auto, geht es zur heutigen Wasserstelle! Sie werden nun vielleicht fragen, 6 Personen in einem Auto? Kein Problem in einem Land wie Mauretanien, wo oft Dutzende in einem normalen Mercedes Sprinter Platz nehmen, der dann noch dazu völlig demoliert wirkt, oft ohne jede Glasscheibe, mit abgebrochenen Seitenspiegeln, sich zusätzlich durch handtellergroße Löcher in der Karosserie und das Fehlen der Stoßstangen – und noch schlimmer, der Scheinwerfer – auszeichnet… Überhaupt, da es keine Plakette oder regelmäßige Überprüfung der Fahrzeuge gibt, bewegen sich die unglaublichsten Gefährte im Verkehr, manche derart schrottreif, dass sie wohl nicht einmal bei einem Autofriedhof Aufnahme finden würden.

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Dr. Dieng lenkt den Wagen mit großer Sicherheit durch den ausufernden Verkehr, aber der Weg zum Randbezirk ist ein richtig weiter. Auf halber Strecke bleiben wir kurz stehen; dort im Nirgendwo ist ein regelrechter Eselfriedhof, gleich neben der Straße liegen ein Dutzend der Tiere, abgeladen wie Abfall. Sie verwesen unbemerkt von der Gesellschaft, die sich auch nicht am Geruch stört – so etwas ist hier einfachste Normalität. Die Tiere liegen nebeneinander, manche übereinander, so wie sie gefallen sind. Von den Elementen zernagt, unwiederbringlich, das Leben erloschen im Wüstensand. Unbeweinte Kreatur, die Menschen drehen sich nicht einmal um nach ihnen, ja, sie registrieren die Tragödie nicht ansatzweise. Manche der Toten sind mumifiziert, andere als bloße Gerippe, darunter dann auch einige offensichtliche Neuankömmlinge, die aussehen, als ob sie in grotesker Haltung nur schlafen würden. Ein Hund liegt darunter, selbst im Tod noch verraten und nicht unter seinesgleichen… Das Land ringsum wirkt verdammt; Rauchschwaden ziehen über den Horizont, der Boden steinhart ausgedörrt; Wasserpfützen breiten sich aus, brackiges, schmutziges Etwas, überlagert mit Müll. Einst standen hier Mauern, warum auch immer, aber selbst diese sind, nicht anders wie die sterbliche Materie, dem Verfall preisgegeben. Nur mehr Gerippe sind übrig geblieben vom einstigen Bollwerk, Vergänglichkeit pur…

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Schweigsamer als sonst steigen wir ins Auto zurück; dem Himmel sei Dank erreichen wir den Arbeitsort dann sehr schnell, und die Ablenkung tut dem Geiste gut. Es gibt hier im normalen viele, viele Esel, inmitten eines Armenviertels, welches ‚Weißes Haus‘ genannt wird; heute, als Tribut an die sengende Hitze vielleicht, sind nicht ganz so viele da, aber dennoch genug, sodass wir bald erneut alle Hände voll zu tun haben. Die beiden Frauen kleben die ‚Nicht-Schlagen‘-Aufkleber an die Wasserfässer, Dr. Facharani behandelt einige Verletzte, ich konzentriere mich einmal mehr auf die so wichtige Entwurmung der Tiere. Das Schöne: auch hier sehen die Esel durchwegs besser aus, das Verständnis der Menschen für die Mitgeschöpfe ist ganz offensichtlich ein wachsendes. Der Samen ist gesät, seinen wir gespannt wohin der Weg in den nächsten Jahren führen wird!
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Eine neue Luftpumpe haben wir mitgebracht, die kommt gleich einmal zum ersten Einsatz! Auch solche Dinge sind enorm wichtig, eigentlich ist deren Wirkung gar nicht hoch genug einzuschätzen, denn die Eselkarren werden mit normalen Autoreifen versehen. Sind diese aber luftleer, Sie können sich bestimmt vorstellen, um wieviel der Kraftaufwand für die armen Esel gesteigert ist, um sie durch den Wüstensand zu ziehen…
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Auch an der Wasserstelle zeichnen wir einige der Eselhalter aus – besonders ein älterer Mann zeigt sich sehr, sehr begeistert von unserer Arbeit, er hat mehrere Esel für sich arbeiten und allesamt scheint er sie wirklich zu respektieren. Kaum eine Wunde ist an deren Körpern zu sehen, und sein Bemühen dass das so bleibt ist ein offensichtliches!
Aber auch hier gibt es wieder einen besonders schlimmen Fall: einem Esel wurde ein Ohr einfach abgeschnitten (Eselhalter ritzen, schneiden, verstümmel auf verschiedesnte Weise, um ihr Tier gegen Diebstahl zu kennzeichnen; dem Himmel sei Dank ist diese Praxis deutlich zurück gegangen), die Wunde dann verbrannt. Natürlich hat sie sich später entzündet, Dr. Dieng leistet erste Hilfe…
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Später kommt ein alter Mann auf uns zu; es stellt sich heraus, er ist Englischlehrer an einer nahen Schule. Der Gute bedankt sich aus vollem Herzen für unseren so wichtigen Einsatz, er ist tatsächlich den Tränen nahe. Gerne würde er uns bei allen allfälligen Übersetzungsarbeiten helfen, so existenziell wäre es, dass der Tierschutzgedanke weiter fortgesetzt und ein erblühender ist…

Ich hoffe inständig, die beiden Frauen, Yvonne und Nora, sind restlos von der Wichtigkeit der RespekTiere-Eselklinik überzeugt und werden auch zurück zu Hause über die Bedeutung des Projektes gute Worte verlieren!
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Am Nachmittag sind wieder verschiedene Treffen mit allerlei Menschen angesagt, welche uns bei der Arbeit weiterhelfen können. Das Bestreben, auch dieses geistige, ist allerdings ein schwieriges, weil die Temperaturen geradezu unglaubliche Werte erreichen. Es ist extrem trocken, selbst für die Einheimischen viel zu heiß, und auch die Tiere leiden selbstredend an der für die Jahreszeit höchst ungewöhnlichen Hitze.
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Foto: Dr. Dieng, Tom, Dr. Facharani und Mohammed, umgeben von Eselhaltern!

Der Abend bringt dann endlich ein wenig Abkühlung. Es weht eine leichte Brise, welche das Atmen wesentlich angenehmer macht. Tatsächlich soll es die erste durchschlafene Nacht werden, ohne das ständige Aufwachen ob der wirklich kaum erträglichen Hitze.

Der Morgen beginnt wie immer viel zu schnell; ein hastiges Frühstück, das wunderbare mauretanische Brot mit etwas Margarine und Marmelade, dann geht es auch schon wieder los. Heute ist der Strand angesagt, wo Zappa und Moussa jeden Mittwoch arbeiten. Die Fahrt dahin nötigt uns eine gute halbe Stunde ab, aber dann umschließen uns auch schon die typischen Gerüche des Fischmarktes. Auffällig ist sofort, noch mehr der einheimischen Fischerboote als sonst sind am Strand verankert, verblassen in der gleisenden Sonne. Es ist unsagbar traurig, Mauretanien mit einer der fischreichsten Küsten der Welt gesegnet, aber den ganzen Profit daraus schöpfen internationale Fangflotten am offenen Meer ab. Kaum eines der Meerestiere findet nun den Weg bis in Strandnähe, weiter hinaus können sich die kleinen Boote der lokalen Fischer nicht wagen – die Gefahren auf dem Meer sind mannigfaltig, aber vor allem ist das Zunahekommen der stählernen Giganten aus Europa und Asien auf den Nussschalen lebensgefährlich. Nirgends sonst werden die Warnungen des Schweizer Menschenrechtkämpfers Jean Ziegler deutlicher in der Realität als hier; der ‚Hass auf den Westen‘ ist wahrlich kein unbegründeter…
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Zappa und Moussa sind bereits fleißig am Arbeiten. Das Hauptproblem für die Esel an diese Ort stellen Huferkrankungen dar, hervorgerufen durch den tiefen Sand und wohl auch durch das Salzwasser, wo die armen Tiere oft bis zur Hüfte darin stehen. Die körperlichen Anstrengungen sind ebenfalls enorme, gesteigerte, müssen sie doch auch hier extreme Gewichte schleppen – dann aber nicht über Asphalt, sondern durch Sanddünen…
Dennoch sind selbst am Fischmarkt die Verletzungen zurückgegangen; ein Fakt aber, der die Freude über die Feststellung ein bisschen bremst, ist augenscheinlich: allesamt sind die Grauohren viel nervöser als sonst wo, sehr scheu und dementsprechend schwierig zu handhaben. Zappa mit all seiner Routine ist ein Fels in der Brandung; er schafft es mit großer Kraftanstrengung, selbst den wildesten Esel zu besänftigen, was uns sehr zu Gute kommt. Eines der Tiere, ich möchte ihm gerade die Entwurmung oral verabreichen, schlägt plötzlich heftig aus, steigt in die Luft, trifft mich mit dem Vorderbein in der Schultergegend. Ich habe aber großes Glück, und bis auf einen blauen Fleck bleiben keine Blessuren zurück; dennoch, ein ernstes Zeichen für uns, noch mehr Vorsicht walten zu lassen!
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 Foto, unten rechts: unser unentbehrlicher Mitarbeiter Daouda!
Von Entspannung ob der vergleichsweise wenigeren Verletzungen zu sprechen wäre aber vermessen; sehr viele der Tiere, noch immer viel zu viele, leiden an den typischen Schlagwunden, denn die Menschen am Strand gehen äußerst streng und ungerecht mit den Eseln um. Das eine oder andere Mal muss man sich schon sehr zurück nehmen, um nicht einen ernsten Streit vom Zaun zu brechen; aber wem würde ein solcher denn helfen? Wäre er nicht nur für die eigene Befindlichkeit von Wert, ein Ventil der eigenen Wut, würde aber auf das Schicksal der Tiere keinerlei Veränderung hervorrufen? Nicht nur das, eine ernste Konfrontation würde die zukünftige Arbeit bestimmt schwer behindern, könnte sehr schnell die Ohren der Eselhalter für immer verschließen. Nein, nur mit ständigem Vorzeigen und mit versuchter Vorbildwirkung kann ein Ziel erreicht werden, besonders dann, wenn man die hiesige Mentalität auch nur ein bisschen kennt!
Zappas Arbeit ist eine enorm schwere; wie er damit umgeht, es ist einfach sensationell. Ganz sicher, er war unsere Entdeckung für das Projekt schlechthin – nie, nie, nie hätten wir einen besseren Mann für diese Art von Hilfestellung finden können! Und wer mag es bezweifeln – Hufe in gutem Zustand, sie sind das Um und Auf, wahrscheinlich sogar noch wichtiger oder zumindest genau so wie die Wundbehandlung selbst (vielleicht erinnern Sie sich: RespekTiere war es, das den Beruf des Hufschmiedes überhaupt erst in Mauretanien eingeführt hat)!
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Foto: Zappa im Einsatz!

Auch Moussa leistet natürlich Großes; er hat sich etabliert als angelernter Veterinär, macht selbst kompliziertere Eingriffe, weiß immer auf Anhieb was denn zu tun ist. Mitarbeiter wie die beiden, sie sind so etwas von unersetzlich für ‚Esel in Mauretanien‘, überhaupt keine Frage.

Wir bleiben länger am Strand als erwartet; der Zustrom von Eselhaltern ist ein enormer, letztendlich verteilen wir auch wieder einige Warnwesten und Kappen.
Doch dann drängt die Zeit – wir müssen heute auch noch zu Dr. Dieng und Mohammed, die an einer anderen Stelle arbeiten. Tatsächlich findet sich bald eine Fahrgelegenheit und wenig später sind wir auch schon wieder im Stadtzentrum. Die Wasserstelle im Bezirk Premiere ist eine unserer ältesten, zentral gelegen und immer höchst frequentiert. Außerdem befindet sich ganz in der Nähe eine Schule, sodass immer auch Kinder begeistert zuhören und vom Team über das richtige Verhalten als Tierhalter aufgeklärt werden können.
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Foto: auch Pferde wollen behandelt werden!

Allein die Eselhalter selbst sind, besonders an jenem Ort, etwas ‚komischer‘ als sonst wo; sie umlagern die Mitarbeiter, ständig zieht jemand am Ärmel, pfeift, um auf sich und sein Tier aufmerksam zu machen. Nicht auf die angenehme Art, viel mehr von Oben herab, warum auch immer. So ein Verhalten kann dann doch eine Belastungsprobe für die Nerven darstellen; besonders stressig wird die Situation, wenn man dann noch Menschen auszeichnet, welche ihre Esel gut behandeln und andere auf das nächste Jahr vertröstet, weil deren Tiere eben eindeutige Schlagwunden aufweisen.

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Foto: Dr. Facharani bei einer unserer wichtigsten Aufgaben: der Sensibilisierung der Kinder!

Wieder gibt es einen Esel mit einem schlimmen Abszess; es schaut für den/die BetrachterIn wahrlich nicht schön aus, wenn die Tiere zu Boden gebracht werden, drei, viel Menschen mit aller Kraft die Exkremente festhalten und der Doktor seine Arbeit beginnt. Allerdings – was sind die Alternativen? Es gibt sie nicht! Man muss mit jenen Mitteln arbeiten, welche zur Verfügung stehen, es hilft alles nichts. Und ein derartiger Feldeinsatz ist wirklich mit nichts anderem zu vergleichen, Improvisation und hohes Fachwissen sind die Kunst zum Überleben!

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Letztendlich packen wir unsere Sachen zusammen; das hier war mit Abstand der anstrengendste Behandlungsort, jener mit den meist verletzten Tieren. Wir wollen in naher Zukunft ein paar der Einsatzorte tauschen, aber dieser hier, der wird uns wohl noch lange erhalten bleiben…
Die Temperaturen legen nach einem eher bescheidenen Morgen dann wieder kräftig zu; es ist nicht mehr ganz so drückend heiß wie zuletzt, aber für Mitteleuropäer wohl immer noch grenzwertig.
Am späteren Nachmittag, wir sitzen gerade in Diskussionen vertieft, kommen die beiden österreichischen Frauen von ihrem Ausflug in den nördlichen Nationalpark zurück. Es bleibt ein bisschen Zeit für ein nettes Gespräch, wo sich dann herausstellt, eine davon hatte von der gestrigen Wasserstelle geträumt, ein purer Albtraum, und zwar war jener Esel in ihren Schlaf gekrochen, welchem ein Ohr abgeschnitten, die Wunde anschließend einfach ausgebrannt worden war – Sie sehen, wie belastend derartig (im wahrsten Wortsinne) einschneidende Erlebnisse sein können!
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Foto: Warnwesten sind ein begehrtes Gut in Nouakchott! Wir weiteten unser Programm aus und begannen damit, solche auch an RollstuhlfahrerInnen zu verteilen, welche es leider sehr viele gibt – allesamt haben behinderte Menschen von der mauretanischen Regierung nichts zu erwarten und müssen deshalb auf der Straße um Geld bitten… die Rollstühle sind, so wie die Eselkarren, des Nachts völlig unbeleuchtet!

In Nouakchott gibt es an jeder Ecke einen ‚Tante Emma‘-Laden, wie wir sie früher auch bei uns kannte – die älteren Generationen werden sich bestimmt noch an diese Kleinstgeschäfte erinnern. Shops, wo man vom Gemüse über die Zigaretten, von den Hygieneartikeln bis zum Brot einfach (fast) alles kaufen kann. Es erschaunt uns aus der Wohlstandsgesellschaft immer wieder, dass man z. B. auch die besagten Zigaretten – obwohl die Packung der ortsüblichen ‚Congress‘, der Hauptmarke, mit 70 Cent (für unsere Verhältnisse) relativ billig sind – auch einzeln erstehen kann, dann pro Stück um etwa 4 Cent. Ebenso verhält es sich auch mit Teebeuteln, ca. 2,5 Cent, und den meisten anderen Gebrauchsgütern. Klopapierrollen etwa, oder auch Aufstreichkäse, jenen, der in ‚Ecken‘ angeboten wird; der Brotpreis, üblich sind baguett-ähnliche Weissbrote, ist staatlich geregelt, die ‚Stange‘ kostet – überall gleich – 100 Ouguiya, also etwa 25 Cent. Nebenbei, sehr oft kommt man in einen solchen Laden und findet den Besitzer (Frauen führen die Geschäfte nicht) betend vor; natürlich stört man in solchen Momenten nicht, man wartet einfach ab, bis sich der Inhaber von seinem Teppich erhebt. Können Sie sich so etwas auch in unseren Ländern vorstellen? Ganz ehrlich, manches Mal wünsche ich mir eine derartige Gelassenheit, Ruhe, sehnlichst zurück…
Apropos Frauen: Mauretaniens Frauen führen, anders als in vielen arabischen und afrikanischen Ländern sonst, ein sehr freies und selbstbestimmtes Leben. Manche behaupten sogar, in Wahrheit führen sie sämtliche Geschäfte und bestimmen die Richtung des täglichen Lebens. 🙂

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Am Abend sitzen wir noch lange mit Daouda im ‚Cafe Algier‘; es ist ein netter Ort, einer jener, der – so etwas gibt es auch im fernen Wüstenland – kostenloses WiFi anbietet! Wenige Tische stehen direkt an der Straße, hoch frequentiert von arabischen Männern (auch diesbezüglich gilt: Frauen sieht man kaum in Lokalen), besonders dann, wenn die nationale Lieblingsmannschaft ‚Barcelona‘ ein Spiel hat: die Übertragung artet sehr schnell zum Volksfest aus, Dutzende Männer sitzen vor einzelnen kleinen Fernsehern, quer durch die ganze Stadt!
Noch gilt es allerhand zu besorgen, Draht für das Anbringen der Warndreiecke an den Eselkarren etwa, oder Pinsel für eine Hufmasse, welche vor dem Eindringen von Keimen konserviert, und ganz wichtig: Augensalben, denn die meisten der Tiere leiden an derartigen Problemen, geschuldet dem Wind und in Folge dem an manchen Tagen die Luft verdunkelten ‚fliegenden‘ Sand.
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Foto: der Draht leistet uns gute Dienste – wir befestigen damit, im Bild Dr. Matthias Facharani, die Rückstrahler an den ansonsten unbeleuchteten Eselkarren!

Die Nacht ist erneut keine ruhige; eine setsame Nervosität schleicht sich besonders bei den Hunden ein, es gibt ein lautes Gebelle im halb-Stundentakt. Irgendwo in der Straße dürfte auch ein Husky wohnen, jedenfalls stimmt der mit lautem Geheule, so als ob ein Wolfsrudel sich in die Wüste verlaufen hätte, in den allabendlichen Chor mit ein. Die Temperatur ist unverändert drückend, obwohl nun zumindest ab und dann ein leichter Wind zumindest ein bisschen Abkühlung bringt.

Am Nachthimmel ‚liegt‘ der flaggengebende Mond Mauretaniens, einer wunderschön geformten Sichel gleich. Anders als bei uns, wo deren Enden doch nach oben und unten zeigen, weisen sie hier nach rechts und links. Der Anblick ist zumindest anfangs ein irritierender, einer Vorankündigung einer nahenden Apokalypse gleich –   doch bald gewohnt man sich an die seltsame Form und findet nichts mehr an ihr beuhruhigend.
Der neue Tag beginnt gleich mit einer Katastrophe. Dr. Dieng holt uns ab, er ruft zur Eile auf, ein Esel wäre von einem Auto angefahren worden. Sofort starten wir los, doch als wir den Ort endlich erreichen, ist das arme Tier bereits tot. Es liegt mit aufgerissenem Bauch im Sand, die Menschen rundherum gehen ihrem Alltag nach, das stille Sterben scheint unbemerkt passiert. Wie viele Schmerzen der Esel wohl erlitten hat, es lässt sich nicht einmal erahnen. Seine Gedärme haben allesamt den Bauchraum verlassen, so als ob sie sich in sichere Gefilde retten wollten. Einfach nur schrecklich! Dr. Facharani meint, es hätte keinen Unterschied gemacht, selbst wenn wir beim Unfall unmittelbar anwesend gewesen wären, wir hätten den Esel nicht mehr retten können. In Fakt, so stellt er fest, selbst in Mitteleuropa stünde nach einer derartigen Verletzung selbst bei günstigstem Verlauf und schnellster Reaktion das Schicksal eines solchen Patienten auf des Messers Schneide.
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Foto: der Schock ist den Menschen ins Gesicht geschrieben…

Anders als früher wird der tote Esel relativ schnell weggebracht; noch vor 2 Jahren wäre er fast bis zur Verwesung an seinem Platz belassen worden.
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Wir sind natürlich tief betroffen, betrübt; aber es hilft alles nichts – schließlich sind wir zum Arbeiten hier und nicht zum Trauern. Dafür, für die Aufarbeitung solcher Geschehnisse, ist später Zeit, wird man sich diese nehmen müssen, ob man möchte oder nicht.
Schnell packen wir unsere Gerätschaften aus, und schon sind wir wieder mittendrinn im Getrubel. Dutzende Esel warten auf Behandlung, und wir enttäuschen sie nicht. Es gibt hier viele Verletzungen zu behandeln, besonders Wunden, welche durch das ständige Scheuern mittels unzureichender Polsterung entstanden sind. Heilen tun solche dann nur schlecht, wie denn auch, wenn sofort wieder schwerstes Gewicht die misshandelten Stellen belastet.
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 Foto: Dr. Facharani und Mohammed bei der Hufarbeit!
Einige Kinder sehen mit großer Aufmerksamkeit zu; wir schenken ihnen Baseball-Mützen, ihre Freude darüber ist eine riesengroße. Auch Stofftiere haben wir mitgebracht, und ein Junge fragt mehrere Male nach, ob das Geschenkte denn nun wirklich für ihn sei. Als wir immer wieder versichern der kleine Bär (besonders herzlichen Dank an dieser Stelle an die Frau Jasmin Lorch, welche uns immer wieder mit ‚Donkey-Care-Paketen‘ versorgt!!!) wäre nun seiner, meint er: Wäre es ein Problem, wenn ich ihn meiner kleinen Schwester bringen würde?
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Auch die gestern erst gekauften Augensalben kommen gleich zum Einsatz; und natürlich montieren wir wieder Dutzende Rückstrahler auf die verrosteten Wagen, zur allgemeinen Freude und Sicherheit!
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Gegen 11 verlassen wir die Wasserstelle; wir fahren weiter zu Zappa und Moussa, welche am ‚Hühnermarkt‘ arbeiten. Dort ist heute aber nicht so viel los, trotzdem kommen wir mit dem Entwurmen der Esel kaum nach. Wieder gibt es einige sehr widerspenstige,  und erneut trifft mich ein plötzliche Ausbruch – ein kleinerer Esel, dem Himmel sei Dank, schlägt wild um sich, gerade als ich zu einem Tier daneben gehen möchte. Ich kann den Hufschlägen nicht mehr wirklich ausweichen und so trage ich eine weitere, nun doch recht schmerzhafte, Blessur an den Oberschenkeln davon.
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Foto: Esel können durchaus wehrhaft sein!

Schön ist, wir verkleben natürlich wieder hunderte ‚Bitte nicht schlagen‘-Aufkleber mit der Koran-Sure. Immer scharen sich die Menschen darum und betrachten die eindrücklichen Bilder. Heute bleibt sogar eine junge Frau stehen, sieht sich das Bild lange an und beginnt plötzlich die Eselhalter aufzuklären, erzählt vom Sinn der Abbildung und dass die Zeit für ein Umdenken längst angebrochen wäre!

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Dr. Facharani und ich gehen zu Fuß zurück zu unserer Herberge, wie wir es schon oft getan haben. Heute aber tun wir es mit großer Aufmerksamkeit, weil der Weg direkt durch den Markt führt – Schwarzafrika pur! Ein Gewimmel von Autos, Zelten, Menschen irgendwo dazwischen, toten Fischen an hunderten Ständen, Gewürzen, Kochtöpfen; Abgase verpesten die Luft, sodass man nach Atem ringt. Überall sind Käfige mit den namensgebenden Vögeln, Hühnern (Chicken Market), Puten, Enten, Tauben – allesamt auf engem Raum gedrängt, stehend auf rostigem Blech, ohne Wasser, die Schnäbel weit geöffnet ob des Durstes und des Horrors ringsum. Wird einer der Armen gekauft, sein Schicksal erfüllt sich an Ort und Stelle. Es ist ein gnadenloses Land, gnadenlos zu Mensch und Tier…
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Auf halbem Weg, bei gefühlten trockenen 40 Grad, bleiben wir in einem der so zahlreichen  kleinen Gaststätten stehen; der Durst zwingt uns dazu! Ein eisgekühltes Coca Cola (kostet im Lokal um die 60 Cent), ein Sitzplatz im Schatten, ringsherum orientalisches Flair. Irgendwo ruft einer der tausenden Muezzins zum Gebet auf, die Menschen in Gesprächen versunken – Zeit ist hier kaum ein Faktor, spielt eine bloß untergeordnete Rolle. Das spürt man besonders schmerzlich, wenn man halb verdurstet auf die lebensrettende Flüssigkeit wartet… und wartet… und wartet…

Am späteren Nachmittag ist eine Teamsitzung angesetzt; die gesamte Mannschaft trifft sich bei uns, wir diskutieren über die Arbeit, über Möglichkeiten zur Verbesserung, über die Moral und über Gott, besser Allah, und die Welt. Am Ende ist jedermann zufrieden; die Mitarbeiter wissen, wir nehmen ihre Sorgen ernst, und für uns vermittelt das Zusammentreffen ein schönes Gefühl der Gemeinschaftlichkeit!
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Foto: Dr. Dieng, Daouda, Moussa, Dr. Facharani, Zappa, Mohammend; vorne kniend Tom

Am frühen Abend bringt der Nachtwächter wieder, wie jeden Tag, Pfefferminztee, eine lokale Notwendigkeit. Alleine die Zubereitung ist eine sehenswerte Zeremonie, schmecken tut das zuckersüße Heißgetränkt dann auch noch wunderbar. Gekocht hat der gute Mann ebenfalls, leider ist das Gericht mit Schaffleisch versehen. So fällt es uns vom Herzen schwer das angebotene Mahl später an die Haushunde verfüttern zu müssen – aber egal wie oft man es auch sagt, der Vegetarismus – und noch viel weniger der Veganismus – ist hier nicht angekommen, wird es wohl die nächsten 10 Jahre auch nicht tun… 

Freitag: langsam neigt sich der Mauretanien-Einsatz dem Ende zu. Es ist der Gebetstag, die Straßen sind sehr viel leerer als sonst, die normale allgemeine Hektik kaum zu spüren. Wir fahren zur Wasserstelle, wo Zappa und Moussa arbeiten; auch diesen Platz ‚besetzen‘ wir seid einigen Jahren, er ist ein wichtiger, liegt er doch genau an der Verbindungsstraße zwischen verschiedenen Haupt-Eseleinsatzgebieten!
Ein alter Mitsubishi Pajero verrottet in einer Ecke vor sich hin, von Sand halb begraben; seit wir an dieser Stelle sind hat noch jemand versucht den Wagen zu entfernen, kommt es mir in den Sinn. An seiner Felge ist ein Esel angebunden, furchtbar eng, mit kaum Bewegungsfreiheit. Noch dazu steht das arme Tier in der prallen Sonne, sein Halter ist irgendwo im Nirgendwo verschwunden. Wir bringen dem Esel Wasser, dann versuchen wir ihn zu entwurmen, was sich allerdings schnell als echte Herausforderung darstellt, denn er wehrt sich aus Leibeskräften gegen die so wichtige Prozedur.
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Nach und nach kommen nun mehr Eselhalter, und bald sind wir wieder mittendrinnen im alltäglichen Wahnsinn. Schön ist, auch diese Esel sehen allesamt ganz gut aus, haben weniger Schlagwunden und wirken insgesamt fitter. Freilich, es sind dann auch wieder viele, die so ganz und gar nicht behandelt werden wollen, sofort bei der leisesten Berührung in die Luft steigen, nach den Helfern treten. Doch alles geht gut, wir montieren viele Warn-Rücklichter, welche immer mit großer Freude angenommen werden. Hie und da liegt nun sogar eine Wassermelone zu Füßen der Tiere, ein weiteres Zeichen, das ein vorsichtiges Umdenken ist im Gange! 🙂

Gegen 10 kommt Dr. Dieng. Wir haben noch so einiges zu erledigen, zuallererst müssen die Gehälter geholt werden, sowie das Geld für den Einkauf der Medikamente – dieses überweisen wir immer an ein bestimmtes Hotel, in Euro, wo die Summe dann in die landeseigene Währung getauscht wird. Bisher hat das immer gut geklappt, aber seit mehreren Wochen ziert sich der Betreiber aus irgendeinem Grunde. Immer zahlt er verspätet aus, und so müssen wir nun nach neuen Wegen für die Sendung von Geldbeträgen suchen. Letztendlich sind wir ganz froh, dass es zumindest für heute wieder geklappt hat, die Anzeichen waren nicht ganz so gut. In einem dunklen, etwas herabgekommenen Hinterzimmer mit zerborstenen Möbeln, ganz wie in einem James-Bond-Film, erfolgt die Übergabe; hier würden wahrscheinlich auch Auftragsmorde ausgehandelt, zumindest könnte der Raum heirfür als Filmkulisse dienen, so bizarr erscheint die Szenerie. Wie alles in Mauretanien dauert die Prozedur des Umtauschs dann seine Zeit; man spricht hier nicht umsonst von der ‚Mauretanien Time‘, wo jeglicher Stressfaktor – manches mal schön, aber  oft auch sehr zum Unmut für MitteleuropäerInnen, deren Gesellschaft anderes, direkteres und vor allem schnelleres Gebaren gewohnt ist – einfach wegfällt!
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Fotos: Nouakchott, wie es leibt und lebt…

Dann suchen wir die Näherinnen – vielleicht erinnern sie sich noch, das ist ein Projekt im Projekt, wo Frauen aus einem der Armenviertel Halfter und Wundauflagen in Handarbeit herstellen – in eine echten Win-Win-Situation, denn für die Esel sind es unfassbar wichtige Utensilien, für die Frauen ein immens wichtiges Einkommen. Dieses Mal wollen wir vor allem Wundauflagen bestellen, aber leider finden wir den Ort dann nicht. Saleck, der das Geschäft früher immer arrangierte, ist leider nicht zu erreichen, und so müssen wir schließlich aufgeben, buchstäblich vom Wüstensand gestoppt – Daouda wird Anfang nächste Woche den Auftrag erledigen und uns dann Fotos und dergleichen zukommen lassen! Entlang am Weg sehen wir eine kleine Baustelle, ein Dutzend Arbeiter graben im Sand. Ein Esel ist am Rande angebunden, in der prallen Sonne, obwohl ringsum die Häuser Schatten werfen würden. Es ist zum aus-der-Haut-fahren, wenn Menschen das Leid der Tiere nicht nur übersehen, sondern völlig ignorieren. In der Tat, es ist ihnen so oft nicht einmal einen Gedanken wert, auch wenn man mit nur ein klein bisschen Verständnis so ganz nebenbei einen derartigen Unterschied für die uns Ausgelieferten machen könnte… Und selbst in so einem Falle muss man mit der Brüskierung ganz vorsichtig verfahren – viele Menschen fassen nämlich jeden Hinweis als Einmischung in die eigenen Belange auf und reagieren dementsprechend. Daouda meint, der Halter würde uns vielleicht sogar ernsthaft bedrohen, dann, wenn er sich vor seinen Mitarbeitern gedemütigt fühlt; aber es hilft alles nichts, Dr. Dieng übersetzt schließlich unsere Belange. Der Mann reagiert tatsächlich wütend, aber er bringt den Esel dann doch aus der Hitzezone; genervt bindet er ihn im Kühleren fest und will schnell wieder zurück zu seiner Arbeit. Wir überreichen ihm eine Baseball-Kappe, vielleicht bleibt dadurch zumindest ein Nachdenken bei ihm zurück. Der Mann zeigt sich tatsächlich entspannter, wechselt nun sogar einige Sätze, verspricht, den Esel in Zukunft besser im Auge zu behalten. Bei der Gelegenheit entwurmen wir den dann auch gleich, und letztendlich löst sich das Problem in Wohlgefallen auf!

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Fotos: Arbeitsimpressionen!

Nun sind wir auf der Suche nach neuen Wasserstellen; öfters ist ein Wechsel ganz gut, damit auch andere Esel in den Genuss der mobilen Klinik kommen; die ‚alten‘ lassen wir aber selbstredend nie völlig auf, wir besuchen sie, nun aber  in unregelmäßigeren Abständen, weiterhin. Und immer wechseln wir nur dann, wenn sich die Umstände an der hiesigen Stelle stark verbessert haben; gäbe es einen Rückfall, wir wären natürlich sofort wieder jede Woche vor Ort!

Tatsächlich finden wir bald einige gute Plätze, vor allem in dem neuen Bezirk ‚Rihad‘ und im alteingesessenen ‚Arafat‘, wo sich die meisten der Grauohren tummeln!
Es ist wieder enorm heiß heute. Die Anstrengungen sind uns alle ins Gesicht geschrieben, zudem nimmt der Verkehr um die Mittagstag erneut nahezu grässliche Ausmaße an. Jede Fortbewegung beschränkt sich bald nur mehr auf ein Schleichen, wir finden uns wieder inmitten eines Hupkonzertes und völlig verwirrenden Bewegungen, welche in Mitteleuropa nur mehr als ‚Amokläufe‘ bezeichnet werden würden – der VerkehrsteilnehmerInnen agieren nach dem ‚Tetris-System‘, jenem Computerspiel aus den 90er-Jahren, wo so lange Formen von oben nach unten fallen, wie es der Spieler schafft oder dann eben nicht mehr schafft, sie in geordnete Bahnen zu lenken – spätestens zu diesem Zeitpunkt ist der Supergau omnipräsent. Eine Lücke tut sich auf, ein Auto rückt nach, ein anders überholt von rechts, der nächste versucht inmitten des Irrgartens plötzlich umzukehren, abzudrehen. Wer es nicht mit eigenen Augen erlebt hat, glaubt es nicht. Aber wie durch ein Wunder löst sich selbst die böseste Verhädderung, die Missachtung sämtlicher Verkehrsregeln (wie zum Beispiel Rotlichtampeln, das Nichtbefahren der Gegenspur, usw.) immer wieder im Guten auf; wie, das bleibt zumindest uns ein ewiges Rätsel!
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Foto: wir, inmitten des alltäglichen Chaos!
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Fotos: Esel, Nase an Nase im Verkehr...

Jetzt geht es noch zu einem Schildermacher, 2 neue RespekTiere-Tafeln für die Wasserstellen haben wir anfertigen lassen. Sie schauen gut aus, sehr repräsentativ und übersichtlich!

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Dann endlich gibt es ein bisschen Ruhe! Wir beginnen nun langsam unsere Sachen für den Nachtflug zu packen und entspannen erstmals. Kurz darauf holt uns dann aber schon wieder Dr. Dieng, allerdings zu einem sehr erfreulichen Abschluss: erstmals, jetzt weil das Team endlich, endlich ein zusammengeschworenes ist, wollen wir noch für 1 Stunde allesamt zum Strand fahren; der Veterinär kennt dort einen speziellen Platz und bis auf Moussa treffen wir noch rechtzeitig vor dem Sonnenuntergang ein. Alleine die Fahrt sollte eine abenteuerliche sein, über eine mehrere Kilometer lange Piste, abseits jeder Straße – unmöglich zu finden für Nicht-Mauretanier – dann durch einige Dünen, bis hin zu einem Platz, welcher das Auge dermaßen erfreut, dass ich selbst beim Schreiben dieser Zeilen noch immer ergriffen bin. Eine Holzhütte steht direkt am Strand, der breitet sich kilometerlang aus, weißer Sand wohin das Auge blickt, soweit der Horizont reicht. Einfach nur wunderschön. Selbst der viele Müll, wir haben uns offensichtlich an dessen Gegenwart gewöhnt, fällt jetzt kaum auf (der Strand ist tatsächlich voller Plastikteile, abgerissene Netzte, Flaschen, sogar Ölkanister finden sich – sehr zur Schande der Fischer stammt der Abfall meist aus den auslaufenden Booten…). Die einzigen Menschen die vorbeikommen, sind ein paar Reiter, welche für das kommende große Turnier in Nouakchott üben, wo dann abertausende ZuseherInnen erwartet werden. Sonst aber sind wir ganz alleine; Daouda hat noch Getränke besorgt, wunderbar schmeckende Datteln dazu, und schon finden wir mittendrinnen im ausgelassenen Herumtollen, genießen die doch recht hohen Wellen! Warum der Strand in Mauretanien trotz seiner einnehmenden Schönheit und nicht gekannter Weite nie touristisch wirklich erschlossen werden wird, ist schnell erklärt: es gibt einen starken Sog hinaus ins Meer, das Wasser überhaupt sehr unruhig, sodass es für Ungeübte schnell sehr gefährlich werden kann.
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Foto: hat es auch noch nie gegeben – das ganze Team beim gemeinsamen Schwimmen!

Natürlich, ich habe es bereits angesprochen, wie praktisch überall in Mauretanien gibt es nichts derart Schönes ohne die dunkle Seite – so zum Beispiel ist der Strand sehr verschmutzt, die Fischerleute werfen außerhalb im Meer ihren Müll einfach ins Wasser – und fast noch schlimmer: die besagte Hütte gehört einer Französin, und dort leben auch 2 Hunde. Sie sollen wohl Einbrecher abschrecken. Wer sie füttert, man weiß es nicht, ebenfalls sind meist nur zu den Wochenenden Menschen vor Ort. Aber wenigstens: Dr. Dieng hat sich deren schon angenommen, sie beide geimpft und behandelt.
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Später zeichnen wir Bilder in den Sand, wie Kinder, aber es macht einfach Spaß; wir spielen Zielwerfen in einen Becher, oder Mühle, wobei das Spielbrett in den Sand gezeichnet wird, die Steine durch Muscheln ersetzt. Immer wieder klatschen wir die Hände ab, endlich Ablenkung von den trüben Gedanken, endlich einfach nur Mensch sein, wenn auch nur für ein paar Minuten!
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Doch es hilft alles nichts, die Zeit drängt bereits; nun geht es ein letztes Mal zurück zur Herberge, zu Sidis Haus, wo wir etwas missmutig packen. Bald ist auch Daouda wieder da, über sein Handy als Hotspot genutzt versenden wir die allerletzten Nachrichten. Kaum 30 Minuten später, ganz pünktlich, klopft auch Dr. Dieng. Er wird uns gemeinsam mit Daouda zum Flughafen bringen.
Im Auto gehen wir die Woche noch einmal durch; es bleibt ein bisschen Zeit, ist der Flughafen doch fast 40 Kilometer außerhalb von Nouakchott. Allerdings ist die Straße für mauretanische Verhältnisse ein echtes Highlight. Fast schnurgerade, vierspurig – und sogar beleuchtet!
Ein letztes Mal fallen wir uns in die Arme, bevor wir den komplett neuen Gebäudekomplex betreten. Nun, bei der Abreise, erkennen wir erst das wahre Ausmaß des neuen Airports: tatsächlich ist er sehr international geworden, gar nicht klein, mit Anzeigentafeln überall und noch dazu sehr gut beschildert. Sogar die Sicherheitskontrollen sind jetzt ernst zu nehmen, und vor allem: das peinliche ‚Nach Geld-fragen‘ der Flughafenbeamten ist dem neuen System zum Opfer gefallen! Zwar versuchen es die Beamen dennoch, aber subtiler, leichter abzuwehren! 🙂
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Fotos: oben, links: ‚Highway‘ zum Flughafen; rechts: die kleine Maschine der ‚Mauretanien Air‘ wirkt wie ein Spielzeug neben unserem Airbus! unten: der neue Flughafen verbreitet durchaus internationales Flair; rechts: Kamele entlang der Zufahrtsstraße zum Flughafen – wo sonst kann man so etwas sehen? 🙂 Bitte beachten Sie auch die Straßenlaterne, allesamt solarbetrieben!
Ja, was haben wir uns über den alten Flughafen lustig gemacht, der noch mitten in der Stadt war und mit einem echten ‚Indianer-Jones-Charme‘ aufwartete; der aus einer einzigen Halle bestand, wo Dutzende riesige Ventilatoren von der zerschlissenen Decke hingen, wo der Wasserhahn auf dem WC gebrochen war und er darum das kostbare Nass unentwegt rinnen ließ – beim Einsatz Monate später sollte das Dilemma noch immer nicht behoben sein;  wo man irgendwo außerhalb am Rollfeld landete und dann zu Fuß über den Asphalt in das Innere gelang, bewacht von Dutzenden Soldaten in Uniform. Wo zwar in einer verstaubten Ecke ein ‚Rauchen Verboten‘-Schild hing, sich aber niemand darum kümmerte, selbst die Beamten beim Betrachten der Ausweise pafften… Nun aber, beim Anblick der sterilen Internationalität – tatsächlich könnte man sich genauso gut an irgend einem genannten Flughafen in Europa, Asien oder sonst wo befinden – sehnt man sich richtiggehend nach dem architektonischen Fauxpas zurück… man kann es ‚Mensch‘ eben nur schwer recht machen! 🙂
Der Flug, er startet nach Mitternacht, soll letztlich ein guter werden, einer jener, welchen man fast zur Gänze verschläft. Gegen 9 Uhr morgens erreichen wir die bayerische Metropole. Es hat 4 Grad, ein Temperatursturz über Nacht von gut 35 Grad! Dennoch genießen wir die für uns nun klirrende Kälte. Es bleibt Wehmut zurück, waren die hinter uns liegenden Tage doch sehr ereignis- und erfolgreich gewesen. Aber dennoch überwiegt der Stolz, Stolz, dazu beigetragen zu haben, echte Veränderungen in einem Land herbeigeführt zu haben! Natürlich, das darf man nie vergessen, wir waren jetzt sehr oft in Mauretanien, haben uns an die teils unfassbaren Verhältnisse angepasst, und wir sehen das Leid und den Kummer vielleicht sogar mit anderen Augen, mit einem anderen Hintergrund. Und natürlich, wenn nun jemand in die Sahara reist und zum ersten Mal in Nouakchott landet, er oder sie wird immer noch entsetzt sein über die vorherrschenden Bedingungen, der Anblick so vieler hart arbeitender Esel und Menschen in zerschlissenen Kleidern wird ihm oder ihr schlaflose Nächte bereiten, ohne jede Frage.
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Foto: Mauretanien ist ein Land, wo ‚Mensch‘ sich der Vergänglichkeit ganz schnell bewusst wird…

Aber, und diese Feststellung kommt von ganzem Herzen, wir haben die Misere erlebt, als noch kaum ein Tier nicht unter schweren Wunden litt, als noch an jeder Ecke sterbende Esel zurückgelassen worden waren; wo sich Tiere mit gebrochenen Gelenken durch den Sand schleppten, ohne jede Hoffnung, und jedes Mitleid. Wie Schatten, Schatten der Vergänglichkeit, zerbrochene Seelen, welche an Ort und Stelle verstarben, oft inmitten der Menschen, und dennoch unbemerkt blieben; ja, irgendjemand zog sein Tuch tiefer ins Gesicht, bedeckte seine Nase, um den beißenden Geruch zu entgehen, aber mehr passierte nicht. Der Esel lag solange, bis er aufgesogen wurde von dem Sand unter sich, eins geworden mit seiner Umwelt. Eine Umwelt, die dann in Müll erstickte, unentwegt, beherrscht von Plastikabfall und verrottender Materie. Krankheitsherde ohne Ende.

Doch jetzt gibt es eine Müllabfuhr, ja, Sie haben recht, es liegt noch immer unglaublich viel Müll in den Straßen, aber dennoch kein Vergleich zu 7 oder 8 Jahren zurück. Es gibt nun Straßen, viele asphaltierte Wege; noch vor wenigen Jahren existierten in ganz Mauretanien – und das Wüstenland ist mit rund 1 Million Quadratkilometer gut 3 Mal so groß wie Deutschland – lediglich 800 Kilometer asphaltierte Straßen (im Vergleich dazu verfügte das kleine Österreich mit etwa 83 000 qkm Fläche über 100 000 km solcher)! Heute durchzieht ein ansehnliches Netz die Hauptstadt, und auch die Verbindungen in die anderen größeren Städte des Landes, wie etwa Nouadhibou oder in das südliche Rosso sind durchaus befahrbar. Es gibt nun Ampeln – erinnern Sie sich, noch vor 5 Jahren etwa fanden sich in der gesamten Hauptstadt, vergessen wir nicht, einer Millionenstadt, kaum ein Dutzend solcher – und allesamt wurden sie selbst im Beisein der Polizei nicht beachtet.
Noch vor wenigen Jahren wurden Esel fast ausnahmslos geschlagen. Noch ist es nicht lange her, wo in den einheimischen Dialekten nur vom ‚Tier, das man schlägt‘ gesprochen wurde. Wo sich niemand, aber wirklich niemand auf der Straße über die schlechte Behandlung eines Esel mokierte, wo Schlagen und Treten nicht nur geduldet, sondern sogar Teil des alltäglichen Ablaufes war.
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All diese Dinge passieren auch heute noch; aber die Tendenz ist eine eindeutige: sie zeigt in eine Richtung, welche wir noch vor kurzem für nicht möglich gehalten hatten. Für nicht möglich, sagte ich? Nein, das kann man so nicht stehen lassen – dann alles, alles, alles ist möglich, wenn man einen Traum hat, daran arbeitet und niemals abweicht. Lasst uns den Traum weiter träumen, solange, bis auch seine feinsten Nuancen zur Realität geworden sind – wir haben noch eine große Aufgabe vor uns, aber am Ende des Tages, da wird sich jede Mühe dafür sowas von gelohnt haben! Insahalla, so Gott will! 
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