Die ersten Nebelschleier sind bereits über den noch immer stockdunklen Horizont gezogen, ganz zaghaft wie der Atem eines erwachenden Riesen, und im Moment nur schwaches Licht, ganz fern im Osten, verkündet die bevorstehende Niederlage der Nacht im ewigen Kampf mit dem beginnenden Morgen. Es soll ein trüber Tag werden, soviel verraten die Zeichen bereits, aber dennoch einer, dessen wolkenverhangener Himmel geradezu ideales Reisewetter bereitstellen wird. Die Kühle der vergangenen Stunden, wo das Quecksilber des Thermometers erneut weit unter die minus 5 Grad Marke gekrochen war, behält wohl ihre Vormachtstellung, auch wenn der Wetterdienst im Radio leichte Pluswerte ankündigt. |
Foto: noch beim strahlenden Sonnenschein wird das RespekTiere-Mobil zu Hause startklar gemacht! |
Voll beladen ist er, unser Reise-Van, einmal mehr bis unter die Dachkante! Eine Tonne an Gütern hat wieder Platz darin gefunden, fein säuberlich geschlichtet, in Säcken oder in Schachteln verpackt. Darunter natürlich auch einige hundert Kilos an Hunde- bzw. Katzennahrung. Der alte Mann aus dem Norden, der Todgesagte, er ist wieder zurückgekehrt, mit Pauken und Trompeten, mit all seiner pompösen Macht. Das erneute Erscheinen, sein nochmaliger Triumpf über den bereits zum Leben erwachten Frühling, hat wieder helle Aufregung hervorgerufen. Legionen von orangen Räum- und Streufahrzeugen mussten ausschwärmen, wie die Bienen, die den verlockenden Duft der zarten Blüten vernommen haben; genau wie sie sind die Ungetüme allerdings zum unentwegten Arbeiten verdammt, 24-Stunden-Sonderschichten sind angesagt. Flauschiges Weiß bedeckt in den frühen Morgenstunden das Land ringsum, eine Armee von eiseskalten winzigen Kriegern, zusammengefügt zu einer alles einvernehmenden Masse. Lange allerdings wird auch sie in ihren Gemeinschaft dem Aufbegehren der wärmeren Jahreszeiten nicht mehr trotzen können, und als der Tag voranschreitet, ändert sich die Farbe des Himmels tatsächlich vom wolkenverhangenem Grau hin zum strahlenden Blau, die der Felder vom sanften Weiß zum matschigen Braun. |
Foto: zwei Tage später, dann im östlichen Niederösterreich (!), hat uns der Winter wieder eingeholt! |
Der erste Weg führt nun in die österreichische Bundeshauptstadt, das Auftauchen des neuen Gesichtes deren – langsam aber sicher erhält Wien eine echte Skyline, die mit ein bisschen Fantasie und einem Hauch von Patriotismus im Entfernten an jene von Chicago oder anderen US-amerikanischen Großstädten erinnert – verrät die Ankunft. In der Donaumetropole steigt nun Alex zu, Tierschutzveteran und treuer Wegbegleiter so vieler Einsätze, offenen sowie Rechercheabenteuern, und nach einer freudigen Begrüßung setzen wir den Weg auch schon fort. Alsbald taucht das RespekTiere-Mobil nun ein in die pannonische Tierebene, die Ostautobahn hat uns längst im festen Griff. Bratislava, weist der Überkopf-Anzeiger bald, die Hauptstadt der Slowakei ist das auserkorene Ziel! Dort wartet bereits die Frau Havranova auf uns, sehnlichst, denn hier im Osten hat die große Krise noch mehr Spuren hinterlassen als zu Hause. Noch immer befindet sich das Land im tiefen Lockdown, die Situation scheint sich gar von Tag zu Tag zu verschlimmern. Die Grenzen sind dicht wie die neueste Gorotex-Beschichtung, was uns ein bisschen Sorge bereitet – wird es Schwierigkeiten am Übergang geben, wird man uns gar an der Weiterfahrt hindern? Und wenn nicht, werden wir dann auch den Retourweg ohne gröbere Problematiken hinter uns bringen? Fragen, welche die nahe Zukunft unausweichlich beantwortet! |
Fotos: oben, ab Wien verlieren die Wolken langsam ihre Dominanz am Himmel; im pannonsichen Becken übernimmt die Sonne langsam das Kommando. ‚Einzuheizen‘ schafft sie aber nicht, es bleibt bitter kalt! |
So wichtig wäre unser Auftrag: denn nicht nur Frau Havranovras Katzenparadies verlangt nach Unterstützung, auch das wunderbare Obdachlosenheim der Vincent-DePaul-Stiftung erwartet unsere Ankunft. Für dort haben wir wieder eine unfassbare Menge an Kleidungsstücken sowie allen möglichen Dingen des täglichen Gebrauchs geladen – und dann steht zusätzlich ein Besuch des großartigen Bratislava-Tierheims von Sloboda Svierat (www.sloboda-svierat.sk, Freiheit für Tiere, so die deutsche Übersetzung) an. Gut 400 kg an Hundefutter sind im Laderaum, ein Fest für die tierliche Belegschaft des (über-)lebenswichtigen Asyls!!! Der Feuerplanet setzt sich nun langsam durch, er verspricht eine wohlige, jedoch trügerische Wärme. Trügerisch deswegen, weil Gevatter Frost trotz den für ihn widrigen Umständen nicht w/o gibt, ganz im Gegenteil; mit aller Kraft bläst er seinen eisigen Atem über die Ebenen, kreiert solcherart ein Wechselbad der Temperaturen. Die erste Bewährungsprobe steht jetzt unmittelbar bevor – nur zwei, drei Autos versammeln sich vor uns in der kleinen Schlange, die Zollbeamten auf slowakischer Seite kontrollieren deren Bescheinigungen. Dann sind wir an der Reihe – die Prozedur ist dem Himmel sei Dank aber eine mit vernachlässigbarem Zeitverlust-Faktor. Der negative Corona-Test ist zwar absolute Notwendigkeit, die notwendigen Grenzübertrittspapiere obligatorisch, doch dann wird es aus spitzen Lippen hervorgepresste Realität: das erlösende ‚bitte weiter – schönen Aufenthalt!‘. Super; so ist nun zumindest mal sichergestellt, dass die Hilfsgüter das ihr bestimmte Ziel erreichen! |
Fotos, oben: an der Grenze sind nur zwei, drei Autos vor uns; entgegen den Befürchtungen schaffen wir den Übertritt ziemlich schnell! unten: aufgrund des Lockdowns sind die slowakischen Autobahnen doch recht leergefegt! |
Gegen Mittag durchqueren wir auch schon Bratislava; der absulote Lockdown, zumindest auf der Straße wird er spürbar; jedenfalls tummelt sich entgegen allen früheren Erfahrungen nur ganz wenige Fahrzeuge auf den ansonsten ständig überlasteten Verkehrswegen der Hauptstadt. Zielsicher führt uns TomTom durch das Labyrinth, schließlich geht es über eine zerborstene Gasse eine kleine Steigung hinauf, und dann erblicken wir auch schon das Tierasyl von ‚Sloboda Zvierat‘! Sloboda Zvierat, Freiheit für Tiere, ist eine der maßgeblichen Tierrechtsorganisationen der Slowakei. Eine der ersten Organisationen überhaupt, welche das Thema ‚Nutz’tierhaltung im Osten so richtig aufs Tablet gebracht hat; alleine dafür ist ihr tiefer Dank geschuldet! Jetzt, neben Kampagnen gegen Pelzfarmen, Wildtierzirkussen und dergleichen, fokussiert man sich hauptsächlich auf Straßentiere, und so beherbergen bis zu 300 Hunde das Asyl. Im Moment sind es etwa 130, ähnlich wie in Österreich oder Deutschland hat ‚Mensch‘ während der Krisenzeiten ‚den besten Freund‘ neu entdeckt. Hoffentlich auch bis über die Pandemie hinaus; hüben wie drüben befürchtet man nämlich, dass unsere Art das Bündnis rasch wieder vergisst, dann, wenn erneut der persönlichen Freiheit keine Grenzen mehr gesetzt sind… Ing. Pavla Dugovičová, die Leiterin der Herberge, empfängt uns. Es ist ein Wiedersehen unter FreundInnen, und diese Freundschaft, wir werden noch darauf zurückkommen, wird in Zukunft sogar noch sehr vertieft werden. Zusammen können wir viel erreichen, siehe zum Beispiel das Problem mit dem Hundewelpenhandel, welches wir erst vor kurzem wieder thematisiert haben! |
Fotos: Sloboda Zvierat, Freedom for animals – ein Vorzeigeheim! |
Zuerst aber beginnen wir mit der Entladung unserer so wichtigen Fracht. Auch die unzähligen Säcke und Bananenschachteln voll Kleidung, Hygieneartikel und dergleichen können wir gleich hier im Asyl lassen, denn – genau wie es RespekTiere tut – versorgt auch Sloboda Zvierat Bedürftige und Obdachlose mit diesen Gütern. Es gibt hierfür eine extra Kammer, wo Kleidungsstücke sortiert und Essensrationen gepackt werden! Einfach super! Pavla’s, Paula‘s, Mama, eine lebensfrohe, wunderbare Frau mit über 80 Jahren, ist offensichtlich für diesen Bereich zuständig. Sie sortiert die Ware, hängt Kleidungsstücke an Bügel, ordnet nach Bereichen, extra für Damen, Herren, Hosen, Jacken, Unterwäsche. So schön zu sehen, mit welcher Begeisterung die rüstige Dame bei der Sache ist! |
Die Tiernahrung kommt auf einen extra Stapel, und so häuft sich das Mitgebrachte entlang der Gänge. Alex und ich kommen jetzt trotz der inzwischen halbwegs warmen Temperaturen gehörig ins Schwitzen! Nach getaner Arbeit folgen wir Paula in ihr Büro; vorbei geht es an den Hundeunterkünften, allesamt reichlich groß gemessen, dazu blitzsauber. Ein echter Vorzeige-Betrieb! Ein Pfleger kommt mit einem riesigen schwarzen Hund; der wurde heute von seinem obdachlosen Halter beschlagnahmt. Paula meint, trotz des vorangegangenen Trinkgelages kümmert sich der Mann aber ansonsten wirklich gut um den Hund. Ob er ihn jedoch zurückerhält, es ist dennoch eher unwahrscheinlich. Später sitzen wir im Arbeitszimmer der Tierheimleiterin. Bilder von Kindern zieren dort die Wände, Dankesschreiben für aus dem Asyl geholte Vierbeiner. Zeitungsartikel über Kampagnenerfolge zeugen von einer vorbildlichen Öffentlichkeitsarbeit, ganze Stapel neuer Broschüren informieren über den richtigen Umgang mit Hunden, dazu Anklagen gegen die Kettenhaltung auf Hochglanzpapier, und Magazine für den Tierschutzunterricht in Schulen liegen fein säuberlich geschichtet auf den Tischen. Das Hauptthema des Gespräches ist natürlich der Welpenhandel, und wie man dagegen vorgehen kann. Eine gemeinsame Strategie ist schnell entwickelt, und auch andere Bereiche, welche sich für ein Zusammen anbieten, werden diskutiert. Fazit: bei einer herrlichen Tasse Kaffee entstehen erfolgsversprechende Zukunftsaussichten! 🙂 |
Fotos: Alex und Tom beim Ausladen – tatsächlich Schwerarbeit! |
Unten: Paula’s Mama, die sich offensichtlich über die mitgebrachten Waren freut! |
Die Zeit drängt; was uns aber nicht daran hindern kann, noch eine Runde am weitläufigen Gelände zu drehen. Ganz und gar wunderbaren Wesen begegnen wir da; solchen mit langen Haaren, mit kurzen Beinen, mit Wolfsgesichtern, mit Dackelblick; es gibt tatsächlich eine eigene ‚Abteilung‘ für jene, die aus Qualzuchten befreit worden waren; ob deren kurzen Nasen mit Atemproblemen versehen, an Augen- oder Hautkrankheiten leidend, mit psychischen Problemen behaftet. Dann verabschieden wir uns aber auch schon wieder, im festen Versprechen allerdings, alsbald eine gemeinsame Aktion zu starten; so zeigt das Navi bereits den Weg zu Frau Havranovra’s Katzenparadies, als das unfassbar verlässliche orange Ungetüm namens ‚RespekTiere-Mobil‘ noch dabei ist, das gebrochene Asphaltband im Retourgang zu überwinden. |
Fotos, oben: einige hundert Kilos an Hundefutter durften wir dorthin übergeben, wo sie dringend gebraucht werden! 🙂 unten: Herzallerliebste Kinderzeichnungen im Büro der Tierheimleiterin. rechts: Paula zeigt uns die gesammelten Relikte: an diesen verrosteten Ketten und Stricken, sogar Telefonkabeln, wurden Hunde festgehalten – bis Sloboda Zvierat sie befreien konnte! |
Fotos: das Asyl von Sloboda Zvierat – es ist ein Ort der Hoffnung, ein Ort der Liebe! Wir freuen uns, hier mithelfen zu dürfen! |
Frau Havranovra ist krank. Sie liegt mit Fieber im Bett, ihr Gesundheitszustand ist dieser Tage ein sehr angeschlagener. Der gute Carlo, inzwischen längst zum Herzen der Station geworden, empfängt uns aber mit offenen Armen, überglücklich, dass wir trotz der gegenwärtig so schwierigen Situation den weiten Weg auf uns genommen haben. Katzennahrung wird ganz dringend benötigt, und so bestätigt sich das Synonym ‚Hilfsfahrt‘ auf direkteste Art und Weise. Zusammen tragen wir die Güter ins Haus, hin durch den typischen Havranovra-Märchengarten; wo sich inzwischen noch mehr Streunerkatzen angesammelt haben! Buchstäblich hinter jedem Busch versteckt sich eines der so wundersamen Mitgeschöpfe, von oben auf den Bäumen beobachten mandelförmige Augen jeden unserer Schritte. Carlos ist wirklich ein Glücksgriff gewesen, einer jener, welche nur alle Dutzend Jahre irgendwo in der Welt passieren kann. Er hat die verfallende Herberge so gut es geht und mit seinen bescheidenen Mitteln auf Vordermann gebracht, ihr längst den berühmten persönlichen Stempel aufgedrückt. Wie er dort lebt, es ist einerseits herzzerreißend, andererseits aber im selben Maße auch zutiefst ergreifend. Selbst in ‚seinem‘ kleinen Zimmer reihen sich die Katzenkörbe aneinander, neben dem Bett hat jene keine Hündin Platz genommen, welche er einst aus einem Romadorf mitgebracht hatte. ‚Unser‘ Ofen spendet noch immer Wärme, welche sich allerdings gegen die von außen eindringende Kälte nur mühsam zu wehren vermag. Ja, die Situation ist irgendwie idyllisch, im gleichen Atemzug aber auch beklemmend. Nein, ist man ganz ehrlich zu sich selbst, man würde nicht vermuten, dass in dem alten Haus mit den immer größer werdenden Rissen an den Fassaden überhaupt noch wer wohnen könnte… Carlos meistert diese Aufgabe aber vollends, und er scheint sogar restlos glücklich damit; nicht immer in seinem Leben, in Fakt sogar die meiste Zeit über nicht, hat er überhaupt nur ein eigenes Bett gehabt… |
Foto: Carlo und Tom im Gespräch! So viel Katzennahrung durften wir in Ihrem Namen übergeben!!! Danke, danke, danke dafür!!! |
Die traurigste Nachricht aber: Bona ist tot. Bona, eifrige Newsletter-LeserInnen wissen es, hatte ihr ganzes Lebens an diesem Ort verbracht. Als kleines Hundemädchen kam sie hierher, ganze 18 Jahre waren ihr beschienen gewesen. Sie war sehr geliebt worden, von Frau Havranovra gleichermaßen wie auch von allen anderen, die sie kannten! Sie möge in Frieden ruhen, Bona, du Süße, wir werden Dich nie vergessen. |
Foto unten: selbst im kleinen Zimmer von Carlo beherrschen die Hunde- und Katzenkörbe das Geschehen! 🙂 |
Der Tag hat bereits seine Kraft verloren, als wir die Grenze zu Österreich rück-überschreiten. Im zähen Ringen um die Vormachtstellung hat nun längst wieder Gevatter Frost die Oberhand gewonnen, ein eisiger Wind vertreibt das leise Versprechen eines herannahenden Frühlings. Trotz so vieler Unkenrufe, wir würden die Grenze nicht passieren können, entern wir schon Augenblicke später wieder den noch immer goldenen Westen. Gebeutelt, gebückt, aber nicht besiegt von der harten Realität einen Steinwurf vom Österlande entfernt. Wir werden ganz sicher noch oft die Grenze queren, so Gott will. Es gibt viel zu tun im Nachbarland, und wir werden weiterhin unseren Teil dazu beitragen, um auch dort Spuren zu hinterlassen. Spuren für die Mitgeschöpfe, wo der Kampf für sie jede Mühe allesamt wert ist. |
Im Stockdunkeln lenken wir den orangen Van schließlich durch Wien. All die Hochhäuser, den Anflug von Wolkenkratzern innehabend, in ihrer wunderschönen Beleuchtung, sie strahlen irgendwie Ruhe aus. Es ist die Ruhe vor dem Sturm, der uns in den nächsten Monaten erwarten wird. Denn so viele Aufgaben stehen an, welchen es sich würdig zu erweisen gilt. |