Tierleid im Namen der Bildung? Hai und Alligator im ‚Haus der Natur‘

Immer wieder melden sich Menschen bei uns, nachdem sie das weithin bekannten ‚Haus der Natur‘ in Salzburg besuchten; warum sie das tun, ist schnell erklärt: sie empfinden die Unterbringung verschiedener Tiere dort mehr als nur beanstandenswert.
Ganz stark in der Kritik steht dabei stets das Becken eines Haifisches. Ein Meeresräuber, diese Tiere legen in der Natur oft tausende Kilometer im Monat zurück, muss dem Anschein nach in der ‚Bildungsstätte‘ in einem nur wenige Meter umfassenden Aquarium sein Leben mit ständigem ‚im kleinsten Kreise schwimmen‘ verbringen, wird empört berichtet.
Dieser Tage machten wir uns endlich selbst ein Bild von der Situation; es sei vorweggenommen: im Großen und Ganzen ist das ‚Haus der Natur‘ ein Ort, wo viel Wissen in gebündelter Form auf die BesucherInnen wartet. Man kann dort einen sehr informativen und kurzweiligen Tag verbringen, und man wird das Gebäude sehr wahrscheinlich klüger verlassen, als man es zuvor betreten hatte. Leider gibt es dann aber auch tatsächlich dieses ‚aber‘; und es ist vielmehr ein ‚aaaaber‘…
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Foto: …der sich im immerkleinsten Kreise dreht… Bildungsauftrag erfüllt?
Fangen wir also von vorne an: gleich im Erdgeschoss finden sich die Aquarien, darunter das erwähnte ‚Haifischbecken‘; der erste Impuls sagt den Betrachtenden vielleicht noch: wow, was für eine faszinierende Unterwasserwelt; was für ein wunderschönes Aquarium‘. Aber schon der zweite lässt erstere einsicht sowas von komplett revidiert zurück. Denn tatsächlich schwimmt der arme Fisch dort seine immergleiche Runde, wieder und wieder. Der Größe der Umwelt geschuldet, ist sein Weg dabei eher ein ‚sich um den eigenen Körper drehen‘, vielmehr lässt der Umfang dieser Welt, die wohl eher ein Fegefeuer für darin hoffnungslos gefangene darstellen muss, nicht zu. Monotonie pur, ohne jegliche Abwechslung. Stereotyp, ständig dieselbe Route, man kann buchstäblich die Stelle an der Glaswand vorhersagen, wo der Räuber im nächsten Moment wiederauftaucht. Links nach unten, der Scheibe entlang, dann rechts vorne am Glas, langsam nach oben, bevor er am Ende des Beckens erneut den Weg nach unten einschlägt. Punktgenau. Ein Kreis dauert 15, 20 Sekunden, also wird er ihn mindestens 3-mal in der Minute vollführen. 180-mal in der Stunde, rund 4300-mal am Tag. Jeden Tag. Ohne Ende, ohne Anfang. Die Infoschrift für die interessierten Besuchenden verrät: dieser Fisch muss immer schwimmen, anhalten wäre tödlich (wenn sie nicht ständig in Bewegung sind, oder sich an einer Stelle befinden, an der eine Strömung Wasser in ihre Kiemen drückt, können die Haie ersticken, Anm. Wikipedia).…
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Was das Ganze unserer Meinung nach noch dramatischer macht; denn von der Natur aus gezwungen immer ‚im Fluss‘ zu sein, dazu vom Menschen genötigt, die ständige Bewegung im kleinsten Rahmen zu vollführen, muss wahrlich eine immense Herausforderung für Körper und Geist darstellen… aber vielleicht, wir werden danach fragen, sagen uns die ExpertInnen (welche im ‚Haus der Natur‘ ganz sicher zugange sind), Gegenteiliges; wir sind gespannt!
Jedenfalls, in modernen Tagen, wo die Technik bereits so unfassbar weit fortgeschritten ist, könnte da nicht auch ein mechanischer, täuschend echt nachgebildeter Fisch seine Runde ziehen? Diese Frage stellt sich zumindest den Laien unter uns. So ganz ohne den Hintergrund der Tierquälerei dann. Wo, so grübelt der/die AmateurIn, liegt der Wert in einer bloßen Zurschaustellung tierlichen Leides? Wie hoch ist wohl der Bildungsgrad, wo der Unterschied für die Betrachtenden, ob sich nun ein mechanischer Fisch oder ein ‚echter‘ stetig im Kreise dreht? Die Internetseiten verraten: ‚Lebendtierhaltung erfüllt viele Aufgaben. Besucherinnen und Besucher können in naturnah gestalteten Lebensräumen exotische und heimische Lebewesen aus nächster Nähe beobachten. Sie lernen ihr Verhalten und ihre Bedürfnisse kennen und erwerben dabei Verständnis für die Notwendigkeit ihres Schutzes. Eine wesentliche Aufgabe ist auch die Erhaltung und erfolgreiche Weiterzucht von Arten, deren Fortbestand in freier Natur nicht gesichert ist.‘ So weit, so gut; aber glaubt irgendjemand tatsächlich, dass dies alles ausschließlich dann passiert, wenn ein ‚echtes‘ Tier gezeigt wird? Was lerne ich über die Bedürfnisse, wenn ich ein im winzigsten Gefängnis verglichen mit dem Natürlichen eingesperrtes Wesen beobachte? Vielleicht, dass der Hai ganz eindeutig zu Verstehen gibt, dass er das Verlangen hätte, seine Kreise auf 1 000, 10 0000, 100 000, 1 Million, ja 100e Millionen mal größerer Fläche zu ziehen? Und, wobei erwerbe ich ‚Verständnis für die Notwendigkeit dessen Schutzes‘, wenn selbst die, die vorgeben, das Wesen vor mir schützen zu wollen, es in unfassbare Triste pferchen? Glauben die BetreiberInnen wirklich daran, hier einen imaginären Bildungsauftrag zu erfüllen, oder könnten sie sich nicht eher vorstellen, dass es sogar weit wahrscheinlicher sein wird, dass viele Menschen – und immer mehr, speziell besonders die emphatischen – von einer derartigen Präsentation angewidert zurückbleiben? Trotz des edlen Rahmens verhält es sich hier nämlich in Wahrheit nicht anders als in längst vergangen Zeiten, wo Andersartige den Gaffenden vorgeführt wurden… irgendwann einmal war der mit körperlicher Anomalie versehene, dann der Fremdartige, in Ketten seiner Welt entführte, dann der gebrochene Tiger oder Bär, jetzt die ‚Meeres-Bestie‘; auch wenn diese nur einen Meter groß ist, entlockt der Anblick des Haifisches dem/der einen oder anderen vielleicht doch noch einen wohligen Schauer.
Wir wollen uns an dieser Stelle ganz sicher keinerlei Unterstelltungen schuldig machen; ein solcher Effekt scheint aber dennoch beabsichtigt.
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Fotos: Tiere, zum Leben auf engstem Raum verdammt; bitte beachte: durch die Wasserverzerrung wirken die Becken sogar noch größer als sie es in der Realität sind!
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Nur unweit entfernt, in Fakt ein paar ‚Beckenlängen‘, dasselbe Bild: dieses Mal ist ein Süßwasserrochen der Leidtragende; seine Welt ist noch eine wesentlich kleinere, keine 1,5 Meter lang misst sie in ihrer Gesamtlänge. Dort begnügt sich der Fisch – zumindest Zeit unseres Aufenthaltes – ohnehin aber mit winzig kleinem Platz: er hat sich in eine Ecke zurückgezogen, welche er andauernd abzusuchen scheint. Fieberhaft wühlt er am Boden, ganz so, als ob er etwas verloren, steigt dann die Scheibe entlang in die Höhe, immer an der Aquariumskante, bis er ‚oben‘ (wohl kaum einen Meter ist der Raum tief) angekommen ist; wo er dann schon im nächsten Augenblick wieder zum Ausgangspunkt zurückgleitet. Immer im selben Rhythmus, man kann die Uhr danach stellen. Ein Leben in Abläufen, immer gleich, ohne Reize, ohne Hoffnung… herzzerreißend. Noch schlimmer wahrscheinlich: völlig sinnlos.
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Fotos: Lebensraum oder Gefängnis? Was für eine Frage…
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Der ‚Reptilienzoo‘ in seiner Gesamtheit – die Museumsverantwortlichen mögen es verzeihen – erinnert eher an eine Reptilienmesse; oder an die 50er-Jahre des vorigen Jahrhunderts, wo man es vielleicht noch als in Ordnung erdachte, eine 2-qm-große Imitation einer fremden Welt herzustellen, begrenzt von Glas und Draht. Der Hintergrund meist nur pure Makulatur, Landschaftstapete, denn nicht dem oder der Eingesperrten muss er genüge tun, viel eher den Betrachtenden.
Dort leben die armen Tiere also, in einem Abzugsbild ihrer natürlichen Umgebung, minimiert auf das Mindeste. Trotz der Verbotsaufkleber klopfen zudem andauernd Menschen an den Scheiben, fotografieren mit Blitzlicht. Stören die Armen, welche in Wahrheit nicht mehr sind als lebende Tote. Besonders bei Reptilien, welche sich ohnehin die meiste Zeit des Tages hinweg wenig bewegen, ist es umso unverständlicher, dass die Tiere nicht längst durch Animation oder lebensecht wirkende Attrappen ersetzt sind. Wir leben im 3. Jahrtausend, und es ist tatsächlich noch notwendig, dass eine Schlange, eine Echse, ein Schildkröte auf einem Quadratmeter Platz leben muss, nur um begafft zu werden? ‚Sie lernen ihr Verhalten und ihre Bedürfnisse kennen…‘ ist wohl ein blanker Hohn. Denn wie denn das, in dieser Umgebung? Erklärungsnot pur. Das einzig Erkennbare ist die Triste, das ’sich aufgegeben haben‘, die bleierne Langeweile. Privathalter würden für so eine Haltung böse Blicke ernten, so viel steht fest.
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Fotos: wie vor 50 Jahren, so wirken manche dieser Terrarien; besonders jene, welche mittels Fototapete eine Raumvorstellung erwirken möchten…
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Foto unten: ‚Rundherum-Terrarium‘ – Vorteil: die Tiere können von allen Seiten betrachtet werden, Rückzugsmöglichkeit gleich Null…
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Unfassbar auch, dass da tatsächlich ein Alligator sein klägliches Dasein fristet; am Grund des nachgebildeten Wasserlaufes wartet er, stundenlang ohne jede Regung; aber auf was? Auf ein besseres Leben wohl – nein, auf überhaupt nur ein Leben! Seines wurde ihm nämlich von jenen gestohlen, die denken, genau solche Orte mit einem ‚Blickfang‘ ausstatten zu müssen. Lebensverachtend. Echte Blickfänge, wahre Attraktionen, welche nicht auf Kosten von Mitgeschöpfen gehen,finden sich mit wenig Mühe und ein bisschen Kreativität abertausende andere …
Ein Beispiel: vor den Scheiben des ‚Geheges‘ verweilen die Menschen ein paar Minuten, wobei sehr viele davon die Zeit bloss nutzen, um dem völlig apathisch wirkenden Reptil irgendeine Bewegung abzunötigen; im ‚Science Center‘, wo man anhand praktischer Beispiele am eigenen Körper die Wissenschaft erfahren kann, tummeln sich hingegen die Massen, und sie verweilen dort auch unverhältnismäßig länger.
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Foto: der Alligator, seinem Schicksal ergeben…
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Befremdlich wirken dann ebenfalls die vielen Schaufenster, wo dahinter verschiedenste Tiergattungen präsentiert werden; allesamt ausgestopfte Exemplare, die mit toten Augen in eine seltsame Welt blicken. Der Mief längst vergangener Jahre scheint an den ‚Exponaten‘ zu kleben. ‚Modern‘ wirkt das Gezeigte jedenfalls nicht, wohl eher, und wahrscheinlich nicht nur für uns Tierschützende, vielmehr abstoßend. Erinnerungen an die ‚Hohe Jagd‘ werden wach, ein Paradies für TrophäenjägerInnen. Besonders beklemmend wirkt dabei tatsächlich aber dann der ‚Haus‘- und ‚Nutz’tierbereich, wo beispielsweise Dutzende Hunderassen präsentiert werden. Welcher Eindruck bestätigt sich zuerst? Jener der Skurrilität, oder doch der des puren Grauses? Gruselig, allemal. Selbstredend kann man die Szenerie aber auch differenziert sehen; wir gehen einmal ganz fest davon aus, dass die ausgestellten Tierleichen natürlich nicht für diese Endabsicht getötet worden sind, und sie derart präpariert wenigstens noch einen Zweck erfüllen. Mag sein. Die Zurschaustellung mag Interesse wecken, mag anregen, mehr über jene Wesen zu erfahren, zumindest über die exotischen darunter; mag in ein Nachschlagen, später, zu Hause, münden. Würdevoll ist sie für die Ausgestellten aber nicht, auf diesen Punkt kommen wir noch zurück. Denn, eine Frage muss jedenfalls erlaubt sein: hinter manchen Scheiben verbirgt sich eine andere Welt; so wird beispielsweise das Leben in Nepal gezeigt, eindrucksvoll, ohne jeden Abstrich. Aber hier offenbart sich das Dilemma einer neuen und hoffentlich emphatischeren Weltanschauung: die gezeigten Menschen sind natürlich allesamt aus Kunststoff ‚gefertigt‘, niemand würde Mumien sehen wollen; aber die Tiere, welche sie umgeben, Yaks beispielsweise, oder Raben und Geier, sie stammen dementgegen wie selbstverständlich aus der Taxidermie, der Tierpräparation… warum, das soll mal einer beantworten. Weil die Mitgeschöpfe über weniger Würde verfügen, bzw. über gar keine, schon gar nicht im Tod? Derartig Infames hätte wohl ein Descartes, der zu Beginn des 17. Jahrunderts die Tiere als ‚Automaten‘ bezeichnete, als ‚funktionierend wie das Räderwerk einer Uhr‘, aber dass diese Meinung längst überholt ist, wird wohl heute niemand mehr in Frage stellen. Auch nicht die Verantwortlichen solcher Ausstellungen und Schaufenster.
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Fotos: erinnert doch etwas an das berühmte Gruselkabinett…
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Fotos oben und unten: …besonders diese ‚Schaufenster‘ erwecken einen befremdlichen Eindruck. ‚Friedhof der Kuscheltiere‘-Fantasien werden wach!
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Wir möchten diesen Artikel nicht zu lange gestalten; daher sollten wir nun zum Schluss kommen. Uns wäre wichtig, dass die aufgeworfenen Fragen ein Nachdenken bewirken würden; eine Abwägung, bestenfalls eine Diskussion. Alleine das wäre ein Triumpf. Zuallererst allerdings, noch weit vor den anderen Thematiken, muss auf die lebenden Tiere ein Augenmerk geworfen werden. Nochmals also: Ist es tatsächlich noch immer rechtens, darf es das sein, dass ein Hai im allerkleinsten Kreise zu schwimmen verdammt wird? Dass ein Rochen ein derartig reiz- und lustloses Leben zu führen hat? Dass ein Alligator als lebender Toter ausgestellt ist? Dass Schlangen ihr Dasein auf einem Quadratmeter verbringen, nur, um die Schaulust einiger weniger zu stillen? Dass eine große Schildkröte, bestimmt Jahrzehnte alt, in einem Museum landet, beraubt aller elementaren Einflüsse des Lebens? Untergeordnet einer Blasphemie von Bildung, denn die vermeintlich angestrebte kann wohl ohne die direkte vor-Augen-Führung menschlicher Tyrannei viel besser funktionieren! Darüber sollten sich die Verantwortlichen ein paar Gedanken machen; handelt es sich dabei um jene des ‚Hauses der Natur‘, dann umso mehr, denn alleine der Name schließt doch eigentlich derartig Lebensabwertendes von vornherein einfach aus.
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Foto: Menschennachbildungen aus Kunstoff; warum aber muss das Yak dann eine Tierleiche sein? Eine ethische Frage wohl.
Natürlich aber gibt es auch ganz viel Gutes über diesen Ort zu sagen, denn ansonsten, abgesehen von den angesprochenen Beispielen, macht man hier ohne jede Frage einen ‚Super Job‘, und es wäre doch ewig schade, wenn man über diesem aus mehr oder weniger unerfindlichen Gründen durch dunkle Schatten das helle Licht beflecken lässt…
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