Mauretanien – der große Bericht, Teil 1!

Es war eine lange und unruhige Nacht gewesen, eine jener solchen, wo das Gehirn nur schwer zur Ruhe kommt, überstrapaziert von Gedanken über das Geschehen der nächste Tage; erst als sich vorsichtige Schleier einer aufgehenden Sonne am Horizont zeigen, wird das Bedürfnis nach Schlaf derart stark, dass sich der erschöpfte Körper langsam entspannt … nur um viel zu kurz darauf vom schrillen Klingeln des Weckers erneut geweckt zu werden! Und schon finden wir uns im Auto in Richtung Münchener Flughafen wieder; beide, Dr. Matthias Facharani (www.tierarzt-facharani.de) und ich, blicken zwar mit müden Augen auf die Fahrbahn, galt es doch noch vor der Abreise viele nervenaufreibende Dinge zu erledigen, doch langsam wird die innere Unruhe wieder größer – wissen wir doch, welche enorme Wichtigkeit dem neuerlichen Einsatz an der ‚Front‘ innewohnt. Die Schläfrigkeit ist eine gewohnt sehr kurzfristige, sehr bald schon ersetzt durch eine geradezu fantastische Aufbruchsstimmung, welche sich dem Himmel sei Dank bei jeder solcher Reisen, selbst nach der langjährigen Routine, regelmäßig einstellt.
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So viele Sachen haben wir im Gebäck, gut 80 kg an Medikamenten, an Sicherheitskleidung für das Team, Schnittschutzhandschuhen für die Hufarbeiten und natürlich verschiedenste Geschenke für jene, welche wir an den Wasserstellen treffen werden und die die ihnen ausgelieferten Tiere gut behandeln; wieder haben wir jede Menge an reflektierenden Sicherheitswesten im Gepäck – welche den Unterschied ausmachen können zwischen Leben und Tod, sind doch die allermeisten Straßen Nouakchotts unbeleuchtet, und ebenso die Eselkarren – wie auch viele, viele PKW’s selbst – eine Tatsache, eine Konstillation, welche ein höchst unkalkulierbares Risiko für Mensch und Tier in sich birgt! Auch Sonnenbrillen sind eingepackt, Radios, T-Shirts, Infomaterial für die Botschaften und was auch immer sonst noch Platz hatte in unseren Reisekoffern!
Alles klappt perfekt am Münchener Flughafen, und so entsteigt die Boeing 737 der Tunisair in den nebelverhangenen Herbsthimmel, um schon nach wenigen Augenblicken die Wolkenschwaden zu durchstoßen und in eine ferne Welt zu gleiten.
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Fotos: das ist es, was uns erwartet – schuftende Esel, Hitze, aufgewühlter Sand, viel zu oft herzzerreißender Umgang mit Tieren…

Unsere erste Station soll Tunis sein, die Handelsstadt an der südlichen Mittelmeerküste ist mit ihrer Agglomeration auf rund 3-Millionen-EinwohnerInnen gewachsen; Tunis ist bei weitem die größte Ansiedlung im Land und somit die Metropole des nordafrikanischen Tunesiens. Von hier hätten wir nach nur wenigen Stunden Zwischenaufenthalt direkt nach Nouakchott fliegen sollen, doch wenige Tage vor der Reise buchte die Fluggesellschaft plötzlich um und setzte den Weiterflug ganze 24 Stunden später als geplant an. Ärgerlich, wissen wir doch, dass jeder Aufenthalt in Nouakchott letztendlich zu kurz ist, und jetzt noch zusätzlich einen Tag zu verlieren, das ist natürlich sehr schade – aber leider unabänderlich. Also beschließen wir das Beste draus zu machen und die Zeit in Tunesien für unsere Vorarbeiten zu nutzen. Die Voraussetzungen dafür sind ja nicht übel, Tunisair stellt uns selbstredend ein nettes Hotelzimmer samt ausgiebigem Frühstück zur Verfügung!

Bevor wir uns aber in die Ruhe der Gaststätte zurückziehen können, müssen wir uns noch über dem Zoll ärgern; vor allem die Hufbearbeitungsgegenstände wie Feilen und Zangen, dazu das OP-Besteck, erregen die Aufmerksamkeit der Beamten, und letztendlich sollen wir einen der mitgebrachten Koffer im Flughafengebäude der Behörde zurücklassen – wir dürfen damit nicht in das Land einreisen, ein Umstand, der uns dann aber nicht weiter belastet – im Gegenteil, ein 20-Kilo Gepäckstück weniger, welches wir nun durch die endlosen Flughafengänge bewegen müssen! Natürlich können wir den Koffer morgen wieder abholen, sollten darin doch Gegenstände versteckt sein – trotz Kontrolle – die für allfällige schlimme Zwecke bestimmt wären, so soll das das Problem Mauretaniens sein, nicht das der TunesierInnen, lautet die einfache Aussage des Zollpersonals.

Tunesien bewegte sich Zeit seiner mythischen Geschichte in historischen Gefilden; so war das wunderschöne Land dann auch der Ausgangspunkt für den alles verändernten ‚Arabischen Frühling‘, als besonders mutige BürgerInnen (nach der Selbstverbrennung des Gemüsehändlers Mohammed Bouazizi, der mit seiner unfassbaren Tat ein Zeichen gegen die Polizeiwillkür setzten wollte)  im Dezember 2010 einen nicht mehr zu stoppenden Protest gegen den langjährigen Landesdiktator Zine el-Abidine Ben Ali starteten. Das Feuer der Entrüstung über die Machtgebahren seiner politischen Führer entzündete sich in Tunesien und wütet bis heute wie ein Flächenbrand in der gesamten Region.

Das Land am Mittelmeer gilt klassisch als besonders weltoffen, seine Menschen sind außerordentlich freundlich und westliche Einflüsse sind unübersehbar. Wir sitzen in einem der unzähligen kleinen Kaffeehäuser am Straßenrand, lassen uns traditionellen Pfefferminztee schmecken und genießen danach eine Tasse guten Kaffee, beides zusammen für umgerechnet 80 Cent. Gesprächsthema ist selbstredend der baldige, nun etwas zeitverzögerte Einsatz, aber natürlich genießen wir auch die orientalische Umgebung, tauchen in die allen AfrikanerInnen zueigen scheinende Betriebsamkeit ein, in das überbordende Verkehrsgewühl, Motorenlärm durchbrochen von dauerhaften Hupen aus abertausenden Geräuschverstärkern unter den Motorhauben.

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Foto: Blick auf Tunis

Tiere sehen wir wenige, in Fakt keinen einzigen Hund, auch keine Esel, nur Katzen kreuzen wieder und wieder unseren Weg; wie schattenlose Geister bewegen sie sich mit nicht zu glaubender Sicherheit durch die Unterwelten der Rinnsale, tauchen hinter Gebüsch genauso schnell unter wie sie hervorgekommen waren. Sie zeigen wenig Scheu, dürften von den Menschen zumindest akzeptiert sein, außerdem sind sie alle in nicht schlechtem Zustand und beachtlich gut genährt- was nicht überrascht, sind die Mengen an Abfall auf Tunis‘ Straßen leider unübersehbar….

Früh am nächsten Morgen, wir möchten die Zeit nutzen, wandern wir durch überbevölkerte Straßenschluchten der Millionenmetropole zum nahegelegenen Zoo, dessen Adresse wir gestern Abend im Internet gefunden hatten. Wie mag es den Tieren dort wohl gehen – ganz sicher würden uns einmal mehr herzzerbrechende Zustände erwarten – doch der Recherchebesuch muss so ein, ein innerer Drang zwingt uns dazu, jegliche dieser Einrichtungen mithilfe des Presseausweises zu durchwandern (um nur ja nicht eine derartige Zwangsanstalt auch noch finanziell zu unterstützen), in der Hoffnung die dortige Realität aufzuzeichnen, sodass der/die eine oder andere künftige BesucherIn allein auf Grund der von uns angefertigten Zeitzeugnisse eine eventuell geplante Visite vielleicht von vornherein ausschließen mag….
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Der Zoo von Tunis ist überraschend grün; überall sind Palmenwäldchen angelegt, Kakteenbeete und andere wundersam anmutende Pflanzen erfreuen das menschliche Auge. Damit ist aber das Glücksgefühl dann auch schon ausreichend bemüht, denn bereits die ersten Gehege nahe des Einganges lassen Schlimmes befürchten – verschiedene Affen, allen voran Paviane, sind in wahren Gitterzellen untergebracht, düster, dumpf, unmenschlich. Weggesperrt, ausgestellt, hoffnungslos verloren, in eine Welt geboren, die sie nicht liebt, die ihnen nicht die leiseste Möglichkeit einer Entfaltung, eines artgerechten Daseins, oder auch nur einer Abwechslung bietet… Die Käfige sind überfüllt, viel zu viele Tiere darin untergebracht, verschiedenste Generationen zusammengepfercht auf engstem Raum. Höllenqual für das Individuum, ohne jeden Zweifel, noch dazu für jene, welche sich in einer Gruppe nicht einzuordnen vermögen…
Überhaupt scheint ein Schwerpunkt der Tierqualeinrichtung auf der Haltung von Primaten zu liegen, diese – wie bereits erwähnt vor allem Paviane – leben in unterschiedlichsten Gefängnissen; manche in Gitterverschlägen, andere in offeneren, durch Wassergräben begrenzten Zonen, aber allesamt sind sie Gefangene, ausgeliefert einer Umgebung, die nicht ihr zu Hause, wohl aber ihre Hölle sein muss.

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Wir erfahren, die Elefanten, welche im Internet noch ‚beworben‘ werden, sind vor 2 Jahren gestorben, auch Giraffen hätten ein ähnliches Schicksal erlitten; tatsächlich stehen viele der Gehege leer, ganz so, als ob die Einrichtung ihre besten Tage – welche dann für ihre Gefangenen gleichredend die schlechtesten gewesen sein mussten – längst hinter sich gebracht hat; vielleicht ist auch das der Grund, warum die Paviane, bestimmt mit die am einfachsten zu haltenden Tiere – augenscheinlich planlos überall am Gelände einzelne Zellen für sich ‚erobert‘ haben. Zwei Nashörner, in getrennten Bereichen, fristen ein offensichtlich elendes Dasein, ein Rhinozeros taucht durch schmutziges Wasser, einsam, wieder und wieder dieselbe Runde in einem winzigen Becken aus lieblosen Beton; zwei Braunbären, von einer niederschmetternden Langweile längst besiegt, versuchen den Tag irgendwie zu entkommen, der Realität zu entfliehen; völlig abwesend dösen sie im viel zu heißen Klima, ihre Atmung unruhig, ansonsten ist keine Bewegung zu sehen – die Umgebung, ihre ganze Welt, gleicht einer Betonwüste, die alles beherrschende Farbe ein schmutziges Grau, durchbrochen nur von fließendem Wasser, welches seinen Weg durch verrostete Rohe in völlig unpassende Becken findet. Schrecklich auch die Bedingungen für sämtliche Vögel, allen voran den Räubern unter ihnen – Eulen und Falken, Geier und Adler, schuldlos eine Triste ausgeliefert, welche wohl selbst den bemühtesten Geist brechen muss und leere Hüllen zurücklässt, von Fleisch und Knochen zusammengehalten, lebende Tote in gitterbewehrten Grabstätten.
‚Mensch‘, noch immer nicht abgestumpft genug, bricht es spätestens nun das Herz,wenn es gilt die großen Katzen zu betrachten: Löwen und Tiger, Leoparden und Geparden, Luchse und Panther – deren Kosmos besteht aus wenigen Quadratmetern einer sinnentleerten Öde, aus Sand und Beton und armdicken Gitterstäben. Über ihnen ein an diesem Morgen wolkenbehangener Himmel, von gewittrige Donnerstößen erschüttert, welche mit ein wenig Phantasie wie das Fluchen eines gütigen Schöpfers ob dieses Affronts seiner mächtigsten Schöpfung gegenüber den hilflos Ausgelieferten anmuten.
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Eine Hyäne auf purem Beton, ihre ganzes Dasein in 4 x 5 Meter komprimiert, kein Blatt, kein Stückchen Holz, kein irgendetwas, was dem vom Leid überforderten Auge auch nur die geringste Abwechslung zu bieten vermag… der Blick findet keinen Halt, verschämt gleitet er zu Boden, im Angesicht dessen, was unsere Gattung dem Mitgeschöpf antut…
Niemals, niemals, werden wir uns auch nur annähernd begreifen können, wie wir, ‚Mensch‘, so tief sinken konnten; wir, die eigentlichen ‚Hüter des Lebens‘, sind zum Vollstecker des Todes geworden, ein Tyrann, ein Despot, ein fürchterlicher Gewaltherrscher, der immerfort eine Spur von Blut nach sich zieht, begleitet vom Gestank nach Tod und Verwesung; wie sinnlos, wie qualvoll, wie schmerzzerreißend wir das Leben der Tiere zu gestalten vermögen, wie lieblos, wie schöpfungsverhöhnend, wie unfassbar brutal; wie ganz und gar unmenschlich, und ohne mit der Wimper zu zucken, liefern wir sie aus einem Dasein, dass wohl nur den verworrenen Gedankensprüngen eines Luzifers entsprungen sein kann – und maßen uns im selben Moment an gottgleich zu sein? Ist damit nicht der unerreichbar scheinende Gipfel einer allumfassenden Schizophrenie längst überschritten, unsere eigene Existenz einer einzigen Frage unterstellt: sind wir vielmehr nicht das Maß allen Irrsinns, eine verlorene, einsame, traurige und blutgetränkte Gestalt im Universum, der Albtraum jeglicher Schöpfung? Ein Alien, ein Fremdkörper, erfasst von Zerstörungswut, auf einem ansonst perfekten Planeten?
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Endlich, am frühen Abend, hebt der Flieger dann ab in Richtung Nouakchott; noch steigt er über die Häusermeere von Tunis, doch nur Augenblicke später taucht er in das wattierte Wolkenmeer ein und entgleitet in die scheinbare Unendlichkeit.
Müde versuchen wir den nun stetig ansteigenden Druck in den Ohren durch ungeniertes Gähnen auszugleichen; ungeniert deswegen, weil das mulmige Gefühl eines Flugzeugstarts, die gespannte Nervosität, welche der unfassbaren Beschleunigung folgt, Manieren gerne beiseite drängt und den Körper ob des absoluten Ausgeliefertseins an die Technik eins werden lässt mit der sich innerlich ausbreitenden Gleichgültigkeit gegenüber existentielleren Fragen. Dann wird die Bewegung ruhiger, geht in sanftes Gleiten über, und langsam entspannt sich der Geist; wir finden uns wieder, schläfrig in die allzu engen Sessel der Tunis-Air gepresst, in Gedanken verloren; ja, der Zeitpunkt des jetzigen Einsatzes mag nicht der günstigste sein – vom Schreckgespenst des Heiligen Krieges und der Ausbreitung des nicht zu unterschätzenden Ebola-Virus geprägt, welches gerade noch an der südlichen Nachbargrenze zum Senegal Halt gemacht hat – aber er ist ein notwendiger, übergeordnet wichtiger – es gilt dem Eselprojekt noch mehr Vorwärtsdrang einzuhauchen, und genau das soll unsere Mission sein!
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Thema am Rande: ich wage hier zu behaupten, ich bin ein sehr toleranter Mensch, jemand, der sich nicht an Fremden stößt, an differenzierten Überlegungen und schon gar nicht am Anderen in welcher Form auch immer; tatsächlich bin ich im Laufe der Jahre sogar noch nachsichtiger geworden, versuche hinter jeglichem Handeln einen tieferen Sinn zu verstehen – meist schaffe ich das dann auch, zumindest soweit es mir mein beschränktes Verständnis erlaubt; bis auf einen Punkt aber: den Fleischkonsum! Tatsächlich, es gibt kaum etwas, was mich auch nur annähernd wütender macht wie eben dieser; es ist eine – ruft man sich die Bilder der gequälten ‚Nutz’tierwelt in Erinnerung, sei es nun in der Geburt, der Aufzucht, des Transportes, im Schlachthaus –  wirklich erschütternde Handlungsweise in Fakt, in heutiger Zeit durch nichts aber auch gar nichts zu rechtfertigen, im Gegenteil; ist es ein höchst verwerfliches Tun, tödlich, verachtend, unmenschlich und ohne jeden Zweifel fern jeglicher Moral. Es tut mir leid so klare Worte zu finden, und dennoch, ich würde sie wieder und wieder wiederholen, ohne jegliche Abstriche! Ich beobachte die Menschen neben mir im Flugzeug, alleine der eigentlich unfassbare Umstand, dass die Tunisair offensichtlich über gar kein Konzept, ja nicht einmal über eine Vorstellung von vegetarischer oder gar veganer Kost verfügt; ja, es ist nicht einmal möglich solche im Vorfeld zu ordern, und der Flugbegleiter reagiert auf die Anfrage höchst verwundert; ob er denn vielleicht zusätzliches Obst anbieten könnte anstelle des Menüs, oder Salat, worauf er meint, es wäre doch Reis unter dem Hühnchenfleisch und Salat gäbe es ohnehin – man braucht nur den Fisch und das Ei zur Seite zu schieben… Stellen Sie sich vor, Lufthansa, Austrian Airlines oder irgend eine andere westliche Fluglinie würde auf das religiöse Verbot des Schweinefleischessens der Muslime derart reagieren, würde empfehlen, doch einfach das Stück Fleisch vom Rest des Gerichtes in der schmalen Alutasse zu trennen –wie groß wäre da der Aufschrei? Ist mein Wunsch als Veganer nicht gleich wichtig wie jener anderer Minder- oder auch Mehrheiten, völlig egal ob er nun aus religiöser oder sozialer oder wie auch sonst gelagerter Motivation heraus resultiert, um gehört zu werden? Ist er weniger menschlich, weniger beachtenswert, weniger verständlich? Ist mein Vorbehalt gegen das Töten ein unwesentlicherer Begehr, als etwa der, seinem/ihren Gott zu gefallen, auch wenn der eine Leben schützt, der andere Leben vernichtet?
Ist es rechtens, mit gutem Gewissen fleischliche Gerichte einzufordern, im vollen Bewusstsein, dass ebensolche das Töten von fühlenden, leidenden Lebewesen voraussetzen? Was macht es aus, diese Tatsache auszublenden? Die permanente Berieselung der gnadenlosen Tiervernichtungsindustrie, die Tradition, das Unverständnis, der Rest von Barbarismus? Und wenn nicht ausgeblendet, wie schafft man es, Essen zu genießen, wo man weiß, dass jene, die man verspeist, allesamt durch die unbestreitbare Hölle der wo auch immer beheimateten Schlachthöfe gegangen sind?
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Zurück zur Tunisair; auf den Verpackungen des Menüs ist ‚halal’ zu lesen, also ‚rein‘, ‚sauber‘; alleine dieses Wort muss ein Affront sein, definiert es doch die Herstellung, inbegriffen des Umfeldes, eines Produktes als solches; so zum Beispiel kann ein Ei aus einer Legebatterie niemals ‚halal‘ sein, ist es doch unter den denkbar ausbeuterischsten Umständen gelegt worden. Wie also, so fragt sich denkender Mensch, kann jegliches Gericht ‚rein‘, gewaltlos, sein, wenn dafür ein Lebewesen gemordet worden war? Ist ein fleischliches Menü mit einem derartigem Aufdruck zu versehen nicht unausweichlich einer Schizophrenie entsprungen, genau als wenn in der christlichen Religion ‚Du sollst nicht Töten‘ zum absoluten Dogma erhebt, dennoch täglich millionenfach dagegen allein in unseren Schlachthöfen verstoßen wird? Und zwar ohne Regung, ohne mit der Wimper zu zucken, und als Krönung vor dem Mahl dann vielleicht sogar noch demselben Gott, der diese unumstößliche Regel aufgestellt hat, Worte des Dankes für genau jenes Gericht zugeflüstert werden??? Noch schlimmer: all dies passiert ohne zwingenden Grund, außer aus dem Joch der der Tyrannei heraus, der Blutlust, der Barbarei, des Verlangens nach Aas! Führen sich in diesem Punkt angesichts solcher Tatsachen nicht beide Weltreligionen von selbst ins Absurdum? Wo bleibt die Erklärung dafür, wie man ohne nachzudenken Leben auslöscht, Leichenteile in sich stopfen kann, wo uns doch ein inzwischen überragendes Spektrum an wohlschmeckenden, blutlosen und tierleidfreien Alternativen zur Verfügung steht? Finden wir sie im ‚weil uns niemand daran hindern kann‘, in unserer Allmacht, oder doch nur in dem scheinbar unstillbaren Verlangen der Fleischesgier? Verstehen Sie eine solche Wut, die sich täglich staut und den Schreiber dieser Zeilen mehr und mehr unversöhnlich zurück lässt? Ist es ein gottgegebenes Menschenrecht zu essen wonach es jemanden gerade giert, egal ob dieses Essen vor Kurzem noch gelebt, geatmet, eigene Gedanken verfolgt,  gestrebt, Wut und Schmerz und Leid und Freude und Angst und Liebe gefühlt, ob es in der Aufzucht, im Transport und im Tod schrecklichst für uns gelitten hat? Die all entscheidende Frage, die sich uns stellt, ist jene: können Menschen tatsächlich gottesfürchtig sein, wenn sie Tiere essen? Zitieren Sie keine Zeilen aus uralten heiligen Büchern, urteilen Sie alleine aus dem Verstand heraus; wie könnte ein gütiger Schöpfer einen riesigen Teil seiner Schöpfung für ein einziges Wesen, noch dazu jenes, welches seine Zuneigung so oft mit Gewalt und Hass, mit Hinterlist und Argwöhn beantwortet hat, so beiläufig opfern? Warum, wenn Gott das wollte, hätte er diesen Teil der Schöpfung dann mit einem ebenso reichlichem Gefühlsleben wie wir es besitzen ausgestattet, mit selbiger Angst, mit selbigem Willen leben zu wollen? Mit selbigem Empfinden eines Schmerzes? Warum hätte er das tun sollen? Und hat er es so getan, so gewollt, dürfen wir ihn dann weiterhin ‚gütig‘ nennen? Die Antwort ist eine einfache, und es wird uns wenig Nachdenkzeit abnötigen zu urteilen…
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Fotos: Szenen in einem mauretansichen Schlachthof mit versteckter Kamera aufgenommen – gottgewollt?

Wir landen nach relativ ruhigem Flug gegen 1 Uhr morgens in Nouakchott. Schon auf der Rolltreppe weht uns ein typisch heißer Wüstenwind entgegen, der Mond liegt in seiner Sichelform – WesteuropäerInnen sind ihn stehnd gewohnt, und allein dieser Anblick erweckt Erinnerungen an andere Welten dargestellt in Science Fiction-Verfilmungen; gespenstisch mutet die Szenerie aber spätestens dann an, als uns ein Mann im Schutzanzug und mit dicker Schutzmaske empfängt und jeden einzelne/n Reisende/n mit einer Art Scanner im Gesicht abtastet, einem Ding, welches wohl irgendwelche Daten aus den Augen der Betreffenden zu lesen scheint – was genau, entzieht sich unserer Kenntnis.

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Foto: man muss vorsichtig sein in einem harten Land wie Mauretanien; Gefahren lauern überall – Zappa und Dr. Facharani schützen sich durch dicke Staubmasken wenigstens ein bisschen vor den mannigfaltigen Herausforderungen!

Neu ist auch, jetzt muss man das Visum nicht mehr im Vornherein über Berlin beantragen, man kann es direkt am Flughafen ausstellen – wir hatten diesen Augenblick befürchtet, denn wer das regelmäßig Unvorhergesehene in einem afrikanischen Land kennt, weiß, dass so eine Prozedur immer ein gewisses Risiko in sich birgt. Heute aber haben wir das Glück gepachtet und ohne gröbere Schwierigkeiten, nach dem Erstellen eines Profils inklusive der Abnahme der Fingerabdrücke und eines Fotos, schießen wir 1 Stunde nach der Landung unsere rechte Hand in Mauretanien, Saleck Najem, in die Arme.

Wir fahren zurück zu Saleck’s Haus, unterhalten uns lange; erst gegen halb drei Uhr morgens fallen wir in einen tiefen, traumlosen Schlaf.
 
Welchen das schrille Klingel des Handyweckers jäh und gefühlt viel zu früh um 7.30Uhr morgens unterbricht. Keine 10 Minuten später erwartet uns schon unser Kontrolleur, der wunderbare Sabbar Daoudo, er holt uns mit einem Fahrer namens Cheick ab. Zusammen fahren wir sogleich zu den ersten Wasserstellen, unseren hauptsächlichen Behandlungsorten in Nouakchott. Dort empfängt uns auch schon Dr. Dieng, der RespekTiere-Chefarzt, mit seinem Assistenten Mohammed. Schon auf der Fahrt zu jenem Ort bemerken wir die neuerlichen unübersehbaren Veränderungen in der Hauptstadt; die Sahara-Metropole, konzipiert für nicht mehr als 15 000 Menschen, gegründet erst 1960, inzwischen auf weit über 1 Million EinwohnerInnen angewachsen, ist nur 6 Monaten nach unserem letzten Besuch, moderner geworden, sauberer. Natürlich, gemessen an mitteleuropäischen Standards, mag diese These kühn erscheinen, aber augenscheinlich gibt es mehr westliche Errungenschaften, das Straßennetz wurde verbessert und neue Gebäude, teilweise in gewagter Architektur, wachsen wie die sprichwörtlichen Pilze aus dem Boden. Überall sehen wir große Baumaschinen, und vielleicht erinnern sie sich, es wurde bisher immer gesagt, rund 80 % aller Transportarbeiten werden in der Nouakchott auf den Rücken der Esel getätigt – jetzt scheint sich dieser Trend endlich leicht umzuändern, langsam zugunsten der unbelebten Materie auszuschlagen! Die Eselhalter werden es wahrscheinlich noch nicht bemerkt haben, aber ihre Existenzgrundlage wird in kommenden Jahrzehnten zunehmend in Vergessenheit geraten. Welche sozialen Veränderungen diese Entwicklung in sich birgt, wer mag es zu diesem Zeitpunkt beantworten? Jedoch, die Menschen werden im Falle des Falles neue Einkommensmöglichkeiten entdecken, Anpassungsfähigkeit an veränderte Gegebenheiten ist wohl der Hauptgrund des Siegeszuges unserer Spezies über den Rest der belebten Welt; wenn solche dann also endlich zum Guten für die Tiere führen, zu weniger Tierleid, dann sollten wir uns darüber wohl mehr als nur erfreut zeigen, auch wenn sie bedeuten, dass es künftig auch weniger Esel geben könnte, geben wird! Es scheint nur eine Frage der Zeit, bis die Maschine mehr und mehr die Aufgaben des Esels übernehmen, diesen letztendlich aus der furchtbaren Tyrannei des Menschen befreien. ‚Der Fluch der Geburt‘, titelte der hochgeachtete Dr. Gunter Bleibohm eines seiner wunderbaren Bücher, und wo wäre diese Bezeichnung angebrachter als bei den Eseln Mauretaniens?
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Dr. Dieng und Mohammed arbeiten höchst professionell; unter den gegebenen Umständen, unter der berstenden Hitze der Wüste, mit den vorhandenen Mitteln, ich lehne mich nicht zu weit aus dem Fenster um zu behaupten, das Projekt holt ganz sicher tagtäglich das Bestmögliche für sich heraus.
Leider stößt es aber natürlich auch immer wieder an seine Grenzen, und die sind oft eng definiert. Ein Eseltreiber möchte dass wir ihn zu seinem kranken Esel begleiten; ja, in etwa einer Stunde werden wir nachkommen, so lange müssen wir aber noch hier unsere Arbeit fertig machen; er versteht das, kommt aber schon eine halbe Stunde später wieder zurück, auf seinem Eselkarren den Kranken festgebunden. Wie er das gut 250 kg schwere Tier dorthin gehievt hat, wir möchten gar nicht darüber nachdenken. Jedenfalls, zu viert heben wir den Armen vom kleinen Eisenwagen, und dann offenbart sich die Tragödie – der Esel kann kaum stehen, er macht ein paar Schritte, stürzt danach in sich zusammen. Dr. Dieng und Dr. Facharani beginnen mit der Behandlung, aber mehr als ein Tropfen auf den sprichwörtlich heißen Stein können die verabreichten Medikamente in seinem Falle nicht sein. Er würde eine stationäre Aufnahme benötigen, Infusionen, vor allem tiefe Ruhe… aber die wird ihm hier wohl nicht gegönnt sein. Auf jeden Fall aber muss die Behandlung eine fortlaufende sein, und so verabredet sich Dr. Dieng für morgen, selbe Zeit am selben Platz, mit dem Eselhalter. Unsere Vision einer fixen Klinik, wie wichtig eine solche wäre, offenbart sich am Falle dieses armen Tieres!
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Zappa und Moussa arbeiten heute am Fischmarkt; dort, wo der Wahnsinn der explodierenden Großstadt in den von den kräftigen Wellen des Atlantischen Ozeans gepeinigten Sandstrand überläuft, am Schnittpunkt zwischen dem Häusermeer und jenem aus salzigen Wasser, dort ist der Ort des Geschehens. Die Esel hier müssen nicht derart schwere Lasten ziehen wie sie es in der Stadt tun, aber dafür kommt der tiefe Sand als alles erschwerende Strapaze hinzu. Hauptproblemzone sind die auf Grund des fehlenden Abriebes häufig furchtbar deformierten Hufe, und so dauert es nicht lange bis wir eines der Tiere sehen, angebunden unter den abertausenden von bunten Fischerbooten, welches sich exakt aus diesem Grunde kaum mehr von der Stelle zu bewegen vermag. Zappa, der Zauberer, der einzigartige Hufschmied, seines Zeichens vielleicht der alleinige Vertreter dieser Zukunft im ganzen riesigen Mauretanien, bestens eingeschult von ‚unserer‘ österreichischen Hufschmiedin Irmi Forsthuber, nimmt sich der Aufgabe an – und wie schwer die ist, lässt sich kaum beschreiben. Wir müssen den Esel zuerst zu Fall bringen, nur im Liegen kann das halbwilde Tier behandelt werden. Dazu benötigt es fünf starke Männer, und mit aller Kraft müssen wir den Armen festhalten. Zappa beginnt, neben der ‚Winterhitze‘ von gut 30 schattenlosen Grad bereiten ihm die immer wieder ausschlagenden Hufe zusätzlich Schwierigkeiten; verletzt man sich bei der Arbeit, ist es ‚bei uns‘ schon tragisch genug, aber in Mauretanien, wo keinerlei staatliche Benefite greifen, kann eine schwerer Wunde ein Leben völlig verändern, endgültig und unwiederbringlich aus der Bahn werfen.
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Dann versucht der Esel auch noch zu beißen, was die Sinne zusätzlich beschäftigt, die Vorsicht ankurbelt! So dauert es gut 25 lange Minuten, bis wir ihn wieder aufstehen lassen können; er schüttelt sich kurz, legt die Ohren an, blickt verdutzt in eine Welt, die nicht sein Freund ist. Dann geht er wieder seines Weges, langsam und ohne Hast, ganz so, als ob nichts geschehen wäre! Wie schnell sich so ein Wesen von den offensichtlichen Anstrengungen einer Maßnahme, deren Sinne er im Augenblick unmöglich verstehen kann, erholt, ist einfach unvorstellbar, herzergreifend. Sprach ich vorher vom Wunderwesen Mensch, von dessen überragender Anpassungsfähigkeit, so übertrifft diese der Esel im Schmerz noch bei weitem… kein Geschöpf dieses Planeten scheint Pein und Leid besser wegzustecken als jene Equiden, und nur Minuten später zieht er zwar misstrauischer als zuvor seine Runden, ansonsten wirkt er aber auch schon wieder völlig gelassen. Vielleicht verwechselt ‚Mensch‘ dieses stumme Ertragen von allem Leid der Welt, spricht dem Esel gerade deswegen – wie entsetzlich entrückt – Leidensfähigkeit gerne ab – und entfacht so einen Kreislauf, wie er letaler für die Tiere nicht sein könnte!

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Zappa ergänzt sich perfekt mit Moussa und wir haben, auch das sollte getrost gesagt sein, zwei derart fantastische Mannschaften im Einsatz, dass man jeden Tag zutiefst dankbar dafür sein muss…
Es ist unfassbar mit welcher Sicherheit, welcher Routine (die man sich nur durch tagtägliche harte Arbeit verinnerlichen kann), Zappa zu Werke geht. Er ist ein Virtuose auf seinem Gebiet, und man muss nicht mehr darüber nachdenken, ob es denn zielführend oder treffend ist mit solchen Superlativen um sich zu schmeißen, wenn man ihn nur ein paar Augenblicke bei seinem Tun beobachtet…
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Am nächsten Tag führen wir eine erste Mannschaftssitzung durch; wir versuchen zu bestimmen, welche künftigen Ziele und Wege wir verfolgen sollten. Es ist unfassbar schön zu sehen, wie sich die Menschen hier einbringen möchten, wie sie stolz darauf sind einer dynamischen Organisation – wie sie RespekTiere verspricht – anzugehören. All diese Tatsachen einberechnend, es fällt leicht zu behaupten, das Projekt hat eine breite Zukunft vor sich!
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