wieder in der Slowakei – ‚unsere‘ Katzenherberge, Proteste und Vinzenz Depaul!

Die langsam im Osten aufsteigende Morgenröte verrät einen beginnenden, erneut heißen Tag. Bereits jetzt flirrt die Luft, ein leichter Windhauch vertreibt zudem die letzten Wolken der Nacht. Die hunderten Windräder entlang der Autobahn drehen sich zur frühen Stunde noch ganz sanft, so als wären sie müde, nach einer schwülen Finsternis, wo die Temperaturen kaum unter die 20 Grad Marke gefallen waren. Wir sind wieder unterwegs, einmal mehr ist das Ziel die einzige Katzenherberge Bratislavas, wahrscheinlich sogar der ganzen Slowakei – Frau Havranovra’s Asyl!
Die Grenze zum Nachbarland ist inzwischen, nach all den Jahren der europäischen Gemeinsamkeit, nahezu verweist. Wie ein Relikt aus der Vergangenheit. Die Erinnerung wird wach, oh, wie lange sind wir hier früher oft gestanden, zu einer Zeit, als das Land noch hinter dem ‚Eisernen Vorhang‘ verborgen lag, in Depression gefangen. Aber schon damals – oder besser gerade deswegen – gab es dort viele vegane Produkte, nicht aus Gründen des Lifestyles, sondern ganz einfach weil Soja viel billiger als Fleisch war. Das Essen der armen Leute, sozusagen. Wo wir im Westen noch diverse ‚Ersatzprodukte‘ herbeigesehnt hatten, uns vom einzig ständig Verfügbaren – Mannerschnitten und Ritter Sport Marzipan 🙂 – ziemlcih einseitig abaßen, konnte man in der damaligen Tschechoslowakei bereits überall Vurst, Hotdogs und Filets erzeugt aus der wundersamen Bohne kaufen. Und dehydriertes Soja-Pulver, bestens geeignet für den weißen Kaffee! 🙂
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Foto: die letzten Handgriffe bei der Beladung – wir haben wieder soooo viel mit uns mit!!!
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Foto: ganz Ost-Österreich wird zum Windrad-Park!
Unser erster Besuch des Tages gilt heute der so großartigen und unverzichtbaren Anna. RespekTiere-Newsletter-LeserInnen wird der Name ein Begriff sein, Anna, die Gute, sie hat über viele, viele Jahre hinweg das Katzenparadies fast im Alleingang finanziert. Ohne die Hilfe des rettenden Engels, es gäbe den Hort heute höchstwahrscheinlich längst nicht mehr. Da wären auch wir zu spät gekommen, wussten wir noch gar nicht von dessen Existenz, als Anna bereits große Teile ihrer schmalen Pension opferte…

Die Herzensgute empfängt uns – wie immer – mit einem Lunchpaket: herrliches Obst, Bananen, Äpfel, Blaubeeren, sogar Maracuja, und dazu – ein riesiger veganer Burger! Ja, den hat sie gekauft am winzigen Imbiss-Laden gleich um die Ecke, ein neues veganes Lokal, so wie es inzwischen viele in der slowakischen Metropole gibt!
Dann fahren wir gemeinsam zu Vagus; Ihr erinnert Euch bestimmt, Vagus ist der so wunderbare Ort, wo Obdachlose eine Komplettverpflegung erhalten. Sie können dort esse, duschen, einen medizinischen Check machen, bei Bedarf ein bisschen Internet-Surfen, und selbstverständlich auch Stellenangebote studieren, allenfalls bei den Arbeitgebern dann auch gleich anrufen. Oder sich einem Psychologen anvertrauen. Nur eines, das geht nicht – im Zentrum übernachten!
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Foto: kurzer Aufenthalt vor der Odachlosen-Hilfe ‚Vagus‘!
Jetzt im Sommer ist der Betrieb selbstredend ein wesentlich entspannterer als im Winter. So werden nun auch weniger Dinge gebraucht – nichtsdestotrotz, wir haben den ganzen riesigen Van vollbeladen mit Kleidung und diversen Alltagsgegenständen! Die Leiterin, eine sehr nette junge Frau, meint, das Lager wäre zudem im Augenblick recht voll; ob wir nicht einen Teil ausladen möchten, um dann bloß jenes zu entnehmen, was ganz schnell Verwendung finden wird?
Aber Anna hat eine andere Idee; es gibt auch eine Filiale des Vinzenz-Ordens, welcher nach dem französischen Priester Vinzenz Depaul benannt wurde (Depaul wirkte im 17. Jahrhundert besonders in den Bereichen der Armen- und Krankenfürsorge, wofür ihn 1737 Papst Clemens XII. heilig sprach. Er gilt als der Begründer der modernen Karitas, Anm.). Dorthin, an den Stadtrand, verschlägt es uns nun. Ganz in der Nähe des Flughafens finden wir das alte Gebäude nach anfänglichen Schwierigkeiten – TomTom verliert sich leider in der endlosen Welt der Gässchen und Nebenstraßen – dann doch ziemlich schnell, und zu unserer großen Überraschung empfängt uns eine junge Frau mit einem überaus freundlichen ‚Hallo, herzlich Willkommen‘! Tatsächlich, Veronika heißt die Samariterin, sie ist sogar in Österreich geboren, zog aber mit der Familie noch vor dem 6. Geburtstag in das Land ihres Vaters. Seit 4 Jahren arbeitet sie nun schon in diesem höchst fordernden und aufopfernden Job, unter denkbar schlechter Bezahlung, an einer Schaltstelle, wo im Sommer tagtäglich rund 120 Menschen ein Notbett sowie Frühstück und Abendessen vorfinden, im Winter sogar bis zu 250 (es ist eigentlich kaum zu glauben, aber in Bratislava, einer Stadt mit nur rund vierhunderttausend EinwohnerInnen, soll es Schätzungen zufolge mehr als 5 000 Obdachlose geben!)!
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Foto: versteckt und etwas schwer zu finden – das schwer in die Jahre gekommene, aber nichtsdestotrotz so völlig unverzichtbare ‚Vinzenz Depaul‘-Obdachlosenhaus!
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Foto: große Schlafsäle, die dringend einer Restaurierung harren; im neueren Trakt gibt es spezifischere und vor allem kleinere Räume, dieser hier zum Beispiel einer nur für behinderte Menschen! Weiters finden sich selbstredend solche extra für Frauen, aber auch zwichen Betrunkenen und Nicht-Betrunkenen wird unterschieden.
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Und hier wird wirklich jede Hilfe gebraucht – was uns umso mehr freut! Es ist so schön zu sehen, wenn Ihre gesammelten Spenden einen derart guten Zweck erfüllen, erst dann sind wir so wirklich zufrieden! Veronika zeigt uns nach dem Entladen auch noch die Räumlichkeiten; die großen Schlafhallen, welche aufgrund des von den Elementen besiegten Gebäudes wie Krankenfeldlager im 1. Weltkrieg wirken, aberdutzende Betten nebeneinander in einem riesigen Saal. Die Luft riecht, gelinde gesagt, abgestanden, aber wie sollte es anders sein; mit einfachen Mitteln versucht man täglich weit über hundert Menschen unterzubringen, allesamt mit anderen, wesentlich schwerwiegenderen Problemen behaftet als jenen, ob und wie ‚Mensch‘ der Körperhygiene nachkommt.  Ja, derartige Voraussetzungen sind hier wirklich nebensächlich, Depaul steht für das Wesentliche, der Orden garantiert eine Nacht auf weichen Matratzen, die Möglichkeit sich zu duschen, sowie zwei Mahlzeiten. Keine Frage, es ist einfach nur unfassbar wichtig, dass es solche Orte gibt. Die letzte Zuflucht für jene, welche vom Leben verstoßen wurden, deren Karten keinen Trumpf aufwiesen; die nicht auf der Butterseite landeten, ohne Aussicht auf Besserung. Anders als bei ähnlichen Stellen dürfen selbst alkoholisierte Menschen oder solche unter Drogeneinfluss ein Bett in Anspruch nehmen, niemand wird weggeschickt. Sofern man sich anständig verhält, keine Streitereien provoziert, sich an die Regeln des Hauses hält.
Ja, wir müssen uns dann auch schon wieder verabschieden, nicht ohne des Versprechens, bald wieder hier zu sein! Besonders im Winter, oh, wieviel Hilfe kann man dieser Herberge der Menschlichkeit bringen?
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Dann geht es zurück in die Stadt. Als nächstes steht der unverzichtbare Protest am Programm, eine geeignete Stelle hierfür ist auch schnell gefunden; direkt an der Kreuzung eines Einkaufszentrums, dort, wo der Verkehr von allen vier Seiten die Umgebung erstickt. So sehen die erstaunten PassantInnen kurz darauf auch schon wieder Gevatter Tod sowie eine Aktivistin im Hundekostüm, deren Transparent ‚Stop Killing Stray Dogs! Now!!!‘ verkündet!
Anna verlässt uns jetzt; seit einiger Zeit geht sie nicht mehr mit zu Frau Havranovra, persönliche Differenzen haben eine Spaltung verursacht; Anna leidet offensichtlich darunter, weiß sie doch im Asyl viele ihrer Lieblinge. Besonders die inzwischen auch schon 17jährige Hündin Bona fehlt ihr, genau wie für den mit über 20 Jahren kürzlich verstorbenen Blackie hat sie der Süßen ihr ganzes Herz und jede Menge Geld für Tierarzt und Versorgung geschenkt.
Vielleicht schaffen wir hier im Namen aller Beteiligten wieder eine Annäherung, es ist einfach zu schade, wenn sich die paar wenigen Menschen, welche den Tieren helfen möchten, zerstreiten. Aber derartiges ist ja beileibe leider nicht nur ein Problem des Ostens.
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Erst gegen 15 Uhr erreichen wir das Katzenasyl. Frau Havranovra empfängt uns dieses Mal besonders herzlich. Ja, sie sieht viel besser aus, es scheint er zumindest halbwegs gut zu gehen! Na wenigstens wieder ein echter Lichtblick! Und tatsächlich, Karlo, ihr Helfer, hat in der Zwischenzeit seit unserem letzten Besuch den wundersamen Märchengarten bearbeitet, das Grundstück macht nun einen freundlichen, gepflegten Eindruck. Auch im Haus selbst ist es sauber und hell, natürlich, der Verfall lässt sich hier nicht mehr kaschieren. Sie wissen, es gibt beispielsweise seit längerem keine Elektrizität… das einzige, was noch einigermaßen funktioniert, ist der Wasserzufluss. Auch das Heizsystem, der von uns gebrachte Ofen, ist endgültig kaputt. Schuld daran ist wahrscheinlich das verwendete Heizmaterial, denn das Herd selbst ist ja kaum mehr als drei Jahre alt. Aber aus Mangel an Möglichkeiten verheizt Karlo, der inzwischen ein fixer Bestandteil der Herberge geworden ist, alles was er findet. So stapeln sich im Moment mehrere alte, vergammelte Wohnungstüren aus Holz im Garten, die er fein säuberlich zerlegen wird, um dann den Ofen damit zu füttern. Dass das Sperrholz-Pappe-Gemisch, formaldehyd-bestrichen, zwar eine Stichflamme verursacht, irrsinnig schnell und irrsinnig heiß brennt, aber eben nur für wenige Minuten, tut dem Elan keinen Abbruch (ja, wir werden im Winter wieder Briketts besorgen, so wie in jedem Jahr).
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Foto: es ist und bleibt ein Paradies für Katzen – die jetzt fast allesamt frei laufen dürfen!
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Foto rechts: Frau Havranovra’s Hand, sichtlich gezeichnet, funktioniert noch immer nur sehr eingeschränkt…
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Foto: von den Kratzbäumen bis zum Katzenfutter – fast alles haben wir gebracht!
27 Katzen bezeichnen das Asyl im Moment als ihre Wohnadresse, ein alter Kater ist leider im letzten Monat gestorben. Aber bis auf eine Katze (sie war zum Zeitpunkt des Kastrationseinsatzes hochschwanger) sind jetzt dank unserer Intervention und der so hervorragenden Zusammenarbeit mit dem großen lokalen Verein Sloboda Svierat alle kastriert, was ein besonders gutes Gefühl ist – und den Stubentigern nun die Möglichkeit des Freiganges eingebracht hat!
So sitzen wir heute etwas unbeschwerter als sonst im zauberhaften Garten und genießen die herrliche Ruhe; auch die Tatsache, dass der neuerliche Versuch der Enteignung durch die Stadt, ein Gerichtstermin, von September auf November verschoben wurde, trägt zur Gelassenheit bei – jetzt bleibt noch mehr Zeit für die Vorbereitung! Allerdings muss Frau Havranovra, die doch im letzten Jahr Opfer eines bisher noch immer unaufgeklärten schrecklichen Überfalls geworden ist, von Mitte September bis Mitte Oktober zur Rehabilitation ins Krankenhaus. Ihre beim unfassbaren Angriff so schwer verletzte Hand ist bis zum heutigen Tage fast unbrauchbar geblieben, sie kann weder die Finger richtig strecken, noch den Arm wirklich abbiegen. Karlo wird in den vier Wochen Kur-Zeiten die Herberge hegen und pflegen, und bei ihm machen wir uns keine Sorgen, dass es dabei zu ernsteren Problemen kommt. Er liebt die Tiere, offensichtlich, und er kann improvisieren – was zum Beispiel die Herbeiführung von Strom aus ‚wir wollen es gar nicht so genau wissen-Quellen‘ beweist!
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Wir verabschieden uns schließlich, im Versprechen, alsbald wieder hier zu sein. Spätestens nach dem Reha-Aufenthalt, wo wir dann ein gemeinsames Treffen mit Sloboda Szvierat herbeiführen werden. Vielleicht, ja ganz vielleicht ist es möglich, dass das Katzenhaus unter die Schutzherrschaft der einflussreichen Organisation gestellt wird – dann wäre zumindest ein großer Schritt dahingehend getan, den Fortbestand des ‚1. Tierheimes Bratislavas‘ auch für die nächsten Jahre abzusichern…
Langsam wird es nun schon wieder dunkel. Bevor sich die Sonne aber zurückzieht, suchen wir uns – noch immer nicht völlig ausgepumpt 🙂 – noch Plätze für weitere Proteste! Wie wichtig die sind, lässt sich mit Worten kaum ausdrücken; sie erregen immer große Aufmerksamkeit, werden später im Netz fest geteilt werden und somit viele Leute zum Nachdenken anregen. Und Nachahmen! 🙂
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Mit vielen neuen Eindrücken aber auch durchaus hoffnungsvollen Aussichten treten wir schließlich die Rückreise an. Ins gelobte Land. Ja, trotz der vielen, vielen Skandale, welche alleine wir in den letzten Wochen wieder aufdecken mussten, ist es das in Anbetracht der Schwierigkeiten in unseren Nachbarländern noch immer… und mit dem möglichen Nationalratssitz des wohl bekanntesten Tierschützers des Landes, Dr. Dr. Martin Balluch, wäre diese herausragende Stellung nach der Wahl im September sogar eine prolongierte!
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Fotos: Bratislava ist eine florierende und pulsierende Stadt – der ungebrochene Bauboom (Foto unten) kündet davon!
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