Boomer ist uns allen ja inzwischen zu einer sehr vertrauten Persönlichkeit geworden, weit über die Grenzen der Alpenrepublik hinaus bekannt. Wie kann es auch anders sein, mit seiner so traurigen Geschichte, einer solchen, welche seit einem Monat eine komplett neue Richtung eingeschlagen hat, ein anders Kapitel schreibt: denn im Unterschied zu hunderttausenden gleichlautenden ist Boomer’s nun hoffentlich tatsächlich mit einem Happy End gesegnet! Und so ist sie zum Sinnbild geworden, dafür, was alles möglich ist, wenn man nur ganz fest daran glaubt! |
Fotos: Boomer in seiner Hölle, die gleichzeitig sein zu Hause war… |
Denn eigentlich schien sein Schicksal längst besiegt; am Ende der Welt in einem Stall vergessen, an einer schweren Eisenkette, viel zu oft ohne Nahrung und ohne Wasser einer Umwelt ausgesetzt, die für ihr hilflos ausgelieferten an Härte nicht zu überbieten ist. Abgemagert bis auf die Knochen, von blutenden Wunden übersät. Ein Halter, dem sein Überleben nicht wichtig anmutete, nicht einmal wichtig genug, um ihm wenigstens ein absolutes Minimum an überlebensnotwendiger Fürsorge zuzugestehen. Der ihn in seinem Zustand gar noch mehr ablehnt, und je schlimmer Boomer aussah, verschmutzt und beinahe haarlos, von Schmerzen und Parasiten gleichermaßen geplagt, ein erlöschender Geist festgehalten nur noch von einem Knochengerippe und einem unfassbaren Überlebenswillen, desto mehr schien ihm vor dem Hund zu ekeln. Ekel vor dem eigenen Werk, denn nur er trug Schuld am so mitleidserregendem Befinden des Sterbenden, er alleine. Sah die Wunden nicht, sah das Leid nicht, sah die Tragödie nicht. Spuckte auf das Leben, wollte die Kerze des Seins im Hundekörper zum Erlöschen bringen. |
Fotos: Momente der Verzweiflung – bis gewiss wurde, wir können ihn mit uns nehmen! |
Boomer war kurz vor dem Verhungern. Obwohl, wir wissen es nicht, denn vielleicht wäre er noch zuvor im bitterkalten Winter – die Räude hatte ihm fast sein ganzes Fellkleid geraubt – still und leise erfroren. Es gab kein rettendes Versteck, keine Höhle, nicht einmal eine Decke. Nur erstarrte Maisstengel, lieblos im eiskalten Stall verstreut; und Unmengen von Pferdekot (der wärmt doch auch, so sagte uns der hartherzige Mann, ohne dabei die Miene zu verziehen). Väterchen Frost mit eisernem Griff im Nacken, gnadenlos. Der alte Mann aus dem Norden, er hat reinigende Kraft, als Richter ist er gekommen. Nur die Starken können ihm trotzen, die, die rechtzeitig Schutz gefunden haben; aber all jene, die seiner Gewalt ausgeliefert, die wird er hinwegraffen, denn Barmherzigkeit oder gar Mitleid, es sind nicht seine Tugenden. Und Boomer war ihm preisgegeben, praktisch am Serviertelle präsentiert. Sein Bewegungsradius von schweren Kettengliedern auf einem Quadratmeter beschränkt, die stählerne Fessel um den Hals, Finger aus Eis, die sich bis in sein Knochenmark gegraben haben mussten, unablässig. Woche um Woche, Tag um Tag, Stunde um Stunde. Eine nach dem Leben lechzende Seele, verloren in einem Universum der puren Kälte. Dazu kam noch der quälende Durst; auch er hätte sein Erlöser sein können; denn wie lange schon war es ihm wohl unmöglich klares Wasser zu sich zu nehmen? Nur der Schnee, der durch die Ritzen des zerberstenden Stalles fiel, erhielt ihn bis zu unserem Erscheinen überhaupt noch am Leben, zweifelslos. Und dann dieser entsetzliche Juckreiz; hunderte Milben, winzig kleine Plagegeister, sich Tunnels unter seiner Haut grabend. Wie lange hätte sein Geist der unfassbaren Quälerei noch standgehalten? Ein Dasein einzig beherrscht vom Verlangen sich zu kratzen; jeden Augenblick wieder, unablässig, der stechende Schmerz, das Scheuern am gefrorenen Boden als einzige Wohltat – oder das Kratzen mit den Hinterbeinen. Allerdings, was immer er auch versuchte, die Bemühung versprach nur Augenblicke der Erleichterung; dann kehrte der Schmerz, der Reiz, der Wahnsinn zurück, stärker noch als zuvor und an immer anderer Stelle. Die Haut ob der scharfen Nägel bereits dünn wie Pergament, blutig, entzündet, von Schrunden überzogen. |
Fotos: erster Transport, Boomer kommt zur Animals First-Klinik in Timisoara (wir bedanken uns einmal mehr beim Team um Dr. Naomi Kiss und Alina, sowie NetAp (www.netap.ch)! |
Welche Komponente auch immer zuerst den sicher scheinenden Tod herbeigeführt hätte, eines steht fest: seine Überlebenschancen lagen bei null. Hoffnung ausgeträumt. Und so hatte Gevatter Tod bereits Platz genommen, auf den Planken gegenüber. Man konnte seine Anwesenheit im zugigen, vom Wetter längst zernagten Stall fast spüren, seine Gegenwart buchstäblich riechen. Im Moder des eiskalten Windhauches. Tod und Vergänglichkeit lag in der Luft, gar keine Frage. Und der Knochige kann warten; Hast ist nicht die seine, immer im Wissen, es gibt keinen Ausweg, kein Entkommen. Nicht vor ihm. Schon gar nicht hier am Ende der Welt, nur mehr einen Schritt entfernt von der Klippe der Verzweiflung. Und darunter ein wogender Ozean, alles verzehrende Agonie. Nein, er tritt seine lange Reise aus dem Nichts, der Leere, nie umsonst an. Überquert die Regenbogenbrücke am Weg zurück in sein Reich immer in Begleitung, denn Effizienz ist seine Triebfeder. Ein gnadenloser Regent, aber auch ein gerechter. Und, vergessen wir es nicht, oft genug ein Erlöser. Messias ohne Heiligenschein, dafür ist er zu uneitel. Ein für alle Zeiten einsamer Wanderer, denn für Freundschaften, da hat er keine Zeit. |
Was hat er wohl gedacht, als er uns kommen sah? Hat er milde gelächelt, einen Gedanken verloren an die Ewigkeit? Unsere Mühen abgestraft, durch Logik und Erfahrung der Nichtigkeit preisgegeben? Nein, Boomer, niemand wird Dir helfen, ich werde Dich von hier mitnehmen, bald, sehr bald – das war wohl das einzige, was er in diesen Augenblicken mit Sicherheit zu wissen glaubte. Aber dann sind wir wiedergekommen. Haben Boomer umsorgt, ihn gefüttert. Wasser gegeben. Und ihn schließlich abgeholt. Entführt aus seiner Hölle, in einer Box weggetragen, fort ins wartende Glück. Er hat sich nicht gewehrt, keinen Augenblick. Und er hat sich nicht umgedreht, nicht ein einziges Mal. Hat den Ort der Verdammnis im selben Moment aus seinem Gedächtnis gestrichen, in selber Sekunde, jede Erinnerung an den abgewirtschafteten Hof, der seine Hölle und zugleich seine Heimat war, der Vergessenheit zugeführt. Den einzigen Platz, den er je gekannt hatte. 7 Jahre an der Kette. Zur beinahen Bewegungslosigkeit verdammt. Völlig sinnentleert, nur wegen der Laune eines Trinkers. Zumindest seines halben, vielleicht seines ganzes Lebens beraubt. Für nichts und wieder nichts. Oder doch, es muss irgendeinen Sinn geben. Vielleicht also gerade für diesen einen Augenblick, für das Jetzt, wo die Männer ihn in der Kiste hochheben und ins wartende Auto tragen. Nie wird er den Tag vergessen. Albtraum ausgeträumt. |
Fotos: Boomers Reise ins hoffentliche Paradies! |
Gevatter Tod hat beobachtet, ohne Regung. Sich schließlich erhoben, letztendlich in der Überzeugung, des Hundes Zeit ist noch nicht gekommen. Er ist weggegangen, hat sich bestimmt noch einmal umgedreht, vielleicht war da gar ein Lächeln erkennbar in seinen sonst immer so ernsten Zügen. Ich denke, ich hab ihn gesehen, den Anflug von Freude im seit Anbeginn der Zeit absoluten Autismus seiner Regungen. Er ist ohne Begleitung zurück in sein Imperium, denn einmal, ein einziges Mal, hatte der dann doch den langen Weg umsonst auf sich genommen. |
Lieberlieber Boomer, alles Gute dieser Welt möge Dir ab jetzt passieren! |