Vom Tötungsgatter bis zum Lebenshof – was für eine Geschichte!

Liebe LeserInnen unserer Newsletter, in tristen Zeiten wie diesen, wo neben den Bürden einer Pandemie auch noch eine unzweifelhafte Spaltung der Gesellschaft – von der höchsten Stelle der Politik vorangepeitscht – unser aller Wohlbefinden zunehmend aus der ohnehin fragilen Balance bringt, wärmen Geschichten wie die folgende umso mehr.

Es ist uns daher eine riesen Freude, euch von tatsächlichen Geschehnissen erzählen zu dürfen, Geschehnissen, welche man ansonsten vielleicht viel eher im Reich der Fantasie vermuten würde! Aber manche Märchen tragen die Kraft in sich, wahr zu werden! 🙂

Video rechts: hier seht Ihr die HauptprotagonistInnen der folgenden Geschichte, am Weg ins ‚Winterquartier‘, auf den letzten Metern von der Alm kommend hinein in den strohgepolsterten Laufstall!

Beginnen wir mit einem kurzen Rückblick: Ihr erinnert Euch sicher noch an die Nachrichten über den Wahnsinn im Tiroler Kaisers, wo es im Winter 2020 zu einem unfassbaren Massaker an 33 Hirschen und Hirschkühen gekommen war. Die Tiere, so unvorstellbar es auch klingt, waren extra hierfür in ein Tötungsgatter gelockt worden, wo sie dann hilflos gefangen einem Rollkommando zum Opfer fielen. Ohne jede Chance, 45 Minuten lang krachten Schüsse ohne Unterlass, bis sich an jenem Ort kein Leben mehr rührte. Zerschossene Leiber, ermordete Seelen.

Bevor der letztendliche Befehl zum gnadenlosen Abschuss ausgesprochen wurde, hatten wir die Absichten publik gemacht; leider zu spät, um noch Entscheidendes zu bewirken. Ja, vielleicht war; Ironie des Schicksals, gerade auch das ‚Einmischen‘ von RespekTiere mit ein Grund, warum man hinter verschlossenen Türen einen derart überstürzten und perfiden Plan ausheckte; Tatsache ist, selbst die DorfbewohnerInnen waren letztendlich von dem furchtbaren Ereignis völlig überrascht: den Termin für den gnadenlosen Tiermord hatte die Behörde wohl nicht unbeabsichtigt bis zum Vollzug streng geheim gehalten. Das große Töten begann an einem kalten Sonntagabend (!!!) im Februar, und nach jenen horrende 45 Minuten regte sich schließlich nichts mehr im Gatter; dutzende Leichen lagen stattdessen blutüberströmt im Lechtaler Schnee. In Todesangst gefangen waren einige der eingeschlossenen Tiere panisch gegen den Zaun gelaufen, schließlich mit gebrochenen Knochen und von kleinen, giftigen Metallkugeln zerfetzt liegengeblieben. Eine unabwaschbare Schande befleckt seither jenen Platz in den Bergen, der eingebettet in einer ansonsten so herrlichen Natur zum Mahnmal des menschlichen Irrsinns geworden ist.

Tötungsgatter
Foto: unfassbare Ereignisse in Kaisers in Tirol, Februar 2020... seither ein Mahnmal des Schreckens!

Die Geschehnisse, so todtraurig sie auch waren, bescherten zumindest uns als Verein RespekTiere dennoch letztendlich auch einen positiven Aspekt: durch sie sind wir nämlich erst mit den lokal engagierten BürgerInnen bekannt geworden, und seither versuchen wir gemeinsam derartige Szenarien für die Zukunft zu verhindern, sowie die Ausführenden doch noch für die begangene Tat verantwortlich zu machen. Eine echte Freundschaft ist ebenfalls aus dem Kontakt gewachsen; dann zu wunderbaren Menschen, welche ganz nebenbei eine unfassbar coole Story zu erzählen haben; und diese dürfen wir Euch auf keinen Fall vorenthalten! Denn uns hat sie sowas von begeistert, ja, es ist fast so, als würde man in einem Märchenbuch blättern; und ganz sicher werdet auch Ihr dieses Gefühl haben!

Bevor wir uns jetzt aber endgültig der eigentlichen Erzählung zuwenden, müssen wir noch einmal kurz ausholen. Um Sachspenden für eine kommende Hilfsfahrt abzuholen, waren wir dieser Tage am Weg durch das ‚Heilige Land‘ Tirol gewesen. Was lag da näher als einen Zwischenstopp bei den vorhin erwähnten, liebgewonnenen MitstreiterInnen einzulegen? Und so kam es dann auch! Das unfassbar prächtige Tiroler Außerfern begrüßte uns mit kalter Frühwinterluft und der ihm eigenen Lebensfreude; angekommen bei unseren GastgeberInnen war es dann vom ersten Augenblick an kein Treffen unter Bekannten, sondern vielmehr ein ausgesprochen familiäres – fast so wie ’nach Hause kommen’…

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Christine und Wolfgang heißen die Ehepartner, sie ist Mag.rer.nat., er Dipl-Ing., und eigentlich müsste man glauben, das Schicksal hätte aufgrund der unterschiedlichen Familiengeschichten voneinander abweichende Wege für beide vorgesehen. Doch bisweilen kommt alles anders, und das, was man oft selbst tatsächlich für kaum möglich gehalten hätten, tritt völlig überraschend ein und verändert das Leben von vorne bis hinten. ‚Gottes Wege sind unergründlich‘, heißt es so schön in der Bibel, und manchmal, ja manchmal sind diese Worte direkt auf das Dasein zu übertragen! Aber lassen wir Christine selbst fortfahren:

Christine und Wolfgang's Rinder auf der Sommerweide
Christines Rinder auf der Sommerweide
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Fotos: es sind fast magische Bilder von der Herde auf der Sommerweide...

„Meinem Mann ist die landwirtschaftliche Struktur in die Wiege gelegt; in den 90er Jahren stellte er den heimatlichen Milchbetrieb auf Mutterkuhhaltung um und bewirtschaftet ca. 50 ha Grünland. Seinen Lebenserwerb erwirtschaftet er als Prozessingenieur in der Metallbranche und betreibt die Biolandwirtschaft im Nebenerwerb aus Leidenschaft. Bevor wir uns kennenlernten, sorgte der Stier in seiner Kuhherde dafür, dass die gut 20 Mutterkühe ständig trächtig waren und auf diese Weise im Jahr an die 15 Kälber bzw. Jungrinder als „Tiroler Jahrling“ verkauft werden konnten. Ohne Zweifel eine beträchtliche Einnahmequelle. Ich hätte dabei allerdings nicht mehr ruhig schlafen gekonnt, und so entschieden wir uns gemeinsam dazu, einen neuen Weg zu gehen!

Meine Familie und ich sind von der Einstellung her oft sehr gegenteilig zur Familie meines Mannes. Die Großväter bei uns waren zwar alle Berufsjäger, jedoch kam mein Vater eines Tages an einen Punkt, an dem er sein Wild wie gewohnt leidenschaftlich hegte, fütterte und pflegte, aber nicht mehr töten konnte und wollte. Er hörte auf und wechselte den Beruf. Wir haben uns schon immer für Tiere eingesetzt und mein Vater war der erste, der vor Jahren nach Hause kam und sagte, er hätte ein Pferd gekauft und vor dem Schlachter gerettet. Dann bauten wir eben den leeren uralten Kuhstall im Elternhaus meiner Mutter aus, nahmen die Bewirtschaftung der eigenen Felder wieder auf und holten das Pferd heim.

Tom und Christine am Lebenshof beim Interview
Foto: Christine und Tom mit dem Schönen, beim Interview für Radio RespekTiere!

2016 beschloss ich nach mehreren privaten Fehlgriffen und aufkommender leichter Torschlusspanik zur Abwechslung mal in einem ganz anderen Teich zu fischen und ging mit meiner Schwester auf den Tiroler Bauernbundball (!!). Schon auf dem Weg dort hin witzelte ich, dass sie wohl ausgerechnet da auf uns tierliebe Hobbyvegetarierinnen gewartet haben müssen! Naja, jedenfalls saßen mein späterer Ehemann und ich zufällig am selben Tisch und wir verbrachten einen unerwartet netten Ballabend. Obwohl wir nur wenige Kilometer auseinander wohnten, kannten wir uns zuvor überhaupt nicht und heirateten noch im selben Jahr. Es folgten zwei Kinder und stundenlange Gespräche über Landwirtschaft, Tierhaltung und Sinn und Wahnsinn in der Rinderzucht. Danach hörte er tatsächlich auf zu züchten. Die 33 wunderbaren Tiere auf seinem Hof sind nun der Status quo und wir beraten, wohin es sich entwickeln soll. Er ist ein Arbeitstier und kann ohne Landwirtschaft nicht leben. Ich respektiere es und lobe seine Kompromissbereitschaft und dass er mir schon so weit entgegengekommen ist. Für einen Bauern ist das mehr als ungewöhnlich. Wir haben uns jetzt einmal auf ein paar Dinge geeinigt, um einen guten Weg für alle zu finden:

– kein Rind wird (weiter)verkauft

– kein Rind wird auf einen LKW verladen oder anders in die Enge getrieben

– die Kühe müssen nicht mehr jedes Jahr ein Kalb gebären

– und zuletzt, allerwichtigst: kein Tier wird in Angst versetzt und geschlachtet

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Foto: Christines und Wolfgangs Rinderherde im 'Sommerlager' auf der Alm!
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Foto: im Winter zu Hause im warmen Stroh!

Wolfgang ist Landwirt mit Leib und Seele. Für ihn ist seine Arbeit die schönste der Welt und das soll auch so bleiben. Eine Überlegung ist deshalb, die Rinder einfach alt werden zu lassen, bis sie salopp formuliert dem Weg nicht mehr nachkommen. Die Idee ist, ein solches Tier im Offenstall oder auf der Weide zu erlegen, ohne Angst, ohne Panik. Nebenbei haben einige Tiere, wie z.B. unser Bonzo, ein von uns als Stierkalb geretteter, mittlerweile 4-jähriger Ochse, sowieso ihren Lebensplatz bei uns. 

Unsere Rinder führen hier ein echtes, jahrelanges Rinderleben, sind dabei nie angebunden, verbringen ihre Zeit ausschließlich im Herdenverband im offenen Laufstall und 4 Monate jährlich auf Weide und Alm. Sie tragen ihre Hörner mit Stolz und verletzen einander nicht. Es ist rund um die Uhr genügend Futter für alle vorhanden, es kann immer zwischen mehreren Ballen Heu und Silo ausgesucht werden. Dadurch ist immer Ruhe in der Herde. Wir haben die Biolandwirtschaft am Hof entschleunigt, mit allem, was dazu gehört und ich bin sehr stolz auf meinen Mann.“

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Es sind unfassbar schöne Rinder, die wir hier bei unserem Besuch vor uns sehen. Allesamt machen sie einen äußerst gesunden und kräftigen Eindruck, und bei dem wunderbaren Anblick breitet sich ein zuvor nicht gekanntes Wohlgefühl urplötzlich auf Betrachtende aus, eine innere Wärme entfaltet sich, ergreift das ganze Sein. Zufriedenheit, nichts als Zufriedenheit, pure Entspannung. Einfach nur wunderschön. 

Unsere GastgeberInnen erzählen uns, dass die Tierherde im Moment so ca. 850 bis 1 000 kg Heu pro Tag zu sich nimmt, eine wahrlich unglaubliche Menge. Wir bewundern Wolfgang wirklich: könnt Ihr Euch vorstellen, wie es für einen Mann sein muss, der die Landwirtschaft sozusagen in die Schuhe gelegt bekommen hat, plötzlich einen solchen Weg zu gehen? Aus Liebe, und die muss eine richtig große sein, sonst wäre dies wohl ganz und gar unmöglich. Was werden die Nachbarn sagen, die Bauerleute rundherum? „Jetzt-dreht-er-völlig-durch?!“, das wird noch die freundlichste Formulierung gewesen sein. Dem Vater entlockte es ein Schmunzeln, so als ob er den Sohn immer noch nicht ganz ernst nehmen kann. Ja, er akzeptiert dessen Entscheidung, aber ob er sich auch damit wohlfühlt? Ob er es nachvollziehen kann? Jedenfalls – für uns ist Wolfgang ein schier unerreichbares Vorbild, eben weil er tut was er tut! Sein jetziger Weg, der kann nur durch unerschütterliche Liebe begangen werden, der braucht so viel Mut, wie ihn die wenigsten Menschen wohl jemals aufzubringen imstanden sind…

Rinder im Laufstall, mit riesigen Hörnern - wahre 'Longhorns'

Foto oben: es sind fast schon ‚Longhorns‘! 🙂 unten: es war für uns alle ein wunderschöner und ganz besonderer Tag im Außerfern!

Mädchen vor den Kühen im Laufstall
das wunderschöne rind wird von Frau mit der Hand gefüttert

All diese zwischenmenschlichen Nuancen miteinbezogen, gibt es für uns nur ein Fazit: dies ist eine der schönsten Geschichten des Jahres, wenn nicht die schönste überhaupt! Christine ist uns als herzlichste Tierschützerin sowieso vom ersten Augenblick an ans Herz gewachsen, genau wie ihre Familie, und Wolfgang, vor ihm verneigen wir uns im tiefsten Respekt. Eine derartige Entscheidung zu treffen, noch dazu im erzkonservativen ‚Heiligen Land Tirol‘, das ringt breiteste Anerkennung ab. Eine Entscheidung für die Liebe, für die Familie – vielleicht die größte Tat, die ‚Mann‘ vollbringen kann. Und was immer auch in Zukunft passiert, alleine die letzten vier Jahre sind schon ganz und gar außergewöhnliche gewesen, solche, die in ihrer Aussage, in ihrer Strahlkraft, mit keinem Geld der Welt aufzuwiegen sind. Unbezahlbare Momente der Nächstenliebe. Mit enormer Vorbildwirkung behaftet. Zum Nachdenken anregend. Gerade jetzt wohl, in der Vorweihnachtszeit.

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Foto: ein unfassbar beruhigender Moment: die Herde beim Mittagsschlaf! 🙂

Bevor jetzt wieder Manche sagen werden: ‚Ja, aber was ist denn daran so schön? Sterben werden die Armen trotzdem!‘. Ja, das könnte sein, aber bis dahin werden noch viele Jahre vergehen. Vergesst nicht, es sind jetzt schon ihrer vier gewesen, und wäre es nicht zu dem derzeitigen (vorläufigen) Kompromiss gekommen, keines der vor uns friedlich liegenden Rinder wäre wohl heute noch am Leben. Vier Jahre schon, wo keine Kuh sterben musste, wo kein Kalb in eine unschöne Zukunft hinein geboren wurde, wo ‚Kuh‘ einfach nur ‚Kuh‘ sein durfte. Und, wer weiß was die Zukunft bringt; vielleicht, nach weiteren 10 Jahren des Zusammenlebens, vielleicht wird ja sogar doch noch ein waschechter Lebenshof aus der Landwirtschaft von Christine und Wolfgang. Ich persönlich denke, die Zeichen hierfür stehen mehr als nur gut!

P.S.: wer von Euch hätte einen Rat für die Familie? Was meint Ihr, wie könnte man künftig agieren, um all den mit diesem Weg einhergehenden Problemen – auch den unweigerlich familiären, jenen alleine aus der Tradition heraus, selbstredend natürlich auch denen durch finanzielle Belastung (denkt doch mal, rund 1000 kg Heu pro Tag) – Herr/Frau zu werden? Bitte schreibts uns Eure Meinung, info@respektiere.at, wir freuen uns auf Eure Kommentare und werden, wer das möchte, diese dann in einem folgenden Newsletter zusammenfassen!

Achtung, Achtung! Am Montag, dem 6. Dezember pünktlich um 18 Uhr strahlen wir auf der Welle der Radiofabrik (97,3 bzw. 107,5) ein bezauberndes Interview aus, welches uns Christine für unser Radio RespekTiere gegeben hat! Unbedingt reinhören!

Zu empfangen auch über Cablelink 98,3 oder den Livestream (www.radiofabrik.at)! Wer’s versäumt, macht nix: Wiederholungen gibt es am folgenden Dienstag, 07. Dezember, um 7.30 Uhr und noch eine am Samstag, 11. Dezember, um 9 Uhr! Selbstverständlich dann auch auf www.respektiere.at unter dem ‚Podcast-Button‘ nachzuhören!

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