Mauretanien – der große Reisebericht, Teil 1!

Wir sind nun schon wieder ein paar Tage zurück aus Mauretanien. Es war ein unfassbar fordernder Einsatz, ein solcher, der für immer im Gedächtnis bleiben wird. Mit so vielen kleinen und großen Geschichten, dass wir gar nicht alle aufzählen können. Aber wenigstens ein Teil deren, der soll in Erinnerung bleiben. Deshalb haben wir wieder einen großen Reisebericht aufgesetzt, wegen der vielen Bilder und der vielen Ereignisse in drei Teilen verfasst. In der großen Hoffnung, es wird doch ein paar Menschen geben, die die folgenden Zeilen gerne lesen möchten. Der Rest, bitte schaut Euch die Bilder an, wo die meisten sowieso mehr als tausend Worte sagen!

Mauretanien - wo sich unser Schicksal erfüllt!

Mauretanien liegt an der Westküste Afrikas. Seine riesige Landfläche von über 1 Million Quadratkilometern wir eingerahmt vom Atlantik, von der West-Sahara im Norden, von Mali im Osten und dem Senegal im Süden. Mehr als 80 % davon sind Wüsten oder wüstenähnliche Gebiete, Landwirtschaft – dann vor allem der Anbau von Reis, Hirse oder Datteln – kann nur auf einem schmalen Streifen von rund 0,2 % der Fläche durchgeführt werden. Dementsprechend zählt Mauretanien zu den ärmsten Ländern der Welt. Womit wir schon bei der Katastrophe wären, denn dort, wir wissen es längst, wo es den Menschen schlecht geht, sehen sich die Tiere meist fatalsten Verhältnissen gegenüber.

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Foto: Impression aus Mauretanien: Esel, alte und verletzte, werden an bestimmten Stellen oft einfach so zurück- und sich selbst überlassen.

2005 sind wir erstmals ins Land gekommen. TouristInnen gibt es hier kaum – es wird oft gesagt, Mauretanien gilt als eines der wenigst besuchten Ländern des Globus – aber eine Handvoll Abenteuer-Urlauber, welche von der Hauptstadt Nouakchott aus höchst eindrucksvolle Wüstenreisen unternehmen, verirren sich dennoch immer wieder in die Islamische Republik. Genau solche hatten uns damals von den Eseln erzählt. Und es waren furchtbare Dinge. Den Gerüchten wollten wir auf die Spur gehen.

Nouakchott platzt aus allen Nähten. Erst 1959 gegründet, damals für 15 000 Menschen konzipiert, wies es bald überwältigende Zuzugsraten auf. Um jeweils mehr als 20 % erhöhte sich die Bevölkerung über viele Jahre hinweg, und heute beherbergt der Moloch – niemand weiß es tatsächlich, aber den Schätzungen nach – weit über 1 Million EinwohnerInnen. Freilich, die Infrastruktur hielt mit dem unfassbaren Wachstum niemals mit, und so gibt es heute praktisch nur im Botschaftsviertel Wasserleitungen oder einen Kanal, überall sonst wird das lebensrettende Nass per Esel gebracht; 400 Liter bindet man hierfür auf einem immens schweren Eisenkarren fest (2 Fässer mit jeweils 200 Litern Inhalt – meist sind die Behältnisse durch Erwärmen ausgedeht und fassen dann rund 250 Liter), dazu das Gewicht des Fahrers – all das müssen die Grauohren noch dazu durch den Wüstensand schleppen. Asphalt gibt es in vielen Bezirken kaum. Auch auf diversen Baustellen schuften die Tiere, dort bezeugten wir Gewichtslasten von bis zu 1 Tonne – eigentlich völlig unvorstellbar!

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Foto: ein Teil von Nouakchott aus der Vogelperspektive; Sand, wohin das Auge blickt!

Esel arbeiten von frühmorgens bis in die Nacht hinein. Das Zaumzeug ist völlig unzureichend, es besteht oft nur aus zusammengeflickten Fetzen, Ketten und Draht; die Lasten drücken überall, und so entstehen herzzerreißende Wunden. Einen Tierarzt können sich diese Menschen – Eselhalter zählen zu den untersten Schichten im Land – niemals leisten. Das adäquate Füttern übrigens genauso wenig; so werden – hundertfach belegt – viele der Esel überhaupt nur mit Kartons ernährt, wobei sie diesem – möglich durch eine von der Natur gegebene hohe Rohfaseraufnahmekapazität – die Zellulose entziehen. Nicht zuletzt wird den Eseln auch noch ihre extreme Leidesfähigkeit zum Verhängnis. Man glaubt tatsächlich noch immer, sie spüren ohnehin keinen Schmerz, und so werden sie oft brutalst geschlagen; im Straßenverkehr beispielsweise, um sie zu höherem Tempo anzutreiben. Je schneller die Tiere nämlich unterwegs sind, desto mehr Touren schafft der Wagenlenker am Tag…

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Foto: die unmittelbaren Auswirkungen der Tortur – tote Esel finden sich zu Hauf…

Die Erinnerung an die Anfangszeit ist eine niederschlagende; wir versuchen sie stets zu verdrängen, zu hart war der Aufprall in der Wirklichkeit. Wie viele Esel wir sterben gesehen haben? Unzählige. Ohne jede Chance, sie wenigstens von ihrem Leiden zu erlösen. Das wäre nämlich ein gröbstes Vergehen in der 100 % islamischen Gesellschaft, und würde unsere weitere Arbeit in weiterer Folge unmöglich machen. Auch im Versteckten funktioniert es nur ausnahmsweise – denn, obwohl Millionenstadt, ist die Ansiedlung ein Dorf geblieben. Nachrichten verbreiten sich rasend schnell über die Mundpropaganda, schneller als jede topaktuelle Zeitung dies tun könnten. Insbesondere schlechte (aus Sicht der Tierhalter). Und so wären wir blitzschnell als die Todesengel verschrieen, niemand würde seine Tiere mehr von uns behandeln lassen…

Inzwischen, Ihr könnt es in unseren hunderten Berichten auf der Homepage nachlesen, haben wir aus der Vergangenheit gelernt; wir loten Dinge im Stillen aus, und gehen – als vielleicht die einzig staatlich anerkannte Tierschutzorganisation –  unbeirrt unseren Weg. Aufpassen muss man freilich immer; nicht zuletzt spricht ja der eigene Staat, Österreich, die höchste Stufe der Reisewarnung aus; was bedeutet, im Problemfall gibt es keine Anlaufstelle, und noch schlimmer, wird die Alpenrepublik nicht einschreiten (im Entführungsfall beispielsweise, der gar nicht so abwägig ist – bietet das weitläufige Land doch fantastische Rückzugsgebiete für die verstreuten Terrormilizen)…

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Foto: die hygienischen Zustände sind teilweise höchst katastrophal; als Ironie des Schicksals: manche Bezirke werden zunehmend unbewohnbar, weil das Meerwasser aus dem Boden dringt und das Land überschwemmt. Warum? Weil gespeichertes Süßwasser über dem salzigen abgepumpt wird und so den Weg frei macht…

Dennoch, trotz all dieser furchtbaren Tatsachen, hat uns Mauretanien in der Pandemiezeit über gefehlt; unfassbar, sogar. Weil hier, ja, es ist unser bestimmt wichtigstes Projekt, setzen wir wirklich Maßstäbe. Jeden Tag! Mit zwei Gruppen von TierärztInnen, welche immerzu an den Wasserstellen tätig sind und die Esel dort völlig kostenlos für ihre Halter versorgen. An vier Tagen der Woche, ohne jede Unterbrechung. Rund 1 200 der Grauohren werden so im Monat medizinisch versorgt, eine kaum zu glaubende Anzahl. Doch nicht nur die Symptombehandlung ist es, welche uns am Herzen liegt; wir wollen das Übel an der Wurzel packen! Letztendlich hat uns die Religion dabei geholfen, Dinge wirklich zu verbessern – und zwar bahnbrechend! Da nämlich die allermeisten Menschen hier extrem gläubig sind, aber besonders die Eselhalten kaum des Lesens und Schreibens mächtig, wissen sie oft gar nicht was im Koran steht; dort finden sich zum Beispiel Zeilen wie ‚Wer Gnade am Tier übt, an dem wird Allah Gnade üben‘. Genau dieser Spruch, Bilder von Eseln hinzugefügt und tausenden vervielfältigt, haben wir als Aufkleber an Wasserfässern, Straßenlaternen oder Fahrzeugen hinterlassen, und der Vers erschütterte das bisherige Weltbild – vorgelesen von jenen, welche die arabischen Zeichen verstehen, versammeln sich bis heute dutzende Menschen rund um diese Bildnisse und diskutieren. Ob Sie es glauben oder nicht, wir sind fest davon überzeugt, dass man nur deshalb heute tatsächlich Eselhalter findet, welche ihren Tieren beispielsweise Wassermelonen (wenn auch nur Reste) reichen…

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Aber zu all dem später. Gut zweieinhalb Jahre konnten wir nun nicht nach Mauretanien reisen, die Pandemie machte es unmöglich. Die RespekTiere-Teams vor Ort arbeiteten allerdings selbstverständlich mit Hochdruck weiter, und jetzt ist endlich der Tag gekommen, wo auch wir wieder unterwegs sind! Es wird bei unserer Rückkehr viel zu erzählen geben – Inschallah, so Gott will!

Mauretanien 22 - der Einsatz beginnt!

Der Wecker läutet gnadenlos früh, was zur unmittelbaren Folge hat: der nächste ist einer jener Momente, wo man im Halbschlaf wünscht, man hätte sich den schrillen Ton nur eingebildet; obwohl dem/der so unsanft Geweckten tief im Innersten natürlich bewusst ist, dem ist nicht so. Augen auf, ein stummes Gebet gen Himmel, Bettdecke zurückgeschlagen und Kaffee aufgestellt, so beginnt der Tag. Die Zeit schreitet gnadenlos voran; ein letzter Abschiedskuss an die Familie, dann klopft auch schon Dr. Matthias Facharani ans Portal. Der so großartige Tierarzt hat einmal mehr seine Praxis in Bayerisch Gmain (www.tierarzt-facharani.de) extra für den wartenden Einsatz geschlossen, um uns wieder als medizinischer Leiter des Projektes zu begleiten

Kaum 10 Minuten sind seit dem Nerv tötenden Geräusch vergangen, als wir dann auch schon im RespekTiere-Mobil sitzen; und während draußen am Horizont erste zaghafte Strahlen den beginnenden Morgen andeuten, hat uns bereits die berüchtigte deutsche A8 fest im Griff; dem Himmel sei Dank vorerst ganz ohne Stau lenken wir das so treue Fahrzeug Richtung München. Allerdings, die Situation sollte sich leider schon nach dem Passieren des Autobahnkreuzes kurz vor der Bayern-Metropole schlagartig ändern. Während sich die letzte Erinnerung an den Thermoskannen-Kaffee als Duftspur langsam in der herbstlichen Luft auflöst, beginnt es nämlich zum einen plötzlich zu regnen, zum anderen spitzt sich auch die Situation auf dem Highway zu; Minuten später stehen wir tatsächlich im befürchteten Verkehrszusammenbruch! Grrr… wie immer ist die Zeit zum Flughafen einer „Mehrstunde“ Schlaf zuliebe eng bemessen, und so erleben wir schon zu Beginn der neuerlichen Reise bange Minuten… Letztendlich aber löst sich die Verhedderung dann doch recht bald wieder auf. ‚Park&Fly‘ ist nun schnell erreicht; der Transfer-Fahrer erwartet uns bereits, leicht ungeduldig, und sein Shuttle bringt Matthias und mich zum Flughafen.

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Fot, oben: die Fracht von gut 120 kg ist im RespekTiere-Mobil verladen, dann geht es auch schon in Richtung Flughafen. Dort wartet bereits die Maschine der ‚Turkish Airlines‘!

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Noch immer aber ist der Stress nicht ausgestanden, denn nun wird es wirklich knapp mit der Abflugzeit. Die Kontrollen – merken Sie es auch? Immer, wenn man es besonders eilig hat – ziehen sich unendlich. Dann auch noch das: der Pass-Computer öffnet mir das Tor, das zweite aber, sozusagen die Face-ID, bleibt verschlossen. Warum? Keine Ahnung, die Gesichtserkennungs-Software hat bei gefühlten einer Million Menschen vor mir noch prächtig funktioniert, jetzt scheint sie zu versagen. Nun gut, ist ja auch kein Gesicht wie jedes andere, meines! 🙂 Von den Zeichen der Zeit in Mitleidenschaft gezogen, jede Falte eine Geschichte des Lebens. Und, obwohl man das vielleicht gerade wegen der Furchen vielleicht nicht sofort zu erkennen vermag, es war bisher ein Gutes zu mir gewesen…

Letztendlich schaffen wir aber dann doch den Flieger – und nun hat jener Verspätung; was ein Problem ist, denn die Boeing soll uns nach Istanbul bringen, wo wir eine ganze Stunde Zeit haben – jetzt nur noch 45 Minuten – bevor die Anschlussmaschine abhebt… ob sich das alles ausgeht?

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Foto: eine Vorahnung an des Kommende – der flimmernde Horizont!

Turkish Airlines ist eine bekannt gute Fluglinie; der Ruf wird untermauert, so viel sei verraten. So zum Beispiel funktioniert die Bestellung des ‚veganen Menüs‘ halbwegs gut. Obwohl, ein Stück Käse war dann doch darunter geschummelt, was der Flugzeugs-Cathering-Firma Nr. 1, Do&Co, eigentlich nicht passieren sollte; aber nach den Erfahrungen mit Tunis Air und Co freut man sich an kleinen Dingen! 🙂 Jeder Sitz ist übrigens mit einem eigenen Fernsehgerät ausgestattet, und so sehe ich zufrieden den Spielfilm ‚Montana Story‘, eine ‚unbedingt empfehlenswerte‘ Geschichte!

Gegen 14.30 Ortszeit erreichen wir schließlich Istanbul. Es war ein angenehmer Flug. Noch dazu, die Maschine sollte nicht völlig ausgelastet gewesen sein, und so teilten sich Dr. Facharani und ich alsbald eine 3er-Reihe! Herz, was willst Du mehr?

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Istanbul wird stressig; wir haben es gewusst. Nur kurz Zeit, bis der Anschlussflug abhebt. Der Flughafen ist unfassbar groß, auch das haben wir gewusst. Also: laufen! Allerdings, immer bedacht darauf, sich nur nicht zu verlaufen! Aber letztendlich geht auch hier alles gut. Es bleiben uns schließlich sogar noch ein paar Minuten, um am Gate durchzuschnaufen.

Beim Boarding wird schon offensichtlich – ab jetzt geht es immer nur in eine Richtung, und zwar nach Süden. Afrikanisch mutet die Szenerie an, viele vollvermummte Frauen mit ihren Kleinkindern, die Väter mit langen Bärten und bodenlangen Roben. Die Maschine selbst erweckt unschöne Erinnerungen – eine Boeing 737 Max. Jener Flugzeugtyp also, der für weltweite Aufmerksamkeit gesorgt hatte, nachdem Maschinen der Bauart abgestürzt waren – mehrfach! Eine Information also, die es nicht unbedingt gebraucht hätte; Boeing 737 alleine, das hätte es auch getan…

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Foto: Die Gedanken beim Flug: was wird uns da wieder erwarten?

Das Glück bleibt uns dennoch, zumindest vorerst, hold; wieder nämlich ist die Maschine nicht ganz voll, und ausgerechnet die Plätze rund um bleiben unbelegt – tatsächlich, erneut dürfen wir mit vermehrter Bewegungsfreiheit vorliebnehmen!

Über den Wollen ist es grenzenlos schön. Echte Freiheit, die das Land darunter, egal welches wir auch immer überfliegen, nie mehr bereiten wird. 8 Milliarden der unseren bevölkern seit dieser Woche den Planeten, eine unfassbare Anzahl, eine solche jedenfalls, die den Raum langsam wirklich eng werden lässt.

Wie eng muss er erst sein, und das bereits im Heute, für die vielen, vielen Frauen auf diesem Planeten, deren Rechte sowas von beschnitten sind. Der Anblick von Menschen in tiefschwarzen Ganzkörperkleidern mit Sehschlitz wirft derartige Überlegungen auf. Wie konnte so etwas passieren? Ich stelle mir vor, die Rollen wären vertauschte. Und seit ewigen Zeiten, über die Jahrhunderte hinweg, würden uns Männern Frauen zu einer solchen Kleidung zwingen. Und uns auch noch den Gedanken, irgendjemand Irdischer oder Überirdischer würde dies gutheißen, ja sogar verlangen, derart eintrichtern, dass wir am Ende des Tages tatsächlich einen derart unfassbaren Affront Glauben schenken. Es als ‚normal‘ ansehen; ist es aber nicht, kann es niemals sein.

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Ich sehe mir die ‚Montana Story‘ zu Ende an, und ‚Achtung Spoiler‘ die letzten Bilder des wunderbaren Films lenken mich zumindest ein bisschen von der sich ob der wüsten Auseinandersetzung in meinem Gehirn langsam ausbreitenden Traurigkeit ab. Tatsächlich darf das alte Pferd namens ‚Mr. T‘, welches eigentlich hätte eingeschläfert werden sollen, im Ausklang der herzzerreißenden 120 Minuten auf die unendliche Prärie in einer Native-American-Reservation ziehen: Umschmeichelt vom goldgelben Gras bewegt er sich dort erst vorsichtig, ganz vorsichtig, aber schon bald stürmt der Hengst mit seinen neuen vierbeinigen Kameraden los, direkt in den Sonnenuntergang. Mr. T, eines Tages werde ich neben Dir laufen, zusammen mit meinen Lieben, frei wie ein Geist nur frei sein kann…

Siebeneinhalb Stunden dauert der Flug; hinein in die Nacht. Trotz der unvermuteten Freiräume im ansonsten wirklich winzigen Sitzbereich werden es lange; mit Arbeit vertriebene, und nebenbei ein bisschen Film schauen. Nicht zuletzt die Aufregung des Tages, aber auch der Lärm der vielen Kleinkinder an Bord, machen ein Einschlafen nahezu unmöglich.

Aber das bei weitem Schlimmere steht uns noch bevor: gegen 20.45 Ortszeit landet die Maschine im neuen Flughafen von Nouakchott, weit außerhalb der Stadt. Der ‚Alte‘ war ja geschlossen worden, nachdem sämtliche Sicherheitsaspekte dem Modernen nicht mehr standhalten konnten; außerdem, er war mitten im Zentrum, nicht auszudenken, was bei einem Unfall passieren hätte können… Etwas wehmütig ist uns trotzdem zumute, denn das vormalige Gebäude hatte nicht nur einen Hauch davon, es war ‚Indiana Jones‘ pur; der Film, nicht vergessen, spielt in den 30ern. Und genauso sah es dort aus. Ein Beispiel? Air-Kondition gab es keine, in einem der heißesten Länder der Welt. So hingen aber riesige Ventilatoren von der Decke im einzigen großen Raum, dem Ankunfts- und Abflugbereich gleichermaßen wohlbemerkt! Die mit lautem Surren auf sich aufmerksam zu machen wussten, sodass eine normale Unterhaltung schwerfiel…

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Foto: Karte von Nouakchott, welche einige unserer Einsatzgebiete zeigt!

Was zwischen dem Modernen und dem Alten aber gleichblieb, sind die Umgangsformen des Personals. Großteils Soldaten – in einer Demokratie, welche von einem ehemaligen General mit eiserner Hand gelenkt wird. Es ist ein Spießrutenlauf, wo man den Leuten leider völlig ausgeliefert ist – und besser nach deren Regeln spielt, den nie ist zu vergessen warum wir hier sind! Um den Eseln zu helfen, und Streit mit den Behörden, das würde so ganz und gar nicht dazu beitragen, diese Hilfe den Tieren wirklich großflächig angedeien zu lassen. In einem Land, wo etwa auf Religionswechsel, oder Homosexualität, nach wie vor die Todesstrafe verhängt ist, kann man sich vielleicht vorstellen, wie schnell ein Projekt wie unseres aus welchen Gründen auch immer ausgesetzt werden kann, sich auf einer ‚roten Liste‘ wiederfindet…

Es dauert gut 90 Minuten, dann aber dürfen wir endlich das Gebäude verlassen (ein riesen Schock inklusive: mein großer Koffer mit allen so wichtigen Mitbringseln war verschwunden; welche Freude, als wir ihn dann doch noch durch puren Zufall wiederfanden – er war vom Förderband gefallen und lag mutterseelenalleine in einem „toten Winkel“ völlig im Abseits). Und draußen wartet schon Dr. Dieng mit seiner Frau, das Paar wird Matthias und mich zur Herberge bringen! Zuerst aber fallen wir uns einmal so richtig in die Arme, Wiedersehensfreude nach mehr als 2 Jahren Unterbrechung! Apropos: ob man als Ungeimpfter überhaupt einreisen hätte dürfen? Ich weiß es nicht, jedenfalls zeige ich auf Verlangen des entsprechenden Impfpasses immer nur ein altes SMS, welches von einem ‚negativen Testergebnis‘ spricht. Und niemand schaut es überhaupt nur an, es folgt stets ein zufriedenes Lächeln! Ich lächle ebenso zufrieden zurück.

In der Nacht sieht Nouakchott ruhig, fast friedlich aus; die Schatten verschlucken den Müll und die gelben Lichter tauchen die Umgebung in eine nahezu gemütlich anmutende Atmosphäre; morgen früh aber schon wird sich wieder der Höllenschlund öffnen, und eine gnadenlose Sonne dörrt das Land erneut aus. So ist der Lauf der Dinge. Wie es immer war, seit Jahrtausenden. Wer kommt schon auf die Idee, eine derartige Metropole direkt in der Sahara zu errichten?

Erst gegen 2 Uhr morgens fallen wir in einen tiefen, aber unruhigen Schlaf; und schon viel zu früh – es ist noch nicht einmal halb 7 – weckt mich der beginnende Verkehrslärm von der nahen Avenue „Charles de Gaulle“ bereits wieder. Was soll’s, es gibt heute ohnehin viel zu tun! Dr. Facharani scheint mit selber Symptomatik zu kämpfen, jedenfalls treffen wir uns bereits eine halbe Stunde später auf der kleinen Terrasse vor den Zimmern, wo wir all die mitgebrachten Sachen gleich mal ausbreiten und sortieren. Da gibt es Waren speziell für einzelne Team-Mitglieder, etwa für den Hufspezialisten Zappa oder den einzigen Chirurgen in der Gruppe, Dr. Dieng; oder auch für Eselhalter, welche aufgrund eines guten Allgemeinzustandes ihrer Tiere eine spezielle Belohnung bekommen sollen. Von der Sonnenbrille bis zum Nähfaden, von der speziellen Arterienklemme bis zum Huf-Aufbau-Kit, es ist alles dabei. Ja, sogar Brillen in Dioptrienstärken haben wir mitgebracht, die so wichtigen Betäubungsmittel (welche im Prinzip sehr schwierig zu importieren sind, weil durch eines der strengsten Drogengesetze der Welt verboten und daher für eine Schmerzbehandlung so wertvoll wie Gold), Arbeitsbekleidung, chirurgisches Besteck und Stethoskope sowieso.

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Foto: all das haben wir mitgebracht, und noch viel mehr! Gut 120 kg an Waren haben ihren Weg von Mitteleuropa nach Afrika gefunden 🙂

Erst gegen Mittag sind wir mit diesen Vorbereitungen fertig; jetzt ist es aber bereits hoch an der Zeit für das anstehende Team-Meeting am Nachmittag! Kaffee und Getränke sowie Kleinigkeiten zum Essen gilt es hierfür noch einzukaufen. Die Regeln des Anstandes gebieten zumindest den Anschein einer Bewirtung! 🙂

Es ist nun das erste Mal bei diesem Einsatz, dass wir die Stadt selbst erleben. Gut, wir sind hier im ersten Bezirk, jenem, wo die Botschaften beheimatet sind und der unfassbar prächtige Präsidentenpalast aus der Monotonie hervorsticht, aber dennoch: ein Impuls sagt, dass der Fortschritt auch vor Nouakchott nicht Halt gemacht hat. Es sieht insgesamt recht sauber aus – verglichen mit den Verhältnissen von früher selbstredend, nicht mit jenen einer Metropole in Westeuropa – dazu fahren bemerkenswert viele Autos in halbwegs gutem Zustand, und Esel, Esel sehen wir erst einmal gar keine. Hier muss erwähnt sein, der Präsident selbst hat die Vierbeiner in ‚seinem‘ Stadtteil schon vor mehreren Jahren verboten, aber aufgetaucht sie trotzdem immer. Weniger zwar als in den Anfangsjahren des RespekTiere-Projektes, aber doch dauerpräsent. Dafür gibt es jetzt ganz viele TuckTucks, jene dreirädrigen Motorfahrzeuge, welche man besonders aus Indien kennt; eine Vereinbarung mit China macht es möglich. Eine Lieferung von abertausenden dieser besonderen Gefährte als Geschenk an Mauretanien. Nur, so viel steht längst fest, der ‚Rote Drache‘ gibt nichts umsonst, nicht einmal seine Geschenke…

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Foto: es gibt sie auch, die Protzbauten – hier eine Versicherung mit sündteuren SUV’s davor!

China gibt tatsächlich niemals kostenlos, es verlangt früher oder später stets eine Begleichung des Preises. Auf welche Art dann auch immer, und sei es „nur“ auf die der unentwirrbaren Abhängigkeit. Der ‚Rote Drache‘ hat den Wüstenstaat ohne jede Frage von innen bereits ausgehöhlt, ist wohl im Versteckten längst ein Fädenzieher. Hat den neuen Flughafen gebaut, den Hafen, besitzt eine Stadt in der Stadt – die extrem ausladende Botschaft – und ist in sämtlichen Straßenbauprojekten federführend. Leider auch darin, Ihr wisst es alle, dass der Bestand an Esel ein stetig abnehmender ist; nicht nur in Mauretanien, nein, in beinahe ganz Afrika! Warum? Wegen des unbändigen Hungers im Reich der Mitte nach Ejiao, einer gelatinartigen Masse, welche aus Eselhaut gewonnen wird und Verjüngung, bessere Potenz und erholsamen Schlaf bei Einnahme bringen soll. Obwohl grausame Eselfarmen in China mit bombastischen Geschäftserfolgen aufwarten, können sie die Nachfrage nicht abdecken. Deshalb werden aus dem Ausland, meist eben aus Afrika, Millionen Eselhäute importiert. Mit dem Effekt, dass die Populationen im „Schwarzen Kontinent“ einbrechen…

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Es ist unfassbar heiß, die Luft staubtrocken. Saharasand macht das Atmen schwer und legt sich als gelbliche Schicht über das gesamte Leben. Nur die so landestypischen Lautsprecherdurchsagen des Imams kratzen an der bleiernen Schwere, reißen uns schließlich raus aus den Gedanken und führen uns zurück in die Wirklichkeit.

Am späteren Nachmittag begrüßen wir zuerst Mohamed, dann kommt Dr. Dieng mit Moussa. Zappa als Letzterscheinender hat ein bisschen Verspätung, aber schon im nächsten Moment findet sich die Runde in Gesprächen rund um das Projekt wieder. 2019 hatten wir uns das letzte Mal gegenübergestanden, aber sofort ist der alte Team-Geist spürbar. Super! Zweieinhalb Stunden sitzen wir beisammen, dann steht der Plan für die nächsten Tage – viel Arbeit, aber, Inshallah, so Gott will, es werden spannende!

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Foto: erste Gesprächsrunde mit unseren ‚Fantastischen Vier‘; im Vordergrund Moussa, dahinter Zappa, Mohamed und Dr. Dieng – im Gespräch mit Dr. Facharani!

Gegen 7 Uhr abends kriechen die Schatten ins Land, und langsam kehrt Ruhe in den Moloch ein. Die riesigen Fledermäuse übernehmen das Kommando am Himmel, Vampire der Nacht, die hier allerdings einen Sonderstatus genießen. Aber auch das schützt sie nicht vor dem Massenmord durch Unwissende, welche den Wunderschönen eine Verbreitung der Tollwut unterstellen…

Matthias und ich sitzen auf der Terrasse und besprechen den kommenden Tag. Es soll wieder spät werden, bis wir den Weg ins Bett finden.

Viel zu früh weckt mich der Imam mit seinem lauten Sprechgesang. Fremdartig wirkt diese Zwangsbeglückung, aber sie hat auch den Duft von der Ferne, einer anderen Welt, anhaften. Eine andere Welt, das ist das hier sehr wohl. Ohne jeden Abstrich.

Mohamed holt uns gegen 8, Zappa wartet schon in seinem Auto; er fährt tatsächlich einen Opel, allerdings, eine Zulassung für Deutschland würde der Wagen so wohl nicht bekommen! 🙂 Alleine die Windschutzscheibe, die von unzähligen Sprüngen durchzogen ist, wäre ja schon ein absolutes Ausschlusskriterium. Hier ist es ein Auto unter vielen, zerbeult und mit Schrammen übersäht, mit gebrochenen Lichter und einer malträtierten Stoßstange – ein typisch mauretanisches halt!

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Foto: RespekTiere-Mobil auf mauretanisch!

Wir sitzen zu zweit vorne, hinten im durch Gitter abgetrennten Laderaum nehmen Mohamed und Matthias Platz – auf Holzhockern wohlgemerkt. Später steigt auch noch Ali Baba zu, ein junger Mann, welcher uns in den kommenden Tagen fotografisch begleiten wird. Und dann tauchen wir ein, in ein Stück echtes Afrika! Wie bereits erwähnt, unser „Wohnbezirk“ ist ein schwacher Abklatsch von der realen Welt da draußen, und wenn ich gestern von Fortschritt gesprochen haben, nehme ich das heute schon wieder zurück. Da geht es über 6, 8-spurige Straßen, so genau erkennt man das nicht, weil es keine Spurlinien am Asphalt gibt und die Autos sowieso kreuz und quer ihren Weg suchen, über riesige Drehkreuze von Kreisverkehren hinweg, über Kreuzungen, wo die Ampelfarbe sowas von nebensächlich wird. Noch schlimmer, wenn der Verkehrsweg dann zusätzlich von langsam fahrenden Tucktucks zu hunderten und unzähligen FußgängerInnen beschlagnahmt ist. Ein Hupen und Schimpfen hier, ein liegengebliebenes Fahrzeug dort, Straßenhändler, Menschen, welche per Hand kleine Anhänger beladen mit Kisten navigieren, und plötzlich wieder ein von den Elementen komplett zerfressener Kastenwagen, ohne jede Sitzbank, zugelassen für 2, drinnen sind mindestens 25… Behinderte Menschen mit Rollstühlen, Frauen mit Kindern fragend nach Geld oder Essen, ein unfassbares nie endendes Dilemma, die Frage ‚wo hat sich Gott versteckt‘ rechtfertigend. Und hie und da die ersten Esel, welche sich durch den überbordenden Verkehr kämpfen, beladen mit irrwitzigen Gewichten.

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Fotos, oben: auf Holzsesseln im Laderaum! 🙂 Unten rechts: es wird viel gebaut in Nouakchott, was der Stadt einen moderneren Eindruck verleiht. Die rote Ampel ist übrigens nur ein Farbkleks, denn beachtet werden die Signale so gut wie nie!

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'Bagdad' - so nennt sich der Ort der ersten Behandlungsstelle!

Die erste Wasserstelle des Tages liegt in einem der ärmsten Stadtteile; Asphalt gibt es hier kaum, Mensch, Tier und Maschine bahnt sich ein Fortkommen durch Wüstensand. Verfallene, von den Elementen zerfressene Hütten aus Wellblech, Karton und Plastikteilen gefertigt, tatsächlich Wohnraum. Und darüber die unvermeidliche Satellitenantenne – man würde es nicht glauben, würde man es nicht direkt vor Augen sehen!

Zuerst noch sind weniger Esel da; aber das ändert sich schnell. Schon bald herrscht das erhabene Gefühl vor, endlich wieder mittendrinnen im Projekt zu sein – zu schön! Wir geben Entwurmungsspritzen, verabreichen Augensalben, spritzen Schmerzmittel, Zappa schneidet Hufe – wie immer mit unfassbarer Präzession. Schon sind wir auch von den Kindern umringt, die wie gebannt unsere Arbeit verfolgen. Dieses Mal hab‘ ich endlich mitgedacht, und von zu Hause Taschen vollgefüllt mit Süßigkeiten zugepackt; immer wieder halte ich daher inne und geben die eine oder andere Leckerei weiter – ein Tun, welches mit leuchtenden Kinderaugen bedankt wird!

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Foto: selbst nach der langen Corona-bedingten Abwesenheit sind wir sofort wieder drinnen im Behandlungsmodus – einfach nur schön!

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Esel sind so unglaublich wunderbare Tiere. Was sie in einem harten Land wie Mauretanien und in so vielen weiteren auf diesem Planeten zu ertragen haben, es ist Legende. Und trotzdem geben sie sich – zumindest die Mehrheit davon – im Umgang mit uns meist halbwegs sanft. Natürlich, Vorsicht ist immer geboten, denn ein Eselbiss, der schnell passiert, ist nicht nur schmerzhaft, sondern aufgrund der vielfältigen Gefahrenmomente auch alles andere als auf die leichte Schulter zu nehmen. Manche wehren sich gegen die Behandlung, und dann – was zeigt, welche Kräfte in diesen Tieren stecken – reichen drei Mann kaum aus, um die „kleinen Pferde“ festzuhalten.

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Foto unten: Esel und Hund sind sehr oft Freunde; manche dieser Verbindungen beobachten wir schon seit vielen Jahren. Wohin auch immer der Eselkarren gelenkt wird, der Hund ist an der Seite!

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Foto oben: Eselbaby – die Mama muss schon wieder schwerst arbeiten… unten: typische Wunde durch Scheuern!

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Schwerere Verletzungen gibt es heute dem Himmel sei Dank wenige; die Tiere zeigen sich durchwegs in ganz guter Verfassung – bis auf jene allerdings, welche von ausländischen Gastarbeitern ‚geleast‘ wurden. Wir haben die Problematik oft angesprochen; solche, meist aus dem noch ärmeren Mail kommend, bleiben für ein paar Monate im Land, und in diesen wenigen Wochen möchten sie natürlich so viel als möglich verdienen. Deshalb leihen die Männer Esel gegen Bezahlung, und dann treiben sie diese ohne Unterbrechung zu körperlichen Höchstleistungen – und weit darüber hinaus… Das ist schrecklich, unendlich traurig, aber kaum änderbar.

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Foto: ein alter Mercedes – hier ironischer Weise auch öfters als ‚das Auto des armen Mannes‘ bezeichnet, wohl, weil so unfassbar viele 190er Mercedes fahren – ist im Sand liegengeblieben. Wir geben Starthilfe! 🙂

Auch noch eine zweite Wasserstelle besuchen wir; dort ist heute weniger los, kein Wunder, es ist Samstag. Auch in Mauretanien ein Wochenendtag. Dennoch geht uns die Arbeit nicht aus, und es gilt sogar eine erste OP durchzuführen; an einem heftig entzündeten Ohr, wo ein Abszess geöffnet werden muss. Viel Blut fließt, der arme Esel. Aber er wird sich danach besser fühlen, gar keine Frage, wenn der pochende Schmerz durch den abfließenden Eiter nachlässt.

Viereinhalb Stunden dauert der Einsatz; und dies ist eine urlange Zeit unter einer gnadenlosen Sonne, die Temperaturen nahe der 40-Grad-Marke. Wer einmal so schwere körperliche Arbeit über so viele Stunden hinweg unter derartigen Bedingungen geleistet hat, wird nie mehr in den Chor jener unwissenden Leute miteinstimmen, welche so gerne behaupten, Menschen im Süden wären faul und würden andauernd nur Siesta halten. Lasst Euch sagen, es geht gar nicht anders! Warum glaubt ihr, soll es in Katar beim Errichten der Tempel für die beginnende WM tausende Tote gegeben haben??? Weil dort die naturgegebenen Gesetze außer Kraft gesetzt wurden – wegen des Zeitdruckes…

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Zurück geht es über das Gelände des ehemaligen Flughafens; dort ist immer noch wenig gebaut worden, die Umgebung wirkt unwirklich, trostlos, zermürbend. Masten durch Kabel verbunden, E-Autobahnen, manche davon umgekippt, entladen sie ihre Energie in eine gebackene, steinharte Erde. Streunerhunde, Ziegen, Menschen, die im allgegenwärtigem Müll nach ein bisschen Hoffnung suchen; Zappa steuert seinen Opel direkt über die Landebahn, welche nun als ultrabreite Straße benutzt wird. Fast meint man die Durchsage im Inneren des Wagens, der mindestens genauso laut klappert wie ein Airbus, zu hören ‚Hier spricht Zappa, Ihr Kapitän! Wir wünschen Ihnen einen wunderbaren Flug!‘, und der Rüsselheimer scheint tatsächlich jeden Moment abzuheben. Trotz der absoluten Geraden und trotz des hier eher überschaubaren Verkehrs ist man allerdings gut beraten, das Gaspedal nicht durchzudrücken; denn immer wieder tun sich quer über die Fahrbahn regelrechte Krater auf, einen Meter breit und sicher 20 oder 30 Zentimeter tief. Ist man zu schnell, übersieht man diese von den Elementen geschaffenen Hindernisse, dann wird der Tag plötzlich eine sehr unangenehme Wendung nehmen…

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Der spätere Nachmittag ist dann wieder geprägt von endlos scheinender Arbeit; Texte schreiben, Fotos sortieren, Videos sichten. Knapp vor Einbruch der Dunkelheit gehen wir noch schnell in ein Geschäft, buchstäblich um Brot und Wasser zu kaufen. Als es langsam so richtig dämmrig wird, eröffnet sich ein wunderbares Naturschauspiel – die Fledermäuse fliegen aus, starten ihre Jagd, wie Vogelschwäre muten die Geschwader an. Wunderschön. Übrigens, die fliegenden Säugetiere sind auch richtig groß, in etwa so wie Krähen!

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Foto: Unfassbare Wohnverhältnisse – die Sateliten-Schüsseln auf den Wellblechhütten wirken geradezu grotesk!

Dann ist der Strom weg; in der ganzen Stadt vielleicht, aber zumindest im Stadtteil. Brot kaufen wir schon im Dunkeln, nur gut, dass in Mauretanien noch so ziemlich alles mechanisch abläuft. Registrierkassen hätten jetzt beispielsweise nicht mehr funktioniert! Der Heimweg ist spannend, durch den starken Verkehr und durch das fremdartige Getümmel tatsächlich nichts für schwache Nerven – nur Scheinwerferlichter an Autos erhellen die beginnende Nacht, kein künstliches Licht ansonsten weit und breit!

Unsere tägliche Fertigsuppe kochen, seit Jahren fast ein Ritual – geht leider auch nicht… Am späten Abend sitzen wir zum Ausklang noch auf der Terrasse; großer Lärm, von einem Kompressor stammend, erregt die Aufmerksamkeit – Trupps mit Spritzen in der Hand, durch Schläuche mit Tankwagen verbunden, sprühen ein Gas links und rechts der Straße, die ganze Umgebung meterhoch einhüllend in einen wohl giftigen Neben. Es dürfte ein Mittel gegen Stechmücken sein, wer weiß das schon genau.

"La Plage" - am Fischerstrand!

Am nächsten Tag, heute ist Sonntag, weht frühmorgens eine angenehm kühle Brise. Die täuscht allerdings etwas über die wahren Verhältnisse hinweg, es soll nämlich wieder brütend heiß werden. Bald sitzen wir auch schon in Zappas Auto, drei Leute hinten in der kleinen Kabine; zwei davon auf Holzschemel, einer, ich, auf einem Autoreifen. Der Verkehr ist etwas beruhigt, was Zappa ausnutzt – im Höllentempo geht es Richtung Strand, wo wir ebenfalls und seit jeher Esel behandeln. Als Nicht-Mauretanier erstarrt man nahezu, wenn sich ein Fahrzeug mit derartiger Geschwindigkeit fortbewegt; denn von überall her und jederzeit kann und wird jemand auftauchen, ein anderes Auto, zu Fuß gehende, ein Karren; an den Kreuzungen das übliche Missachten der Ampeln (übrigens wie selbstverständlich auch unter Polizeipräsenz), ein System, welche ähnlich funktioniert wie das Computerspiel „Tetris“; verschiedene Formen müssen im schnellen Tempo angeordnet werden, sodass gerade Flächen entstehen, welche in Folge in sich zusammenbrechen und so Neuraum schaffen. Ist man ein einziges Mal unaufmerksam, zu langsam, türmt sich mehr und mehr auf, bis schließlich gar nichts mehr geht. Im wahren Leben, nach mauretanischer Art, fährt also ein Lastwagen linksabbiegend, eröffnet eine Lücke, wo sich ein Autofahrer hineinklemmt; weil der nachrückt, schafft es auch ein Tucktuck in die Kreuzung, der Gegenverkehr füllt den freien Platz in der rechten Straße auf, und alles ergießt sich in die Seitenarme der Intersektion. Solange, bis ein Fahrzeuglenker zu langsam reagiert oder sich zu viel Vorteil verschaffen möchte, indem er beispielsweise nur mehr auf der Gegenfahrbahn überholt – dann stockt der Molloch irgendwann, und der Infarkt ist fertig.

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Foto: was beinahe idyllisch wirkt, birgt eine tödliche Gefahr – der Ozean ist hier nur sehr bedingt zum Schwimmen geeignet, wir mussten seine Gefahren schon am eigenen Leib erleben!

Schließlich erreichen wir ‚la plage‘, den Strand von Nouakchott. Emsiges Treiben herrscht dort, wie immer. Leider auch, ebenfalls wie immer, eine gewisse Atmosphäre der Aggressivität, welche sich bedrückend wie ein Schleier über die herzzerreißende Umgebung zu legen scheint. Seit vielen Jahren behandeln wir an jenem Ort die Esel, was extrem wichtig ist. Dort leiden die armen Tiere aber weniger wegen des aufgebürdeten Gewichtes, welche sie zu bewältigen haben; das größte Problem am sandigen Boden ist die Hufabreibung – die aufgrund der Gegebenheiten kaum vorhanden ist! Deshalb muss das Meerufer – die Esel werden hier vorwiegend für den Transport von Fischen oder Bootsteilen genutzt – Zappa’s ureigene Domäne sein. Und es ist wirklich und ohne jede Abstriche phänomenal, was der Mann leistet! Dabei plagen ihn seit vielen Monaten schwere Rückenschmerzen, kaum aushaltbare. Fakt ist, Zappa muss wahrlich unentbehrlich für das Projekt sein; er ist ein Hexer im besten Sinne, einer, der unmögliches möglich macht!

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Hufe, so schrecklich verwachsen, dass man denkt es gäbe keine Rettung mehr – und was macht Zappa? Innerhalb von Minuten steht das geplagte Tier erneut halbwegs gerade, die Hufe wieder in Huf-Form. Da könnte jeder und jede HufschmiedIn in Westeuropa sowas von lernen – ich wiederhole mich, denn es gibt kein besseres Wort hierfür: Unfassbar!

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Aus den Aufladeflächen der Autos werden tote Fische auf einen Haufen gekippt; ein riesen Berg ehemaliges Leben, welches ganz einfach für absolut nichts getötet worden war. Mohamed meint, was wir hier sehen, ist der „Beifang“ der Sardienenjagd. Ja, der Anblick der schillernden Masse voller toter Augen schmerzt doppelt und dreifach, dann noch in einem Land, welches seine Menschen nicht satt kriegt…

Überall zwischen den Eseln laufen Hunde; unzählige Welpen, wo die allermeisten davon wahrscheinlich nie das Erwachsenenalter erreichen. Klapperdürr, ausgezehrt. Vom Leben verraten. Schicksal als mieser Verräter. Von den Menschen ringsum bestenfalls unbeachtet, bestimmt schlimmer, denn sie zeigen sich absolut scheu. Homo Sapiens ist nicht ihr Freud, das wurde ihnen wohl schon trotz der kurzen Zeitspanne des bisherigen Daseins klargemacht…

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Wir arbeiten ohne Unterlass; wie von den Meteorologen versprochen ist es schnell heiß geworden, so heiß, dass man meint, der Sand unter den Sohlen brennt. Inmitten von hunderten traditionellen Fischerbooten, die meisten davon werden wohl nie wieder ins nahe Meer entlassen werden. Dort nämlich fischen ausländische Fangflotten – übrigens auch solche aus der EU – den Ozean leer; für die kleinen Boote, die sich nicht so weit hinauswagen können, bleibt kaum etwas übrig. Schande der Industrienationen. Wir nehmen auch noch den Fisch weg, jenen, die ohnehin nichts haben. Auch an diesem Ort, so wird gemunkelt, mischt der ‚Rote Drache‘ kräftig mit.

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Die Esel, abgesehen von erwähnten extremen Hufverformungen, zeigen sich am Strand in besserem Zustand als ihre ArtgenossInnen in der Stadt. Wohl deswegen, weil sie nicht so schwere Gewichte schleppen müssen, aber auch und vor allem, weil sie weniger im Dauereinsatz stehen! Was aber trotzdem stark auffällt – sie sind um vieles schwieriger zu behandeln, die allermeisten wehren sich vehement gegen jede Annäherung. Warum, wir wissen es nicht; aber der Verdacht liegt nahe, weil vielleicht doch die allgemeine Unruhe der Gegend abfärbt. Das Klima ist tatsächlich ein raues, die Menschen hektisch und nervös, die Tiere vorsichtig und scheu. Hunde, Katzen, Esel, alle gleich. Vielleicht, weil das hier ein Ort des Tötens ist, wo sich die Schatten der Sünde über alles und jeden legen…

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Fotos: aus einigen baufälligen Hütten dringt lautes Hilferufen; dort sind Ziegen eingesperrt – eine Mama leidet schwer an einer Euterentzündung, ihre Babys abgemagert und lethargisch…

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Wir wechseln schließlich den Standort; Zappa und Mohamed haben drei verschiedene Behandlungsstellen am Strand. Jene, wohin wir jetzt unsere Aktivitäten verlagern, präsentiert sich ein bisschen gemäßigter, nicht ganz so hektisch. Zu tun aber gibt es dennoch jede Menge.

Nach einigen Stunden und erneut hundert behandelten Eseln packen wir müde zusammen. Welche Anstrengung. Aber auch, welcher Lohn! Alleine die Tiere, denen Zappa heute die Hufe gerettet hat, welche Erleichterung müssen die nun spüren. Dankbar, diese so wichtige Arbeit mitgestalten zu dürfen, werfe ich einen langen Blick zum Himmel!

Esel in Mauretanien Bericht 1 25
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Esel in Mauretanien Bericht 1 23
Esel in Mauretanien Bericht 1 27
Esel in Mauretanien Bericht 1 15
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