Das Dilemma im Kuhstall – warum die „Kombi-Haltung“ niemals Tierwohl sein kann!

In Österreich ist die „dauernde Anbindehaltung“ von Kühen verboten. Im Prinzip zumindest. Denn das Gesetz verlangt einen „Freigang“ an mindestens 90 Tagen im Jahr. Einige Molkereien gehen noch einen Schritt weiter, wie jene sehr bekannte aus Salzburg – und versprechen mindestens 120 Tage. Man vernimmt so etwas, findet es gut, vielleicht sogar fortschrittlich, aber denkt meist weiter darüber gar nicht nach. 120 Tage, das ist ein Drittel des Jahres, also gut 33 %. 90 sind ein Viertel, immerhin noch 25 %. Spätestens hier jedoch beginnt bereits die Problematik. Denn wer kontrolliert solche Vorgaben? Die gesetzlichen 90 sowieso niemand, nehmen Sie uns beim Wort. Es gibt ja nicht einmal eine Aufzeichnungspflicht für die Tierhalter.

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Foto: Liegen in den eigenen Fäkalien – bei der Anbindehaltung – die ja an sich schon ein geschönter Begriff, dann für „Kettenhaltung“, ist – ein oft gesehenes Bild!

Und wenn dann doch einmal eine Kontrolle passiert – statistisch gesehen alle 50 Jahre (!!!) – wird das Kontrollorgan einfach das hören, was es hören möchte. „Erst gestern waren die Kühe draußen, den ganzen Sommer über sowieso.“ Da hilft es auch nichts, wenn Nachbarn behaupten, sie hätten an jenem Ort überhaupt noch nie eine Kuh im Freien gesehen. Auf Nachfrage wird das Amt verlauten: „Wie sollen wir das kontrollieren? Einen Mitarbeiter 24 Stunden am Tag abstellen, um den Hof zu beobachten?“ Und damit ist die Sache abgetan. So wenig Arbeit wie möglich, für LandwirtInnen und BeamtInnen. Wo der Schein wichtiger ist als das Sein.

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Aber es kommt noch schlimmer: denn der Gesetzestext sagt ja nicht „90 Tage“, sondern „an 90 Tagen“. Was ein kleines Wörtchen doch für einen Unterschied ausmachen kann! Denn selbst wenn nun tatsächlich in dieser Periode die Ketten fallen, dann genügt theoretisch eine Zeitspanne von Minuten. Nirgends nämlich wird die Dauer erörtert. Rechnen wir als neu und gehen wir hierfür einmal von 30 Minuten aus. Mal 90 Tage sind das 2 700 Minuten, also 45 Stunden. Bei 120 Tagen errechnen wir ganze 60 Stunden.  Im Jahr. Welches aus 8 760 Stunden besteht. 45 Stunden aus fast 9 000 sind dann ein gutes halbes Prozent; 60 nicht mehr als 0,75 % – im Vergleich zu den suggerierten 33 ein zu vernachlässigender Faktor, zu 25 nicht minder.

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Foto: es gibt dann auch noch die zahlreichen Ausnahmegenehmigungen, welche eine „dauernden Anbindehaltung“ selbst ohne den gesetzlich festgelegten Freigang erlauben… und das ist wirklich unfassbar, unerträglich! In Anspruch nehmen solche dann besonders LandwirtInnen mit alten Stallungen, wie jene im Bild: finster und nass! Wie man eine solche Genehmigung bekommt? Fülle ein Drei-Minuten-Formular aus, gebe als Grund „Angst vor den Kühe“, „bauliche Gegebenheiten“ oder dergleichen an, und nichts steht dem Anliegen entgegen! Leider kein Scherz sondern bittere Realität…

Und wir sind noch immer weit davon entfernt, sämtliche Problematiken abgedeckt zu haben. Denn selbst wenn man nun vielleicht ab und an ein paar Kühe draußen sieht, wer sagt, dass alle der Angeketteten in den Genuß des Freilaufes kommen? Wer sagt, dass Bauer, welcher seine Tiere früher nie abgebunden hatte, jetzt plötzlich ein Problem damit hat, diese ständig in Anbindehaltung zu belassen? Was wir damit ausdrücken möchten: überprüft jemand tatsächlich, dass JEDE Kuh im Stall an 90 bzw. 120 Tagen ins Freie darf (in Anbetracht dessen, dass nicht einmal generell der Freilauf überprüft wird, ist die Antwort wohl eine gegebene)? Oder genügt es den Landwirtschaftstreibenden, immer wieder dieselben „draußen“ zu präsentieren, dann jene, welche am einfachsten zu handhaben sind? Und solche, die sich beim erneuten Zwangsfixieren vielleicht etwas sträuben, gar nicht erst von den Ketten zu befreien? Sowas läge doch durchaus in der Natur des Menschen, oder? Und solange es keinerlei dahingehende Überprüfungsmechanismen gibt, müssen wir im Sinne der Tiere eine solche Möglichkeiten in Betracht ziehen…

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Foto: Vor wenigen Jahren von uns aufgedeckt – Schrecklichst! Und das bei einem Top-Milchanbieter-Stall in Salzburg! Stier gekettet an den Nasenring!

Noch etwas: Selbst wenn nun alles passen würde, also die „an 90 Tagen“- oder „an 120 Tagen“-Regel wirklich eingehalten würde, was dann? Dann sind diese herrlichen Tiere dennoch weiterhin an 275 bzw. 245 Tagen durchgehend an der Ketten. Wie im Mittelalter. Jetzt, im Jahre 2022.

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Darf man der Milchindustrie "Werbelügen" vorwerfen? Urteilen Sie!

Und damit sind wir leider noch immer nicht am Ende der Kritikpunkte an der propagierten „Kombi-Haltung“ angelangt. Denn bei einer solchen wird auf „Ausläufe“ gebaut. Das sind dann kleine, direkt an den Stall angeschlossene betonierte Flächen. Bei einem Salzburger Anbieter heißt es im Text sinngemäß: „Weide oder Auslauf an mindestens 120 Tagen.“ Spätestens hier drängt sich jedoch die nächste Frage auf: Wie ist denn das Verhältnis zwischen Weide und bloßem Auslauf? Weil es für die Kuh doch bestimmt einen ganz großen Unterschied ausmacht, ob sie nun auf einer Weide grasen darf oder am Betonflecken steht. Wenig überraschend wird, obwohl die Tatsächlichkeit zwischen den beiden genehmigten Möglichkeiten bestimmt im überwältigendem Ausmaß zugunsten des betonierten Auslaufes ausfällt, in den Werbebroschüren fast ausnahmslos die Kuh auf der Weide gezeigt. Ganz bestimmt nur der Schelm würde jetzt denken, „auch eine Art der Irreführung“; oder wie empfinden Sie das?

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Foto: hier in diesem Auslauf konnte noch nie eine Kuh entdeckt werden – mehrere Menschen bezeugen es!

Das Beispiel jener Salzburger Molkerei zeigt eines deutlich: die Initiative hin zu mehr „Tierwohl“ ist eine gute, ernstgemeinte. Wie bei den meisten anderen Anbietenden hoffentlich auch. Aber bei genauerer Betrachtung werden schnell die Grenzen aufgezeigt, solche, wo die selbst gewählten Kriterien dann in der Realität kaum umzusetzen sind. Zu groß ist oft und oft die Diskrepanz zwischen dem Wollen, der Theorie, und dem Können in der Wirklichkeit.

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Aber „Fehler im System“ könnte man im Angesicht von ernsten, nachvollziehbaren Bemühungen noch verzeihen. Allerdings, wenn entsprechendes Aufzeigen mit teils absurden Behauptungen in die Bedeutungslosigkeit gehievt wird, immer wieder, dann ist jede Nachsicht fehl am Platz. Ist sie bloße Schwäche auf Kosten der Tiere.

Seit Jahren beispielsweise zeigen wir Betriebe auf, wo ganz sicher keine Kuh in selber Zeit im Freien war. Über Monate hinweg mit Fotos von verschiedensten Tageszeiten belegt (siehe Foto oben). Wenn dann die Antwort lautet, vielleicht schauen wir zu den falschen Zeiten, dann ist das zermürbend. Und deutet ein bisschen darauf hin, dass gute Ansätze bloße Werbestrategien sind. Schade um solche vertanene Chancen. Schade im Sinne der Kommunikation, schade, nein, sogar furchtbar, im Sinne der betroffenen Tiere. Aber noch geben wir die Hoffnung nicht auf; vielleicht wird 2023 doch ein gutes Jahr für die Kühe. Wenn Molkereien, Landwirtschaft und Tierschutz gemeinsam daran arbeiten, dann wäre alles möglich. Allerdings, wenn KundInnen-Versprechungen weiterhin so fahrlässig behandelt werden, oft nur leeres Gerede darstellen, dann müssen auch wir neue Wege suchen. Und das wäre, zum dritten Mal, schade; für alle Beteiligten…

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Fotos, oben: Stall in Salzburg, mit relativ großzügigem Auslauf! Unten: Kühe in demselben. „Draußen“ haben zumindest wir sie bisher noch nie gesehen…

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