Stilles Leid für die Fleischgier des Menschen…


Gestern Abend wurde ein Kälbchen am Bergheimer‚Nutztier’markt angeliefert; diese Tatsache wäre an und für sich nichts besonderes, passiert das doch Dutzende Male jeden Tag; aber jenes kleine Tierkind sollte in den nächsten Stunden ein Geschichte schreiben, welche an Traurigkeit kaum zu überbieten ist – dabei hätte seine Erzählung eine Weihnachtsgeschichte werden können, eine wunderschöne, doch Fortuna sollte anders entscheiden; die Göttin des Glücks hatte an diesem Abend ihre Augen fest geschlossen.
Wir möchten Sie bitten, halten Sie einen Moment inne und überlegen Sie – allein das Wort ‚Nutztier’ zeigt doch unseren so leichtfertigen Umgang mit Wörtern, Wörter dazu gedacht, das Unerträgliche doch noch irgendwie erträglich zu machen.
 
Bergheim, zumindest dieser Teil des Gewerbegebietes an der Salzach, so wissen wir inzwischen, ist trotz aller Idylle durch das Vorhandensein derartiger Einrichtungen ein Ort des Todes, des Leides, der furchtbaren Schmerzen. Ein Ort in Traurigkeit erstarrt, all seiner Farben beraubt.
 
Das kleine Wesen, verängstigt, verstört, einsam, todtraurig, hatte wohl nur einen Wunsch, und zwar denselben, den wir alle hegen: einfach nur leben zu wollen! Doch sein Schicksal sollte ein anderes sein. Rekonstruieren wir: ein kleines Tier, noch immer ein Säugling, ein Baby, seiner Mutter sehr wahrscheinlich sofort nach der Geburt entrissen; vielleicht hatte es noch niemals zuvor die Sonne gesehen, durfte nie auf blanker Erde stehen, nie den Geruch des Lebens atmen. Ernährt wurde es, kaum vorstellbar, nicht mit der Milch seiner Mutter, nein, ein billigstes Milchaustauchgetränk war seine Nahrung, einer alles verzehrenden Gewinnspannenberechung unterlegen, entsonnen der Gedankenwelt eines grausamens Wesens – des Wesens, welches zuvor seine Mutter vergewaltigt hatte; eines Geschöpfes, welches niemals noch in der langen Geschichte seiner absoluten Schreckensherrschaft Respekt vor dem Leben anderer Arten und Lebensformen zeigte und zeigt.
 
Zum ersten Mal wohl musste es nun seinen Stall verlassen, und obwohl der viel zu oft nur ein kalter Ort des Grauens war, niemals den Geruch von ‚Heimat’ verbreiten konnte, war sie doch dort alleingelassen, zitternd, in einer winzigen Box, ohne mütterlicher Geborenheit – es war immer nur die Heizlampe, welcher es oblag ein klein wenig Wärme zu spenden – so strahlte er doch wenigstens ein gewisses Maß an Sicherheit aus. Doch diese Sicherheit, eine schreckliche Illusion, sollte gestern jäh zerstört werden. Unsanft nämlich wurde das Kleine auf einen LKW getrieben. Es bleibt in der modernen Welt keine Zeit für Gefühle, denn Zeit wird in unserer Gesellschaft immer nur bloß mit Geld berechnet, verfügt über keinen anderen Wert mehr; ein tödlicher Kreislauf, besonders für die hoffnungslos unterlegene Kreatur.
 
Und dann war es hier gelandet, in Salzburg Bergheim, mit dem furchtbaren Attribut ‚Österreichs größter Rinderschlachthof’ zu sein ausgestattet; 55 000 Tote zählt eine entartete Gesellschaft hier, 55 000 Tote jedes Jahr; 55 000 furchtbare Schicksale, 55 000faches Lied, 55 000facher Schmerz. Ein Ort der Verdammnis, abgeschottet von der Außenwelt durch eiserne Tore und Natodraht; verschlägt es uns Täter, und TäterIn ist jede/r, der/die Fleisch konsumiert, zufällig hierher, dann blicken wir unweigerlich und beschämt zur Seite; zu groß ist die Schande, die Schmach, welche wir beim Betrachten des Unvorstellbaren auf uns laden. 55 000 Mal jedes Jahr. Kommen wir also zufällig vorbei, so gehen wir schnell weiter, immer viel zu hastig, im Versuch schnellstmöglich Distanz zwischen uns und unserem Wahnsinn zu bringen – doch unabwendbar blicken wir zurück, ergriffen von einem Gefühl etwas verloren zu haben; und uns ist hier tatsächlich etwas abhanden gekommen, etwas Immenses, Unwiederbringliches: unsere Würde! Die ertrinkt im Blut der Getöteten, 55 000 Mal jedes Jahr!
 
Unser kleines Tierkind, sein Leben sollte ein kurzes sein; in einer Maschinerie gefangen, welche keine Gnade kennt, der Großmut bespuckt mit Blut, bis zu den Knien waten wir in Eingeweiden – besonders jetzt, wo sich die festlichste Zeit des Jahres nähert. Und die festlichste Zeit des Jahres, diese katholische Orgie, maßlos, sie versinnbildlicht gleichzeitig das umfassendste Massaker an der Tierwelt…
 
Unser Tierkind also, es schaffte es irgendwie seinen Mördern zu entfliehen, vorerst, atmete für wenige Stunden das Leben; ängstlich, verwirrt, aber bestimmt auch stolz, vielleicht voller vorsichtigen Lebensmut; bis es von der Lokalbahn angefahren wurde, worauf es verletzt, blutend, neben den Gleisen zum Liegen kam; die herbeigerufene Polizei, erfasst von vielleicht selbiger Angst, Angst vor dem Ungetüm Tierbaby, lud die Waffen und schickte eine kleine giftige Kugel gen Kalb, welche es aber immer noch nicht tötete; zu stark war der Wille, vielleicht würde das Abenteuer doch noch gut ausgehen; Gedanken an Ivonne wurden wach. Doch ein Happy End, das war am weiten Firmament in dieser trostlosen Nacht nicht auszumachen, sogar der Himmel weinte und der Donnergott schickte wütende Blitze, Feuerspeere, zur Erde. Jede Rettung in weiter Ferne, und selbst Gott schlief, angeekelt von seiner Schöpfung wagte er wohl kein Auge aufzutun; Berichten zufolge, aber dies ist nun unbestätigt und vielleicht wissen wir bald mehr, soll das Kalb nicht getötet worden sein; denn würden Kugeln sein Leben rauben, sein Körper würde nicht mehr zerteilt in den Handel gebracht werden dürfen; so schrie ein kleines Wesen in dunkler Nacht, schrie nach Liebe, schrie nach Zärtlichkeit, nach einer Hand, die es halten und so den Abschied erleichtern würde.

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Bilder eines Kälbermarktes

Manchmal kommt der Tod als Freund; er erscheint einfach nebenbei, lehnt im Nirgendwo und lächelt sanft; seine Gesichtszüge erscheinen beinahe gütig; er nimmt Dich an der Hand und begleitet Dich über die Brücke, geformt aus allen Farben der Welt, hinüber in ein anderes Dasein.
 
Ganz ehrlich, so gesehen, so schrecklich das nun Gesagte auch immer klingen mag, Geschichte wie jene, die sind es welche den Tierschutz letztendlich über die Grenze heben werden, diese dünne Linie, welche ‚Mensch’ gezogen hat und welche uns vom Rest der Schöpfung trennen soll. Geschichten wie diese, sie lehren uns über das Dasein, wir müssen nur aufmerksam zuhören.
 
Wir, die Krone der Schöpfung, Genesis höchste Sprosse, als welche wir uns so gerne bezeichnen, vergessen  viel mehr: vielleicht liegt kein bisschen Wahrheit hinter dieser glorreichen Formulierung, die klügsten Köpfe streiten seit Gedenken darüber – was wir aber ganz, ganz sicher und ohne jede Frage sind – ist deren tiefster Fall.
‚Mensch’, das größte und gefährlichste aller Raubtiere, und die Bestie in uns ist noch immer nicht zum Erliegen gekommen; nein, sie schläft nur, und beim geringsten Anlass erwacht sie und verwandelt das gesamte Umfeld in ein Meer der Tränen, reißt einen ganzen Planeten in einen Todeskampf.
 
Es wird Zeit dass wir diese verdammte Gleichgültigkeit ablegen und endlich dazu stehen, was wir sind; ein Wesen, welches den Zwängen der Steinzeit noch nicht entronnen ist, darüber kann all unsere Technik nicht hinwegtäuschen. Unsere Gier nach Fleisch ist unersättlich, mit fettigen Fingern saugen wir am Leben selbst. Ein Parasit am Nährboden der Evolution. All unsere Errungenschaften, sie sind klein und nichtig im Vergleich dazu was wir unseren Mitlebewesen antun, jeden Tag auf ein Neues.
Verstecken wir uns nicht länger hinter Sätzen wie ‚ich ess eh so wenig Fleisch’, oder zum Kotzen strapazierte Formulierungen wie ‚ich ess nur glückliche Tiere’, bestmöglich solche aus Bio-Haltung; glauben Sie tatsächlich ein Bio-Rind stirbt leichter, lieber als eines aus konventioneller Haltung? Glauben Sie, um einen Vergleich herzustellen, Saif Al-Islam Gaddafi, der Sohn des libyschen Ex-Machthabers, über 40 Jahre lang hat er im goldenen Palast gewohnt; jetzt droht ihm der Galgen; glauben Sie tatsächlich, es ist ihm ein Trost, dass er ein ‚gutes’ Leben in aller Luxus haben durfte???????
Oder vielleicht fällt es ihm gerade deshalb umso schwerer zu gehen, er, der gewohnt war frei und versorgt zu sein.
 
Nein, leugnen hilft nichts, für jedes Stücken ‚eh so wenig Fleisch’ stirbt ein Tier, unweigerlich –  und auch eines aus der allerbesten biologischen Haltung macht jeden Schrecken des Schlachthofes mit. Wegschauen ist feige, und Schweigen zu einer Untat von der man weiß ist die allgemeinste Art unserer Mitschuld (Max Fritsch, Anm.); vergessen wir nicht, es sind nicht nur sie schuldig, die Landwirte, die Transporteure, die Schlächter, es klebt nicht nur an deren Händen Blut; gestehen wir es uns ein, es ist unsere nimmersatte Begierde nach Fleisch, die deren Klinge führt – und uns so zum Mittäter macht. Nicht mehr und nicht weniger. Das ist eine Tatsache, auch wenn Sie bis in die tiefste Seele schmerzhaft ist.
 


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