Interview mit festgenommener ‚Unbekannter Person 3‘ nach der Besetzung des LW-Ministeriums!

Gegen halb 6 Uhr morgens treffen sich rund 40 TierrechtsaktivistInnen an einer unbelebten Kreuzung in Wien zur Ausführung einer sehr spektakulären Aktion – man will das Landwirtschaftsministerium besetzen, um damit gegen die Sperre der ÖVP, allen voran Landwirtschafts-Minister Berlakovic, zum Kastenstand-Verbot für Schweine zu protestieren.
Dann geht alles blitzschnell: aus vollbeladenen Bussen stürmen TierschützerInnen, ungeachtet der nebenan befindlichen Polizeistation werden direkt vor dem Ministerium 2 sogenannte Tripods errichtet, bestehend aus jeweils 3 6 Meter langen Eisenstangen, in deren Mitte hängt ein Aktivist (Tripods sind von der Polizei nur unter größtem Aufwand zu räumen, weil eine gefahrlose Entfernung des Aktivisten praktisch nicht möglich ist; dieser kann sich nur von selbst abseilen, tut er dies nicht, steht die Polizei vor einem Problem, Anm.).
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Gut 15 AktivistInnen schließen im selben Zeitraum sämtliche Zugangstore, ihrer fünf, zum Ministerium, indem sie ihre Hände durch die Gitterstäbe der Tore strecken und sie dann außerhalb  in schweren Eisenrohren verschwinden lassen, sie mittels Ketten um die Handgelenke  innerhalb der Röhre verschließen.

Ein halbes Dutzend PolizistInnen erscheinen schon nach wenigen Minuten, da wie gesagt direkt neben dem Ministerium eine Polizeistation untergebracht ist. Die Uniformierten, ihrer (noch) zu wenige, müssen jedoch tatenlos zusehen, die Aktion läuft eilig und äußerst professionell ab und innerhalb von wenigen Minuten hängen zusätzlich überall Transparente, sind die Leute festgekettet.
Bald erscheinen weitere Polizeieinheiten, die Wega wird herangezogen.
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Am Vormittag kommt der ORF, verschiedene Medien beginnen AktivistInnen zu interviewen. Martin Balluch, Obmann VGT, erklärt den Stand der Dinge, das Warum der Aktion.

 Der Tag soll ein heißer werden, die Sonne strahlt vom Himmel und gibt der Prozedur einen würdigen Rahmen. Die Stimmung unter den TierschützerInnen ist prächtig, man freut sich über den so gelungenen Auftakt der Aktivität.
Am Nachmittag, Montag, spitzt sich die Situation zu; nun erschienen plötzlich mehrere Dutzend bewaffnete BeamtInnen mit offensichtlich klaren Befehlen, die Stimmung ist am Siedepunkt.
Gegen 17 Uhr kommt erneut Bewegung in die Szenerie – ein Großaufgebot der Feuerwehr erobert den ‚Tatort‘, schweres Bergungsgerät inklusive. Man versucht nun zuerst die Tripods zu entfernen; letztendlich muss ein Aktivist aufgeben und sich abseilen; der zweite allerdings bleibt eisern, trotz einiger Versuche der BeamtInnen, ihn aus seiner Lage zu entfernen. Nun liegt es an der Feuerwehr, man fährt eine Leiter aus, die reicht jedoch nicht ganz. Ein riesiges Einsatzfahrzeug wird herangezogen, die Leiter am Rücken des roten Stahlmonsters ausgefahren, ein Feuerwehrmann sitzt im darauf befindlichen Korb und versucht den Aktivisten in das Gehäuse zu ziehen – keine Chance. Letztendlich aber hat man die leuchtende Idee – man lenkt die Leiter zwischen den drei Beine aus Eisen hindurch, platziert den Korb genau unter dem Tierschützer und ein Feuerwehrmann schneidet ihn los, sodass dieser in den metallenen Rahmen fällt; dann wird der Aktivist sicher zu Boden geleitet, von vier Wege-Beamten gepackt und unter eigenem und dem der versammelten Menge ausgerufenen Protesten weggetragen.
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An dieser Stelle möchten wir unsere Hochachtung den beiden an den Tripods gegurteten Aktivisten gegenüber aussprechen; in luftiger Höhe über einen Zeitraum von nahezu 12 Stunden zu baumeln, zu fast völliger Bewegungslosigkeit gezwungen, einem immensen Druck auf Psyche und Körper ausgesetzt, ist schon eine mehr als bewundernswerte Leistung! Eine Leistung, die nur dann möglich abrufbar wird, wenn man sich bewusst dessen ist, warum man sie zu vollbringen gedenkt; um das Leid anderer, Stimm- und Wehrloser, zu lindern!

Ein sehr sportlicher Aktivist hat die vor dem Ministerium stehende wunderschöne Statue des Grafen Radetzky erklommen; dort, in einigen Metern Höhe, bringt er ein großes Transparent an; auch hier setzt die Polizei auf ein Gewahrsam-Nehmen; selbst kann sie jedoch nicht einschreiten, zu schwierig ist der Sockel wohl zu erklimmen, so ist dies wieder Aufgabe der Feuerwehr auf des Kranfahrzeuges; ein Feuerwehrmann versucht den Tierschützer zu stellen, doch dieser filmt mit seiner Kamera seelenruhig den Einsatz und leistet der Aufforderung in den Korb zu steigen, keine Folge; es kommt zu drei weitere Versuche in zum Aufgeben zu bewegen – ergebnislos! Die Feuerwehr bricht das Experiment entmutigt und desillusioniert ab. Später nutzt der Aktivist einen unbeachteten Moment; während die Polizei beginnt sich auf die Angeketteten zu konzentrieren, klettert er vom Sockel der Statue herunter und verschwindet unter großem Applaus unbemerkt in der Menschenmenge.
Nun beginnt man die angeketteten AktivistInnen zu entfernen; allein, es bleibt beim Versuch – lediglich drei davon schafft das Großaufgebot ihrer Fesseln zu entledigen, diese werden unsanft weggetragen.
Ein halbes Dutzend PolizistInnen versuchen an meinen Fesseln zu hantieren, quetschen und klemmen, drücken, versuchen mit einer Bolzenschere zwischen Eisen und Arm zu gelangen, um so die innenliegenden Ketten zu erreichen; einige Schmerzschreie später, die Armbänder an meinen Unterarmen werden durchtrennt, doch die Ketten werden nicht erreicht. Man versucht einen Draht einzuziehen, welcher zwischen Arme und Eisenrohr gezogen wird, um die Ketten anzuheben – so will man es schaffen die Bolzenschere einzusetzen und die Eisenglieder zu durchtrennen – nach einer gefühlten Ewigkeit geben die Beamten auf.
Selbiges Szenarium bei der Tierschützerin links neben mir; auch sie widersetzt sich mit allen Mitteln der Entledigung ihrer Fesseln, kämpft einen aufwühlenden Kampf gegen sich selbst und eine Dutzendschaft von Wega-Beamten. Es gelingt den Einsatzkräften nicht sie loszuschneiden!
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Der Tripod wurde mit großer Mühe geräumt                                            …und sogar der Rechtsanwalt der TierschütezrInnen abgeführt!

Der Aktivist rechts von mir hat nicht so viel Glück; irgendwie bekommen die Wega-Kräfte nach minutenlangem Kampf die Kette an den Gelenken mit der Schere zu fassen; dabei verletzten sie ihn auch immer wieder, , jedenfalls beanstandet er die brutale Vorgehensweise der BeamtInnen lautstark. ‚Keine Gewalt‘-Sprechchöre dringen nun aus Dutzenden Kehlen zu uns herüber, wir schließen uns dem Stakkato aus voller Kehle an; ‚Tierbefreiung, Menschenrecht – ein Kampf, ein Gefecht‘-Rufe werden lauter und lauter, bis sie den gesamten Platz erfüllen und gerufen wie aus einer Kehle in der beginnenden Nacht verebben. Schon zerren die Polizisten den Tapferen an Händen und Füßen von seiner Position; er wird weggetragen, entschwindet unserem Blickfeld – was sehr schade ist, denn er ist genau ein solcher Kämpfer, wie man ihn sich in schwerer Stunde zur Seite wünscht.

Es wird nun langsam finster, plötzlich kommt nochmals Bewegung in die Staatsmacht – man lässt zwar zunehmend von uns ab, baut aber im Gegenzug Zäune in etwa drei Metern Entfernung auf; was bedeutet, ab diesem Zeitpunkt sind alle TierschützerInnen hinter den Toren des Ministeriums abgeschotet, niemand darf zu uns durchdringen, uns mit Nahrung oder Wasser versorgen. Der Verdacht erhärtet sich: die Polizei setzt jetzt auf den Faktor Zeit, will uns aushungern oder zumindest mürbe machen; im Wissen, dass der Widerstand ein sehr aufreibender, sich von Minute zu Minute schwieriger gestalten wird, in Anbetracht der so körperfremden Haltung, welche die Angeketteten einnehmen müssen. Dann zieht der Großteil der Spezialeinheit ab, zurück bleiben gut 20 PolizistInnen zur Bewachung für die Nacht.
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Diese soll eine bittere werden; es ist bald relativ kalt, alle Knochen tun weh, nun nach mehr als 18 Stunden Ausharrens in immer selber Position. Außerhalb des Korridors verbleiben gut 2 Dutzend AktivistInnen, ungebrochenen Geistes, die ganze Nacht über; gegen Mitternacht wird es einzelnen gestattet doch wieder zu den Angeketteten vorzudringen, diese zu versorgen und wärmende Decken zu bringen. Der Mond, fast kugelrund, taucht die Umgebung in fast gespenstisch mattes Licht, erhellt die finsteren Stunden; die letzten Zigaretten – natürlich solche, für welche keinerlei Tierversuche veranstaltet worden waren – werden geteilt, kratzender Rauch füllt manch geplagte Lungen.

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Die neuerliche Versorgung mit Gütern wird für mich fast zur Überlebensnotwenigkeit: nun sind wir seit gut 8 Stunden durchgehend angekettet; weil wir zuvor die Möglichkeit gehabt haben uns alle ca. zwei Stunden abzuwechseln, bin ich gedankenlos gewesen und hab keine Windel angelegt – diese Unvorsichtigkeit kommt mir teuer zu stehen; stundenlang kämpfe ich gegen den Harndrang an, dann die Erkenntnis: die Polizisten werden nicht unaufmerksam, sobald ich meine Lage verändere, die Ketten für eine noch so kurze Pause öffne, werden sie die gebotene Chance zu nützen wissen – es hilft nichts… also sitze ich mehrere Stunden im Nassen!

Jetzt bekomm ich eine neue Hose, ich befreie mich aus der peinlichen Lage und ziehe diese ohne Unterwäsche über, während von außen 2 der so großartig ausharrenden AktivistInnen ein Transparent enthüllen, einen Sichtschutz, der auf die Polizei wie ein weiterer beginnender Protest wirken muss und sie deshalb nicht zur Reaktion verleitet. Ich stecke meine nassen Sachen in einen Sack, und bin nur eine Minute später zurück in alter Position.
Trotz der Misslichkeit der Lage ist die Stimmung unter den TierschützerInnen weiterhin ausgesprochen gut; immer wieder kommen von außen welche zu den Gittertoren und füttern die Angeketteten mit veganen Pizzaschnitten oder Süßigkeiten, sprechen Durchhalteparolen aus; ein junger und äußerst engagierter Aktivist aus dem Westen Österreichs gesellst sich zu mir, wir unterhalten uns prächtig; dann rollt er sich in seinen Schlafsack, die blanke Bordsteinkante als Polster nutzend, und in derart unbequemer Lage schläft er schließlich direkt an die Gitterstäbe gepresst und mir so Windschutz bietend ein. Fast macht er mich nachdenklich, hätte der junge Mann doch auch eine der Bänke oder zumindest eine wesentlich angenehmere Schlafposition außerhalb des Korridors einnehmen können, aber nein, er hat diese Form der Solidarität gewählt, was ihm sehr zur Ehre gereicht. Mit jungen Menschen wie diesem hier, da braucht sich die Tierrechtsbewegung keine Sorgen zu machen, so wird sie nicht nur bestehen, sie wird von Tag zu Tag stärker…
Die so mutige Aktivistin neben mir ist auch noch immer guter Dinge; überhaupt, sie ist die Personifizierung der absoluten Durchhaltekraft, von einer nicht zu überbietenden Zähigkeit, ja fast der Inbegriff der Unbesiegbarkeit der Frau – Sie sehen, ich ringe nach geeigneten Attributen, aber in Anbetracht der absoluten Unterordnung eigener Befindlichkeit der Sache gegenüber komme ich kaum aus dem Staunen. Tatsächlich,  noch immer macht sie Scherze, ist unverändert ungebrochenen Willens, im Gegenteil, überlegt sie doch den Protest wenn es sein muss auch über Tage hinweg auszudehnen, ungeachtet jeglicher körperlicher Anstrengungen; ich seh sie voller Stolz an und erinnere mich an eine Weisheit der Cheyenne-Indianer: ‚Eine Nation ist erst dann besiegt wenn die Herzen ihrer Frauen zu Boden liegen; erst dann ist es vorbei, ganz egal, wie tapfer die Krieger oder wie mächtig ihre Waffen sind – dann ist es zu Ende!‘ Jene junge Frau in der Ecke links von mir, sie würde dem Autor dieser so epochal wie wahren Zeilen wohl einen Seufzer entlocken, die Richtigkeit seiner Worte eindrucksvoll unterstrichen zu sehen …
Sonnenaufgang; wir haben alle nicht geschlafen, es ist einfach unmöglich in dieser Lage Ruhe zu finden. Gegen 7 werden die PolizistInnen ‚ausgewechselt‘, neue Mann(Frau)schaften erscheinen. Man hört immer wieder Worthülsen wie ‚mit denen würde ich ganz anders verfahren’, ‚wenn die mich fragen würden, ich wüsste die Lösung‘, und dergleichen geistloser Formulierungen, einer braunen Vergangenheit entsprungen; andererseits, und hier gilt es eine Brücke zu schlagen, tun diese Männer und Frauen auch nur ihren Dienst, und nicht nur das – einige lassen doch ganz eindeutig durchblicken, wo deren Sympathien liegen! Ich glaube es würde allen Beteiligten im Zuge einer solchen Konstellation zu Ehren gereichen und durchaus nützlich sein, die Angelegenheit von verschiedenen Blickwinkeln aus zu betrachten; natürlich muss uns auch bewusst sein, so ganz ohne ist es nicht ein Ministerium völlig zu verschließen (ganz ohne nicht, aber dennoch sehr cool :)), und natürlich muss uns bewusst sein, dass es Menschen gibt, die unser Tun nicht gutheißen. Und auch deren Stimme muss in einer funktionierenden Gesellschaft der Raum zugedacht werden Gehör zu finden; akzeptieren wir das nicht, machen nämlich WIR uns der Intoleranz schuldig. Angesichts all dieser Aspekte, dennoch, es muss ein Unterschied sein, ob freiwillige AktivistInnen derartiges durchmachen, um anderen Lebewesen – auf deren Schicksaal aufmerksam machend – zu helfen versuchen, oder ob Dinge aus Gründen der persönlichen Bereicherung, aus egoistischen Trieben heraus erfolgen – hier wird der Gesetzgeber in die Verantwortung gezogen, darf sich davor nicht drücken – und es kann nicht sein – siehe Tierrechtsprozess – solchen Menschen mafiose Machenschaften zu unterstellen und sie nach deren Maßstäbe zu richten versuchen!!! Kurz und gut: die Polizei-Einheiten tun ihren Job, den machen sie mal ganz fantastisch (sind wir froh dass wir sie haben!), mal weniger gut – TierechtsaktivistInnen kommen ihrer Aufgabe nach, welche dann ebenfalls mal besser mal schlechter umgesetzt wird. Eine trennende Linie, oder gar offene Aggression, darf es deshalb zwischen den Partien nicht geben, besteht überhaupt kein Grund dafür. Eine persönliche Beurteilung steht BeamtInnen dann aber ganz sicher im Kreise der Familie oder im selben von FreundInnen zu, hat aber im Augenblick des Aufeinanderpralls so rein gar nichts verloren; warum? Weil solche Aussagen es sehr oft sind, welche eine Situation völlig unnötigerweise eskalieren lassen können…
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Zurück zur Szenerie vor dem Landwirtschaftsministerium: offensichtlich wartet man auf einen Ranghohen, der bestimmt, was mit uns zu geschehen hat. Nun beschließen wir: nach 30 Stunden, als gegen halb 12 Uhr vormittags, brechen wir die Blockade ab. Wir haben erreicht was wir wollten; der ÖVP zu zeigen, dass wir uns deren Veto nicht gefallen lassen, dass es uns möglich ist, wirksame Proteste einzuleiten! Das Thema ‚Kastenstand‘ in aller Munde zu bringen, eine weitere öffentliche Diskussion angeregt zu haben.

Gegen 11 erneute Aufregung – wieder erschienen viele, viele Uniformierte, man bereitet offensichtlich eine Räumung vor. Dann sagt sich nochmals der ORF an, wir sollen bis halb 1 durchhalten. Verschiedene Kamerateams wollen unseren Abzug filmen, die Polizei weiß davon noch nichts.
Gegen halb 1 lassen wir die Ketten fallen; unter tosendem Applaus einer nun beträchtlich angewachsenen Zuschauerenge verlassen wir völlig freiwillig und gewaltfrei das Gebäude.
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Die Polizei hatte zuvor  immer wieder mitgeteilt, bei einer freiwilligen Auflösung gehen wir straffrei aus, dürfen nach Hause gehen.

Plötzlich ist alles anderes: im Wimpernschlag des Augenblicks finden wir uns umstellt wieder,  wie das sprichwörtliche Kaninchen in der Falle – der Einsatzleiter gibt Befehl dazu. Ein Aktivist taucht blitzschnell unter dem Zaun hinweg, die Polizisten können ihn nicht stellen und er verschwindet in der Zuschauermenge. Ich bewundere den Unbekannten, während ich noch die Flucht überlegt hatte, war er schon weg – derart schnell nach 30 Stunden der Entbehrung und gefangen in bleierner Müdigkeit zu reagieren – mein tiefster Respekt möge ihn auf allen Wegen begleiten!
Den anderen wird der Weg versperrt – wir sollen Ausweise bereitstellen – tun wir natürlich nicht, werden auch keinerlei Auskunft geben. Die Polizei stellt ein Ultimatum; Identitäten freigeben oder Festnahme (in solchen Fällen erinnere ich mich immer wieder an ein Buch des so großartigen Paul Watson; er schrieb jene so einfachen wie wirkungsvollen Zeilen: ‚Nobody talks, everybody walks!‘ oder ‚Nobody signs, everybody’s fine‘!)
Jene mutige Aktivistin verwickelt den Einsatzleiter in ein Gespräch, möchte wissen warum zuvor von völliger Straffreiheit gesprochen worden war; lügt die Polizei, fragt sie klar und direkt, nicht zu unrecht. Der Dekorierte verwickelt sich in Worthülsen, bricht schließlich die Konversation ab, die klar zu Gunsten der Aktivistin ausgefallen ist.
Wir bilden einen Kreis, plötzlich stürmt auch noch M. Balluch aus der Zuschauermenge, gefolgt von einer Aktivistin, und wir alle bilden blitzschnell ein Gewirr aus Händen und Beinen, halten uns aneinander fest. Die Wega erhält den ‚Zugriffbefehl‘, stürmt vor und konzentriert sich dabei immer nur auf eine Person; so gelingt es, ausgesetzt den Buhrufen einer erbosten ZuseherInnenschaft und unter oftmaligen Schmerzschreien der betroffenen AktivistInnen, eine/n nach der/dem andre/n aus unserer Gruppe loszureißen und wegzutragen. Ich werde höchst unsanft gepackt, und letztlich an den Fuß- und Handgelenken genommen und aus dem nun schon sehr dezimierten Menschenknäuel entfernt; man wirft mich nach wenigen Metern unsanft zu Boden, befiehlt nun selbstständig weiter zu gehen, was ich nicht mache; so packen mich erneut Polizisten und schleppen mich zum Gefangenenwagen, wo ich in einer körpergroßen Zelle lande…
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Durch eine Trennwand höre ich die Mädchen, 4 wurden verhaftet. Martin B. und die so mutige Aktivistin, welche sich dem Sitzstreik angeschlossen hatte, wurden zwar entfernt, aber nicht abgeführt.

Die Fahrt geht durch die Stadt; dadurch, dass in meinem Raum kaum Platz zum Bewegen ist, überträgt sich die Schüttelei umso stärker und mir wird bald kotzübel. Nach gut 20 Minuten Fahrt hält der Wagen – wir sind im Paz (Polizei-Anhalte-Zentrum)…
Ich überlege ob ich mich wohl beim Öffnen der Tür auf den erstbesten Polizisten übergeben muss – wäre ein schwerer Fehler gewesen, dann da stehen richtige Henker, bilden einen Spalier und scheinen nur auf Provokation zu warten…
Den Gefallen mach ich nicht.
Unsanft werde ich ins Gebäudeinnere geleitet, übermüdet und geschunden. Ich komme in eine kleine Zelle, darin ist nur eine Bank – und grelles Licht, welches beinahe meine Augen blendet. Durch eine Glasscheibe hindurch fragt mich ein Polizist nach irgendetwas, doch das einzige was mir über die Lippen kommt, ist dass ich eben nichts zu sagen habe. Ich werde nochmals aufgefordert die Identität preiszugeben, eine Aufforderung, welcher ich erneut nicht Folge leiste.
Ein Polizist stellt sich vor, fast übertreiben freundlich, er fragt wegen einer Unterschrift, meint – oh, ich hab Ihren Namen vergessen, wie war der nochmal?…Der Griff in die unterste Trickkiste.
Dann schließt er etwas beleidigt das Glasfenster; ich warte gut 15 Min., dann lege ich mich auf die sehr schmale Bank und schlafe ein. Unsanft werde ich geweckt, ein sehr unfreundlicher Polizist übernimmt; bringt mich in einem Raum, wo ein zweiter wartet; ich solle mich ausziehen bis auf die Unterhose – leider hab ich keine an; so stehe ich nackt vor den Beiden, einer streift Gummihandschuhe über…Shit, soll das eine Ganzkörperuntersuchung werden? Gott sei Dank durchsucht er nur die Kleidung und die Stiefel… beide Männer sind nicht nur äußerst feindselig, sie lassen zudem auch noch spüren, dass ich für sie Abschaum darstelle.
Nochmals versucht man eine Befragung, ich bekomme einige Zettel vorgelegt; wieder erkläre ich keine Angaben zu egal was zu machen, und so holt mich ein weiterer Uniformierter ab, bringt mich in den dritten Stock – zu einem Verhör?
Nein, dort bekommen ich Bettzeug, d. h. 2 Leintücher – eins für ein Bett, das andere zum Zudecken, und 2 kleine Handtücher in die Hand gedrückt – und werde direkt in eine Zelle geschoben!
Vorher erfahre ich noch, dass, weil wir unsere Namen nicht bekannt gegeben haben, wir bis zu 42 Tage festgehalten werden würden. Man wartet nur darauf, dass ein Richter dieses Ausmaß absegnet.
Die Zelle ist winzig klein, gerade Platz genug um zwischen den 3 Stockbetten ein paar Schritte zu tun; kleine völlig vergitterte Fenster lassen einen Blick in den wiederum vergitterten Innenhof zu, alles grau in grau. Die Wände sind trist, vom Nikotin dunkelgelb verfärbt, über und über mit Graffitis beschmiert – manche aus dem Jahre 2005 und früher, wurden also zumindest die letzten 6 Jahre nicht ausgemalt… Muss ich tatsächlich 42 Tage hier bleiben? Ein Gedanke macht mir Angst: da werd ich dran zerbrechen, fürcht ich.
Das Zimmer ist vollbesetzt, die fünf Mit-Häftlinge sitzen am Tisch und rauchen; alles ist vorbestimmt, man hat keinen Spielraum, nichts zu tun. Es gibt keine Dusche, nur ein WC und ein kleines Waschbecken, ein winziger Fernseher klebt in 2 Metern Höhe, viel zu klein, als dass ich mit meinen 1,50 Dioptrien entscheidendes erkennen könnte. Ich versuche das freie Bett zu beziehen, die Matratze ist dunkelbrauner, dreckiger Schaumstoff, völlig durchlöchert, ganz so, als ob sie gerade vom Sperrmüll geholt wurde. Das Leintuch ist zerrissen, ich ziehe es trotzdem über die Schlafunterlage.
Die Mitgefangenen sind nett, einer besorgt mir sofort eine Zahnbürste. Sonst gibt’s nichts, ich hab seit Tagen nicht geduscht, nach all der Anstrengung steht meine Kleidung geradezu vor Dreck, hilft nix – Duschen geht nur am Montag, am Mittwoch und am Freitag, jeweils für ein paar Minuten.
Dazu kommt – ich hab ja keine Unterwäsche an, auch keine Chance welche zu bekommen – also muss ich mit der Jean, der viel zu großen, vor Dreck stehenden, ins Bett.
Ich werde als ‚Unbekannte Person Nr. 3‘ geführt. Was zur Folge haben wird, dass ich von ‚außen‘ keinerlei Versorgung erwarten kann, wird mir gesagt; also nichts bekommen werden, weder Kleidung noch Geld um notwendige Dinge zu kaufen, weil ein Unbekannter ja eben Unbekannt ist…
Der Wärter sagt, er wird morgen nachfragen, ob ich irgendwo her eine alte Unterhose aus irgend einem vergammelten Lager bekommen könnte…
Ich bin völlig betroffen – nie und nimmer hätte ich gedacht dass in Österreich derartige Zustände in Zellen herrschen können – das hier ist völlige Triste, völliges Untergeordnet sein, Ausgeliefert sein; ein Beispiel: Essensausgabe, kurz davor kommt ein Häftling, der freiwillige  Sonderarbeiten durchführt (wie z. B. bei der Essensausgabe zu helfen) in das Zimmer und sagt kurz: heute gibt es Suppe, bitte auf keinen Fall essen! Ich frage warum, die anderen meinen nur, es wird halt was passiert sein, der Koch in Wut…
Tatsächlich, niemand nimmt Suppe, nur ein slowakischer Bettler, der die Sprache nicht versteht. Der arme alte Mann ist hier weil er gegen das Bettelverbot verstoßen hatte…und er wird gerade deshalb völlig untergehen, weil die Beamten von sich aus keine Hilfe darstellen; für jeden Schritt muss man ansuchen, und wenn wer das linguistisch nicht bewerkstelligen kann, der hat dann wohl ein echtes Problem.
So bleibt nur trockenes Brot, welches unlieb in einen alten Papiersack gesteckt und auf den Fenstersims zur freien Entnahme positioniert wird; dann schließt sich die Gefängnistüre wieder, zurück bleiben 6 Männer, jeder in seinen eigenen Gedanken gefangen.
An der Decke leuchtet eine alte Neonröhre, von den Häftlingen mit Zeitungspapier abgedunkelt; ansonsten wäre es hier drinnen wie in einem Kühllager, meinen die Eingesperrten.
Wir unterhalten uns viel, die Gefangenen erzählen mir so manche unglaubliche Geschichte über die vorherrschenden Zustände –nie und nimmer würden Außenstehend so etwas vermuten. Ein Häftling dreht Zigaretten, immer wieder bietet er mir eine an, und obwohl ich verneine – weil ich ja doch hoffe bald wieder ‚draußen‘ zu sein und ich ihm nicht seinen mühsam ergatterten Tabak wegrauchen möchte – gibt er sie einfach zu mir rüber. So, obwohl eigentlich Nichtraucher, schließe ich mich der allgemeinen Niedergeschlagenheit an und qualme mit – müsst ich lange bleiben, ich würde über Nacht zum Kettenraucher.
Nochmals ein Hoffnungsschimmer, der den Albtraum beenden würde – die schwere Eisentür öffnet sich mit metallischem Stöhnen, ich soll mitkommen – in die Freiheit? Leider nicht, ich werde in ein Arztzimmer geführt, dort soll ich den Oberkörper freimachen. Ein Fragebogen wird überreicht, den ich durchgehend mit ‚nein‘ ankreuze; die zwei Männer und zwei Frauen sind eigentlich sehr nett, unterhalten sich über meine Tatoos, aber auch hier höre ich: ‚Euer Berater tat einen schlechten Dienst, Ihr werdet 42 Tage hierbleiben müssen, wenn wir nicht Eure Identität erfahren‘… Ein Arzt erschient, aber er hält sich nur sehr kurz auf, weil es doch keine Gesprächsbasis gibt. Minuten später klickt die Zellentür erneut hinter mir zu.
Gegen 6 Uhr Abend öffnet sie sich plötzlich und unerwartet ein weiteres Mal – ein Wärter meint kurz: ‚Tierschützer, ein Anwalt will dich sehen‘.
Hoffnung!!!! Der Anwalt erwartet mich bereits, bei ihm sitzen auch die vier mit mir verhafteten Frauen. Die gute Nachricht: die Grünen sind bemüht uns freizubekommen, angelblich soll das Innenministerium unserer Enthaftung bereits zugestimmt haben!!!! Wir sind so dankbar, unendlich – Anwalt Dr. Eberhart Theurer hat für uns Zeit und Kraft geopfert, alles unternommen, sich bis an seine Grenzen eingesetzt – obwohl wir uns kaum kennen! Was sollt uns passieren, mit solchen Menschen an unserer Seite?! Ich wiederhole mich, hab das jetzt öfters gesagt – die TierrechtsanwältInnen, sie sind die wahren Helden der Bewegung, sie, die den Ausführenden immer das Gefühl geben nicht alleine zu sein; sie sind es, welche diese psychisch so notwendige Voraussetzung schaffen, ein unverzichtbares Wissen, wenn was passiert, ja dann gibt da jemanden, der mir helfen wird!
Zurück auf das Zimmer; ob das heute noch was wird mit dem Freigang? Wir sitzen wieder um den Tisch, der Fernseher läuft, die Diskussion bewegt sich um das Programm, was denn nun geschaut werden soll – ist aber eh nebensächlich, denn wieder umgibt uns alle bläulicher Rauch und wir erzählen uns unsere Geschichten.
Gegen halb 10 Uhr abends öffnet sich nochmals das Tor – ich soll mitkommen, in den Verhörraum!
Dort sitzt, ich atme durch, erneut der Anwalt, für mich in diesem Augenblick gottgleich:), umgeben von 2 LVT-Beamten! Man schreibt an meinen Entlassungspapieren!!!!!
Letztendlich bekomme ich gegen 22 Uhr meine Sachen rück ausgehändigt und ein Beamter begleitet mich zur Ausgangstür – ich höre schon Sprechchöre, gut 20 TierschützerInnen sind versammelt und fordern seit Stunden lautstark: 1,2,3, lasst die Menschen frei!‘
Die Tür öffnet sich und wir fallen uns in die Arme – so schön!!!
Es dauert dann noch gut 1 Stunde, bis alle Gefangen frei sind.
 
 
Die entscheidende Frage ist wohl: darf Vater Staat mit derartiger Polizeigewalt einschreiten, wenn ein Delikt wie ‚Beiwohnen einer nicht genehmigten Versammlung’ vorliegt???? Dürfen Wega-Beamte mit aller Härte vorgehen und die betroffenen AktivistInnen ins Gefängnis schaffen, wo diese bis spät in die Nacht festgehalten werden, in völliger Unwissenheit der eigentlichen Anklagepunkte?
Und noch schwerwiegender: warum verhören Beamte des LVT (Landesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung) aus diesem Grunde festgenommen AktivistInnen???
Hören Sie hier ein Interview, mit 2 der Inhaftierten, ‚Unbekannte Person 1‘ und ‚Unbekannte Person 3‘, kurz nach der Enthaftung!
 
 
 
Ein Journalist von ‚Wien.tv‘ rief am Naschmittag bei der Polizei an um sich nach dem Warum der Verhaftungen zu erkundigen:
‚Nachdem wir erfahren haben, dass die fünf festgenommenen Tierrechtsaktivistinnen sich noch immer in Haft befinden (bereits seit über 7 Stunden), ruften wir bei der Polizeipressestelle Wien an.
Die Fragen waren eigentlich ganz einfach …‘
 
 
 
Interview nach der Entlassung der 5 Aktivistinnen mit deren Anwalt Mag. Eberhart Theurer, durchgeführt erneut von ‚Wien.tv‘; Mag. Therer stand den 5 Inhaftierten bei und besuchte diese auch noch während ihrer Haft.
 
 
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